Baale | Abbau Ost | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Baale Abbau Ost

Lügen, Vorurteile und sozialistische Schulden
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-423-40059-6
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Lügen, Vorurteile und sozialistische Schulden

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-423-40059-6
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eine kurze Geschichte vom Ende der DDR
Wölfe in Ostdeutschland
Nach dem Fall der Mauer, der Entindustrialisierung des Ostens und dem nur in Teilen geglückten Neuanfang folgt nun die dritte Phase der deutschen Einigung: die Schadensbegrenzung. Das Beitrittsgebiet kann sich - von ein paar Ausnahmen abgesehen - nicht zur Wachstumsregion entwickeln. Soll man gleich den ehemaligen DDR-Bürgern den Umzug ins alte Bundesgebiet zu bezahlen und das Territorium der früheren DDR der Natur zu überlassen? Wie konnte es so weit kommen und vor allem, wie soll es jetzt weitergehen? Ein Buch voller Wut, Kraft und Hoffnung.
 
Stand 4 Wochen auf der Taschenbuch-Bestsellerliste Sachbuch.

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Mangel und Überfluss
Hans-Werner Sinn ist der Direktor des in München ansässigen ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, eines von bundesweit sechs führenden, ganz ähnlich strukturierten Forschungseinrichtungen. Sein Thema sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland. Das ifo-Institut trägt Wirtschaftsdaten zusammen und zeigt Entwicklungen auf, wobei es in erster Linie dem Direktor vorbehalten bleibt, die vielen Details analytischer Arbeit zusammenzufügen und daraus Änderungsvorschläge abzuleiten, die dann im günstigsten Fall von den politischen Entscheidungsträgern aufgegriffen und umgesetzt werden. Deutschland hat derzeit ungeheuerlichen Änderungsbedarf, im Grunde wissen die Verantwortlichen gar nicht, wo sie zuerst anfangen sollen. All jene, die sich noch gestern am Erfolgsmodell Deutschland wärmten, haben kalte Füße bekommen. Einige der Probleme sind so grundsätzlicher Natur, dass die Politiker davor kapitulieren. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland frustrieren zahllose Unternehmer, erschweren oder verhindern Unternehmensgründungen und zwingen Jahr für Jahr viele Tausende zur Aufgabe ihres Geschäfts. Selbst in Zeiten des konjunkturellen Aufschwungs profitieren viele Unternehmen nicht so, wie dies die weltwirtschaftliche Lage erwarten ließe. Der deutsche Fiskus bürdet Unternehmen und Arbeitnehmern immer größere Lasten auf, die Einkommensentwicklung hält mit anderen Industrienationen nicht mehr Schritt. Und am Ende eines weltweiten Nachfrageschubs gibt es ein noch böseres Erwachen. Früher war das einmal anders. Wer das Wirtschaftswunder erlebt hat oder es aus den Erzählungen der Eltern kennt, dem fällt ein Bruch auf, der irgendwie zeitlich mit der deutschen Einigung zusammenfällt. Tatsächlich scheint im wiedervereinigten Deutschland kaum noch etwas so zu sein, wie es in der alten Bundesrepublik einmal war. Hans-Werner Sinn nutzte das zehnjährige Einigungsjubiläum zu einer prinzipiellen Analyse und sicherte sich, was die Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung auf dem früheren Territorium der DDR betraf, die Meinungsführerschaft. Im Oktober 2000 veröffentlichte der Institutsdirektor seinen »Kommentar zur Lage der neuen Länder«, der die Beziehungen zwischen beiden Teilen Deutschlands und die öffentliche Wahrnehmung des Beitrittsgebiets