Böhning | Assistierter Suizid für psychisch Erkrankte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

Böhning Assistierter Suizid für psychisch Erkrankte

Herausforderung für die Psychiatrie und Psychotherapie
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-456-76002-5
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Herausforderung für die Psychiatrie und Psychotherapie

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

ISBN: 978-3-456-76002-5
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Selbsttötungsgedanken sind häufige Begleitphänomene schwerer, unheilbarer körperlicher und psychischer Erkrankungen. Die Mehrheit der Suizide wird von Menschen mit psychischen Erkrankungen vollzogen. Während es bei unheilbaren körperlichen Erkrankungen heute einen breiten Zuspruch gibt, wenn das Prinzip „Leidverminderung durch Lebensverkürzung“ in Form des künstlich herbeigeführten Todes zur Anwendung kommt, ist dies bei psychischen Erkrankungen umstritten. Der Wunsch nach assisitertem Suizid von psychisch Erkrankten scheint schwerer greifbar. Er kann Ausdruck einer akuten psychischen Leidensphase sein, die jedoch medikamentös überwindbar ist. Er kann aber auch Ausdruck eines Wunsches sein, der auf Erfahrung durch wiederkehrende psychische Belastungsphasen beruht. Aber ist es nicht diskriminierend, wenn man den einen dies ermöglicht, den anderen nicht?
Dieses Fachbuch greift dazu die Herausforderungen und Kontroversen der Debatte auf. Dazu werden in diesem Band die interdisziplinären relevanten Fragestellungen aus Medizin inklusive der Palliativmedizin, Psychologie, Ethik, Theologie sowie die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen für Deutschland und die Schweiz beschrieben und diskutiert. Aus jedem Fachgebiet werden mit anschaulichen Beispielen aus der Praxis hinreichend Qualitätsmerkmale für den Umgang mit dem Wunsch nach dem assistierten Suizid von psychisch Kranken benannt, damit letztlich der Leser seine eigene Haltung dazu reflektieren und entwickeln kann.

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Zielgruppe


Psychiater, Palliativmediziner, Onkologen, Neurologen, Pflegefachleute, Theologen, Sozialarbeitende


