E-Book, Deutsch, 176 Seiten, Format (B × H): 1480 mm x 210 mm
Albeck Bäume für Borneo
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96238-653-5
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Wie Aufforstung die indigene Bevölkerung schützt und den Klimawandel bekämpft
E-Book, Deutsch, 176 Seiten, Format (B × H): 1480 mm x 210 mm
ISBN: 978-3-96238-653-5
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
»In Borneo hat die Entwaldung tiefe Narben hinterlassen, aber Aufforstungsprojekte geben wieder Hoffnung.«
Der Lebens- und Kulturraum in Borneo ist von illegaler Abholzung, Goldsuchern und einer Ausweitung von Palmölplantagen bedroht. Mit dem Regenwald verschwindet auch die Lebensgrundlage der Dayak, der indigenen Bevölkerung. Um diese Entwicklung zu stoppen, hat Fairventures das Projekt »One Million Trees for Borneo« ins Leben gerufen. Gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung werden eine Million Bäume gepflanzt.
Die Geschichte des Projekts zeigt, was möglich ist,wenn Menschen sich zusammenschließen, vorhandene Strukturen klug nutzen und sich mit einer Mischung aus Optimismus und Pragmatismus einer großen Aufgabe annehmen.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1 Warum dieses Buch? Ich wollte wissen, wie es wirklich ist. Bevor ich mit der Recherche für dieses Buch angefangen habe, war ich noch nie im Regenwald. Auch die meisten Leute, die dieses Buch lesen, waren vermutlich nie dort. Warum also interessieren wir uns so für diesen weit entfernten Wald, obwohl es doch auch bei uns zu Hause wunderbare Wälder gibt, für die wir erst seit Kurzem wieder etwas übrighaben? Sind es die Abenteuergeschichten aus der Kolonialzeit, die in unserem kollektiven Gedächtnis verhaftet sind? Vielleicht, aber seitdem ist viel Zeit vergangen, und die Geschichten haben Staub angesetzt. Ist es ganz allgemein unser Interesse an dem Fremden? Aber warum interessieren wir uns nicht im gleichen Maß für die Wüsten dieser Erde? Oder ist es unsere Furcht vor dem Klimawandel? Wir wissen: Wälder sind wichtig für das Klima, insbesondere Regenwälder, weil sie so viel CO2 speichern. Das tun aber auch Sümpfe und Permafrostböden. Trotzdem wecken sie nicht so eine Leidenschaft in uns wie die Regenwälder. Wir haben den Regenwald romantisiert und zu einem Sehnsuchtsort gemacht. Über die Bäume dort wissen wir so gut wie nichts. Nur dass sie groß sind. Und irgendwo haben wir einmal von den Lianen gehört, die dort überall hängen. Oder ist das nur in den Filmen und Geschichten so? Wir wissen auch kaum etwas über die anderen Pflanzen und Tiere. Nur dass es viele sind. Vielleicht noch, dass dort Pflanzen mit Heilwirkung wachsen – in der Schule haben wir mal etwas über die »Regenwaldapotheke« gelernt. Seien wir ehrlich. Unser Bild von diesen Wäldern ist, sobald wir uns einmal zwingen, genauer hinzuschauen, ziemlich unscharf. Dennoch spüren wir, dass diese Wälder etwas ganz Besonderes sind. Dass wir sorgsam mit ihnen umgehen und sie schützen sollten. Genährt wird unsere Regenwaldutopie auch durch gut produzierte Dokumentationen. In diesen Dokumentationen lernen wir, dass unser Sehnsuchtsort dabei ist, zerstört zu werden. Das wollen wir natürlich nicht. Schnell ist eine Petition unterschrieben oder ein Kommentar in den sozialen Medien abgeschickt. Das Motto: Besser als nichts. Und noch eine Frage stelle ich mir: Warum interessieren wir uns für den Wald, aber so wenig für die Menschen, die mit, von und in ihm leben – oder eben genau das nicht mehr tun? Für die Menschen gibt es in unserer Utopie erstaunlich wenig Platz. Manchmal tauchen sie am Rande auf: als