nachhaltig verändern sollte. Anfangs erschien die Arbeit nur in englischer Sprache, eine an das westliche Europa gerichtete Rechtfertigung für die in Deutschland verloren gegangene Wirtschaftsdynamik. Erst nachdem der Erklärungsversuch anderen Industrienationen plausibel erschien, war es an der Zeit, auch dem deutschen Publikum eine »überarbeitete und veränderte Übersetzung« vorzulegen. Als erster rührte Hans-Werner Sinn damit an jene Wunden, von denen viele meinten, sie würden schon irgendwie verheilen, wenn nur genügend Zeit ins Land ginge. Aber da heilte nichts. »Die Vereinigung ist ökonomisch misslungen«, hieß es gleich zu Beginn des Aufsatzes. »Der Anpassungsprozess der ostdeutschen Wirtschaft ist bei einer Leistungskraft von etwa 60 Prozent zu einem vorläufigen Stillstand gekommen, und immer noch kommt jede dritte Mark, die im Osten ausgegeben wird, aus den alten Bundesländern.« Auf 13 eng beschriebenen Seiten dokumentierte der Artikel ein krasses Missverhältnis zwischen der Arbeitsleistung und dem Konsumverhalten der Ostdeutschen. »Der zu sozialistischen Zeiten äußerst geringe Lebensstandard hat sich fast an westliche Verhältnisse angepasst.« Nach den Berechnungen des ifo-Instituts verfügt der ostdeutsche Haushalt wegen geringerer Warenpreise und Mieten im Durchschnitt »über mindestens 90 Prozent des westdeutschen Nettoeinkommens«. Bei der Rente übertrifft der Osten nach den Münchener Analysen sogar den westlichen Standard. »Bemerkenswert ist, dass das Renteneinkommen eines durchschnittlichen ostdeutschen Rentenbeziehers höher als das eines westdeutschen Rentenbeziehers ist.« Danach erreichten die Rentenzahlungen in den neuen Ländern »real sogar 120 Prozent der westlichen Durchschnittsrente«. Und das, obwohl die Ostrenten nach Auffassung des ifo-Instituts im Westen erarbeitet werden, denn »es darf nicht übersehen werden, dass die finanziellen Mittel, die den Ostdeutschen zur Verfügung stehen, die eigene Leistung bei weitem übertreffen«. Die Ursachen dieser Fehlentwicklung lagen für Hans-Werner Sinn »im Fördergebietsgesetz, in der Holländischen Krankheit und im Mezzogiorno-Problem«. Das Fördergebietsgesetz hätte zur massenhaften Fehlleitung von Investitionen und zu der heute im Beitrittsgebiet allerorten sichtbaren Vernichtung von Kapital geführt. Die Abschreibungsvergünstigungen, die eigentlich Investitionsanreize schaffen sollten, fielen so üppig aus, dass echte ökonomische Erträge eine eher untergeordnete Rolle spielten und sich Investitionen allein schon durch Steuervergünstigungen auszahlten. Für zahlreiche neu erbaute Büros und Wohngebäude fanden sich keine Mieter. Hans-Werner Sinn sprach von »einem bedauerlichen Politikfehler, der den politischen Entscheidungsträgern nicht hätte unterlaufen dürfen«. Die Holländische Krankheit (Dutch disease) geht zurück auf die holländischen Gasfunde, nach denen die kleine Nation ihre Wirtschaftskraft auf die Erschließung der Fundstätten konzentrierte. In der Folge wurde das verarbeitende Gewerbe stark vernachlässigt, Industrieexporte wurden durch Erdgasexporte verdrängt. »Zwar haben die fünf neuen Länder keinen Überfluss an natürlichen Rohstoffen«, doch »spielt es nämlich keine Rolle, ob die Zahlungen, die eine Region erhält, ein Geschenk der Natur oder ein Geschenk aus einer anderen Region sind«. Mit anderen Worten, die Ostdeutschen beuteten den üppig sprudelnden Quell westdeutscher Transferleistungen aus wie die Holländer seinerzeit ihre Erdgasvorkommen. Als Therapie für die Holländische