E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm
Reihe: Schwerpunkte Pflichtfach
Schack BGB-Allgemeiner Teil
17., neu bearbeitete Auflage 2023
ISBN: 978-3-8114-8847-2
Verlag: C.F. Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 200 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm
Reihe: Schwerpunkte Pflichtfach
ISBN: 978-3-8114-8847-2
Verlag: C.F. Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zielgruppe
Studierende, insbesondere Studienanfänger
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
§ 1 Begriff, regelmäßiger Beginn und Vorverlegung der Rechtsfähigkeit
1 Fall 1: Der 52-jährige G wird am 3.1.2022 bei einem von B verschuldeten Verkehrsunfall getötet. G hatte ein hohes Einkommen, aber kein Vermögen. Die Tochter T des G bringt am 28.12.2022 das Kind K zur Welt. T und ihr Ehemann sind einkommens- und vermögenslos. 1. Kann K von B Unterhalt verlangen? 2. Welche Ansprüche hätte K, wenn er schwer missgebildet geboren worden wäre und die Missbildung darauf zurückginge, dass der Arzt A die T einer Röntgentherapie unterzogen hat, die angesichts der ihm bekannten Schwangerschaft unbedingt hätte unterbleiben müssen? (Lösungsskizze: Rn 16) I. Begriff der Rechtsfähigkeit
2 Zum Unterhalt des K sind in erster Linie seine Eltern verpflichtet, § 1601.[1] Aber sie haben nichts; folglich brauchen sie auch nicht zu zahlen, § 1603. Lebte der Großvater G noch, dann müsste er K unterhalten, §§ 1601, 1606 II, 1607 I. 3 1. K könnte gegen B einen Anspruch aus unerlaubter Handlung haben. Aber B hat nicht in die Rechte des K eingegriffen, die § 823 I als absolut geschützte Rechtsgüter aufzählt. B hat den G verletzt, folglich ist G „der andere“, dem B aus § 823 verpflichtet ist. (Es heißt nicht: „Wer einen anderen verletzt, ist jedem anderen zum Ersatz verpflichtet“.) Dem K ist aber durch den von B verschuldeten Tod des G der Unterhaltsanspruch verlorengegangen. In solchen Fällen hilft § 844 II. Hier ist die Tötung eines Unterhaltspflichtigen der Tatbestand, der dem Unterhaltsberechtigten einen Schadensersatzanspruch gibt; sein Schaden ist der Verlust des Unterhaltsanspruchs. 4 2. Der Anspruch aus § 844 II setzt aber voraus, dass der Unterhaltsberechtigte als Zuordnungssubjekt des Unterhaltsanspruchs und des Schadensersatzanspruchs im Augenblick der Schadenszufügung existierte. Die Eigenschaft einer Person, Zuordnungssubjekt sein zu können, nennt man Rechtsfähigkeit. Rechtsfähig ist, wer Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Ob jemand tatsächlich Rechte hat, spielt keine Rolle, genauso wenig ob er durch eigene Handlungen Rechte und Pflichten erwerben kann. Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit (s. unten Rn 52 f) sind streng zu trennen. Rechte und Pflichten können auch ein noch nicht handlungsfähiges Neugeborenes treffen: Es hat Unterhaltsansprüche; es kann einen Unfall erleiden, aus dem ihm Schadensersatzansprüche erwachsen; es kann Erbe werden, den Nachlassverbindlichkeiten treffen, §§ 1922, 1967. 5 Die Rechtsfähigkeit ist einer der wichtigsten Grundbegriffe des Rechts, und zwar nicht nur des Privatrechts: Nur Rechtsfähige können am Rechtsleben teilnehmen. Wenn sie selbst nicht handlungsfähig sind, handelt für sie ihr Vertreter (bzw bei juristischen Personen deren Organ, s. unten Rn 116). Was nicht rechtsfähig ist, ist Rechtsobjekt, mag es auch als solches nicht nur Gegenstand von Rechten, sondern auch selbst rechtlich geschützt sein, wie zB Tiere oder Kulturdenkmäler; niemals jedoch kann es selbst Subjekt von Rechten oder Pflichten sein. Rechtsfähig ist der Mensch, und zwar jeder Mensch. Mit anderen Worten: Rechtsfähigkeit und Menschsein sind untrennbar (vgl Ernst Wolf, in Wolf/Naujoks, Anfang und Ende der Rechtsfähigkeit des Menschen 1955, S. 50, 82 ff; M. Lehmann, Der Begriff der Rechtsfähigkeit, AcP 2007, 225, 234). Doch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass in Zukunft auch selbstlernenden Robotern zumindest eine teilweise Rechtsfähigkeit zugestanden wird. (Vgl Konertz/Schönhof, Das technische Phänomen „Künstliche Intelligenz“ im allgemeinen Zivilrecht 2020, S. 77 ff, 112 ff; Biggen, Vertragsschluss im Internet der Dinge 2022, S. 48 ff) 6 3. Der Satz von der Rechtsfähigkeit des Menschen ist dem BGB so selbstverständlich, dass es ihn nirgends ausdrücklich erwähnt, sondern nur in § 1 den Beginn der Rechtsfähigkeit „mit der Vollendung der Geburt“, also mit dem vollständigen Austritt des Kindes aus dem Mutterleib. Die genaue Bestimmung des Zeitpunktes ist erforderlich, weil es verschiedene rechtliche Möglichkeiten