Verlierer von Landrechtskonflikten oder als Handlanger von Konzernen bei der Rodung großer Waldflächen. Oder wir stellen sie uns als nomadisierende Naturvölker vor, die mit der Moderne nichts zu tun haben. Selten sehen wir sie als normale Menschen mit Bedürfnissen und Meinungen, Familien, die in Städten oder Dörfern leben, als Bauern, Wachleute, Lehrerinnen, Verkäuferinnen, Männer mit Motorrad, Frauen mit einem nervigen Ehemann, mit einem kranken Kind, das zum Arzt muss, Menschen mit Lust auf Konsum, als Kirchgänger, Imbissbudenbesitzer, als begeisterte Handyfotografen, Buchhalter, Raucher, Schüler. Ich spitze natürlich zu. Und ich polemisiere. Trotzdem: Mein Eindruck ist, dass wir uns eine zu einfache Sicht auf ein komplexes Thema leisten. Eine Vereinfachung, die nicht nur nichts nützt, sondern schadet. In den letzten Jahren hatte ich reichlich Gelegenheit, die öffentliche Debatte zu verfolgen. Und mein Beobachtungsposten war gut: Ich habe in der Unternehmenskommunikation eines Motorsägenherstellers gearbeitet. Ich kenne die Berichte zu diesem Thema, die bereits erwähnten Dokumentationen, Kampagnen von Nichtregierungsorganisationen, Petitionen, aufwallenden und abklingenden Empörungswellen in den sozialen Medien, Schuldzuweisungen und Forderungen an Politik und Unternehmen, Aufrufe zum Boykott, zu Protest oder zu Spenden. Was ich sagen kann: Niemand möchte, dass der Regenwald verschwindet. So weit sind sich (fast) alle einig. Aber schon bei der Frage, wie das Verschwinden gestoppt werden kann, ist die Einigkeit dahin, und konkrete Vorschläge sind rar. Es klingt so einfach: Man sollte das Abholzen sein lassen, illegale Rodungen strenger ahnden und keine Holzeinschlagsgenehmigungen an Unternehmen vergeben. Außerdem sollte man wiederaufforsten, oder? Schon lange waren mir Natur- und Umweltthemen wichtig. So wie viele andere auch habe ich mehr oder weniger erfolgreich versucht, die richtigen Dinge zu tun und die falschen zu lassen. Das Regenwaldthema fesselte mich. Bald schon mehr, als es für meine Arbeit nötig gewesen wäre. Ich las alles, was ich dazu finden konnte. Lernte, dass guter Wille allein nicht reicht, dass viele Projekte scheitern oder nach einer Laufzeit von ein paar Jahren versanden. Selten stand in diesen Texten, wie Projekte aussehen sollten, die eine echte Verbesserung der Situation bedeuten. Mir wurde immer klarer, was für eine mitteleuropäische, unterkomplexe Vorstellung ich gehabt hatte und wie weitreichend die Ursachen und Auswirkungen der Entwaldung waren. Bis mich mein neues Wissen lähmte. Völlig verrückt, unter diesen Umständen überhaupt ein Projekt auf die Beine zu stellen, dachte ich. Wer tut sich das freiwillig an? Am liebsten hätte ich alle Bücher zugeschlagen und das Thema vergessen. Zum Glück gibt es Menschen, die sich nicht abschrecken lassen und anpacken. Einige davon durfte ich kennenlernen. Unter diesen Menschen waren auch Johannes1) und seine Kolleginnen und Kollegen von Fairventures. Sie machen das, was mir nach allem, was ich bisher gelernt hatte, als gangbarer Weg übrig zu bleiben schien: Sie errichten keine Schutzgebiete und versuchen auch nicht, den Regenwald dort, wo er abgeholzt worden ist, wieder nachzupflanzen. Sie ignorieren nicht das eng gewobene Netz aus Globalisierung und Kapitalismus, das unsere Welt umspannt und sich wohl auch nicht mehr einfach durchtrennen lassen wird. »Zurück in die Vergangenheit« ist einfach keine Option. Und vor allem begreifen sie den Wald nicht als ein vom Mensch losgelöstes System. Sie wollen keinen Naturschutz trotz der dort lebenden Menschen betreiben, sondern mit ihnen. Das