Arnold / Eickmeyer / Jürgensen | Alban Nikolai Herbst | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 93 Seiten

Reihe: TEXT + KRITIK

Arnold / Eickmeyer / Jürgensen Alban Nikolai Herbst


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96707-700-1
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 93 Seiten

Reihe: TEXT + KRITIK

ISBN: 978-3-96707-700-1
Verlag: edition text+kritik
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Pionier des literarischen Bloggens, formbewusster Lyriker, innovativer Hörspielautor sowie Erfinder des kybernetischen Realismus – Alban Nikolai Herbst.
Alban Nikolai Herbst hat sich mit seinem ebenso umfangreichen wie vielgestaltigen Werk seit den frühen 1980er Jahren als geradezu ideal-typischer poète maudit bewiesen, der vom Rand des Literatur betriebs aus erheblich auf die Formsprache der Gegenwartsliteratur gewirkt hat.
In der monumentalen Trilogie der "Anderswelt"-Romane etwa (er)findet Herbst eine nach-postmoderne Fantastik; in der Lyrik verbindet er traditionelle Formen mit zeitgenössischen, nicht selten provokativen Inhalten, während sein medial innovatives, stilbildendes Weblog "Die Dschungel. Anderswelt" auf radikale Weise das poetologische Prinzip einer Verwandlung von Biografie in digitale Romanform betreibt.
In diesem Heft werden erstmals Poesie und Poetologie, Traditionen und Medien, Diskursumfeld und Selbstpositionierung dieses in der Gegenwartsliteratur singulären Werkes und seines Autors umfassend dargestellt.
Mit Beiträgen von Hans Richard Brittnacher, Denise Dumschat-Rehfeldt, Jost Eickmeyer, Renate Giacomuzzi, Alban Nikolai Herbst, Christoph Jürgensen, Phyllis Kiehl, Wilhelm Kühlmann, Albert Meier, Benjamin Stein.

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Weitere Infos & Material


- Alban Nikolai Herbst: Alexanderplatz Berlin im Juni 2007
- Alban Nikolai Herbst: Schlaf, Puma, schlaf
- Alban Nikolai Herbst: Aus der Korrespondenz (anstelle eines Interviews)
- Wilhelm Kühlmann: "Du bist am Schluß alleine". Zur lyrischen Polyphonie des Alban Nikolai Herbst
- Christoph Jürgensen: Kritiker, Kollegen, Korrumpel. Über das richtige Autorenleben in der falschen Literaturwelt
- Renate Giacomuzzi: "Die Dschungel. Anderswelt" – mehr als nur ein Weblog
- Phyllis Kiehl: [Bildwerk, Tusche auf Bütten, 2018]
- Hans Richard Brittnacher: Tertium datur. Das Fantastische in der Prosa von Alban Nikolai Herbst
- Albert Meier: Fantasiertes Erinnern. Alban Nikolai Herbsts kybernetischer Prosa-Realismus ("Isabella Maria Vergana")
- Benjamin Stein: Widerstand und Resonanz. Über die Untiefen der Meere-Romane von Alban Nikolai Herbst
- Jost Eickmeyer: Orientreise und Inselnacht. Zu zwei Hörstücken Alban Nikolai Herbsts
- Denise Dumschat-Rehfeldt: Auswahlbibliografie
- Biografische Notiz
- Notizen


