E-Book, Deutsch, 409 Seiten
Benz Exil
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-406-82935-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichte einer Vertreibung 1933-1945
E-Book, Deutsch, 409 Seiten
ISBN: 978-3-406-82935-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eingepfercht auf einem Schiff hoffen jüdische Flüchtlinge auf ein neues Leben in Israel. Thomas Mann ist als berühmter Schriftsteller in den USA zwar privilegiert, aber auch er muss sich in einem Leben im Exil einrichten. Marianne Cohn gelingt die Rettung nicht. Sie wird auf der Flucht in die Schweiz geschändet und erschossen. Das Exil in der Zeit des Nationalsozialismus besteht aus unendlich vielen Geschichten und führt in alle Weltgegenden. Wolfgang Benz, einer der besten Kenner des Themas, legt nun die erste große Gesamtdarstellung vor.
Das Dritte Reich zwang hunderttausende Menschen dazu, Deutschland zu verlassen. Jüdinnen und Juden mussten ebenso um ihr Leben fürchten wie solche Deutsche, die sich gegen die Nazis engagiert hatten oder nicht mit ihrer Weltanschauung übereinstimmten. In seiner grundlegenden Darstellung erzählt Wolfgang Benz ebenso eindringlich wie quellennah die Geschichte dieser gewaltigen Fluchtbewegung. Er zeichnet minutiös die Etappen und Orte des Exils nach, die oft demütigenden Umstände der Visabeschaffung und die schwierigen Lebensbedingungen als Fremde und häufig Unwillkommene in einem anderen Land. Dabei gibt er den «Berühmtheiten» wie Hannah Arendt, Sigmund Freud oder Thomas Mann eine Stimme, vor allem aber auch Menschen, denen sonst nur wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. So steht das Schicksal einer unbekannten jüdischen Kinderfürsorgerin gleichberechtigt neben dem Weg des weltberühmten Begründers der Relativitätstheorie.
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Vorwort
Die Geschichte des Exils ist zuerst die Geschichte einzelner Menschen. Auch in der Massentragödie ist kein Schicksal dem anderen gleich. Gewiss, die Wege ins Exil waren so ähnlich wie die Motive, Deutschland und die unter NS-Ideologie beherrschten Gebiete Europas zu verlassen, nämlich politischer oder rassistischer Verfolgung zu entgehen. Aufgabe des Historikers ist es darüber hinaus, mit dem Blick auf individuelle Schicksale das Drama der Austreibung, der erzwungenen Flucht, der Ausbürgerung und Ausplünderung, schließlich das Ankommen im fremden Land als Ganzes auf die Bühne zu bringen, d.h. anschaulich und verständlich zu machen. Ebenso wichtig war es, die Situation in den Aufnahmeländern darzustellen, das Willkommensein und – häufiger – die Reserve gegenüber Flüchtlingen. Damit ist das Thema auch überaus aktuell. Die Exilforschung begann als Zweig der Literaturwissenschaft, und die Konzentration auf Schriftsteller und Dichter hatte so gute und naheliegende Gründe wie die anhaltende Faszination des Feuilletons durch Künstler aller Sparten, die sich durch ihr Werk manifestieren: die Maler Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger oder die Architekten Mies van der Rohe, Hannes Meyer, Ernst May, Walter Gropius, Erich Mendelsohn oder Musiker wie Paul Hindemith, Arnold Schönberg, Arturo Toscanini, Kurt Weill. Theaterleute und Filmschaffende wie Max Reinhardt und Leopold Jessner, unzählige Sänger und Schauspieler gingen ins Exil. Robert Stolz und Lotte Lehmann sind auch hier nur zwei Namen von vielen. Die Berühmten, etwa Billy Wilder, Elisabeth