E-Book, Deutsch, 464 Seiten
Berg / Kalus Buchstäblich Liebe
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-23697-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 464 Seiten
ISBN: 978-3-641-23697-7
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Buch sagt mehr als tausend Worte ...
Frankie Rose hätte nichts lieber als einen Freund. Wobei: Ein Date mit einem halbwegs normalen Typ wäre schon ein Anfang. Denn es ist ja nicht so, als hätte sie nicht schon alles versucht! Inspiriert von ihrem Job in einer kuschligen Buchhandlung wagt sie schließlich das ultimative Liebesexperiment: Um endlich den belesenen Mann ihrer Träume zu finden, lässt sie ausgewählte Bücher mitsamt ihrer Telefonnummer in Zügen und U-Bahnen liegen. Und was das für Folgen hat, hätte sie sich im Leben nicht vorstellen können ...
Ali Berg und Michelle Kalus, beide in Melbourne geboren, sind beste Freundinnen und unverbesserliche Bookaholics. Gemeinsam wollten sie ihre australischen Mitbürger dazu bringen, das Smartphone beiseite zu legen und mal wieder in guten Romanen zu schwelgen. Im April 2016 fingen sie an, gebrauchte Bücher in Zügen und U-Bahnen auszulegen. Seitdem konnten sie über 500 Menschen und zahlreiche Verlage rekrutieren, sich an der Aktion zu beteiligen. Wenn Ali Berg und Michelle Kalus nicht gerade irgendwo in der Stadt Bücher verteilen, halten sie ihre Erlebnisse auf Papier fest. Ihr erster Roman »Buchstäblich Liebe« erschien 2019 im Blanvalet Verlag.
Weitere Infos & Material
1 Wäre Frankies Leben ein Buch, dann würde sie ihm den Titel Enttäuschung geben. Das passte zu dem Desaster aus ihrer Arbeit, ihrer Familie und natürlich ihrem Liebesleben. Anklagend verkündete ihr Wecker, dass sie schon vor zwanzig Minuten hätte aufstehen sollen. Sie seufzte, drehte sich noch einmal um und vergrub das Gesicht in ihrem zerlesenen Exemplar von Emma, das sie sich in der Nacht zuvor unters Kopfkissen geschoben hatte. Dann biss sie sich auf die Lippen und dachte darüber nach, dass sie niemals bemerkenswert genug sein würde, dass man einem Buch schlicht nur ihren Vornamen als Titel gab. Aber Frankie beurteilte ein Buch niemals nach dem Titel, und auch nicht nach seinem Einband. Sie beurteilte einen Roman gern und ausschließlich nach seinem ersten Satz. Sie und ihre Freundin Cat nannten das »die Geburt eines Buches«. Im Geburtssatz von Emma beschrieb Jane Austen Miss Woodhouse als »hübsch, klug und reich, mit einem behaglichen Zuhause und einem glücklichen Naturell ausgestattet«. Im krassen Gegensatz dazu stand Frankies eigener Geburtssatz, die Aussage ihrer Mutter, die aller Welt verkündet hatte: »Sie hat überhaupt keine Haare und die dicke Nase ihres Vaters.« Frankie zog sich die Decke über den Kopf und saugte den Text auf der Buchseite förmlich in sich ein. Sie wusste, dass sie sich jetzt der Szene mit dem Heiratsantrag näherte, und schloss kurz die Augen. Genau wie bei einem guten Schokoriegel war sie noch unentschlossen, ob sie sich ihrer Lust gleich an Ort und Stelle hingeben oder ihn erst später genießen sollte. Das schrille Klingeln ihres Telefons nahm ihr die Entscheidung ab. Frankie griff nach ihrem Handy und sah den Namen ihrer Mutter auf dem Display aufleuchten. Sie verdrehte die Augen, drückte auf »Abweisen« und hievte sich aus dem Bett. Auf der Suche nach einem Outfit, das sie jetzt nicht vor große Entscheidungen stellte, hob sie ein weites Baumwollkleid vom Boden auf und zog es an. Sie eilte aus dem Schlafzimmer geradewegs auf ihren ganzen Stolz zu – ihr Bücherregal, das fein säuberlich nach Farben geordnet war. Das Regal nahm eine komplette Wand in ihrem Wohnzimmer ein, alle ihre