E-Book, Deutsch, 363 Seiten
Bremm Die Waffen-SS
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-8062-3795-5
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hitlers überschätzte Prätorianer
E-Book, Deutsch, 363 Seiten
ISBN: 978-3-8062-3795-5
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Waffen-SS umgibt bis heute der düstere Mythos der Brutalität, der Indoktrination und Unbesiegbarkeit. Doch in wie weit war die Waffen-SS tatsächlich militärische Elite? Oder waren ihre Divisionen doch nur ganz normale Fronttruppen?
Klaus-Jürgen Bremm wagt eine ebenso kritische wie fundierte Gesamtdarstellung der militärischen Eliteformation. Er schildert die Verfahren der Ideologisierung und die Organisationsgeschichte von den ersten Totenkopfverbänden und der Leibstandarte Adolf Hitler bis zu den schließlich 38 Divisionen der Waffen-SS am Kriegsende, zu denen auch viele Einheiten mit ausländischen Soldaten zählten. Er fächert detailliert ihre Operationsgeschichte, ihre tatsächlichen – erfolgreichen wie desaströsen – Kampfeinsätze auf. Er widmet sich den Kriegsgräueln der 1946 zur »verbrecherischen Organisation« erklärten Truppe und den Aktivitäten ihrer Angehörigen in der frühen Bundesrepublik. Sein prägnantes Fazit: Am besten war die Waffen-SS nach dem Krieg.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Inhalt
Einleitung 7
1. Die Vorläufer der Waffen-SS bis zum Kriegsausbruch 17
Der 30. Juni 1934 - Die Geburtsstunde eines SS-Staatsschutzkorps 17
Drei Säulen der bewaffneten SS - SS-»Leibstandarte«, SS-»Verfügungstruppe«, SS-»Totenkopf«-Standarten 33
Weltanschauliche Erziehung - Gegen Judentum, Kirche und Moderne49
Die SS-Junkerschulen - Kaderschmieden einer neuen Elite des Regimes? 57
2. Die Waffen-SS bis zum Krieg gegen die Sowjetunion 65
Polen 1939 - Hitlers Pratorianer auf ganzer Front verteilt 65
Die erste Metamorphose - Verfügungstruppe, Leibstandarte und Totenkopf werden zur Waffen-SS 72
Kein Triumph des Willens - Die Waffen-SS im Westfeldzug 1940 78
Gottlob Berger und der Griff über die Grenzen - Die Waffen-SS wird zur internationalen Truppe 96
Intermezzo auf dem Balkan - 15 Divisionen kapitulieren vor einem SS-Sturmbann 110
3. »Barbarossa« - Ein neuer »Germanenzug« nach Osten 121
Zwischen Duna und Don - Hitlers Pratorianer bis zum Rückzug von Rostow 121
Die vierte Säule der Waffen-SS - Der Kommandostab Reichsführer-SS und die Anfänge der Shoah 145
Pfeiler der Ostfront oder propagandistischer Aplomb? Die Waffen-SS in der Winterkrise 1941/42 157
Die Waffen-SS wird zur Armee - Vom Staatsschutzkorps zur strategischen Reserve des Regimes 165
Charkow 1943 - Sieg auf Umwegen 171
Kein Durchkommen - Das II. SS-Panzer-Korps in der Schlacht von Kursk 182
4. Die Waffen-SS in der Defensive 1943-45 - Militärische Trumpfkarte oder Ressourcengrab? 193
Zwischen Dnjepr und Bug - Tscherkassy-Korsun, der wandernde »Hube-Kessel« und der »Feste Platz« Tarnopol 193
Normandie 1944 - Himmlers »Babysoldaten« trotzen der alliierten Flut 201
Ein geschenkter Sieg - Die Waffen-SS bei Arnheim 1944 226
Kein Hurra in den Ardennen - Die Waffen-SS in der »Wacht am Rhein« 234
Die Waffen-SS auf dem Balkan - Die unedlen Ritter der »Prinz Eugen« 248
Budapest und Berlin - Die Waffen-SS im Untergang 255
5. Erfolgreicher als im Krieg - Die Ehemaligen der Waffen-SS im Nachkriegskampf um die Deutungshoheit ihrer Geschichte 271
Fazit - Hitlers überschätzte Prätorianer? 287
Anhang
Liste der Verbände der Waffen-SS 296
Anmerkungen 302
Quellen- und Literatur 340
Abbildungsnachweis 351
Personenregister 352
Einleitung
Schlacht um Charkow – Ein General der Waffen-SS verweigert den Befehl des »Führers«
