E-Book, Deutsch, 320 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 210 mm
Beyer / Schulze-Marmeling Politik im Spiel
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-89684-726-3
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die andere Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft
E-Book, Deutsch, 320 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 210 mm
ISBN: 978-3-89684-726-3
Verlag: Edition Einwurf GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die deutsche Nationalmannschaft steht nicht nur mit ihren sportlichen Leistungen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Seit Spieler aus Migrationsfamilien mitkicken, fühlen sich rechtsradikale Kräfte herausgefordert. Die heftigen Diskussionen um den Auftritt in Katar oder Rüdigers Ramadan-Gruß zeigen zudem: Wenn es um die Nationalelf als Repräsentanten Deutschlands geht, ist immer auch Politik im Spiel.
Das ist nicht neu. Dieses Buch verfolgt die "andere", die politisch gefärbte Geschichte der Nationalmannschaft. Zu den Stationen zählen der Missbrauch der Elf in der NS-Zeit, das "Wunder von Bern", der politisch gelungene Auftritt im WM-Finale 1966, das "Sommermärchen" 2006 und sein Revival 2024 sowie aktuell der Versuch rechter Kreise, die Nationalmannschaft als "undeutsch" zu diffamieren – gerade weil sie die gesellschaftliche Realität des Landes spiegelt.
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Vorwort
Seit im Mai 2018 Ilkay Gündogan und Mesut Özil auf einem Foto gemeinsam mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan posierten, sind die politischen Debatten um die Fußball-Nationalmannschaft hitziger geworden. Özils zorniger Rücktritt, der unselige Auftritt der Mannschaft bei der WM in Katar, die Nominierung Gündogans zum Kapitän oder ein über die sozialen Medien gestreutes Gebet des Moslems Antonio Rüdiger – das alles sorgte für gewaltige Aufreger in den Medien und vor allem im Netz. Schließlich wurde vor der Europameisterschaft 2024 sogar die Trikotfarbe zum Politikum: Durften deutsche Fußballjungs wirklich in solch einem tuntigen Pink-Lila die gastgebende Nation vertreten? Dass die Nationalmannschaft politische Zuschreibungen und Diskussionen erfährt, dass bei ihren Auftritten also „Politik im Spiel“ ist und es nicht nur um Sport geht, ist jedoch keineswegs ein neues Phänomen, sondern begleitet die Auswahl von Beginn an. Das vorliegende Buch greift daher weit zurück in die Pionierzeit des Fußballs und arbeitet sich chronologisch in die Gegenwart vor, wobei einzelne Aspekte zeitlich übergreifend in Exkursen behandelt werden. Weitgehend ausgespart bleibt die Frauen-Nationalmannschaft, deren Geschichte erst 1982 begann. Schon dieser späte Zeitpunkt demonstriert ihre besondere Problemlage, nämlich die Konfrontation mit sexistischen Vorurteilen. Davon abgesehen gestalten sich die gesellschaftlichen Debatten um sie weit weniger akzentuiert und kontinuierlich als bei ihren männlichen Kollegen. ¦ ¦ ¦ Der öffentliche Fokus, der auf das Männer-Nationalteam gerichtet ist, hängt eng mit dessen Rolle als Repräsentanten Deutschlands zusammen. Dies galt schon in den Kindertagen des Spiels, als Fußball im Deutschen Reich noch eine Randsportart war. Seinerzeit und hierzulande war es ein völlig neuer Gedanke, dass eine repräsentative Mannschaft Fußball-Deutschland in Länderspielen vertreten und sich dabei mit anderen Nationen messen sollte. Und dieser Gedanke war durchaus umstritten; insbesondere das deutsch-nationale Lager hielt nichts davon. In die Schlagzeilen gelangte dieser Diskurs allerdings nicht, dafür war das Spiel noch zu nebensächlich. Als Fußball nach dem Ersten