hundertzweiundsiebzig Lieblingsbücher hatten hier ein Plätzchen gefunden: Ganz oben standen die roten Bücher, dann änderte sich die Farbschattierung hin zu Orange und Gelb, dann zu Pink und Violett, es folgten die grünen, blauen und grauen und schließlich die schwarzen Bücher. Ein ganzer Regenbogen aus Büchern – er barg Frankies ganzes Glück. Geistesabwesend fuhr sie über die in Leinen gebundenen Austen-Bände, die Ausgaben von Fowler und die Bücher der Brontës und hielt zögernd inne, als sie bei dem grünen Buch mit der Prägung »Frankie Rose« auf dem Buchrücken angelangt war. Sie nahm es vorsichtig in die Hand, als wäre es eine Schlange, die gleich beißen könnte, und blätterte die erste Seite auf. Dieses Buch ist Mum, Dad, Cat, Ads und, am wichtigsten, der Erfindung Pizza gewidmet. Vielen Dank für all eure Liebe und Unterstützung und den ganzen Käse. Frankie klappte das Buch wieder zu und warf es quer durchs Zimmer. Sie schnappte sich ihre Handtasche, die neben der Couch lag, schlüpfte in die roten Sneakers und rannte aus ihrer zu kleinen Melbourner Wohnung im Stadtteil Richmond. Nachdem sie die Schlüssel aus den Tiefen ihrer Handtasche gekramt hatte, öffnete Frankie die Tür zur Buchhandlung »Die kleine Buchhandlung in der Brunswick Street«. Die war seit anderthalb Jahren ihr zweites Zuhause, ungefähr seit der Zeit, als all ihre Träume sich zerschlagen hatten und ihr Leben gleich mit dazu. Dass sie in der Buchhandlung arbeitete, hatte sie in jeder Hinsicht gerettet. Die Arbeit hier erinnerte sie an die drei Monate, die sie in der berühmten Buchhandlung »Shakespeare and Company« in Paris gearbeitet hatte, ehe sie nach Australien zurückgekehrt war, an der Uni in Melbourne studiert und ihren Abschluss in Englischer Literatur gemacht hatte. In der Pariser Zeit war Frankie frei von jeder Verantwortung gewesen – und sie hatte es genossen. Sie war zwischen den Bücherregalen in andere Welten eingetaucht, hatte geschrieben und Mandelcroissants gegessen. Und das gleiche sorglose Gefühl überkam sie auch jedes Mal, wenn sie die Buchhandlung in der Brunswick Street betrat. Von dort drinnen schaute sie gern den Menschen draußen auf der Straße zu. Es war, als würde sie verkehrt herum durch ein Kaleidoskop schauen, wenn Literaturliebhaber auf der von Leben pulsierenden Brunswick Street stehen blieben und in das wunderschön gestaltete Schaufenster blickten. Frankie umgab sich gern mit starken Frauen wie Maya Angelou, Margaret Atwood und Chimamanda Ngozi Adichie. Und vor allem arbeitete sie ungeheuer gern mit Cat zusammen. Cats Mann Claud hatte »Die kleine Buchhandlung in der Brunswick Street« von seinen Großeltern geerbt. Er war Wirtschaftsprüfer in einer kleinen Anwaltskanzlei in der Innenstadt, machte jede Menge Überstunden und strickte zum Ausgleich mit Begeisterung. Er war zunächst unsicher gewesen, ob er einen zweiten Job würde stemmen können, und Cat war auf die geniale Idee gekommen, dass sie vorne im Laden Bücher verkaufen würde, während er sich nur um den Bürokram kümmerte. Und als Cat Frankie eine Stelle anbot, brauchte sie nicht lange, um ja zu sagen, ja, ja und nochmals ja! Ihre Freundschaft stammte noch aus der Zeit, als sie in der achten Klasse Liebesbriefe an Mr Darcy geschrieben hatten, statt sich mit Mathe zu befassen. Und sie bestand fort, obwohl Cat jetzt mit ihrem ersten Kind schwanger war und samstagabends immer zusammen mit Claud Wiederholungen von Stricksendungen auf Netflix schaute. Frankie, deren Bauch sich allein von der Pizza vom Vorabend wölbte, verbrachte ihre Abende mit Dates, die alle einfach nur schrecklich liefen. Dennoch hockten Cat und Frankie fast die