Bergner, Lilli Palmer, fassten in Hollywood Fuß, die Mehrzahl lebte im Elend. Auch Gelehrte und Politiker haben Spuren hinterlassen, haben wie die Kulturschaffenden die Zeitumstände analysiert und die eigene Rolle reflektiert, beschrieben ihr Exil oder wichtige Aspekte als Zeugenaussage und gaben damit der Historiografie profunde Dokumente als Quellen an die Hand. Als Zeitzeuge resümiert Carl Zuckmayer die Endgültigkeit der Auswanderung: «Die Fahrt ins Exil ist the journey of no return. Wer sie antritt und von der Heimkehr träumt, ist verloren. Er mag wiederkehren – aber der Ort, den er dann findet, ist nicht mehr der gleiche, den er verlassen hat, und er ist selbst nicht mehr der gleiche, der fortgegangen ist. Er mag wiederkehren, zu Menschen, die er entbehren mußte, zu Stätten, die er liebte und nicht vergaß, in den Bereich der Sprache, die seine eigene ist. Aber er kehrt niemals heim.»[1] Der Terminus «Exil» hat ursprünglich auch und vor allem eine zeitliche Dimension, die Hoffnung auf Rückkehr nämlich, oder doch wenigstens auf ein Ende der Situation des Vertriebenseins, der Unfreiwilligkeit von Aufbruch und Abschied, die Demütigung und Preisgabe von Identität. Emigration umschreibt dagegen als Begriff den selbstbestimmt gefassten Entschluss zur Auswanderung. Eindeutig in diesem Sinne ist lediglich die «Remigration» als oft vergeblicher Wunsch und Versuch, das Exil zu beenden, um wieder anzuknüpfen und dort fortzufahren, wo die Ausgrenzung begann. Das ist nur wenigen in seltenen Fällen und unter besonders günstigen Umständen geglückt. Die Mehrheit der aus dem nationalsozialistischen Herrschaftsbereich Fliehenden und Vertriebenen war nicht an der philosophischen Klärung dessen, was ihr widerfuhr, interessiert, sondern von der existentiellen Sorge des Überlebens absorbiert, und sie hatte, von möglicherweise mangelnden intellektuellen Voraussetzungen abgesehen, weder Muße noch Anlass oder Neigung zur erzählenden, gar deutenden Darstellung ihres Schicksals. Der terminologische Unterschied zwischen «Exil» und «Emigration» ist von den wissenschaftlichen Disziplinen, die sich zur Exilforschung zusammenfanden – Germanisten und Historiker mit Soziologen, Psychologen, Politologen und Kulturwissenschaftlern im Gefolge –, nicht geklärt worden. In Handbüchern und Monografien werden die Begriffe weithin synonym verwendet. Im Mittelpunkt des folgenden Versuches, die Geschichte des Exodus aus Hitlers Machtbereich zu erzählen, stehen nicht die berühmten Männer und Frauen, die den Gebildeten in den Sinn kommen, wenn sie auf das Exil der Jahre 1933 bis 1945 angesprochen werden, um, die großen Namen nennend, zu beklagen, welchen ungeheuren Verlust an Kultur, Geistigkeit, Wissenschaft der deutsche Sprachkreis hinnehmen musste. (Damit scheint unbewusst auch gleich die Schuldfrage entschieden: Was haben Albert Einstein und Sigmund Freud, Thomas Mann und Carl Zuckmayer, Arnold Schönberg und die «Comedian Harmonists» uns dadurch angetan, dass sie Deutschland verließen, um andere Nationen mit ihrem Schaffen zu bereichern?) Natürlich sind die Zelebritäten des Exils auch auf den Seiten dieses Buches zu finden, schon wegen der Werke, die sie hinterließen, die Aufschluss geben über die Phänomene Flucht und Vertreibung, über Aufnahme und Existenz im Gastland. Das Wagnis, die Geschichte des Exils aus Hitler-Deutschland und seiner politischen und sozialen Strukturen darzustellen, kann