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


|21|1  Der Wunsch nach assistiertem Suizid. Ethische Herausforderungen eines polarisierenden Themas
Christian Kind Editorial des Herausgebers Das Patientenwohl ist der zentrale Referenzpunkt eines medizinischen Diskurses. Das gilt als internationaler Standard und in gleichem Maß bezüglich des assistierten Suizids. In diesem ersten Beitrag wird die grundsätzliche Frage behandelt, ob sich der assistierte Suizid mit den Zielen der Medizin grundsätzlich vereinbaren lässt und wie umfassend bzw. diffizil eine Verständigung auf ein gemeinsames Verständnis von Patientenwohl überhaupt ist. In der Summe wird der assistierte Suizid in keiner Situation als das objektiv beste Interesse eines Patienten bzw. einer Patientin verstanden, sondern unter Einhaltung bestimmter Kriterien als ethisch verantwortbar. Um die Entwicklung dieser Kontroverse zu verstehen, ist ein erster qualitativer und quantitativer Überblick rund um den assistierten Suizid in der Schweiz notwendig. Dass diese Debatte mit allen Beteiligten entlang ideologischer Trennlinien zu führen war und sein wird, wird dabei niemand verwundern. Umgekehrt bedeutet dieser Sachverhalt, dass die Vermittlungsarbeit Kernbestandteil dieses Diskurses ist. Der Autor weiß davon umfassend zu berichten, denn er ist der Vorsitzende der Kommission, die die 2018 erschienenen und kontrovers diskutierten Richtlinien „Umgang mit Sterben und Tod“ der Schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaft (samw.ch) entwickelte. |22|1.1  Entwicklung der ärztlichen Suizidhilfe in der Schweiz
Die Beihilfe zum Suizid aus uneigennützigen Motiven ist in der Schweiz seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts straflos.1 Der Gesetzgeber hatte damals allerdings nicht Suizidwillige im Blick, die aus medizinischen Gründen Unterstützung verlangten, sondern Menschen, die wegen Ehrverlusts ihr Leben beenden wollten. Erst in den Siebzigerjahren, als die Möglichkeiten einer lebenserhaltenden Intensivmedizin wuchsen und Ängste vor einem Verlust der Selbstbestimmung gegenüber einer übermächtigen technischen Medizin zunahmen, kam nicht nur der Ruf nach einem Recht auf Ablehnung solcher Behandlungen auf. Es wurde auch gefordert, unheilbar Kranken ärztliche Unterstützung zur Lebensbeendigung zu gewähren. Diese Anliegen wurden zu Beginn der Achtzigerjahre von zwei, in der deutschen bzw. französischen Schweiz unter dem Namen Exit zu diesem Zweck gegründeten Gesellschaften, aufgenommen. Einerseits förderten diese das Verfassen und die Anerkennung von Patientenverfügungen, um ärztliche Übertherapie abzuwehren. Andererseits wurde ein Angebot der ärztlichen Suizidhilfe bereitgestellt, da dafür, im Gegensatz zur auch diskutierten ärztlichen Tötung auf Verlangen, in der Schweiz keine Gesetzesänderung notwendig war. Anfang des 21. Jahrhunderts wuchsen die Mitgliederzahlen der beiden Exit-Vereine sehr stark, und ihr Auftritt und ihre Öffentlichkeitsarbeit wurden professionalisiert. Darüber hinaus wurden die Vereine Dignitas, Exit International und später lifecircle gegründet, die auch nicht in der Schweiz wohnhaften Personen Suizidhilfe anboten. Dies stößt als „Suizidhilfetourismus“ auf starke Kritik im In- und Ausland. Seit 2003 unterscheidet das Bundesamt für Statistik zwischen assistiertem Suizid und übrigen Suiziden, sodass neben den Jahresberichten der Suizidhilfeorganisationen nun auch eine amtliche Statistik (Bundesamt für Statistik, 2018a) über die Entwicklung dieses Phänomens besteht. Diese zeigt einen exponentiellen Anstieg der assistierten Suizide über die letzten 15 Jahre (vgl. Abb. 1-1). |23| Aufgrund der aktuelleren Daten von Exit Deutsche Schweiz (2019) ist zu vermuten, dass ihre Zahl 2018 die Tausendermarke überschritten hat und damit gut 1,5?% aller Todesfälle umfasst. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 67 zum Lebensende wurden bei einer großen Zufallsstichprobe von Ärzten, die im Jahr 2013 Todesfallmeldungen ausgefüllt hatten, nach international standardisierter Methode mit einem anonymen Fragebogen die angewendeten ärztlichen Handlungen am Lebensende erfragt. Die Resultate wurden mit einer analogen Erhebung für das Jahr 2001 verglichen (Bosshard et al., 2016). Die Zahlen für die Suizidhilfe validieren den von der amtlichen Statistik gefundenen Anstieg, können aber auch den Verdacht wecken, dass neben den amtlich gemeldeten Fällen eine gewisse Dunkelziffer bestehen könnte (Abbildung 1-1). Die Studie bestätigte aber auch, dass der assistierte Suizid eine selten angewendete Praxis am Lebensende ist und von der kontinuierlichen Sedierung bis zum Tod, die zwischen 2003 und 2013 um den gleichen Faktor von 3,7 zugenommen hat, bei weitem übertroffen wird (vgl. Abb. 1-2). Von Interesse ist auch, dass der assistierte Suizid (Exit Deutsche Schweiz, 2019; Schweizerische Depeschenagentur, 2019) bei Frauen sehr viel häufiger ist als bei Männern, ganz im Gegensatz zu den übrigen Suiziden (vgl. Abb. 1-3). Die amtliche Statistik zeigt auch, dass die Zunahme assistierter Suizide (nicht von einer vergleichbaren Abnahme der übrigen Suizide), (Bundesamt für Statistik 2018b), begleitet war. |24| 1.2  Die Haltung der Schweizer Ärzteschaft
In den Anfangsstadien der Suizidhilfebewegung wurde diese nur von einer kleinen Minderheit der Ärzteschaft unterstützt. Die meisten Ärztinnen und Ärzte lehnten den assistierten Suizid aufgrund der traditionellen Medizinethik ab. Allerdings äußerte sich dies bei den ärztlichen Institutionen zunächst eher so, dass die Möglichkeit der Suizidhilfe nicht kritisiert, sondern schlicht ignoriert wurde. De|25|mensprechend hat sich die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihren medizinethischen Richtlinien zur ärztlichen Tätigkeit am Lebensende über längere Zeit nicht zu diesem Thema geäußert. Phase des Ignorierens Die ersten Richtlinien zur Sterbehilfe von 1976 behandelten die unter bestimmten Bedingungen zulässige bzw. gebotene passive und die verbotene aktive Sterbehilfe, erwähnen aber die Hilfe zum Suizid mit keinem Wort. Dieses Vorgehen wurde bei einer ersten Revision 1981 beibehalten. Erst in den Richtlinien „Ärztliche Betreuung sterbender und zerebral schwerst geschädigter Patienten“ von 1995 wurde festgehalten: „Beihilfe zum Suizid ist kein Teil der ärztlichen Tätigkeit.“ (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, 1995) Danach wurde die Diskussion um dieses Thema in der Öffentlichkeit, aber auch innerhalb der SAMW, mit wechselnder Intensität, aber mehr oder weniger kontinuierlich, weitergeführt, während sich die Praxis der Suizidhilfe etablierte und sowohl quantitativ wie qualitativ weiterentwickelte. Eine erneute Revision der Richtlinien 2004 unter dem Titel „Ärztliche Betreuung von Patienten am Lebensende“ hatte an dieser Situation wenig geändert. Diese Version der Richtlinien stellte fest, dass die Suizidhilfe „den Zielen der Medizin widerspricht“ (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, 2004), enthielt aber eine Ausnahmeregelung für Ärzte, die bei der Betreuung eines Patienten am Lebensende in einen Gewissenskonflikt geraten. Suche nach einem ethisch vertretbaren Weg Aufgrund von Berichten über ethisch problematische Praktiken im Bereich der Suizidhilfe sah sich die zentrale Ethikkommission der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) Anfang 2012 veranlasst, auf die bestehenden Probleme und auf die geltenden Regelungen hinzuweisen. Dies löste eine relativ heftige Kritik an der Haltung der SAMW von Seiten von Befürwortern der ärztlichen Suizidhilfe aus. Seither befasste sich die SAMW intensiver mit dem Thema, in der Hoffnung, einen praktisch gangbaren und ethisch vertretbaren Weg durch diese, aufgrund unüberbrückbarer weltanschaulicher Differenzen letztlich wohl nicht lösbare Kontroverse zu finden. Im Rahmen dieser Bemühungen...



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