Arnhold / Hoppe | Verhaltenssüchte erfolgreich behandeln | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Arnhold / Hoppe Verhaltenssüchte erfolgreich behandeln

Ein schematherapeutisches Praxisbuch
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7495-0118-2
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Ein schematherapeutisches Praxisbuch

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-7495-0118-2
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
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Wenn Alltägliches zur Sucht wird Die Behandlung von Menschen mit Verhaltenssüchten birgt spezifische Herausforderungen wie ambivalente Veränderungsmotivation, fragliche oder schwankende Kooperation und die Frage danach, wie sich Abstinenz oder kontrollierter Umgang mit einer Aktivität mit dem Alltag vereinbaren lassen. Darüber hinaus scheint es aufgrund der Rückfallneigung und der teils gravierenden Begleiterscheinungen notwendig, nicht nur die Symptome zu behandeln, sondern auch zugrunde liegende Probleme aufzulösen. In diesem Buch wird ein neuer schematherapeutischer Behandlungsansatz vorgestellt. Die Behandelnden bekommen Strategien an die Hand, um • das Problem mit Betroffenen zusammen konkret zu definieren, • die Veränderungsmotivation zu steigern und Ambivalenzen abzubauen, • individuelle Entstehungshintergründe im Sinne kindlicher Bedürfnisfrustration und deren Bewältigung zu ergründen sowie • neue hilfreichere Handlungsweisen aufzubauen und zu verfestigen. Das Fachbuch zum Ratgeber „Ausstieg aus Verhaltenssüchten: Wie Schematherapie helfen kann“ – für eine erfolgreiche Überwindung der Sucht.

