E-Book, Deutsch, 278 Seiten
Reihe: Sportpsychologie
Beckmann / Elbe Praxis der Sportpsychologie im Wettkampf und Leistungssport
3., überarbeitete und ergänzte Auflage 2024
ISBN: 978-3-8444-3294-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 278 Seiten
Reihe: Sportpsychologie
ISBN: 978-3-8444-3294-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Buch versteht sich als kurzgefasstes Praxisbuch, in dem Anleitungen für eine sportpsychologische Praxis auf der Grundlage fundierter Erkenntnisse der sportpsychologischen Forschung gegeben werden. Dabei wird ein breites Spektrum von Aufgabenbereichen der sportpsychologischen Praxis im Wettkampf- und Leistungssport angesprochen: von der Diagnostik über die Persönlichkeitsentwicklung und Teambildung, vom mentalen Training bis hin zur psychischen Gesundheit und Wohlbefinden. In all diesen Bereichen veranschaulichen Praxisbeispiele, wie Jürgen Beckmann und Anne-Marie Elbe in ihrer praktischen Arbeit vorgehen.
Das Buch ist nicht nur eine vollständige Überarbeitung und thematische Erweiterung der zweiten Auflage der erfolgreichen „Praxis der Sportpsychologie“, sondern zeichnet sich auch durch eine weitergefasste Grundorientierung aus. Es wird nun auch eine systemische Perspektive einbezogen und das Methodenrepertoire z.B. durch die klinische Hypnose erweitert.
Zielgruppe
Sportpsycholog*innen, Sportstudent*innen, Trainer*innen, Athlet*innen
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
|39|2 Persönlichkeit und Persönlichkeitsentwicklung
2.1 Einleitung
Nach den persönlichen Erfahrungen der Autoren sind Spitzensportler_innen in der Regel auch außergewöhnliche Persönlichkeiten. Das ist sicher nicht überraschend, denn die Strapazen eines jahrelangen Trainings, der Umgang mit Wettkampfdruck verlangen nach „mentaler Stärke“ im Hinblick auf Durchhaltevermögen, Selbstmotivierung und Willensstärke. Menschen unterscheiden sich in der Ausprägung diesbezüglicher Eigenschaften. Alltagssprachlich wird in diesem Zusammenhang oft von einer „starken Persönlichkeit“ gesprochen. Was aber ist eigentlich Persönlichkeit? Was zeichnet eine starke Persönlichkeit aus? Handelt es sich um angeborene Merkmale, die auch als vorgegebene psychologische Talentkriterien gelten können, oder können sich solche Eigenschaften entwickeln? Können sie vielleicht sogar systematisch entwickelt werden im Sinne einer Talentförderung? Für die Praxis relevante Fragen im Zusammenhang mit Persönlichkeit: Wie kann man die leistungsförderlichen Persönlichkeitseigenschaften eines Sportlers erkennen? Kann man Sportler anhand von Persönlichkeitsmerkmalen im Sinne einer Talentselektion auswählen? Wie kann man mit leistungsbeeinträchtigen Persönlichkeitseigenschaften umgehen? Kann man eine Sportlerpersönlichkeit gezielt entwickeln? Angesichts dessen, dass im Spitzensport häufig außergewöhnliche Persönlichkeiten anzutreffen sind, schließt sich für Trainer_innen und Betreuer_innen die Frage an: Wie gehe ich mit einer starken Persönlichkeit um? Vor allem Letzteres ist ein wichtiges Thema, denn viele gerade aufgrund ihrer „starken Persönlichkeit“ vielversprechenden Sporttalente steigen aus (drop out), weil ihre Stärken z.?B. von ihren Trainer_innen nicht erkannt und/oder nicht individuell berücksichtigt werden (Elbe et al., 2003a). Starke Persönlichkeiten werden oft als nicht sehr um|40|gänglich empfunden, weil sie selbstbewusst sind, wissen, was sie wollen und nicht widerspruchslos konform sind. Diese Eigenschaften der „starken Persönlichkeit“ werden auch unter dem Begriff der mentalen Härte (mental toughness) und Zähigkeit (hardiness) zusammengefasst. 2.2 Was ist Persönlichkeit?
