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E-Book, Deutsch, Band 583, 324 Seiten

Reihe: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)

Brommer / Roth / Spitzmüller Brückenschläge

Linguistik an den Schnittstellen

E-Book, Deutsch, Band 583, 324 Seiten

Reihe: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)

ISBN: 978-3-8233-0459-3
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Sammelband regt an, über den Tellerrand der Linguistik hinauszuschauen, dorthin zu gehen, wo sich die (Sub)Disziplinen nicht mehr zuständig fühlen, und dabei die Gegenstände, Zugänge sowie Handlungsräume neu zu betrachten. Die Beiträge leuchten die Schnittstellen zwischen den institutionell verfestigten Disziplinen aus und diskutieren, wo sinnvolle Grenzüberschreitungen und Brückenschläge nötig sind, um starre "Denkstile" (Ludwik Fleck) aufzubrechen, disziplinäre Gewissheiten zu hinterfragen und mögliche neue Gegenstandsbestimmungen vorzunehmen.
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Weitere Infos & Material


Sarah Brommer, Kersten Sven Roth und Jürgen Spitzmüller: Brückenschläge fachlich, menschlich

Elisabeth Stark: Warum es nur eine Linguistik gibt. Keine Interdisziplinarität ohne starke Disziplinen

Guido Seiler: Wie viele Kasus hat das Deutsche?

Martin Neef: Satz für Satz. Wo liegt die Schnittstelle zwischen der gesprochenen und der geschriebenen Sprache?

Stephan Elspaß: Die Variantengrammatik des Standarddeutschen als Brückenschlag zwischen Areallinguistik und Grammatikographie - am Beispiel der Genusvariation

Livia Sutter und Noah Bubenhofer: Zwischen Empirie und Hermeneutik. Korpuspragmatische Analyse zu ,links' und ,rechts'

Manabu Watanabe: Begegnung mit dem ,Fremden'. Übersetzung als Problem der Hermeneutik und der interkulturellen Kommunikation

Crispin Thurlow: Spracharbeit im Filmgeschäft. Von der Bedeutung "kleiner Texte"

Ulrich Schmitz: Design als symbolische Form. Und ihr Zusammenspiel mit Sprache

Heiko Hausendorf: "Telekopräsenz". Interaktionslinguistische Anmerkungen zu einer Kommunikationsbedingung im Wandel

Gerd Antos: Meinung. Anmerkungen zu einer diskursiven Positionierung

Jan Georg Schneider und Katharina A. Zweig: Ohne Sinn. Zu Anspruch und Wirklichkeit automatisierter
Aufsatzbewertung

Eva Neuland: Sprachliche Höflichkeit. Kein Thema für die Didaktik?

