E-Book, Deutsch, Band 561, 432 Seiten
Reihe: Julia Extra
Adams / Meier / Pammi Julia Extra Band 561
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7515-2573-2
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 561, 432 Seiten
Reihe: Julia Extra
ISBN: 978-3-7515-2573-2
Verlag: CORA Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Susan Meier wuchs als eines von 11 Kindern auf einer kleinen Farm in Pennsylvania auf. Sie genoss es, sich in der Natur aufzuhalten, im Gras zu liegen, in die Wolken zu starren und sich ihren Tagträumen hinzugeben. Dort wurde ihrer Meinung nach auch ihre Liebe zu Geschichten und zum Schreiben geboren. Susan ist eine begeisterte, aber äußerst schlechte Golfspielerin und eine Frau, die verzweifelt versucht, kochen zu lernen, ohne die Feuerwehr bemühen zu müssen. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann, drei Kindern und zwei Katzen immer noch Pennsylvania. Mehr erfahren Sie auf der Internetseite www.susanmeier.com.
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1. KAPITEL
„Und sie lebte glücklich bis an ihr Ende.“ Beschwingt erklomm Maren die Treppe zu dem herrlichen Palast, der jetzt ihr neues Zuhause war. Vor Freude war sie ganz aus dem Häuschen! Auf dem Weg durch ihre Wohnräume spähte sie kurz in jedes Zimmer. Perfekt! Alles war nach ihren Wünschen hergerichtet worden. Doch als sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer aufstieß, fielen Maren sofort zwei Dinge ins Auge. Zum einen war das Bett sehr groß und sehr pink und sah genauso aus, wie sie es sich immer erträumt hatte. Ein Prinzessinnenbett für ein Prinzessinnenschloss. Zum anderen lag auf dem Prinzessinnenbett ein Mann. Er wirkte sehr groß, trug einen schwarzen Anzug und hatte sein schwarzes Haar auf umwerfende Art aus der Stirn gestrichen. Seine Augen waren schwarz und viel zu scharfsichtig. Maren wusste auf Anhieb, dass sie sich für immer an jede Einzelheit dieses Augenblicks erinnern würde. Der Unbekannte strahlte etwas Intensives aus, das in ihr widerhallte, obwohl sie es nicht benennen konnte. Sie erstarrte, als würde sie ein Raubtier erblicken. Eine leise Stimme wisperte ihr zu, dass sie wegrennen solle. Doch eine andere Stimme, ebenso überzeugend, riet ihr zu bleiben. Reglos blieb sie stehen. Als sie heute Morgen mit dem Hubschrauber hergeflogen war, hatte sie alles Mögliche erwartet, aber so etwas nicht. „Hallo, Prinzessin!“, sagte der Fremde mit seidiger Stimme, in der jedoch ganz eindeutig etwas Bedrohliches mitschwang. „Hallo. Ähm … Hallo?“ Schlagartig wurde Maren bewusst, wie isoliert sie hier war, regelrecht abgeschnitten vom Rest der Welt. Es gab zwar Bedienstete im Palast wie die Haushälterin Iliana, und Maren wusste, dass man ihr zu Hilfe kommen würde, falls sie schrie. Trotzdem hörte sie in diesem Moment nichts als ihren Herzschlag. Rund um den Palast gab es kaum Land. Er befand sich auf einem zerklüfteten Felsen in der Ägäis und seine goldenen Türme glitzerten märchenhaft schön im Sonnenlicht. Es war das Prinzessinnenschloss ihrer Träume. Es glich sowohl dem Spielzeugschloss, das ihre Mutter ihr als Kind geschenkt hatte, als auch dem Ort in ihrem Kopf, in dem sie alle Erinnerungen aufbewahrte. Ihrem Gedächtnispalast. Ihre Schwester Jessie, die ebenfalls ein fotografisches Gedächtnis besaß, hielt die Idee eines Gedächtnispalasts für überspannt. Maren war anderer Ansicht. Hatten ihre detailgetreuen Erinnerungsbilder nicht einen ganz besonderen Aufbewahrungsort