Atzmüller / Binner / Décieux | Gesellschaft in Transformation: Sorge, Kämpfe und Kapitalismus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 360 Seiten

Atzmüller / Binner / Décieux Gesellschaft in Transformation: Sorge, Kämpfe und Kapitalismus

E-Book, Deutsch, 360 Seiten

ISBN: 978-3-7799-8143-5
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Die Untersuchung der aktuellen Transformation des Kapitalismus und der Neuordnung des Sozialen erfordert eine gesellschaftstheoretisch fundierte und empirisch gesättigte Schärfung sozialwissenschaftlicher Perspektiven. Diese bleibt unvollständig ohne die systematische Einbeziehung von Sorge und sozialer Reproduktion. Nur durch die Aktualisierung und sorgeorientierte Erweiterung kann kritische soziologische Forschung zu gesellschaftspolitischen Veränderungen beitragen. Dieses Erkenntnisinteresse hat Brigitte Aulenbachers wissenschaftliche Arbeiten bis heute geprägt. Die vorliegende Festschrift ist der Debatte und Weiterführung ihrer Analysen gewidmet.

Roland Atzmüller, Assoziierter Professor an der Johannes Kepler Universität (AUT), Institut für Soziologie, Abteilung für Gesellschaftstheorie und Sozialanalysen. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Veränderungen des Wohlfahrtstaates, kritische Gesellschafts- und Kapitalismustheorien. Kristina Binner ist Doktorandin und Universitätsassistentin an der Johannes Kepler Universität Linz. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Arbeits- und Organisationssoziologie und allgemeine Frauen- und Geschlechterforschung. Fabienne Décieux, FWF Projektmitarbeiterin am Institut für Soziologie, Universität Wien (AUT). Schwerpunkte in Forschung und Lehre: kritische Gesellschaftstheorie, Careforschung, Familiensoziologie, Wohlfahrtsstaatenforschung, Arbeits- und Industriesoziologie.
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Vergesellschaftungsmuster von Sorge und sozialer Reproduktion in der Krise
Roland Atzmüller, Fabienne Décieux und Raphael Deindl 1.Gesellschaftstheorie ganz unbesorgt?
Im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ff. und verschärft durch die Corona-Pandemie ist die Krisenhaftigkeit von Sorge wie der gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse auch für vormals versorgte Teile der Bevölkerungen zunehmend sicht- und spürbar geworden. Unterversorgung und Sorgeengpässe stellen kein Randproblem dar, das ignoriert werden kann. Entsprechend sind Auseinandersetzungen um Sorge – Selbst- und Fürsorge, Sorgelücken und Arbeitsbedingungen in der Sorgearbeit – sowie die herrschende Reproduktionskrise in den vergangenen Jahren ins Zentrum sozialwissenschaftlicher Debatten gerückt. Diese Themen finden auch in arbeitssoziologischen und kapitalismustheoretischen Analysen, in denen feministische Debatten oft weiterhin eine untergeordnete Rolle spielen, vermehrt Aufmerksamkeit. Ihr Bedeutungszuwachs ist neben den gesellschaftlichen Krisenerscheinungen mit der voranschreitenden Vermarktlichung und den Konsequenzen ihrer umkämpften Ausgestaltung zwischen Rationalisierung, Protesten und Arbeitskämpfen erklärbar (Aulenbacher 2018a; Aulenbacher/Bachinger/Décieux 2015). Die Arbeiten von Brigitte Aulenbacher1 stellen in diesem Zusammenhang eine zentrale Brücke zwischen der feministischen Forschung und Theoriebildung und den sozialwissenschaftlichen Kapitalismusanalysen sowie der Arbeits- und Industriesoziologie im deutschsprachigen Raum dar. Ihre theoretisch versierten und empirisch fundierten Beiträge wirken nicht nur einer „diskursive[n] Enteignung“ (Ursula Müller 1999, zitiert nach: Aulenbacher 2018a, S. 82) der feministischen Theoriearbeit durch die Gesellschaftstheorie entgegen, sondern ermöglichen durch ihren spezifischen Zugriff zugleich eine Perspektivenerweiterung. Brigitte Aulenbachers Arbeiten zur Bedeutung von Sorge(arbeit) und sozialer Reproduktion, die sie strukturierenden gesellschaftlichen Funktions- und Arbeitsteilungen, Ungleichheiten und Regulierungsformen sowie Macht- und Herrschaftsverhältnisse haben wesentliche Erkenntnisse über die Transformationsdynamiken kapitalistischer Gesellschaftsformationen bzw. gesellschaftlicher Konflikte und Suchprozesse um neue Vergesellschaftungsformen geliefert. Diesem Beitrag von Brigitte Aulenbacher wollen wir uns im Folgenden widmen, wenngleich dieses Unterfangen nur schlaglichtartig erfolgen kann und kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Wir wenden uns zunächst aktuellen Diskussionen zu, die sich mit den Veränderungen, Kämpfen und der Neuordnung der (sozialen) Reproduktionsweise auseinandersetzen. Daran anschließend zeichnen wir nach, inwiefern Brigitte Aulenbacher hierbei eine grundsätzliche Perspektivenerweiterung vornimmt, indem sie den Blick auf den vielfältigen und widersprüchlichen Charakter gesellschaftlicher Transformationsprozesse und den damit zusammenhängenden sozialen Kämpfen richtet. Abschließend gehen wir darauf ein, welche gesellschaftstheoretische Bedeutung Brigitte Aulenbachers Arbeiten für die Analyse und Kritik des Gegenwartskapitalismus zukommt. 2.Umkämpfte Reorganisation von Sorge und sozialer Reproduktion in der (multiplen) Krise