Wilhelm Kühlmann »Du bist am Schluß alleine«
Zur lyrischen Polyphonie des Alban Nikolai Herbst
Der Proteus und Nereus eines erschreckend unabsehbaren Prosameeres, der sich vervielfältigende, auch elektronisch redefreudige Erzähler und Figurant verschachtelter Fantasiewelten, der Skurrilität und Skandal nicht scheuende Rambo und thesenfreudige Paria des zahmen Literaturbetriebs, der gern sich und andere mit Nadelstichen oder auch Keulenschlägen quält, das imponierend begabte Multitalent, das, bisweilen in Musiksphären entschwindend, fast alle Literaturlandschaften, auch auf Reisen, im Kopf spazieren führt, offen oder latent zitiert, auch essayistisch verarbeitet, der unendlich fruchtbare und stupend fleißige (ja, das auch!), seltene Repräsentant einer Literarizität, an der man studieren kann und soll, was mit ›Postmoderne‹ irgendwie gemeint sein könnte, dahinter, erahnbar, der eigentlich scheue, sich gern selbst in Doppel- und Dreifachgängern entziehende, biografisch verwundete oder auch sich überschreiende, manchmal in sich peinlich verliebte, sich selbst inszenierende, doch immer wieder sich selbst bezweifelnde, in Momenten sich selbst zermarternde sensible Bildungsbürger, eine aussterbende species, das alles und viel mehr ist Alban Nikolai Herbst, doch auch ein Lyriker? – Ja, darf man sagen, aber wie? Die Frage ist mittlerweile auf imposante Weise beantwortet in einer Reihe von Lyrikbänden, die hier in den Fußnoten zusammengestellt sind und im Folgenden (auf engem Raum nur exemplarisch) mit den dort angegebenen Chiffren samt Seitenzahlen zitiert werden. Dazu gehören auch die wahrhaft virtuosen, im synoptischen Wettbewerb mit Hartmut Schulze vorgelegten, hier nicht zu würdigenden Übersetzungen von Joyce’ Zyklus »Chamber Music«.1 Als Lyriker präsentiert sich Herbst nicht in steilen ›hermetischen‹ Bildfluchten oder absoluten Metaphern, auch nicht als programmatischer Formzertrümmerer, der die eigenen Schreibprobleme ausbreitet oder die Hilflosigkeit des Lesers still genießt. Denn derartige Konventionen eines mittlerweile routinierten, reichlich abgestandenen Avantgardismus sind Herbst längst langweilig geworden. Deshalb verwendet er, der Musikkenner, der in »Der Engel Ordnungen«2 einen großen Zyklus auf den italienischen Komponisten Conte G. F. M. Scelsi (gest. 1988) einbaut (115–138), weiterhin (besser: wiederum) gern auch variable, kunstvoll kalkulierte Reimbindungen mit kulinarisch wirkender Klangfülle, gerechtfertigt in dem arguten Dreizeiler (EO 78): Übertretungen Die Wiederkehr des Reims, der Formen bricht wie ihr Bruch vorher die Normen. Aus einer Partyszene, die ähnlich wie Benns »Untergrundbahn« von obsessiven Männerblicken erotisch aufgeladen, nun jedoch von »blecherner« Popmusik beschallt wird, entsteht unversehens – Herbst liebt die Kontraste – ein formstrenges, daktylisch aufgelockertes Sonett, eines seiner zahlreichen biografisch und kosmopolitisch gefärbten, nicht selten chronotopisch grundierten Gedichte, angesiedelt zwischen Bombay, New York, Neapel, Usedom und auch Herbsts genuinem Lebensraum: Berlin (EO 30, 109, hier im Folgenden zitiert 105). Konfixe wie »gläserklingelnd« oder »Lustweh«, ungewohnte verbale Derivationen (»überrauscht«), Anaphern wie das vierfache situativ-deiktische »Dort« zu Beginn, epanaleptische Alliterationen (»Wellchen […] Wand / weiter «), auch die guten alten vorangestellten Genitive, hier mit einem Neologismus (»lichtern«) angereichert und der von Herbst fast immer sorgfältig gepflegten vokalischen Musikalität dienend (»zweier Züge lichterne Gischt«), andernorts manchmal barbarisch aufgeraut wie EO 135: »ihrer Musiken [huch!] Fließen« (der Plural »Musiken« auch 138), auch ein semantisches, etwas triviales Oxymoron im Enjambement (»schlimmen / herrlichen Frauen«), verraten immer wieder den Willen, auch Figuren und Techniken des hohen Stils zu reaktivieren, vergleichbar mit den in rhythmische Prosa provozierend mutierten, offenkundig irgendwie Goethe und Rilke aufrufenden Hexametern von Herbsts BE (2011). Das Ich als sprechendes Subjekt tritt hier im Sonett nur indirekt im »dir« (V. 12) in Erscheinung, steckt in der Beobachterperspektive und in der kunstvollen, enallagetischen Verwechselung der eigentlich auf den Beobachter, nicht auf »Gischt« bezogenen, invers gestellten Junktur »Lustweh, sehnend«, auch in der latent obszönen erotischen Doppelbödigkeit der Begriffsfolge der beiden Terzette (»lecken – Lippen der Frauen – gehobene Brust – dir Samt – die Schwellung-Flut«), gnomisch verallgemeinert und verdichtet in: »Ein Mann muß sich trauen.