Krankheit empfahl Hans-Werner Sinn »eine Senkung der West-Ost-Sozialtransfers«. Doch die wichtigste Ursache für mangelnde Wirtschaftserfolge im Osten schien Hans-Werner Sinn das Mezzogiorno-Problem zu sein. Dieses Gleichnis bemüht die Wirtschaftsschwäche Süditaliens. Vom Schaft an abwärts bis zur Sohle, heißt es in der Studie, leide der Stiefel an den Folgen kollektiver Lohnverhandlungen. Die mächtigen Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen des Nordens hätten das Lohnniveau für ganz Italien festgelegt, wodurch die Unternehmen im Süden ihren wichtigsten Standortvorteil verloren, nämlich billige Arbeitskräfte. Arbeitslosigkeit und Stagnation seien die Folgen gewesen, die jetzt durch Sozialtransfers vom Norden in den Süden abgemildert werden müssten. Die Parallelen zwischen dem Osten und Westen Deutschlands waren für Hans-Werner Sinn offensichtlich, denn »die westdeutschen Konkurrenten bestimmten die Arbeitsbedingungen und die Löhne im Osten«. Gegen das Mezzogiorno-Problem empfahl der Wissenschaftler »Lohnmäßigung« und eine »aktivierende Sozialhilfe«, bei der Erwerbstätige Sozialleistungen vom Staat nur noch als Zuschüsse zu Billigjobs erhalten sollten. Aktivierend insofern, dass Arbeit, wie schlecht bezahlt auch immer, die Voraussetzung für die Zahlung von Sozialhilfe wäre. Mit seinem »Kommentar zur Lage der neuen Länder« hatte Hans-Werner Sinn eine Duftmarke gesetzt, an deren Aura sich Deutschland erst gewöhnen musste. Selbst Wissenschaftler rümpften anfangs die Nase. Zwar hatte es auch vorher kritische Betrachtungen zum Einigungsprozess und zur wirtschaftlichen Entwicklung gegeben, aber nie zuvor hatte ein Beamter aus der sozialen Hängematte des Staates derart unverblümt über wirtschaftsliberales Gedankengut sinniert. Hans-Werner Sinn leugnete über weite Strecken seines Aufsatzes nicht nur, dass der Westen das Dilemma in den neuen Ländern erst verursacht hatte, er betrachtete sie auch als losgelöstes, eigenständiges Territorium, zog sozusagen noch einmal die innerdeutsche Grenze und machte, in seiner isolierten Betrachtungsweise, die ehemalige DDR für die anhaltende Wirtschaftsschwäche der Bundesrepublik verantwortlich. Anfangs sprang kaum jemand auf diese Diskussionsplattform. Im Oktober 2000 gab es noch Hoffnungen, Deutschland könne sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Tatsächlich dauerte es nach der Veröffentlichung des Aufsatzes noch mehr als drei Jahre, ehe die Stimmung umschlug und die Thesen des Münchener Institutsdirektors in aller Munde waren. Und dann schließlich, im Frühjahr 2004, entluden sich die lange aufgestauten Ressentiments. Der deutsche Osten, das Versuchsterrain einer misslungenen Integration, wurde abgeschrieben. Plötzlich forderte der westliche vom östlichen Landesteil mehr Eigenständigkeit, als die Bundesrepublik Deutschland der Deutschen Demokratischen Republik selbst in vier Jahrzehnten Teilung zubilligen mochte. Was man bei...


Baale, Olaf
Olaf Baale, Jahrgang 1959, geboren in Wolgast, ist Journalist mit eigenen Hörfunkstudio und produziert Ratgebersendungen, Features und Beiträge zum politischen Zeitgeschehen für diverse Rundfunksender. Er lebt mit seiner Familie in Wismar.

Olaf Baale, Jahrgang 1959, geboren in Wolgast, ist Journalist mit eigenen Hörfunkstudio und produziert Ratgebersendungen, Features und Beiträge zum politischen Zeitgeschehen für diverse Rundfunksender. Er lebt mit seiner Familie in Wismar.



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