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2. Ätiologie: bisherige Erklärungsansätze für Verhaltenssucht
Der Stand der Forschung legt nahe, dass der Entwicklung und Aufrechterhaltung von Verhaltenssüchten ähnliche neurobiologische Faktoren und Mechanismen sowie Lernprozesse zugrunde liegen wie den stoffgebundenen Süchten. 2.1 Neurobiologie
Die Stimulation des mesocorticolimbischen oder Belohnungssystems mit den Ankerpunkten Nucleus accumbens, Amygdala und Hippocampus führt zur Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin. Diese Ausschüttung lässt uns angenehme Gefühle erleben. Das passiert ständig auf ganz natürlichem Weg in unserem Alltag: wenn wir ein leckeres Stück Kuchen in der Auslage sehen, geliebte Menschen erblicken, Sport treiben, Sex haben, eine interessante Entdeckung machen, eine Sonderzahlung vom Arbeitgeber erhalten usw. Sowohl die Erwartung einer solchen Belohnung als auch die Belohnung selbst führen zu erhöhter Dopaminausschüttung. Der Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA) hemmt die Ausschüttung von Dopamin normalerweise ab einem bestimmten Punkt, ist also als natürlicher Gegenspieler des Dopamins zu verstehen. Hochgefühle flauen üblicherweise nach einer Weile von alleine wieder ab, das Befinden entwickelt sich zurück zum Ausgangsniveau. Der Konsum psychoaktiver Substanzen führt ebenfalls zu einem Anstieg der Dopaminausschüttung. Durch Konditionierungsprozesse kommt es sogar bereits bei Konfrontation mit suchtrelevanten Stimuli zu erhöhter dopaminerger Aktivität (zum Beispiel beim Anblick einer Bar bei alkoholabhängigen Menschen oder beim Geruch von Cannabis bei tetrahydrocannabinolabhängigen Personen), was das Verlangen zu konsumieren bedingt (siehe auch Abschnitt 2.2). Zum einen begünstigt dieser mit angenehmen Gefühlen verbundene Anstieg des Dopamins die Suchtentwicklung. Zum anderen wird vermutet, dass bei Menschen mit stoffgebundenen Süchten die Dopaminreagibilität bei nicht substanzassoziierten Belohnungen geringer ausfällt, als zu erwarten wäre: Im nüchternen Zustand scheint weniger Dopamin und mehr GABA ausgeschüttet zu werden als bei Menschen ohne Abhängigkeitsproblematik, weshalb die betroffene Person eher geneigt ist, dem System „nachzuhelfen“, um sich gut zu fühlen. Entsprechend schwer fällt es Betroffenen, sich ohne Substanzen „genauso gut“ zu fühlen beziehungsweise sich Hochgefühle zu verschaffen. Das Belohnungssystem reagiert auf gewöhnliche Reize wenig sensitiv, Betroffene erleben, ohne „nachzuhelfen“, weniger Wohlgefühl. Eine ähnliche Dysfunktion des dopaminergen Systems wurde auch für Menschen mit Glücksspielsucht beschrieben (Wölfling et al., 2011; Reuter et al., 2005; Côté et al., 2003), die Befunde werden konsensuell übertragen auf andere Verhaltenssüchte. Abgesehen von einer reduzierten Sensibilität für Belohnungen (und Bestrafungen!), liegt bei Betroffenen eine erhöhte Reaktivität auf anregende Reize vor, die spezifisch für die jeweilige Verhaltenssucht ist (zum Beispiel Werbung bei Kaufsucht, Bildschirme bei Internetsucht, Spielkarten bei Spielsucht, sexuelle Reize bei Sexsucht etc.). Dies erklärt Salienz und Rückfallneigung. Da unser Gehirn sich in stetiger Veränderung befindet und neuronale Netzwerke sich plastisch in Abhängigkeit davon entwickeln und verändern, womit wir uns beschäftigen, entstehen mit der Zeit sehr starke neuronale Repräsentationen der Suchtgegenstände und des damit assoziierten Wohlgefühls. Zudem stumpft das Belohnungssystem mit der Zeit ab, sodass immer höhere „Dosen“ notwendig werden, um denselben Effekt hervorzurufen. Ohne die Zuführung einer Substanz von außen, verändern sich also (mutmaßlich bereits anfällige) biochemische Prozesse im Gehirn – allein durch die übermäßig häufige Ausführung eines belohnend wirkenden Verhaltens. Beck und Seiferth (2012, S. 12) resümieren sehr trefflich: „Insgesamt ist von einer neuronalen Dysfunktion in der Belohnungserwartung und -verarbeitung bei abhängigen Menschen auszugehen, unabhängig davon, ob die Sucht an eine Substanz gebunden ist oder sich in einem Verhalten manifestiert.“ Obgleich die Fundierung der entsprechenden Ansätze noch unzureichend ist und über den langfristigen Einsatz diskutiert werden kann, sprechen auch Hinweise auf die Wirksamkeit pharmakologischer Therapien für gemeinsame biologische Mechanismen stoffgebundener und stoffungebundener Süchte (siehe auch „Exkurs Psychopharmakotherapie“).  EXKURS Psychopharmakotherapie Bis dato liegen nur vereinzelte Nachweise der Wirksamkeit psychopharmakologischer Therapien bei Verhaltenssucht vor. Vorrangig für die Spielsucht kann davon ausgegangen werden, dass das Verlangen, dem Spielen nachzugehen, mithilfe von Opioidantagonisten reduziert werden kann, die auch zur Unterstützung der Abstinenz von Alkohol eingesetzt werden (Grant et al., 2010). In Übersichtsarbeiten zur Behandlung von Glücksspielsucht und Internetsucht wird auch von wirkungsvollem Einsatz von Medikamenten aus der Gruppe der Antidepressiva, Amphetamine und Stimmungsstabilisatoren berichtet (Lupi et al., 2014; Winkler et al., 2013). Eine mögliche Kombinationsbehandlung aus Psychotherapie und Psychopharmakotherapie kann nur im individuellen Einzelfall gemeinsam mit einem*r Facharzt*Fachärztin für Psychiatrie und dem*r Patienten*Patientin abgewogen werden. Die Reagibilität und Funktionalität des Belohnungssystems sind vermutlich multifaktoriell beeinflusst durch genetische und epigenetische Prozesse, prä-, peri- und postnatale psychische und physische Einflüsse sowie Stress. 2.2 Lerntheorie