«   Strandbad Mitte bei Nacht. Dort liegt den Hügel hinab der Sand bis zur Spree, Dort schwirren Leute und gläserklingelnd die Stimmen. Dort lockt Gefunkel an fahlen Palmen und schlimmen herrlichen Frauen. Die Gene stieben wie Schnee. Dort überrauscht zweier Züge lichterne Gischt diagonal voller Lustweh, sehnend, die Brücke. Schwindet dahin. Zwischen Haus und Tempel die Lücke schließt sich in Nacht. Selbst das Wasserecho erlischt. Doch die Reflexe der Wellchen lecken die Wand weiter und lecken die offenen Lippen der Frauen. Jede gehobene Brust verspricht in den Sand Kraft ihrem Kind und dir Samt. Die Schwellung ist gut. Töricht, wer wegguckt, nicht greift. Ein Mann muß sich trauen. Blechern dröhnt Pop übern Strand in die Flut. Von der in allen Farben schillernden topografischen Lyrik in »Der Engel Ordnungen« zieht sich eine hier nicht zu verfolgende Linie zu dem formal vielgliedrigen ›Langgedicht‹ »Aeolia. Gesang«,3 das Bilder, Erlebnisse, Meditationen und Impressionen eines Aufenthaltes auf den Aeolischen Inseln mit dem Vulkan Stromboli (dazu schon EO 97) verarbeitet. Nicht wenige Gedichte in »Der Engel Ordnungen« leben von den Rollenfiguren des Flaneurs und Voyeurs, dem Städte zum »Meer« geworden sind (113). In sieben Strophen rhythmisch aufgelockerter Vierheber, einer »Ballade« in ganz einfacher Sprache mit wechselnden Reimbindungen, begegnet dem betroffenen Leser an einem trostlos verregneten Bürgersteig die Gestalt eines sich an seiner »Kippe« festhaltenden Solitärs (EO 32 f.); sehr gewollt hier am Anfang die syntaktischen Sperrungen, auch die verstörende Ellipse (»wie See«, V. 3). In ganz und gar nicht »morschen Versen« (V. 15), die archaisch wirkende Lexik nicht verschmähen, wie V. 7 mit alliterativen Parallelfügungen (mü-sa, mi-sei) und dem absolut gestellten Hilfsverb »sein« (»Müde sann ich. Ließ mich sein«), entsteht ein melancholisches Ego-Bild des zum »alten«, durchnässten, bald zerfallenden Fetzen Papier greifenden Literaten, dem darauf aber offenbar nichts als eine (auch seine?) Todesbotschaft aufleuchtet (zit. V. 1–17): Eine kleine Ballade aus der Zukunft. Es war frühmorgens, und ich stand rauchend auf der, die noch schlief, Allee am Regen, der klatschte wie See, rauschend wie Wind auf dem Land, auf den Asphalt und über die Platten des Bürger-, des Bordsteins, den Kopfstein. Müde sann ich. Ließ mich sein in des Morgens letztem matten Kunstlicht an der Mietshauswand. Es welkte nahbei ein altes Papier In einer Pfütze am Fahrbahnrand und leuchtete mir. Ich schritt durch den Regen, nahm’s auf. Es standen ein Datum, vom nächsten Jahr und morsche Verse der Sehnsucht darauf und daß der Verfasser traurig war und erkrankt, und er werde bald sterben. […]. Schon in den »Bamberger Elegien«,4 insbesondere der IX. Elegie, hat Herbst die Hinfälligkeiten des Alterns beschworen und beschimpft, in hart bekämpfte Angstvisionen aufgelöst, dort an den Sohn gerichtet wie in »Der Engel Ordnungen« die bekenntnishaften Schlussverse der Unbeugsamkeit von »Dir, Allegorie« (92): Und wenn ich vom freien Willen lasse: daß ich stolz bleib und wütend vor Leben das, Sohn, werd ich weitergeben. Gedichte wie »Das böse Kind als alter Mann« (»so allein / so stolz und so erbarmungslos«, EO 17), Verse auf einen »Freund, der hing«, das heißt sich umbrachte (84), die Genreszene »Umarmung alter Ehepaare« (39), »bedacht […] um einen milden Tod«, die bittere Vergegenwärtigung der endgültigen Trennung eines Liebespaares in sakraler Sprachlichkeit (»Und hatte seine Zeit, ein Jedes.« 100) oder auch Bilder der Pietà (58) beziehen Tod, Leiden und Verabschiedungen in das lyrische Korpus von »Der Engel Ordnungen« immer wieder ein, für mich am bewegendsten in den wahrhaft meisterhaften, weil ganz unpathetischen, sprachlich lapidaren und fast ins Schwerelose aufgelösten, kaum interpungierten Kurzversen von »Sterbgedichtchen«, in denen schon in V. 3 die Harmonie der Reimkorrespondenz durch das harte »nein« aufgelöst wird (EO 59): Mein Junge, ich muß gehen ich geh für mich es gibt kein Wiedersehen, nein Es ist jetzt deine Zeit nutze sie rein für dich sie dauert keine...


Eickmeyer, Jost
Dr. Jost Eickmeyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik der Universität Rostock; DFG-Forschungsgruppe ›Geistliche Intermedialität i. d. Frühen Neuzeit‹. Veröffentlichungen zur Literatur & Kultur der Frühen Neuzeit, Antikenrezeption, Literatur des 20./21. Jahrhunderts sowie Radiokunst & Hörspiel.

Schütte, Uwe
PD Dr. Uwe Schütte lebt als Autor und Literaturwissenschaftler in Berlin. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Studien zur Gegenwartsliteratur sowie Einführungen in Leben und Werk von Thomas Bernhard, W. G. Sebald und Heiner Müller veröffentlicht.

Jürgensen, Christoph
Prof. Dr. Christoph Jürgensen, Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Literaturvermittlung an der Universität Bamberg. Zahlreiche Veröffentlichungen zur deutschen Literatur des 18. bis 21. Jahrhunderts, etwa zur antinapoleonischen Literatur, Arno Schmidt sowie zu Autorinszenierungen



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