Ahrens / Thelen / Maria Luti | Die Erbinnen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2, 212 Seiten

Reihe: Konzeptionelle Prosa

Ahrens / Thelen / Maria Luti Die Erbinnen

Erzählte Spurensuche zu dritt
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-347-62735-2
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erzählte Spurensuche zu dritt

E-Book, Deutsch, Band 2, 212 Seiten

Reihe: Konzeptionelle Prosa

ISBN: 978-3-347-62735-2
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im Juni 2021 ist Esther Bejarano gestorben. Zwei Jahre zuvor hatte ich zum ersten Mal ihren Namen gehört. Mein Enkel erzählte von einer Schulveranstaltung, auf der sie von ihrem Überleben im KZ berichtete. 'Sich versöhnen ohne zu vergessen', war der Satz, den ich aus seinem Bericht in der Erinnerung behielt. Ich brauchte offensichtlich ei-nen zweiten Impuls, bis in mir der Gedanke aufbrach, dass der bewusste Umgang mit ihren Erfahrungen im Dialog mit jungen Menschen etwas mit mir als Nachkriegskind zu tun hat. Eine Überlegung von aktueller Bedeutung, die sich heute in der gesellschaftlichen Kommunikation spiegelt. Ist es im kollektiven Bewusstsein unserer Generation angekommen, dass die Erinnerung nicht verblassen darf? Ist es eine Frage der Verantwortung, das belastete Erbe der Vorfahren anzunehmen und angereichert mit neuen Erfahrungen, an die nächste Generation weiter zu geben? 'Erinnern heißt handeln' ist ein weiteres Credo aus der Biografie von Esther Bejarano. Es ist die Generation der 50- bis 70-jährigen, die unter einem Mantel des Schweigens ihrer traumatisierten oder belasteten Eltern und Großeltern aufgewachsen ist. Das hat Lücken gelassen, in die Angst und Selbstzweifel einziehen konnten, aber auch die emotionale Kraft zum Ungehorsam und zum Widerstand. Die Erbinnen. Erzählte Spurensuche zu dritt ist der Titel einer Anthologie in drei Büchern, in denen zwölf Autorinnen in Dreiengelsspannen Geschichten erzählen. Jede Erzählung hat drei eigenständige Kapitel, die sich durch einen spontan gewählten Satz aus der Vorgeschichte kreativ miteinander verbinden. Die Spurensuche nach vererbten Erfahrungen zurückliegender Generationen, die in uns im Verborgenem wirken, ist das Thema von Buch 1: Gespenster der Vergangenheit. Konkreter und auf das eigene Erleben bezogen wird es im Buch 2: Forscherinnen in eigener Sache. Während die Autorinnen in Buch 3: Zeitzeuginnen als aktiv Beteiligte die individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen aus dem Erbe unserer Vorfahren erzählen. Ich danke allen Autorinnen für die emotionale Kraft ihrer Erinnerungen, die Verstehen erleichtert. Mein persönliches Fazit als Leserin ist: Wenn das Schweigen zu laut ist, ist die Stimme der Versöhnung nicht zu hören. Renate Haußmann

Friederike Lydia Ahrens ist eine ausgebildete Künstlerin, die sich mit StreetArt einen Namen gemacht hat und anderen Künstlern, in der Galerie Schichtwechsel, eine viel beachtete Öffentlichkeit bietet. "Immer wieder neue Wege gehen, denn Leben schreit nach Veränderung." Mit diesem Credo hat sie sich dem Schreiben zugewandt und zunächst Gedichte veröffentlicht. Die Frauenchronik "Fiese Liebe" ist ihr literarisches Erstlingswerk.