Für die stoffgebundenen Süchte gilt es als erwiesen, dass Konditionierungsprozesse eine Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung spielen. Auch für die Verhaltenssucht kann angenommen werden, dass operante Konditionierungsprinzipien ätiologisch beteiligt sind und klassische Konditionierung zur Aufrechterhaltung beiträgt. Die lerntheoretischen Mechanismen sind einer von vielen Faktoren, die die individuelle Entstehungsgeschichte einer Verhaltenssucht bedingen. Alle anderen Faktoren müssen selbstverständlich auch in Fallkonzept und Therapieplan Beachtung finden. Welches Verhalten Suchtcharakter bekommen kann und dass überhaupt eine Anfälligkeit für ein Suchtproblem besteht, wird beeinflusst von unserer genetischen Ausstattung und unseren frühen Lernerfahrungen, unserer Prägung und Sozialisation, die mitunter schädliche Introjekte „hinterlassen“. Introjektion meint die Aufnahme und Verinnerlichung von Haltungen und Wertungen anderer Menschen in die eigene innere Repräsentanz der Welt beziehungsweise in das eigene Ich. Das Introjekt ist dann ein Konglomerat solcher Wertungen und Normen, die im Laufe der Sozialisation verinnerlicht worden sind. Die sogenannten Modi werden in der Schematherapie teilweise auch als Introjekte verstanden (siehe auch Kapitel 4). All jene Faktoren haben wiederum Einfluss darauf, wie feinfühlig und wie ausgeprägt Menschen ihre emotionalen Grundbedürfnisse wahrnehmen und inwieweit sie in der Lage sind, diese angemessen zu befriedigen. Auch die persönliche Ausgestaltung des Belohnungssystems und unser Temperament spielen eine Rolle. 2.2.1 Operante Konditionierung
Grundannahme bei der operanten Konditionierung ist, dass jedes Verhalten dadurch beeinflusst wird, welche Konsequenz es nach sich zieht. Den Nachweis dieser Annahme lieferte der amerikanische Psychologe Burrhus Frederic Skinner an Ratten, die er in einen Käfig einsperrte. Zur Erinnerung: Eine Gruppe von Ratten konnte durch das Drücken eines Hebels die Freigabe von Futterpellets erwirken. Eine andere Gruppe von Ratten war einem schmerzhaften Stromfluss im Boden des Käfigs ausgesetzt, den sie durch das Drücken eines Hebels beenden konnte. In beiden Gruppen wurde das Drücken des Hebels durch die jeweils dem Verhalten folgende Konsequenz verstärkt. Die Ratten, die durch das Drücken des Hebels Futter bekamen, wurden positiv verstärkt – ihr Verhalten führte zu einer positiven Erfahrung beziehungsweise zu einer Belohnung. Die Ratten, die durch das Drücken des Hebels den Strom abschalten konnten, wurden negativ verstärkt – ihr Verhalten führte zur Beendigung einer negativen Erfahrung. Die Tiere lernten, ihr Verhalten (Hebel drücken) operant beziehungsweise instrumentell einzusetzen, also um eine bestimmte Wirkung zu erzielen, die als angenehm erlebt wurde. In der Folge trat das jeweilige Verhalten häufiger auf – aufgrund dieser Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens wird der Begriff „Verstärkung“ benutzt. Übertragen auf die Verhaltenssucht (vgl. Abb. 2.1 und 2.2) können wir davon ausgehen, dass die Auftretenswahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens steigt, wenn es zu angenehmen Gefühlen führt (positive Verstärkung) oder unangenehme Gefühle beendet (negative Verstärkung). Abbildung 2.1: Operante Konditionierung (in Bezug auf die Verhaltenssucht) – positive Verstärkung Abbildung 2.2: Operante Konditionierung (in Bezug auf die Verhaltenssucht) – negative Verstärkung Während des Glücksspiels zum Beispiel werden Hochgefühle bis hin zur Euphorie beschrieben; kaufsüchtige Menschen beschreiben, dass Gefühle von Einsamkeit oder Minderwertigkeit für den Moment schwinden, während sie online oder im Geschäft über das nötige Maß hinaus Kleidung, Schuhe, elektronische Geräte oder Sonstiges kaufen. Aufgrund der kurzfristig angenehmen Konsequenzen des Verhaltens wird es in Zukunft häufiger gezeigt werden – unser Belohnungssystem ist „angepikst“. Fatalerweise wird die...


Dr. Julia Arnhold ist Verhaltens- und Schematherapeutin in eigener Praxis und Leiterin einer Lehrpraxis für Verhaltenstherapie in Berlin. Hannah Hoppe ist Verhaltens- und Schematherapeutin in eigener Praxis in Köln und Leiterin des Schematherapie-Instituts Rhein-Ruhr sowie einer Lehrpraxis für Verhaltenstherapie in Köln.



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