Die gesellschaftstheoretischen Debatten der letzten Jahrzehnte wurden von zwei miteinander zusammenhängenden Fragestellungen vorangetrieben. Diese beziehen sich einerseits darauf, wie die Veränderungen der Gesellschaften, „in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht“ (Marx 1972, S. 49), einzuschätzen sind und welche Prozesse diese im Besonderen vorantreiben (Atzmüller et al. 2019; Demirovic et al. 2021; Dörre et al. 2019). Andererseits drehen sich diese Auseinandersetzungen immer auch darum, inwiefern in diesen Prozessen die Reproduktionsweise kapitalistischer Gesellschaften im Zentrum vielfältiger sozialer Aushandlungen und Kämpfe steht und welche gesellschaftlichen Bereiche zentral verhandelt werden (Aulenbacher 2020a; 2020b; Aulenbacher/Riegraf/Völker 2015). Letzteres verweist darauf, dass in den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen auch jene sozialen Institutionen, gesellschaftlichen Arbeitsteilungen sowie sozialpolitischen Regulierungen, in denen und durch die (soziale) Reproduktionsweisen organisiert werden, erstens einem grundlegend umkämpften und widersprüchlichen Anpassungsdruck ausgesetzt sind, und zweitens – nicht zuletzt aufgrund des Beharrens feministischer Forschung auf der Bedeutung dieser Perspektive – zunehmend als Bereich verstanden werden, der gesellschaftliche Veränderungen auch vorantreiben kann (Artus et al. 2017; Aulenbacher/Dammayr/Décieux 2015; Décieux/Deindl 2021). In Untersuchungen zu Veränderungen der (sozialen) Reproduktionsweise stehen oft der Umbau der Sozialpolitik und wohlfahrtsstaatlichen Systeme (kritisch: Atzmüller/Décieux/Ferschli 2023) im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Derartige Analysen argumentieren, dass in den letzten Jahrzehnten neoliberale Regierungsprojekte eine weitgehende (Re-)Kommodifizierung von Arbeitskraft und weitreichende Vermarktlichungs- und Inwertsetzungsdynamiken der (sozialen) Reproduktion (Bildung, Gesundheit, Altersvorsorge usw.) durchgesetzt haben (u.a. Hemerijck 2017). Die aus neoliberalen Reformen resultierenden, national variierenden Veränderungen der Sozialpolitik und wohlfahrtsstaatlichen Systeme bewirkten demnach weitreichende Fragmentierungen der überkommenden Regime der sozialen Reproduktion, was wiederum tiefgreifende gesellschaftliche Polarisierungen nach sich gezogen hat (Atzmüller 2019). In diesem Kontext sind letztlich auch bestehende Sorgeregime in Bewegung geraten, was zu entsprechenden, stets umkämpften Verschiebungen in der Funktions- und Arbeitsteilung zwischen Staat, Markt, Drittem Sektor und Familie geführt hat. Zugleich waren die Abkehr vom Male-Breadwinner-Modell und eine Orientierung auf das Adult-Worker-Modell – das in Österreich und anderen Ländern jedoch als One-and-a-half-Worker realisiert wurde – mit der Herausforderung verbunden, dass die vormals überwiegend von Frauen unbezahlt im Haushalt geleisteten Sorge- und Reproduktionsarbeiten neu organisiert werden müssen. Brigitte Aulenbachers Arbeiten (Aulenbacher 2005; 2009b; Aulenbacher/Riegraf/Völker 2015) kommt das Verdienst zu, aufbauend auf den empirischen Forschungsständen, aber auch theoretischen Debatten zu diesen Prozessen und Entwicklungen, diese nicht nur einer kritischen Diskussion zugänglich zu machen, sondern wesentlich auch die Perspektive darauf zu erweitern. 2.1Eine neue große Transformation? Vor dem Hintergrund ihrer grundlegenden Auseinandersetzung mit und Rezeption von aktuellen, sozialwissenschaftlichen Kapitalismustheorien und insbesondere den jüngsten Debatten um das Werk von Karl Polanyi (Atzmüller et al. 2019; Aulenbacher/Bärnthaler/Novy 2019; Aulenbacher et al. 2020) hat Brigitte Aulenbacher die Frage aufgeworfen, inwiefern die eingangs skizzierten Veränderungen eine (neue) große Transformation des Kapitalismus (Polanyi 1944/1978) andeuten. Im (kritischen) Rekurs auf die Überlegungen Polanyis argumentiert sie, dass sich die gegenwärtigen Transformationsprozesse aus der Dialektik, also den sozialen Widersprüchen und Konflikten, die sich im Verhältnis von (kapitalistischer) Bewegung und gesellschaftlichen Gegenbewegungen manifestieren (Abraham/Aulenbacher 2019; Aulenbacher 2020b; Aulenbacher/Décieux/Riegraf 2018a; Aulenbacher/Décieux/Riegraf 2018b; Aulenbacher/Leiblfinger/Prieler 2020), ergeben. Wesentliche Charakteristik der Bewegung ist – und hier bezieht Brigitte Aulenbacher sich auf Einschätzungen etwa ...


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