Ahrens / Thelen / Maria Luti Die Erbinnen jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Erstes Kapitel Heldendämmerung –
Am Ende gab es nur noch Opfer Heldenvater, Heldenbruder Manon Haccius Begrünung der Schweigemauer Sabine Hammer Die Erbschaft Karin Harries-Hedder   Manon Haccius Heldenvater, Heldenbruder Am Ende nur noch Opfer? Nein, das ist ein zu pessimistisches Verständnis vom Gang der Geschichte. Selbst im Alten Testament ist von Schuld und Schicksal nur bis in die dritte, vierte Generation die Rede, nicht bis in alle Ewigkeit. Ja, Unglücke, Verstrickungen und Schuld wirken über die unmittelbar betroffene Generation hinaus. Das will aufgearbeitet und in die weitere Entwicklung integriert sein. Es ist Aufgabe der Nachgeborenen, ob sie sich das nun ausgesucht haben oder nicht. Wegducken hilft nicht; denn dann wird noch die übernächste Generation an den alten Geschichten knabbern. Viele Ereignisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden beharrlich beschwiegen oder nur in Anekdoten, kleinsten Infoschnipseln in den Familien weitergegeben. Was mag das für ein Leben gewesen sein als Soldat und Berufssoldat? Als kaum 20-Jähriger ging er in den Ersten Weltkrieg, machte ihn vollständig mit, wurde mehrfach verwundet und mehrfach ausgezeichnet. Demobilisiert worden war er nicht nach Kriegsende, sondern in die nur noch 100.000 Mann umfassende Reichswehr übernommen, die die Siegermächte dem Deutschland der Weimarer Republik gestatteten. Gerade ein Achtel des stolzen kaiserlichen Heeres von einst. Seine Frau hatte er kennengelernt, als sie bald nach Kriegsende bei gemeinsamen Verwandten einen dörflichen Festsaal schmückten. In harschem Befehlston hatte er der hübschen jungen Frau bedeutet, den Hammer wieder hinzulegen, der ihm beim Annageln einer Girlande heruntergefallen war und den sie ihm hinaufreichen wollte: „Nein, Sie sollen mir das Werkzeug nicht aufheben!“ Dann stieg er von der Leiter und hob den Hammer selbst auf. Ein schmucker und schneidiger junger Mann erschien er ihr, seine Ruppigkeit eine Mischung aus männlich und ritterlich, die sie wohl beeindruckte. Das kannte sie von zu Hause nicht. Ein Held, zweifelsohne, das zeigten die Orden, die man ihm verliehen hatte. Bald darauf verlobten sie sich. Für die beiden älteren Schwestern hatte noch der Vater die Ehemänner ausgewählt. Das erste Kind des Ehepaares, eine Tochter, wurde auf den Tag genau neun Monate nach der Hochzeit geboren. Das deuteten die Kameraden des frisch gebackenen Vaters – nur halb im Scherz – als Muster soldatischer Pflichterfüllung und preußischer Präzision, und noch in der dritten Folgegeneration wurde es in der Familie erzählt. Ob die junge Frau geahnt hat, auf was sie sich als Soldatenehefrau einließ? Alle zwei Jahre ein Umzug. Jedes der schließlich drei Kinder wurde an einem anderen Ort geboren. Für sie folgte Schulwechsel auf Schulwechsel. Mal lebte man in kleinen Garnisonsstädten, mal in einer Großstadt, die mehr an gesellschaftlichem Leben zu bieten hatte als nur das Offizierskorps. Ihr Mann durchlief die militärische Laufbahn. Sein Sold stieg langsamer, als er im Rang aufstieg. Viele seiner beruflichen Aktivitäten waren geheim. Man bereitete – das stellte sich Jahre später heraus – die Wiederbewaffnung und erneute Kriegsfähigkeit des Landes vor. Der Versailler Friedensschluss galt in militärischen Kreisen als Schandfrieden. Die häufigen Standortwechsel erlaubten kaum den Aufbau von Freundschaften im zivilen Leben. Aber die Mitglieder des Offizierskorps, die sich bereits von ihren Fronteinsätzen im Ersten Weltkrieg kannten, vertieften ihre dort gewachsene Kameradschaft. In Treue fest, das war ihr Ideal. Freundschaftliche Verbundenheit entstand auch zwischen den Ehefrauen. Manchmal trugen nicht nur die Ehemänner denselben Vornamen. Man taufte sogar die Kinder auf ähnliche Namen. Etliche der Frauen sollten sich, lange nach dem späteren Heldentod ihrer Ehemänner, noch als Großmütter regelmäßig zu Tee und Frankfurter Kranz, serviert auf feinstem Porzellan, treffen. Die „Off’ziersdamen“ – ein letzter, schneidiger Nachklang im Ohr erstaunter Enkel. Das zweite Kind war ein Sohn. Grenzenlos bewunderte er seinen schneidigen Vater. Der hatte als Offizier sogar ein Pferd, das von einem Burschen gepflegt wurde und dessen Fell genauso spiegelnd glänzen musste wie die Stiefel des Vaters. Die Erziehungseinheiten des Familienoberhauptes, der in soldatischen Ketten von Befehl und Gehorsam dachte, gerieten