gibt, den Beginn des Menschseins und damit der Rechtsfähigkeit zu fixieren. So hätte das Gesetz die Rechtsfähigkeit später, aber auch früher, zB mit der Zeugung oder dem Beginn der Geburt beginnen lassen können. Das spanische Recht etwa verlangt, dass das Kind eine menschliche Gestalt und 24 Stunden gelebt haben muss, Art. 30 Código Civil. Wichtig wird das Hinausschieben der Rechtsfähigkeit für die Erbfolge, wenn die Mutter bei der Geburt stirbt; vgl § 1923 I. 7 § 1 BGB hat sich mit der Vollendung der Geburt für einen klaren, leicht feststellbaren Zeitpunkt entschieden. Das bedeutet im Übrigen aber keine Wertentscheidung gegen das erst werdende Leben. Aus § 1 lässt sich keineswegs folgern, dass der Erzeugte vor Vollendung der Geburt schutzlos sein soll. II. Vorverlegung der Rechtsfähigkeit
8 1. Deshalb ist es möglich, auch den schon Erzeugten als geschütztes Subjekt anzuerkennen. Das hat das Gesetz nicht allgemein mit dem Satz „nasciturus pro iam nato habetur“ getan, sondern nur im Rahmen einzelner Tatbestände, zB in §§ 844 II 2, 1923 II. In diesen Fällen gilt der Erzeugte unter der Voraussetzung, dass er später lebend geboren wird, als rechtsfähig. Dass der werdende Mensch ebenfalls schutzwürdig und -bedürftig ist, wird auch durch § 218 StGB anerkannt: Das sich im Mutterleib entwickelnde Leben steht als selbstständiges Rechtsgut unter dem Schutz der Verfassung, Art. 2 II 1, Art. 1 I GG (BVerfGE 39, 1). 9 Ob in diesen Fällen der Erzeugte nur für bestimmte Rechte rechtsfähig ist, es im Übrigen aber bei § 1 bleibt (also Teilrechtsfähigkeit), oder ob der Sachverhalt Anlass ist, die Rechtsfähigkeit schlechthin zu gewähren, mag dahingestellt bleiben. (Für Teilrechtsfähigkeit in diesen und anderen Fällen Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit 1963, S. 111 ff.) Entscheidend ist das Schutzbedürfnis des nasciturus, nicht die Deduktion aus einem wie auch immer gearteten Begriff der Rechtsfähigkeit (vgl unten Rn 13). Bei der juristischen Person wäre es angesichts der Entstehung der Rechtsfähigkeit durch Staatsakt (s. unten Rn 73) eher denkbar, die Rechtsfähigkeit auf einen bestimmten Wirkungskreis zu begrenzen und Geschäfte ultra vires der juristischen Person nicht zuzurechnen; doch hat der deutsche Gesetzgeber diese Möglichkeit im Privatrecht nicht gewählt. 10 Streitig ist, ob unter Erzeugung die Befruchtung (Verschmelzung einer Ei- mit einer Samenzelle) zu verstehen ist oder aber die Einnistung der befruchteten Eizelle (= Nidation 12 Tage nach der Befruchtung). Für das Strafrecht hat § 218 I 2 StGB diese Zweifelsfrage beantwortet. Das hindert indes das Zivilrecht nicht, den Beginn des menschlichen Lebens früher anzusetzen und die Befruchtung als Beginn des Menschseins zu behandeln. Aus dem Nebeneinander der medizinisch-naturwissenschaftlichen und der juristischen Begriffe folgt die Möglichkeit oder gar die Notwendigkeit, einem Begriff in verschiedenen Zusammenhängen einen unterschiedlichen Inhalt zu geben (Relativität der Begriffsbestimmung). Für § 1 BGB und § 218 StGB können durchaus also unterschiedliche Zeitpunkte maßgeblich sein. 11 Der Wortlaut des § 844 II 2 setzt, wie auch §§ 1810 nF, 1923 II, voraus, dass der Geschädigte bereits erzeugt ist. Eine noch weitere Vorverlegung auf die Zeit vor der Erzeugung, um einem später Geborenen aus einem ihm nachteiligen Ereignis Ersatzansprüche zu gewähren, ließe sich nur im Wege einer Analogie zu § 844 II 2 bewerkstelligen (zum nondum conceptus im Privatrecht instruktiv Neuner JuS 2019, 1 ff). Indes fehlt es hierfür an einer planwidrigen Lücke: Der Gesetzgeber des BGB hat den Antrag, die Vorschrift zugunsten noch nicht erzeugter Unterhaltsberechtigter zu erweitern, ausdrücklich abgelehnt (Protokolle S. 2821 f = Mugdan II 1109). Die Tötung des Großvaters vor der Zeugung seines Enkelkindes muss von diesem als Schicksal hingenommen werden. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsordnung, jede Unbill mit Schadensersatzansprüchen auszugleichen. Im Fall 1 kann daher K von B keinen Unterhalt fordern. Wohl aber kann T für sich Schadensersatz von B für den ihr entgangenen Unterhaltsanspruch gegen G verlangen, wenn weder sie selbst noch ihr Ehemann (§ 1608) ihren Lebensbedarf bestreiten können. 12 2. In der Fallabwandlung wurde K als Embryo durch die unsachgemäße Bestrahlung unmittelbar verletzt. Die Anwendung des § 823 I (Rechtswidrigkeit und Verschulden des Arztes liegen vor) ist insofern problematisch, als K bei der Schädigung noch nicht rechtsfähig, also noch kein „anderer“ iSv § 823 I, war und weil eine den Schutz...