Urs Bühler: Die Brückenbauerin. Christa Dürscheid und die Medien

Herausgeber:innen und Beiträger:innen


2 Was tut Sprachwissenschaft/Linguistik – und was nicht?
Betrachten wir eingangs eine von vielen Definitionen der Linguistik: Wissenschaftliche Disziplin, deren Ziel es ist, Sprache und Sprechen unter allen theoretisch und praktisch relevanten Aspekten und in allen Beziehungen zu angrenzenden Disziplinen zu beschreiben. (Bußmann 42008: 671) Wie das Standardwerk Lexikon der Sprachwissenschaft von Hadumod Bußmann bezeichnen zahlreiche weitere Lexika oder auch Einführungswerke die Linguistik als die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprache. Diese auf den ersten Blick völlig einleuchtende Definition enthält allerdings gleich zwei Stolpersteine: Was verstehen wir unter wissenschaftlich? Und, viel schwerer zu beantworten: Was ist Sprache? Letzteres hat vor allem in den letzten Jahrzehnten ausufernde Diskussionen mit sich gebracht und soll nicht Gegenstand der vorliegenden Ausführungen sein. Relativer Konsens scheint darüber zu bestehen, dass der Terminus die speziesspezifische Art des homo sapiens bezeichnet, nach einem unbewusst und automatisch ablaufenden Erwerbsprozess Symbole eines von sich untereinander stark unterscheidenden Zeichensystemen so miteinander zu kombinieren, dass situationsunabhängig über komplexe Zusammenhänge kommuniziert werden kann. Die Zeichensysteme erlauben dabei die Produktion neuer Zeichen und Zeichenkombinationen (Kreativität), die in potentiell unendlich langen Strukturen miteinander verknüpft werden können, wobei kommunikative und kognitive Erfordernisse dieser Unendlichkeit Grenzen setzen in der Kommunikationspraxis. Eine wichtige und nicht kommunikativ direkt herleitbare Eigenschaft menschlicher Sprache(n) ist dabei die Wohlgeformtheit (siehe Seiler 2015), die alleine erklären kann, warum in deutschen, französischen oder englischen elektronischen Kurznachrichten wie SMS oder WhatsApp gegebene Subjektreferenten im Hauptsatz durchaus wegfallen können, aber nicht im Nebensatz – hie wie da sind sie kommunikativ nicht erforderlich, aber eine syntaktische Regel dieser besonderen Sprachvarietät in diesen Einzelsprachen (‚geschriebene Kurztexte‘, siehe Haegeman/Stark 2021) verhindert ihren Ausfall im Nebensatz – im Gegensatz etwa zum Italienischen oder Spanischen. Ich möchte bereits an dieser Stelle nachdrücklich darauf hinweisen, dass Kommunikation und Sprache in einem metonymischen Verhältnis zueinander stehen und je unabhängig voneinander existieren und auch wissenschaftlich betrachtet werden müssen: Sprache ist das präferierte zur Kommunikation eingesetzte semiotische System des homo sapiens, aber beileibe nicht das einzige (man denke an Mimik, Verkehrszeichen, Mode usw.). Und Sprache hat neben der kommunikativen Funktion noch viele weitere, v. a. kognitive und ästhetische. Sprache und Kommunikation existieren logisch und in der tatsächlichen Praxis der Menschen also (auch) unabhängig voneinander. Obwohl sich Sprache und Kommunikation in manchen Strukturen gegenseitig beeinflussen mögen, sind Sprachwissenschaft und Kommunikationswissenschaft zwei unterschiedliche Disziplinen (in der Regel auch sichtbar in der getrennten institutionellen Verortung an Universitäten). Ersteres, also der Terminus wissenschaftlich, lässt die anhaltende Kontroverse zwischen qualitativen und quantitativen Zugängen zum Beschreibungsgegenstand und dahinterstehend diejenige zwischen geistes- vs. sozial- oder naturwissenschaftlichen Ansätzen aufleuchten, die hier ebenfalls nur am Rande gestreift werden kann. An diesem Punkt hilft uns ein Blick in das in Zürich entstandene Studienbuch Linguistik (Linke et al. 52004): Ziel der Sprachwissenschaft ist die Beschreibung und Erklärung sprachlicher Phänomene, und sie tut dies in vorwiegend theoretischer Absicht. Theoretisch bezieht sich hier nicht darauf, dass die Linguistik Beschreibungsmethoden und Theorien über ihren Gegenstand entwickelt – dies tut jede Wissenschaft. Als theoretische Wissenschaft besitzt die Linguistik im Unterschied zu den anwendungsorientierten Wissenschaften aber kein unmittelbar zugeordnetes Praxisfeld. […] Sie umfasst eine Vielzahl von Teilbereichen, die je bestimmte Aspekte von Sprache beschreiben und die zusammen ein komplexes Gebäude von aufeinander bezogenen Disziplinen bilden.“ (Linke et al. 52004: 1, Hervorhebung im Text). In der Linguistik geht es also um sprachliche Phänomene, und als wissenschaftlich ist im obigen Zitat das systematisch-methodologisch reflektierte Beschreiben und auch das theoretische Modellieren (in manchen Theorien gleichbedeutend mit dem Erklären) des Beschriebenen gefasst – völlig einleuchtend (siehe auch Dubois et al. 2012: 285). Das Studienbuch Linguistik bietet in seinem Einleitungskapitel auch eine knappe Fachgeschichte (siehe Linke et al. 52004: 4–5), die darauf hinweist, dass die Linguistik als Einzelwissenschaft erst seit etwa 200 Jahren existiert und in ihrem Entstehen im 19. Jahrhundert nicht direkt Traditionen der antiken Rhetorik, Grammatikschreibung oder Philologie fortsetzt, sondern einen neuen eigenständigen empirischen und auf Verallgemeinerung der einzelnen (Text-)Belege basierenden Fokus setzt: „die historische Erforschung der Sprachen, ihre Entwicklung, [sic!] und ihre Verwandtschaften.