erfordert eine klare Orientierung an den menschlichen Grundbedürfnissen. Viele davon lassen sich inzwischen fast überall auf der Welt – auch auf Borneo – im Tausch gegen Geld befriedigen. Also muss ein ökonomischer Ansatz zugrunde gelegt werden. Diese und viele weitere Überlegungen flossen in das »One Million Trees for Borneo«-Projekt der Organisation ein, das ich in diesem Buch genauer beleuchten werde. Johannes, seine Kolleginnen und Kollegen und die Menschen, die sich auf Borneo oder in Deutschland an dem Projekt beteiligen, sind sich darüber im Klaren, dass sie Abstriche machen müssen, um ihre Ziele verwirklichen zu können. Nur so gelingt es, in diesem komplexen Umfeld teilweise widerstreitende Bedürfnisse auszutarieren und voranzukommen. Aufforstungsflächen zwei Jahre nach Beginn des Projektes Klingt gar nicht so idealistisch, sondern eher pragmatisch? Das ist es auch, und es ist genau dieser Pragmatismus, der mich von Anfang an für dieses Projekt eingenommen hat. Ich glaube, oft stehen Romantisierung und Idealisierung einer Verbesserung der Situation im Weg. Entweder fängt man dann gar nicht erst an, wenn keine Lösung gut genug ist, oder einem Vorhaben liegen unrealistische Annahmen zugrunde, sodass ein Scheitern des Projekts schon vorprogrammiert ist. Pragmatismus erfordert Mut zur schonungslosen Ehrlichkeit. Bevor man anfängt und auch danach. Und Pragmatismus bringt Ergebnisse: Ich sah die Drohnenaufnahmen von Flächen, die jahrelang nach dem Verschwinden des Waldes brach gelegen hatten. Jetzt wuchsen dort wieder Bäume. Hunderte Bauern hatten sich dem Projekt angeschlossen und pflanzten auf ihren Feldern etwas wie Gemüse. In einem degradierten Gebiet entstand eine Art grüner Korridor entlang des Flusses. Gibt es einen Widerspruch zwischen der Ablehnung von Vereinfachung und dem Lob von Pragmatismus? Meiner Ansicht nach nicht. Ich glaube, dass man zuerst die Komplexität einer Situation erfasst haben muss, um dann effektiv pragmatisch sein zu können. Meine erste Begegnung mit Johannes und seinen Kolleginnen und Kollegen fand im November 2017 statt, als sie die Firma besuchten, bei der ich arbeitete. Und zwar gemeinsam mit Gästen aus Indonesien, genauer gesagt, Borneo. Fairventures hatte einige Mitarbeiter aus seinem Projektgebiet nach Deutschland eingeladen. Sie fanden, es sei eine gute Gelegenheit, um sich besser kennenzulernen, und wollten ihren Gästen als Teil ihres Reiseprogramms die Produktion eines deutschen Maschinenbauunternehmens zeigen. Ich war neugierig, wie es sein würde, zum ersten Mal Menschen zu treffen, die tatsächlich in der Region lebten, über die ich so viel gelesen hatte. Und ich war nervös: Würde das nicht ein sehr schwieriger Tag für uns alle werden? In meinem Kopf ging ich bereits mögliche Diskussionen durch. Zu meiner Überraschung war dieser Besuch kein bisschen kompliziert. Unsere Gäste aus Borneo entpuppten sich als quirliger, aufgeweckter Haufen. Sie begeisterten mich mit ihren Witzen, ihrer Energie und ihren direkten Fragen, die sich bald von meiner Arbeit für das Unternehmen wegbewegten. Sie wollten wissen, wie viel ich verdiente, aber auch, ob ich bei meiner Familie lebte, ob ich einen Freund hatte und ob ich selbst Gemüse anbaute. Und sie erzählten mir von zu Hause. Sie zeigten mir Fotos von ihren Kindern und Frauen, von Festen und von den Bäumen in verschiedenen Wachstumsstadien. Auf einem Bild war eine mehrere Meter lange Schlange zu sehen, der sie bei einem Kontrollgang durch eine einjährige Baumpflanzung begegnet waren. Sie erzählten, dass ihnen hier Nasi – also Reis – zum Frühstück fehle, und alle waren sich...