gesamte restliche Zeit zusammen, während sie von Büchern umgeben waren, über Bücher sprachen und Bücher lasen (und natürlich alle Leute danach beurteilten, was die lasen), und waren sich näher als Horatio und Hamlet. Frankie schlängelte sich um die Regale herum und pfefferte ihre Tasche auf den Ladentisch, als wäre sie hier zu Hause. Was in gewisser Weise ja auch stimmte. Sie stellte die Klimaanlage an, ließ sich hinter der Kasse nieder, legte die Füße hoch und wandte sich wieder ihrer zerlesenen Ausgabe von Emma zu. Kaum hatte sie umgeblättert, da erklang die Glocke an der Ladentür, und Cat kam hereinmarschiert. Ihr rotes Haar war total durcheinander, und der Schweiß lief ihr übers Gesicht. Sie trug ein aufregendes pinkes selbst gestricktes Oberteil, schwarze Lycrahosen und leuchtend orangefarbene Sneakers. »Catherine«, nickte Frankie grüßend hinter ihrem Buch hervor. »Frankston«, nickte Cat zurück. Sie kam zu Frankie hinter die Theke, schnappte sich ihre Ausgabe von Wer hat Angst vor Jasper Jones?, setzte sich neben Frankie und legte ebenfalls die Füße hoch. »Warum schwitzt du denn so?«, fragte Frankie. »Ich war wieder beim K-Pop-Tanzkurs. Es war super, ich liebe diese abgedrehte koreanische Popmusik. Aber bei denen sind die Duschen kaputt, und ich konnte ja schlecht noch mal nach Hause, mich umziehen und dann den ganzen Weg wieder hierher zurück. Also dachte ich, wenn ich einfach ein Weilchen draußen stehen bleibe, werde ich schon trocknen. Aber ich hab vergessen, dass es heute zweiunddreißig Grad wird. Und diese Dinger, die Claud mir andauernd strickt, saugen nicht das kleinste bisschen Schweiß auf. Guck bloß mal, wie ich tropfe! Ich komm mir vor wie ein Eis, das in der Sonne schmilzt.« Cat packte Frankie und versuchte ihren Kopf an ihre verschwitzte Brust zu ziehen. Wenn Frankie die Dating Queen war, dann war Cat die Fitness Queen. Vom Ballett bis hin zu jenem verstörenden Sommer, in dem die Stripstange das Sportgerät ihrer Wahl gewesen war, war Cat von jeder Art körperlicher Anstrengung und jeder nur vorstellbaren neuen Gesundheits- und Fitness-Welle regelrecht besessen – und ließ sie dann noch schneller fallen als Victor Hugos Marius die unglücklich verliebte Éponine. Diese merkwürdige Angewohnheit hatte vor einigen Jahren ihren Anfang genommen, und zunächst hatte Frankie sich Cats Bewegungsbesessenheit damit erklärt, dass sie einfach fitter und muskulöser aussehen wollte. Aber in letzter Zeit fragte sie sich ernsthaft, ob es da nicht eine tiefer liegende Unsicherheit gab. Cat genoss es, wenn sich die Leute nach ihrem unglaublich attraktiven Ehemann umschauten, aber möglicherweise fühlte sie sich ja allmählich übersehen? »Wo bist du gerade?«, fragte Cat mit einem Blick auf Frankies ramponiertes Buch. »Fast beim Heiratsantrag«, schwärmte Frankie. »Bist du es nicht leid, dieselben Bücher immer wieder zu lesen?« »Du liest Wer hat Angst vor Jasper Jones? schließlich auch zum vierten Mal«, entgegnete Frankie. Cat breitete entwaffnet die Arme aus. »Also, heute ist beim K-Pop was ganz Merkwürdiges passiert.« »Aha?«, machte Frankie interessiert. Das Läuten der Ladentür unterbrach ihre Unterhaltung. Frankie und Cat schlugen ihre Bücher zu, stellten die Füße auf den Boden und blickten aufmerksam hoch. Ein stämmiger Mann mit schütterem Haar kam herein. »Fantasy!«, zischte Cat. »Kriegsbiografie!«, hielt Frankie dagegen. Der rotgesichtige Mann lächelte Frankie und Cat an. Sie lächelten zurück und fragten, ob er Hilfe brauche. Er schüttelte den Kopf und schaute sich unerträglich langsam in der Buchhandlung um, kratzte sich den Kopf und nahm kein einziges Buch in die Hand. Die...