nur bei (oft schmerzlichem) Verzicht auf manches Detail gelingen. Das bedeutet, dass auf jeden Anschein von Vollständigkeit zu verzichten war, dass auch die biographischen Exkurse paradigmatischen Charakter haben, dass die ausgewählten Orte des Exils zugleich exemplarisch und singulär sind. Gefasst sieht der Autor, sich des Dilemmas bewusst, den in großer Zahl möglichen Einsprüchen entgegen, dass diese oder jene wichtige Person nicht erwähnt ist, dass Städte und Länder der Erde, die Asyl boten, gar nicht oder nicht zureichend behandelt sind. Der Philosoph Karl R. Popper oder der Dichter Karl Wolfskehl, die in Neuseeland überlebten, oder die bedeutendste Lyrikerin deutscher Zunge, Else Lasker-Schüler, konnten nicht gewürdigt werden, wie sie es verdient hätten. Leonhard Frank, der weithin vergessene Schriftsteller, der 1915 erstmals und 1933 zum zweiten Mal in die Schweiz, nach England und in die USA ins Exil musste, 1950 zurückkehrte, aber nicht mehr an die Erfolge vor 1933 anknüpfen konnte, ist zum Bedauern des Autors, wie viele andere, nicht behandelt. Zu viele, die es ins Exil verschlug, zum Teil in exotische Gegenden Afrikas und Asiens, hätten ebenfalls Beachtung, mindestens Erwähnung verdient. Jedenfalls sollten nicht die Prominenz aus Wissenschaft und Kunst, die Protagonisten der Politik, die bekannten Namen die Sicht auf die Mehrheit der nicht berühmten und gefeierten Menschen verstellen, für die das Exil – in das die Mehrheit als Juden getrieben worden ist – nur Vernichtung von Lebensentwürfen und Existenzgrundlagen, Zerstörung von Überzeugungen, Hoffnungen, Illusionen war. Die Geschichte des Exils aus dem «Dritten Reich» ist ein Lehrstück, geschrieben in einer Zeit, in der Menschen in großer Zahl politisches Asyl begehren, in der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge Schutz und Hilfe in dem Land suchen, aus dem einst Bürger wegen ihrer Gesinnung oder ihrer Herkunft verfolgt und ermordet wurden, auf das Arme der existentiellen Hoffnungslosigkeit in ihren Heimatländern zu entkommen suchen. Das Versprechen «politisch Verfolgte genießen Asyl» wurde in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland im Bewusstsein der Erfahrung der NS-Herrschaft verankert. Vielfach abgeschwächt unter dem Eindruck anschwellender Zuwanderung, mit einschränkenden Klauseln wie der «Sicheren Drittstaatenregelung» versehen, vom Angstruf «Das Boot ist voll» untermalt und mit der realitätsverweigernden Beteuerung, Deutschland sei «kein Einwanderungsland», bekräftigt, hat sich die deutsche Asylpolitik in den 75 Jahren, in denen das Grundgesetz gilt, von der Selbstverständlichkeit der Erinnerung an die Flucht deutscher Bürger vor Hitler in den Jahren 1933 bis 1945 und an die zwölf Millionen deutscher Menschen, die anschließend als Folge der nationalsozialistischen Politik ihre Heimat verloren, immer weiter entfernt. Der historische Augenblick, der uns ein Stück vom Odium des Barbarentums nimmt, war der, als den Hilfsbedürftigen und Schutzsuchenden an Deutschlands Grenzen 2015 die Arme geöffnet wurden. Nach der generösen Geste, die historisch notwendig war, die Verfolgten und Flüchtenden vor Diktatur und Bürgerkrieg die Grenzen Deutschlands öffnete, zogen sich verzagte Bürger und moralisch Anspruchslose vom rechten Rand der Gesellschaft in Wagenburgen zurück. Eine neue Partei, deren Programm im Wesentlichen aus der Parole «Ausländer raus» besteht, stieg in der...