Nur zwei Wochen nach der Kapitulation der Reste der 6. Armee in Stalingrad am 2. Februar 1943 schien der deutschen Wehrmacht im Raum Charkow eine zweite militärische Katastrophe bevorzustehen. Seit Anfang Februar strömten die Panzer gleich dreier sowjetischer Armeen über Don und Oskol nach Westen. Zwei deutschen Divisionen, die noch ihre Stellungen in der viertgrößten Metropole der Sowjetunion hielten, drohte die Einschließung.1 An ein Ausweichen schien nicht zu denken. Denn ein Befehl des »Führers« verpflichtete am 13. Februar nochmals ausdrücklich die beiden Großverbände zum Halten von Charkow, und niemand im Hauptquartier der neuen Heeresgruppe »Süd« konnte sich vorstellen, dass der unsinnige Haltebefehl des Diktators keinen Gehorsam finden würde.2 Gehörte doch zu den Verteidigern von Charkow auch die 2. SS-Panzergrenadier-Division »Das Reich«, die zusammen mit der 1. SS-Panzergrenadier-Division »Leibstandarte Adolf Hitler« die Stammtruppe der Waffen-SS bildete. Nicht nur im Reich, auch in ganz Europa genoss der bewaffnete Arm der SS inzwischen den Ruf einer militärischen Elite. Soldaten der Waffen-SS galten vor allem als radikale Kämpfer und als williges Instrument des NS-Regimes. Sie würden keine Gefangenen machen, glaubte damals die deutsche Bevölkerung nach einem Bericht des Sicherheitsdienstes zu wissen, und jeden Gegner restlos vernichten.3 Von diesen Männern, die darauf eingeschworen schienen, ihrem Führer bedingungslos zu folgen, konnte somit erwartet werden, dass sie in Charkow bis zur letzten Patrone kämpfen würden, zumal die Verteidigung der Stadt in der Hand eines bewährten Generals der Waffen-SS lag. Der ehemalige Reichswehrgeneral Paul Hausser war vermutlich nie ein überzeugter Nationalsozialist gewesen, hatte sich aber wie viele Generale mit dem Regime und seinen Verbrechen so weit arrangiert, dass er seit 1935 unter der doppelten Sigrune der SS eine zweite militärische Karriere machen konnte, die ihn inzwischen an die Spitze des I. SS-Panzer-Korps gebracht hatte. Erst zwei Wochen zuvor war die Masse von Haussers neuem Armeekorps aus Frankreich an die wankende Ostfront verlegt worden.4 Hitler hatte die größten Hoffnungen auf seine Prätorianergarde gesetzt, die mit dem besten Material ausgestattet war, das die Rüstungsschmieden des Reiches zu bieten hatten. Doch statt eine kraftvolle Gegenoffensive führen zu können, waren die beiden Divisionen des SS-Korps schnell von den numerisch überlegenen Sowjets in die Verteidigung gedrängt worden. Müsste nun auch noch Charkow aufgegeben werden, würde nicht nur ein wichtiger Pfeiler der Südfront verloren gehen. Schlimmer noch! Der sorgfältig gepflegte Nimbus der Waffen-SS als unbezwingbare militärische Elite des Regimes wäre zumindest stark angeschlagen. Doch soldatisches Prestige, fanatischer Einsatzwille und elitäres Selbstbewusstsein halfen wenig gegen Kälte, Schnee und einen Gegner, der ständig neue Divisionen in den Kampf werfen konnte. Im Verlauf des 14. Februar 1943 verschärfte sich die Lage um die Stadt. Die Sowjets saßen bereits in den Außenbezirken, und nur noch ein dünner Schlauch verband am nächsten Morgen die in Charkow kämpfenden Teile des SS-Panzerkorps und der Infanterie-Division »Großdeutschland« mit der übrigen Front. Nachdem erst zwei Wochen zuvor eine ganze Armee des Heeres an der Wolga zugrunde gegangen war, konnte sich niemand vorstellen, dass Hitlers Prätorianer ihrem Führer ein ähnliches Fanal eines heroischen Untergangs verweigern würden. Doch der ehemalige Generalstabsoffizier Hausser, der als Vater der Waffen-SS galt und seit einer schweren Gesichtsverletzung eine Augenklappe tragen musste, dachte in anderen Kategorien. Wenn man die sowjetische Winteroffensive noch vor dem Dnjepr zum Stehen bringen wollte, dann nur mit einer beweglichen Gefechtsführung. Hausser tat das militärisch Vernünftige. Entgegen dem ausdrücklichen Willen des »Führers« erteilte der kampferprobte SS-General am 15. Februar 1943 um 13 Uhr seinen noch in Charkow ausharrenden Truppen den Befehl zum Rückzug aus der Stadt. Gegenüber Himmler und anderen NS-Größen hatte Hausser zwar wiederholt seine Eigenwilligkeit bewiesen. Kaum jemand hätte jedoch erwartet, dass der 63-jährige Offizier in dieser verzweifelten Krisenlage den Schneid aufbringen würde, genau das zu tun, wozu sich die Generalfeldmarschalle Manstein und Paulus im Falle der eingeschlossenen 6. Armee nicht hatten durchringen können. Am 15. Februar 1943 geschah das scheinbar