verdient? Jessie legte ihre Erinnerungen in Aktenschränken ab. Maren fand das schade. Wenn man seine Erinnerungen an jedem erdenklichen Ort aufbewahren konnte – einem Einhornstall, einem Feenhaus, einem verzauberten Koffer, der den Weg in eine magische Welt eröffnete –, warum sollte man dann ein nüchternes Büro wählen? Maren hatte schon immer von Schlössern geträumt. Stets hatte sie geglaubt, gehofft, geträumt, dass sie für mehr bestimmt war. Für etwas Besseres. Ihre Mutter, die genauso rotes Haar hatte wie sie, hatte sie als kleines Kind ihr Make-up probieren und mit ihren Haarspangen, Kämmen und Bürsten spielen lassen. Und sie hatte ihr vorgesungen. Ihr gesagt, dass sie eine Prinzessin sei, etwas Besonderes. Als ihre Mutter fortging, war all das verschwunden. Maren hatte eine privilegierte Kindheit gehabt. In gewisser Weise. Sie hatten zumindest genug Geld gehabt. Jedenfalls ihr Vater, der ein Gangsterboss gewesen war. Sie und ihre Schwester hatten ein Dach über dem Kopf und genug zu essen gehabt. Um ihr seelisches Wohlbefinden hatte sich Marcus Hargreave aber nie gekümmert. Er war ein abscheulicher Mensch gewesen. Inzwischen war er tot. Gestorben bei einer Schießerei, als die Polizei ihn verhaften wollte. Und es gab wohl niemanden auf der Welt, der seinen Tod bedauerte … Ihre Schwester Jessie war mittlerweile verheiratet und erwartete ein Baby. Ein Mädchen, Marens kleine Nichte. Der Gedanke, das Baby könnte durch Marcus Hargreaves kriminelle Machenschaften in Gefahr geraten, war für Maren kaum auszuhalten. Deshalb war sie geradezu erleichtert, dass ihr Vater tot war und nie wieder jemanden verletzen konnte. Ihr Vater war ein schrecklicher Mensch gewesen, der seine Töchter gezwungen hatte, ihm bei seinen kriminellen Machenschaften zu helfen. Ihr Verstand war ein wertvolles Werkzeug für ihn gewesen. Maren und Jessie erinnerten sich an alles, was sie sahen. Jessie war besonders gut mit Zahlen und Fakten. Marens besondere Begabung waren Gefühle. Was Menschen zeigten – und was sie zu verbergen suchten. Sie würde sich selbst als Empathin bezeichnen. Es war, als strömten die Gefühle anderer in sie hinein. Jetzt gerade durchströmten die Gefühle des unbekannten Mannes sie wie eine samtene Welle. Dunkel. Triumphierend. Sinnlich. Der Fremde brachte sie ziemlich aus der Fassung – wie auch nicht? Sie hatte aber keine Angst vor ihm. Maren spürte zwar, dass er gefährlich sein könnte, denn in ihm gab es zersplitterte, komplizierte Emotionen, die sie praktisch schmecken konnte. Doch er war nicht grausam. Grausamkeit hinterließ einen sauren Geschmack auf ihrer Zunge. Grausamkeit hatte sie stets gespürt, wenn sie in der Nähe ihres Vaters oder seiner Konsorten gewesen war. Sie kannte grausame Männer. Dieser Fremde gehörte nicht dazu. Nicht Stärke, Wut oder eine gewisse Dunkelheit machten einen Mann gefährlich. Entscheidend war, ob er den Schmerz anderer genoss. Sie wusste instinktiv, dass dieser Mann es nicht tat, und das beruhigte sie. In ihrem Leben beruhte der Unterschied zwischen Sicherheit und Gefahr auf ihrer Fähigkeit, Menschen zu lesen. Er stand auf. Sie hatte recht gehabt. Er war sehr groß. Breitschultrig und muskulös. Seine Bewegungen waren geschmeidig wie die eines Panthers. Dieser Eindruck verstärkte ihre innere Unruhe, und Maren fühlte sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, wegzurennen, und dem Wunsch, zu bleiben. „Ich hoffe, dass alles im Palast zu deiner Zufriedenheit ist?