„Unter der Persönlichkeit eines Menschen wird die Gesamtheit seiner Persönlichkeitseigenschaften verstanden: die individuellen Besonderheiten in der körperlichen Erscheinung und in körperlichen Erscheinung und in Regelmäßigkeiten des Verhaltens und Erlebens“ (Asendorpf & Neyer, 2012, S. 2). Mit der Persönlichkeit eines Menschen werden seine/ihre charakteristischen Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens verbunden. Solche Muster zeigen sich typischerweise in den Interaktionen mit anderen Menschen. Persönlichkeitseigenschaften werden in der Persönlichkeitspsychologie oft als relativ stabile Eigenschaften aufgefasst. Diese Eigenschaften gehen zum Teil auf genetische Faktoren zurück. In Wechselwirkung mit Erfahrungen in der Umwelt bilden sich dann Persönlichkeitsstile aus, die eine Person von anderen unterschieden. Statt von Persönlichkeitstypen zu sprechen, geht man in der modernen Psychologie davon aus, dass sich die jeweilige Persönlichkeit eines Menschen aus der individuellen Ausprägung universeller Persönlichkeitsdimensionen (Persönlichkeitseigenschaften) zusammensetzt. Cattell (1957) nahm an, dass es 16 Kerneigenschaften gibt. Diese werden durch den 16PF-Persönlichkeitstest erfasst. In der gegenwärtigen Persönlichkeitspsychologie geht man hingegen nur noch von 5 Faktoren, den „Big Five“ aus. Costa und McCrae sowie Norman und Goldberg entdeckten in den 1970er-Jahren in unabhängigen Studien, dass anscheinend die meisten menschlichen Persönlichkeitseigenschaften mittels 5 Persönlichkeitsdimensionen beschrieben werden können, unabhängig von der jeweiligen Sprache oder Kultur (Costa & McCrae, 1985). In der Psychologie sind die Big Five heute das am weitesten akzeptierte und verwendete Modell der Persönlichkeit. „Big-Five“-Persönlichkeitseigenschaften Extraversion: gesellig, humorvoll, optimistisch, zurückhaltend, verschlossen, schweigsam, lebhaft, temperamentvoll Neurotizismus, emotionale Instabilität: verlegen, nervös, traurig, ängstlich, verletzbar, launenhaft, unsicher Offenheit (für Erfahrungen), Intellekt: gebildet, wissbegierig, phantasievoll, schlagfertig, einfallsreich, scharfsinnig, interessiert, intelligent, kreativ soziale Verträglichkeit, Liebenswürdigkeit: bescheiden, hilfsbereit, aufrichtig, warmherzig, rücksichtsvoll, altruistisch, mitfühlend, wohlwollend, kooperativ gutmütig, ehrlich |41|Gewissenhaftigkeit, Sorgfältigkeit: hart arbeitend, sorgfältig, zuverlässig, gewissenhaft, fleißig, pflichtbewusst, pünktlich, ordentlich Außerdem werden in der neueren Persönlichkeitspsychologie fünf Bereiche einer fehlangepassten (maladaptiven) Persönlichkeit benannt: negativer Affekt, Absonderung/Abkoppelung, Widerspruchsneigung, Enthemmtheit und psychotische Merkmale (Livesley & Larstone, 2018). Paulhus und Williams (2002) bezeichnen ferner eine Gruppe von drei Persönlichkeitseigenschaften als die „dunkle Triade“ (dark triad). Hierzu zählen sie Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathologie. Individuen die einen Persönlichkeitsstil der dunklen Triade zeigen, handeln in zwischenmenschlichen Beziehungen zumeist empathielos, egoistisch und böswillig. Persönlichkeitseigenschaften können bereichsspezifisch interindividuell variieren. So mag ein Sportler oder eine Sportlerin, ein sehr starkes Leistungsmotiv haben, das sich aber nur in sportlichen Situationen auswirkt. Eine andere Sportlerin bzw. ein anderer Sportler hingegen wird nicht allein durch sportliche Leistungssituationen motiviert, sondern durch eine Vielzahl von Situationen, in denen eigene Fähigkeiten getestet werden können. Situationen können auch unterschiedliche Anregungspotenziale haben, die in Wechselwirkung zur Stärke der Persönlichkeitseigenschaft treten. Es gibt Situationen, die nur Personen mit einer starken Ausprägung des dazu passenden Persönlichkeitsmerkmals zum Handeln anregen. Es gibt auch Situationen, die nahezu unabhängig vom Persönlichkeitsmerkmal bestimmtes Handeln veranlassen. Dies ist zum Beispiel bei Situationen mit stark normativem Charakter der Fall. So wird beispielsweise von Spieler_innen einer Nationalmannschaft erwartet, dass sie beim Abspielen der Nationalhymne mitsingen. Dann singen selbst diejenigen mit, die dies ohne den normativen Druck nicht tun würden. Es gibt jedoch auch Spieler_innen, die sich nicht konform zeigen. In diesem Fall könnte zum Beispiel ein hohes Autonomiebedürfnis als Persönlichkeitseigenschaft gegeben sein. Ein weiterer Aspekt, auf den geachtet werden muss, ist die Klarheit der Situation, d.?h. die Frage inwieweit für Athleten_innen ein eindeutiger Aufforderungsgehalt von der Situation ausgeht. Beispielsweise könnte im Training eine Aufgabe gestellt werden, die das Zusammenspiel und den Teamgedanken fördern soll. Athlet_innen verstehen die Aufgabe aber so, dass es darum geht, individuelle Leistungsfähigkeit zu beweisen und besser als die Teammitglieder zu sein. Dadurch wird die eigentliche Zielsetzung der Trainingsaufgabe möglicherweise ins Gegenteil verkehrt. 2.2.1 Forschungsbefunde zu den „Big Five“ Persönlichkeitseigenschaften ...