Unfassbare. Hausser gab im letzten Augenblick den Rückzugsbefehl und rettete damit nicht nur seine alte Division »Das Reich«, sondern wohl auch die gesamte deutsche Südfront. Hitlers befürchtetes Donnerwetter blieb aus. Dass Joseph Goebbels am selben Tag in seinem Tagebuch die Hoffnung äußerte, die Waffen-SS möge es erst gar nicht auf eine Einkesselung in Charkow ankommen lassen, lässt sogar darauf schließen, dass die Erwartungshaltung im engeren Kreis des »Führers« eine ganz andere war.5 Zum allgemeinen Erstaunen akzeptierte der Diktator, wenn auch grummelnd, Haussers Entscheidung und beließ dem General sogar sein hohes Kommando. Dass von allen Beteiligten allein der General der Gebirgstruppen, Hubert Lanz, der Haussers Maßnahme nachträglich gebilligt hatte, als verantwortlicher Armeeoberbefehlshaber sein Kommando abgeben musste, quittierte man in Heereskreisen mit Sarkasmus. Nur ein General der Waffen-SS könne es sich eben leisten, ungehorsam zu sein, kommentierte etwa Feldmarschall Erich von Manstein, der Oberbefehlshaber der verantwortlichen Heeresgruppe »Süd«, den erstaunlichen Vorgang.6 Als allerdings Haussers SS-Panzerkorps, nach der Ankunft der 3. SS-Panzergrenadier-Division »Totenkopf« endlich vollständig versammelt, nur vier Wochen später Charkow zurückeroberte, zeigte sich Hitler sehr nachtragend und überging den eigensinnigen General. Demonstrativ ließ er dagegen seine Propaganda den Kommandeur der SS-»Leibstandarte«, Obergruppenführer Sepp Dietrich, als Helden von Charkow feiern und verlieh dem alten Haudegen aus der gemeinsamen Kampfzeit die Schwerter zum Ritterkreuz.7 Oberstgruppenführer Sepp Dietrich und Adolf Hitler nach der Rückeroberung Charkows bei einer Ordensverleihung auf dem Obersalzberg am 27. März 1943. Nach dem Krieg hat Paul Hausser seinen fraglos spektakulären Ungehorsam vor Charkow als willkommenen Beleg für die soldatische Eigenständigkeit der Waffen-SS dargestellt, und noch anlässlich der Bestattung Haussers im Dezember 1972 nannte der ehemalige SS-Brigadeführer Otto Kumm vor einer riesigen Trauergemeinde den Entschluss von Charkow ein zweites »Tauroggen«.8 Man war sich in diesen Kreisen gegenüber allen Anwürfen der Nachkriegsöffentlichkeit einig. Die Männer und Führer der Waffen-SS hätten keineswegs innerlich dem Regime nahegestanden und sklavisch jeden Befehl Hitlers ausgeführt. Ihre Divisionen hatten im Verlauf des Zweiten Weltkrieges an jeder Front in Europa gekämpft, und kaum eine Division des Heeres hatte es nicht begrüßt, die Waffen-SS an ihrer Seite zu haben. In Wahrheit seien sie daher Soldaten wie andere auch gewesen und nur formal ein Teil der SS. Eine willkommene Stütze fand diese Kernthese der Ehemaligen durch die Behauptung, dass die ständigen politischen Indoktrinationsversuche Himmlers ebenso wie die Schulungsunterlagen seines Rasse- und Siedlungshauptamtes nie wirklich ernst genommen worden seien. Der Welt- anschauungsunterricht habe, so Hausser in seinem großen Rechtfertigungswerk, in der Truppe kaum Wirkung erzielt.9 Der Mann der Waffen-SS habe sich stets als Träger einer »neuen soldatischen Idee« gefühlt, doch »nie als Ordenskrieger«, beteuerte Felix Steiner, die zweite große Leitfigur der Waffen-SS.10 Selbst ein sachlicher und insgesamt kritischer Autor wie der Spiegelredakteur Heinz Höhne schien noch in den 1960er-Jahren diese Argumentation zu bestätigen, wenn er von einer im Kriegsverlauf immer stärker werdenden Distanz zwischen der Truppe und Himmler sprach.11 Von den Gräueltaten und den Massenmorden der Allgemeinen SS habe man nichts oder nur sehr wenig gewusst. Robert Brill, der ehemalige Hauptabteilungsleiter des SS-Ergänzungsamtes, dürfte vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg seine Richter zum Erstaunen gebracht haben, als er erklärte, die Alliierten hätten den Männern der Waffen-SS mit der Aufdeckung von Himmlers Verbrechen »ein großes Rätsel aufgegeben«.12 Viele andere Schriften ehemaliger Soldaten der Waffen-SS flankierten derartige Schutzbehauptungen. So scheute sich etwa Albert Frey, der vormalige...