“ „Also, ja. Bis jetzt. Aber …“ „Gut. Hast du bereits eine Führung bekommen?“ „Ich …“ Das hatte sie. Als sich der Hubschrauber dem Palast genähert hatte, war sie überwältigt gewesen. Doch aus der Nähe war alles noch viel eindrucksvoller. Der Palast hatte märchenhaft schöne Verzierungen aus Bergkristall, deshalb glitzerte er so hell in der Sonne. Die Turmspitzen waren vergoldet, und Maren hatte sich sofort gefragt, ob es echtes Gold war. Die Fenster sahen aus wie Bonbons, leuchtend und bunt. Es war schlichtweg das Schönste, was sie je gesehen hatte. Auf den Fotos war nicht ansatzweise zu erkennen gewesen, welche Schönheit sie hier erwartete. Dazu kam noch die Freude, dass Jessie und sie es geschafft hatten. Es war überwältigend, dass sie mit jenem letzten Pokerspiel, diesem allerletzten Betrug, dem Vermächtnis ihres Vaters entkommen waren und sich selbst etwas geschaffen hatten. Auch wenn Maren sich gerade reichlich verunsichert fühlte, weil Jessie so schnell eine eigene Familie gegründet hatte … Sie beide hatte der Verlust ihrer Mutter schwer getroffen. Ihre teure, dahingegangene Mutter, wie sie sie manchmal nannten. Nur war sie nicht tot. Sie war nur gegangen. Danach hatten Jessie und Maren lange Zeit das Gefühl gehabt, allein gegen den Rest der Welt zu stehen. Aber jetzt hatte Jessie ihren geliebten Ewan – und bald schon ihr Baby. Maren kam sich vor wie dieser Palast mitten im Meer. Allein. Isoliert. Aber eine Prinzessin. Monatelang hatte sie darauf gewartet, ihren Pokergewinn in Besitz zu nehmen. Der Zeitpunkt war günstig. Denn Jessie und Ewan sollten etwas Zeit für sich haben, ohne eine einsame Verwandte, die um sie herumgeisterte. Hier war sie nun. Bereit, sich das zu nehmen, was ihr gehörte. Doch sie hatte nicht bloß den Palast gewonnen. Ihr gehörte auch der Thron des zugehörigen Königreichs hier mitten im Wasser. Sie hatte immer gewusst, dass sie dazu bestimmt war, eine Prinzessin zu sein. „Natürlich bist du eine Prinzessin, Maren.“ Die Erinnerung an die Stimme ihrer Mutter wärmte Maren. „Die schönste Prinzessin überhaupt. Und eine Prinzessin sollte Juwelen haben.“ Ihre Mutter hatte Maren auch ihre Juwelen anprobieren lassen. Ihre Mutter war die schönste Frau der Welt gewesen, doch sie hatte ein Ungeheuer geheiratet. Deshalb hatte sie irgendwann fortgehen müssen. Maren verstand das. Irgendwie. Das hieß nicht, dass sie ihre Mutter nicht schrecklich vermisste. Jeden Tag. Sie konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Es war Fluch und Segen zugleich, dass sie sich mit nie verblassender Klarheit an die Zeit mit ihrer Mutter erinnern konnte. Wenn sie in den Palast in ihrem Kopf ging, war es, als würde sie ihre Mutter besuchen. Natürlich konnte nichts Neues passieren. Aber es war schön, sich zu erinnern. Maren hatte schon so lange von ihrem eigenen Palast in der echten Welt geträumt! Und von einem Kind, mit dem sie ihn teilen konnte … Sie konnte ihre Mutter nicht zurückhaben, aber sie konnte eine eigene Familie gründen. All die Liebe geben, die sie in sich trug. Sie könnte die beste Mutter sein. Jessie war schwanger geworden und hatte nicht einmal gewusst, ob sie ein Baby wollte. Deswegen fühlte sich Maren irgendwie … Es tat eben weh. Sie wollte ein Baby, schon lange. Ihre Schwester war unbeabsichtigt schwanger geworden, was ein ziemliches Drama für sie gewesen war. Jessie war eben anders als Maren. Jetzt war Maren dem Leben näher, das sie wollte. Das sie brauchte. Sie hatte das alles durch Glücksspiel erreicht. Dem stand sie...