Weltkrieg zum Massen- und Zuschauersport avancierte, erhielt der Aspekt einer Repräsentanz eine wachsende Bedeutung. Siege oder Niederlagen in wichtigen Länderspielen waren fortan auch politisch konnotiert. Der viel zitierte WM-Gewinn von 1954 war dafür beileibe kein Einzelfall. In der Bundesrepublik gab und gibt es keine andere Instanz oder Persönlichkeit, die über politische Strömungen, soziale Schichten und kulturelle Schranken hinweg eine solch breite Zuschreibung als Aushängeschild des Landes erfährt wie die Fußball-Nationalmannschaft. Für nicht wenige Deutsche ist sie auf internationaler Bühne der wichtigste Vertreter. Das ist nicht ganz unbegründet. Dank der weltweiten Bedeutung des Fußballs prägt die nationale Auswahl das Bild, das Deutschland international abgibt, in gewissem Umfang mit. Im Guten wie im Schlechten. Der atmosphärisch gelungene Auftritt von Fritz Walter und Co in Moskau 1955, während der Hochphase des Kalten Krieges also, relativierte im Nachhinein ein wenig die Selbstgefälligkeit des DFB-Präsidenten Peco Bauwens, der den WM-Gewinn ein Jahr zuvor in völkischer Tradition als „Repräsentanz besten Deutschtums“ überhöht hatte. Die Fairness, mit der Uwe Seelers Mannen im Finale 1966 das ungerechte „Wembley-Tor“ akzeptierten, wurde gerade im Land des vormaligen Weltkriegsgegners als „sportsman-like“ anerkannt. Die kreative Leichtigkeit der EM-Sieger von 1972 unterstrich, parallel zur Brandt’schen Ostpolitik, eine neue Wahrnehmung der Deutschen im Ausland – so wie die arroganten Auftritte von Schumacher, Breitner und Co. bei der WM zehn Jahre später dieses Bild wieder arg beschädigten. Und die empathische Zurückhaltung, die Jogi Löws Team beim 7:1-Triumph über die brasilianischen Gastgeber im WM-Halbfinale 2014 zeigte, nahm diesem Kantersieg zumindest politisch den Stachel einer Demütigung. Bei den Turnieren 2006 und 2024 im eigenen Land bemühte sich der DFB, die deutschen Gastgeber als tolerant und weltoffen zu präsentieren. Die meisten internationalen Beobachter nahmen es tatsächlich so wahr, auch wenn dieses Bild nicht ganz den Realitäten entsprach. Als internationale Visitenkarte Deutschlands hat die Nationalelf jedenfalls ihre Bedeutung. ¦ ¦ ¦ Stärker als um die Wirkung im Ausland geht es in diesem Buch allerdings um die Wahrnehmung, die die Nationalmannschaft im eigenen Land erfährt. Dass die Sympathien für die Elf sportlichen Konjunkturen folgen, dass beispielsweise nach gelungenen WM-Auftritten die Identifikation der Fans mit ihrem Team höher ist als nach schlappen Niederlagen, ist selbstverständlich. Unabhängig davon existiert jedoch eine zweite Perspektive, die auf die DFB-Auswahl als Repräsentantin der Nation gerichtet ist. Das Verhältnis zur Nationalelf wird stark dadurch geprägt, inwieweit sie auch jenseits sportlicher Leistungen dem jeweils erwünschten Bild von Deutschland entspricht. Für die Nazis war die Angelegenheit ziemlich klar: Die Nationalmannschaft sollte die großdeutsche Volksgemeinschaft abbilden, in all ihrer arischen Reinheit und Gesinnung. Weshalb neben Juden auch nicht-jüdische Spieler ausgeschlossen blieben, die gegen das völkisch geprägte Amateurideal verstoßen hatten, wie die Stürmerstars „König Richard“ Hofmann oder „Ossi“ Rohr. Nachdem die Volksgemeinschaft gewaltsam um Österreich erweitert worden war, wurde Reichstrainer Herberger jenseits aller sportlicher Logik angewiesen, seine Nationalelf streng paritätisch aus „Altdeutschen“ und „Ostmarkern“ zu besetzen – um die völkische Einheit auch im Fußball zu demonstrieren. Das Misstrauen gegen Profifußballer überdauerte die Nazi-Zeit, und Kicker, die notgedrungen im Ausland ihr Geld