mittelprächtig. Der Sohn präsentierte miserable schulische Leistungen, log, schwänzte die Schule, klaute. Daran änderten auch körperliche Züchtigungen oder die gelegentlich ans Sadistische grenzenden samstäglichen „Fahrradappelle“ nichts. Ein Held in einem bewunderten, bestaunten militärischen Umfeld blieb für ihn der Vater dennoch. Der einige Jahre nachgeborene jüngere Bruder nahm sich den großen zum Vorbild. Irgendwann wurde aus der Weimarer Republik das Dritte Reich. Es ging in der Reichswehr deutlich ernsthafter darum, sie wieder zu früherer Größe und Schlagkraft aufzubauen. Für den Berufssoldaten dominierte jetzt, weiterhin geheim gehalten, ungeliebte Schreibtisch- und Verwaltungstätigkeit. Das entlud sich durch ihr ständig gereiztes Oberhaupt immer wieder auch in der Familie. Die spurte allerdings nur eingeschränkt, insbesondere die Ehefrau war nicht zu klagloser Folgsamkeit geschaffen. Nicht selten bekamen das bei wütenden Abgängen des einen oder der anderen die Türen in der Wohnung zu spüren. Schneidige Offiziere sind Teil einer Streitmacht, aber von ziviler Streitkultur verstehen sie wenig. Die Kinder wussten nicht recht, ob sie die elterlichen Auseinandersetzungen beängstigend oder vielleicht doch komisch finden sollten. Noch lebte man in der geliebten nördlichen Großstadt. Kinos, Theater, Musikveranstaltungen und Museen boten Abwechslung. Oder einfach die Straße und der Hafen für die Jungs – alles war besser als Schule oder der sonntägliche Gottesdienst. Am 1. September 1939 begann der nächste Krieg. Der Ehemann und Vater war wieder bei der Truppe – die ihn schätzte, ihm vertraute – und im Feld. Seine Laune besserte sich schlagartig. Zu Hause war er nun deutlich seltener. An einem Punkt aber ließ er, allen Protesten von Frau und Kindern zum Trotz, nicht mit sich reden. Sie mussten wegziehen aus der Großstadt, zurück in die kleine Garnisonsstadt. Schließlich hatte das Familienoberhaupt lange genug den nächsten Krieg mit vorbereitet, ahnte die kommende Zerstörung der Städte mit kriegswichtiger Infrastruktur und wollte die Familie im Wortsinn aus der Schusslinie haben. Wieder ein Umzug. Die halbwüchsigen Söhne in der Pubertät und der Mann nicht daheim, aber ein Held. So sah das auch die staatlich gelenkte Propagandamaschine. Gehorsame und tapfere Soldaten waren Helden, allemal nach ihrem Heldentod. Der war Teil ihrer „Job-Deskription“ und wurde mit zunehmender Dauer des Krieges und seinen immer weiter entfernten Schauplätzen täglich wahrscheinlicher. Die Söhne hatten für die furchtbare Ambivalenz dieses Heldenmythos noch kein Empfinden. Nach dreieinhalb Jahren Krieg fiel der schneidige Offizier im Dienst an Volk und Vaterland. Trauern und Klagen? Das passte nicht zum Zeitgeist und hatte im Verborgenen zu geschehen. Man bewahrte Haltung. Der ältere Sohn hatte nichts dringender zu tun, als mit Notabitur rauszukommen aus der verhassten Schule, aus der Kleinstadt und hinein in Krieg und weite Welt. Noch nicht 20 Jahre alt, rückte er als Soldat ein. Sein Vater hätte das unterbunden; die Mutter konnte es nicht verhindern. Sein kleiner Bruder hatte nun einen auf dem Feld der Ehre gefallenen Heldenvater und einen im Felde stehenden Heldenbruder, zu denen er aufschaute und die er als einziger Mann im Haus würdig zu vertreten suchte, auch wenn ihn das überforderte. Der Heldenbruder kam erst fünf Jahre nach Kriegsende heim. Im Bergbau in Russland hatte er Zwangsarbeit leisten müssen. Über seine Gefangenschaft hat er so gut wie nie gesprochen, allenfalls mit seiner Frau. Sie gehörte einer anderen Konfession an. Zu der war er, ein unerhörter Schritt in seiner Familie, leichten Herzens konvertiert: „Ich habe so viele Menschen leiden und sterben gesehen, das ist in allen Religionen gleich“, hatte er ihr gesagt vor der Verlobung. Äußere, gesellschaftliche Maßstäbe zählten wenig für ihn, die hatten Krieg und Gefangenschaft weggebrannt. Er suchte das pralle Leben, wollte Menschen um sich haben, war großzügig. „Bergbau ist das einzige, was ich gelernt habe.“ Auf dem Pütt, im Kohlebergbau stieg er beruflich ein und immer weiter auf, verdiente gut, war gemocht und angesehen bei Kumpels und Kollegen unter und über Tage. Die Schattenseiten dieses warmherzigen, großzügigen Mannes zeigten sich erst bei genauerem Hinsehen. Seine Frau hielt die Familie zusammen, ertrug seine Geliebten und trug zur Haushaltskasse auch als Mutter mehrerer...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.