“ (Linke et al. 52004: 4, Hervorhebung im Text). Später, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, wird sich die Emanzipation der Sprachwissenschaft von der wissenschaftlichen Sprachbetrachtung und ihre Entwicklung zu einer eigenen Disziplin, der Linguistik, endgültig vollziehen, wie im Cours de linguistique générale kurz skizziert (siehe de Saussure 1979: 13–16). Diese neue Disziplin, so de Saussure, entsteht aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den romanischen und germanischen Sprachen, was in einem Festschriftbeitrag einer Romanistin für eine Germanistin unbedingt erwähnt werden sollte: „La linguistique proprement dite […] naquit de l’étude des langues romanes et des langues germaniques.“ (de Saussure 1979: 18) Zwei Aspekte dieser vergleichsweise jungen Disziplin finden sich als Definientia immer wieder, von denen vor allem der erste als grundlegend betrachtet werden kann, der zweite aber nicht weniger wichtig ist. Ich habe erstens bereits an anderer Stelle ausführlich darauf hingewiesen, dass die Linguistik sprachliche Phänomene als solche untersucht, unabhängig von ihrem kommunikativen Zweck oder ihrer Funktion als Mittel oder Teil einer grösseren Interaktion (einer Werbekampagne, Schmähgedicht, Gesetzestext, Gedicht, siehe Stark 2018). Besonders erfreulich und besonders bezeichnend ist die sprachunabhängige Rekurrenz dieser definitorischen Autonomie des Objekts in verschiedenen Abhandlungen (siehe auch Oesterreicher 2011: 79, der als „paradigmatischen Kern der Linguistik“ die Beschäftigung mit den historischen Einzelsprachen und ihrer Varietäten als solche definiert), und besonders bemerkenswert, zweitens, die daraus resultierende einzelsprachunabhängige Natur der Linguistik: Linguistique [adj., ES] renvoie au principe d’immanence qui consiste à étudier la langue comme formant un ordre propre, autonome, dont il est possible de décrire les structures par leurs seules relations. (Dubois et al. 2012: 265) Diese Meinung wird auch von Linke et al. vertreten: „[…] dies ist aber der Anspruch der Linguistik. Sie stellt die Sprache selbst ins Zentrum und untersucht sie als Sprache, um ihrer selbst willen.“ (52004: 5) Es herrscht nun aufgrund der einzelsprachlich unterschiedlichen historischen Ausprägungen der menschlichen Sprachfähigkeit, den (historischen) Einzelsprachen (siehe Coseriu 1988), auch innerhalb der Linguistik die Notwendigkeit der Spezialisierung. Daher gibt es sicherlich eine Linguistik der germanischen oder der romanischen Sprachen, so wie es in der Physiologie Abteilungen für Zell-, Muskel- oder bestimmte Organphysiologie gibt. Dies wohlgemerkt mit genitivus objectivus. Es gibt also keine Deutsche Linguistik, die als Linguistik grundlegend anders wäre als eine Romanistische Linguistik – es ist das gleiche Fach. Die Linguistik unterscheidet sich, zusammenfassend, von anderen sprachinteressierten Disziplinen durch ihren Gegenstand, sprachliche Phänomene, Norm- und Regelgefüge als solche. Ich schlage vor, innerhalb und ausserhalb der Akademia diesen wesentlichen Unterschied zu beachten, wann immer es um disziplinäre Schärfe und/oder interdisziplinäre Zusammenarbeit geht: (Wissenschaftliche) Sprachbetrachtung (z. B. in der Literaturwissenschaft bei der Interpretation eines Gedichts, wenn dessen Reimschema auch phonetisch-phonologisch analysiert wird, z. B. unter Berücksichtigung des Terminus’ Nasalvokal, siehe Jakobson/Lévi-Strauss 1962) ist nicht das gleiche wie sprachwissenschaftliche Betrachtung sprachlicher Phänomene (die Lautung eines Gedichts sagt nichts über das Phonemsystem einer Sprache aus, die Datenbasis ist qualitativ wie quantitativ dafür ungeeignet). Letztere nimmt die sprachlichen Phänomene als solche in den Fokus ihres Interesses: Keine andere Disziplin als die Linguistik kann diese Regel- und Normgefüge als solche, als überindividuelle, nur vom konkreten Diskurs oder Text abstrahierend erfassbare und eben auch nicht unmittelbar kommunikativ bedingte, erforschen, erfassen und erklären, keine andere Disziplin strebt aber auch danach (cf. Oesterreicher...


Sarah Brommer ist Professorin für Angewandte Linguistik mit Schwerpunkt Textproduktionsforschung an der Universität Bremen.

Kersten Sven Roth ist Professor für Germanistische Linguistik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Jürgen Spitzmüller ist Universitätsprofessor für Angewandte Sprachwissenschaft an der Universität Wien.


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