verdienten, galten in der Bundesrepublik vielfach als raffgierige Vaterlandsverräter. Noch bis weit in die 1970er Jahre und in die Amtszeit von DFB-Boss Hermann Neuberger hinein war ihre Berufung für Länderspiele keine Selbstverständlichkeit. Mit ähnlichen, aus heutiger Sicht kuriosen, in damaliger Zeit jedoch reaktionär geprägten Vorurteilen hatten Spieler zu kämpfen, die nicht dem braven, angepassten, strammdeutschen Ideal entsprachen. Lange Haare auf dem Schädel von Nationalspielern provozierten eine Lawine wütender Briefe an Bundestrainer Helmut Schön, vergleichbar mit heutigen Hass-Posts im Internet. Dass diese Jungs beim Abspielen der Nationalhymne stumm blieben oder gar Kaugummi kauten, kam erschwerend hinzu. Mag es sich dabei (auch) um einen Generationenkonflikt gehandelt haben, so änderte sich dies, als mit Erwin Kostedde 1974 erstmals ein schwarzer Nationalspieler für Deutschland auflief, und 25 Jahre später mit Mustafa Dogan der erste Spieler mit türkischen Wurzeln. Vorbehalte und Hetze gegen sie und ihre Nachfolger griffen auf die völkische Blickweise des Nationalsozialismus’ zurück: Die Nationalelf hatte eine (fiktive) rassisch reine Volksgemeinschaft abzubilden, in der Nicht-Weiße und Menschen mit Migrationsgeschichte keinen Platz haben. Mit dem Erstarken rechtsradikaler Stimmungen und Parteien wurden diese Stimmen lauter. Nicht alle mögen so weit gehen wie AfD-Politiker, die dem DFB-Team jegliche Legitimation absprechen, Deutschland zu repräsentieren, und die jede Niederlage als Bestätigung ihres Rassismus’ sehen. Doch der Konflikt um Rüdigers Gebetsvideo zeigte, welchen Vorurteilen sich jene Nationalspieler weiterhin ausgesetzt sehen, die nicht der „biodeutschen“ Norm entsprechen. Nicht von ungefähr stehen gerade sie auch unter besonderer Beobachtung, wenn es um das Mitsingen der Nationalhymne geht, das den Spielern 1984 im Zuge von Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“ verordnet worden war: Singen sie tatsächlich mit? Oder tun sie nur so?? Oder kennen sie gar den deutschen Text nicht??? „Es ist offenbar kein Zufall“, schrieb 2024 die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „dass gerade rund um den Fußball eine Homogenität des Volkes beschworen wird“. Doch jenseits völkischer Phantastereien gilt: Die deutsche Nationalmannschaft spiegelt in ihrer heutigen Zusammensetzung die gesellschaftliche Realität in Deutschland, in all ihrer Vielfalt und Diversität. Nichts anderes wäre mit sportlichen Grundsätzen vereinbar. Fairness und Toleranz gebieten es, niemanden aus rassistischen oder religiösen Gründen von der sportlichen Teilhabe auszuschließen. Eine Nationalelf, in der keine Spieler mit familiärer Migrationsgeschichte stünden, wäre heutzutage nicht wirklich eine deutsche. ¦ ¦ ¦ Das vorliegende Buch bildet in gewisser Weise die Essenz jener Tätigkeit, bei der sich die beiden Autoren in den vergangenen 30 Jahren forschend und schreibend mit der Geschichte des deutschen Fußballs auseinandergesetzt haben. Dabei ging es immer auch um die gesellschaftlichen Implikationen des Spiels, die in den Untersuchungen und Publikationen des 20. Jahrhunderts noch kaum Beachtung gefunden hatten. Beide Autoren verstanden sich als Teil eines größeren Kreises von Publizist:innen, Fans und Wissenschaftler:innen, die in diesem Sinne das Spiel neu entdeckten und seine gesellschaftliche Relevanz entschlüsselten. Ohne ihre Arbeit wäre dieses Buch nicht möglich gewesen. Nicole Selmer und Hardy Grüne danken wir herzlich für ihre Gastbeiträge zu diesem Buch. Großer Dank gebührt ebenso unserem Lektor Christoph Schottes sowie dem Team der neuen edition einwurf, das die Idee zu...