Parchow / Middendorf | Junge Menschen in prekären Lebenslagen | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 446 Seiten

Parchow / Middendorf Junge Menschen in prekären Lebenslagen

Theorien und Praxisfelder der Sozialen Arbeit

E-Book, Deutsch, 446 Seiten

ISBN: 978-3-7799-8093-3
Verlag: Beltz Juventa
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die Profession Soziale Arbeit verortet sich seit jeher eng an der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft. Sie nimmt sowohl die oftmals erschwerten Lebensbedingungen verschiedener Menschen als auch gesamtgesellschaftliche (teilhabebehindernde) Prozesse in den Blick. Der Sammelband stellt explizit Jugendliche und junge Erwachsene in prekären Lebenslagen in den Mittelpunkt, indem in verschiedenen Beiträgen diese Zielgruppe in unterschiedlichen Lebenssituationen in ihrer theoretischen und praktischen Bedeutung für verschiedene Handlungsfelder der Sozialen Arbeit beleuchtet wird.

Tim Middendorf, Professor für Soziale Arbeit im Kontext prekärer Lebenslagen an der Hochschule Bielefeld (HSBI), ist Dipl.-Sozialarbeiter und Dipl.-Sozialarbeiter sowie Supervisor (M.A.). Alexander Parchow, B. A. Sozialarbeiter/Sozialpädagoge und M. A. Jugendhilfe - Konzeptionsentwicklung und Organisationsgestaltung, war als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Münster am Fachbereich Sozialwesen tätig.
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Junge Menschen in prekären Lebenslagen – eine multikomplexe Herausforderung für die Soziale Arbeit
Tim Middendorf und Alexander Parchow Junge Menschen befinden sich in der heutigen Gesellschaft in hochkomplexen Lebenssituationen. Sie sind einerseits dazu aufgefordert, zu mündigen und im Idealfall selbstbewussten Individuen heranzureifen, die einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten und Selbstfürsorge betreiben. Andererseits, so zumindest der Mainstream der (Erwachsenen-)Gesellschaft, sollen sie sich möglichst reibungsarm und passungsfähig in bestehende gesellschaftliche Strukturen integrieren, um die öffentliche Ordnung nicht zu stören (vgl. Anhorn 2022, S. 44 ff.). Dies alles geschieht in einer Zeit, in der die Komplexität der Lebensbedingungen von Menschen aufgrund vielfältiger individueller Entwicklungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten zunimmt wie niemals zuvor – und in der andersherum aufgrund dessen ebenso viel Unsicherheit herrscht (vgl. Beck 2016). Voranschreitende Digitalisierung, steigender Einfluss sozialer Medien, Pluralisierung der Familienmodelle, starker Wandel des Klimas, zunehmende globale Krisen und Konflikte, ausufernde Kriegshandlungen, Veränderung des Arbeitsmarkts, zunehmende Bedeutung künstlicher Intelligenz: Dies sind nur einige Beispiele für die Gründe der rasenden Transformation ganzer Gesellschaften aber auch der individuellen Lebensbedingungen einzelner Menschen. In diesen „unsicheren Zeiten“ sind nun die jungen Menschen damit beschäftigt, ihr Leben unter den oben genannten Bedingungen zu bewältigen. Im Sinne Lothar Böhnischs ist unter Lebensbewältigung „das Streben nach psycho-sozialer Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenskonstellationen“ (Böhnisch 2023, S. 18) zu verstehen. Ihm folgend ist der Trieb nach Handlungsfähigkeit bei Menschen so ausgeprägt, dass sie mit sozial angemessenem als auch mit abweichendem Verhalten versuchen diese wieder herzustellen. Das bedeutet aber auch: Schaffen die jungen Menschen es nicht, ihre eigene Handlungsfähigkeit herzustellen, dann ist das eigene Selbst der Betroffenen bedroht (vgl. ebd., S. 18 f.). Resümierend lässt sich herausstellen, dass die nach Böhnisch so fassbaren Bewältigungsaufgaben junger Menschen (z. B. Übergänge im Bildungswesen, Pubertät) in der heutigen Zeit, im Kontext der genannten gesellschaftlichen Transformationen und z. T. globalen Herausforderungen, als äußerst komplex angesehen werden können. Denn wenn wir diese so gesehen unsicheren Umweltfaktoren mit den qua Alter herausforderungsvollen Bewältigungsaufgaben junger Menschen in Verbindung bringen, dann ergibt sich ein Konglomerat an Interdependenzen, die das Aufwachsen junger Menschen prägen. Um dies genauer zu greifen, bietet Böhnisch sozialisationstheoretische Perspektiven für die Soziale Arbeit an: „Die Sozialisationstheorie (mit Sozialisationsforschung) kann man als „Bezugstheorie“ der Sozialen Arbeit verstehen“ (Böhnisch 2023, S. 164). Er fasst unter Sozialisation „den Prozess des Aufwachsens und der biografischen Weiterentwicklung der Person im Verhältnis zu ihrer materiellen und sozialen Umwelt und darin auch im Einklang mit sich selbst“ (ebd.). Den Ausführungen Böhnischs folgend befinden sich junge Menschen in Sozialisationsprozessen, die sie in Wechselwirkung zu Umweltfaktoren und in Verbindung zu ihrem Selbst vollziehen. Das hat zur Folge, dass die von ihm genannten Bewältigungsprozesse tiefgreifende Wirkungen bei den jungen Menschen entfalten. Sowohl ein Scheitern an den Bewältigungsaufgaben als auch aus Sicht der Erwachsenengesellschaft dysfunktionale Bewältigungsstrategien gefährden die psycho-soziale Entwicklung der jungen Menschen. Das bedeutet, dass die Lebensphasen Kindheit, Jugend und junges Erwachsenenalter für die beteiligten Menschen als durchaus herausforderungsvoll anzusehen sind – aus dieser Perspektive und aufgrund der Wirkmächtigkeit der Sozialisationserfahrungen sogar als inhärent prekär. Kindheit, Jugend und junges Erwachsenenalter sind aus unserer Perspektive demnach als prekäre Lebensphasen zu benennen. Diese prekären Lebensphasen als kritische Lebenskonstellationen sind das Alltags- und Kerngeschäft Sozialer Arbeit (vgl. Böhnisch 2023, S. 18). Angesiedelt an der Schnittstelle Individuum und Gesellschaft betrachtet sie – nach Silvia Staub-Bernasconis Verständnis von Systemismus – die einzelnen Individuen in ihrer Verwobenheit in und mit gesellschaftlichen Phänomenen (vgl. Staub-Bernasconi 2012, S. 271). Das ist besonders für junge Menschen von Bedeutung: Denn je nach Alter sind sie in besonderem Maße abhängig von Außenstehenden, von denen sie sich entlang der Sozialisations- und Bewältigungsaufgaben aber gleichzeitig abzugrenzen und abzukoppeln haben. Das alles schafft Unsicherheiten, Machtverhältnisse und Abhängigkeiten, die fluide sowie unsicher wirken und Aspekte von Prekarität aufweisen (vgl. Dörre 2021, S. 270). Es ist zudem hinzuzufügen, dass nicht alle jungen Menschen auf ähnliche Ressourcen zurückgreifen können und gleiche „Startbedingungen“ für ihr Leben besitzen: Einige Menschen befinden sich schon in jungen Jahren in prekären Lebensverhältnissen, die beispielsweise mit einer eingeschränkten sozialen Teilhabe verknüpft sein können. Denn durch die Prekarität der jungen Menschen verändert sich die gesellschaftliche Position der Betroffenen und ihrer Familien, infolgedessen sich die Zugehörigkeiten und Handlungsoptionen, sprich die Lebenschancen, reduzieren können (vgl. Dahrendorf 1979, S. 50 f.). Das kann – muss aber nicht zwangsläufig – zu reduzierten Ressourcen in Bezug auf die Herstellung einer eigenen Handlungsfähigkeit bei den jungen Menschen führen. Für junge Menschen in prekären Lebenslagen steigt demnach die Komplexität der Lebensbewältigung, die alle jungen Menschen schon vor große Herausforderungen stellt. Zusammenfassend lässt sich daher sagen, dass die Soziale Arbeit mit jungen Menschen in prekären Lebenslagen durch multikomplexe Herausforderungen gekennzeichnet ist, denen es zu begegnen gilt. Denn junge Menschen befinden sich erstens durch ihr Alter in komplexen Sozialisationszusammenhängen, die durch vielfältige Umweltfaktoren geprägt sind. Hinzukommend erscheint es zweitens höchst anspruchsvoll, in den durch Ambivalenzen und Abhängigkeitsverhältnisse (z. B. zu Erwachsenen) geformten gesellschaftlichen Strukturen die individuelle Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Drittens nehmen letztendlich diese als Herausforderungen zu bezeichnenden sozialisatorischen Entwicklungsprozesse zu, wenn junge Menschen sich zudem in prekären Lebenslagen befinden. Und zwar deshalb, weil die zusätzlichen Unsicherheiten erneut die Sozialisationsprozesse der jungen Menschen in Bezug auf die individuelle biografische Entwicklung und das Hineinwachsen und Gestalten gesellschaftlicher Prozesse prägen. Das alles hat Einfluss auf die Praxis der Sozialen Arbeit: Sozialarbeitende, die mit jungen Menschen in prekären Lebenslagen arbeiten, sehen sich oftmals mit den multikomplexen Herausforderungen konfrontiert. Aufgrund dessen reicht es aus unserer Perspektive nicht aus, nur die individuelle Entwicklung der jungen Menschen in den Blick zu nehmen oder die gesellschaftliche Anbindung zu fördern und voranzutreiben. Auch reicht es unserer Meinung nach nicht aus, diese beiden Stränge miteinander zu verknüpfen – was sich schon aufgrund teils divergierender Interessen als höchst komplex darstellen würde. Wir plädieren daher dafür, dass Profession und Disziplin gewissermaßen die Perspektive erweitern und ebenso daran arbeiten, möglichst sozialisationsfördernde materielle und soziale Umweltbedingungen zu schaffen, die es auch und vor allem jungen Menschen in prekären Lebenslagen ermöglichen, vielfältige sozialisatorische Interaktionserfahrungen zu erleben. Denn diese gelten als Grundlage für positive bzw. adäquate Sozialisationserfahrungen (vgl. Grundmann 2006, S. 47). Dazu ist grundsätzlich eine breite und innovative wissenschaftliche Fundierung sozialarbeiterischen Handelns notwendig. Umso erstaunlicher ist es, dass in wissenschaftlichen Veröffentlichungen bisher kaum systematische Verknüpfungen von jungen Menschen mit prekären Lebenslagen zu finden sind. Diese reduzieren sich in der Regel auf bestimmte Lebenslagen (z. B. Kinderarmut) oder auf bestimmte Handlungsfelder (z. B. junge Menschen im Kontext von Flucht und Migration) – was wir selbstverständlich auch als durchaus wichtig und bedeutsam erachten....


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