E-Book, Deutsch, 600 Seiten
Burkart Kommunikationswissenschaft
6. vollständig überarbeitete und aktualisierte Aufl 2021
ISBN: 978-3-8463-5713-2
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Grundlagen und Problemfelder einer interdisziplinären Sozialwissenschaft
E-Book, Deutsch, 600 Seiten
ISBN: 978-3-8463-5713-2
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Standardwerk zur Kommunikationswissenschaft in der 6. Auflage
Das Standardwerk entfaltet systematisch die zentralen Perspektiven der Kommunikationswissenschaft. Sprache und Kommunikation haben eine tragende Rolle im Sozialisationsprozess.
Folgende Themen werden diskutiert: moderne, internetbasierte (Massen-) Kommunikationsgesellschaft, Relevanz von Öffentlichkeit, Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung, Rolle des Fernsehens.
Weitere Themen: Spannungsfeld zwischen Journalismus und Public Relations, Bedeutung von Internet, Suchmaschinen, Web 2.0 und Social Media.
In der 6. Auflage stehen außerdem die Plattformisierung, Fake News, Desinformation und Verschwörungstheorien sowie Konflikt-PR im Fokus.
Das Grundlagenwerk der Publizistik wird erstmals auch als E-Book angeboten und bietet den Studierenden einen fundierten Einblick in die Fragestellungen und Problemfelder der Kommunikationswissenschaft.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Vorwort zur 6. Auflage 15
Vorwort zur 5. Auflage 15
1 Einleitung 17
2 Kommunikation: Zur Klärung eines Begriffes 23
2.1 Kommunikation als soziales Verhalten 23
Kommunikation und Intentionalität 25
2.2 Menschliche Kommunikation als soziales Handeln 27
2.3 Kommunikation als soziale Interaktion 31
Kritische Einwände? 34
2.4 Kommunikation als vermittelter Prozess 35
Zwischenbilanz 37
2.4.1 Medium als Kommunikationstechnik 38
2.4.2 Medium: ein kommunikationswissenschaftlicher Begriff 40
Das publizistische Medium 41 | Medien erster und zweiter Ordnung 43
2.5 Menschliche Kommunikation als symbolisch vermittelte Interaktion 44
Symbolischer Interaktionismus 51 | Das Symbol im Kommunikationsprozess 53
2.6 Die humanspezifische Kommunikationsmodalität: Zusammenfassung und terminologische Ergänzung 56
2.7 Feedback: eine Erfolgskontrolle kommunikativen Handelns 59
Kommunikation als System 60 | Reflexivität 63
3 Das Kommunikationsmedium Sprache 65
3.1 Sprachliche Verständigung 66
Zusammenfassung 71
3.2 Sprachbarrieren 72
3.3 Verständigungsrelevante Besonderheiten der menschlichen Sprache 73
3.3.1 Die verallgemeinernde Kraft der Sprache 73
3.3.2 Sprache und Wirklichkeit 76
3.3.3 Sprachliche Relativität 77
3.3.4 Sprachliche Reflexivität 80
3.4 Exkurs: Wissenschaftssprache 82
4 Kommunikation und menschliche Existenz 85
4.1 Kommunikation – eine anthropologische Grundkonstante 86
Sprache: Resultat von und Voraussetzung für Evolution 88
Kooperative Arbeit: Motor der Sprachevolution 89
Der Mensch: Mängelwesen und sekundärer Nesthocker 91
4.2 Sozialisation und Kommunikation 93
4.2.1 Sozialisationstheoretische Positionen 94
4.2.2 Exkurs: Die soziale Roll 95
4.2.3 Sozialisation als symbolisch-interaktionistisches Geschehen 97
Selbst-Bewusstsein 99 | Das I und das Me 101 | Exkurs: Cultural Studies 103
4.2.4 Selbst-Genese und Kommunikation 103
5 Massenkommunikation in der internetbasierten Kommunikationsgesellschaft 107
5.1 Massenkommunikation: Zur Klärung eines Begriffes 108
Die Masse im Begriff Massenkommunikation 109
Kommunikation im Begriff Massenkommunikation 111
Massenkommunikation und soziales Handeln 113
Interesse an Publizität 114
Erstes Fazit: Massenkommunikation ist öffentlich – und potenziell auch Kommunikation 116
5.2 Massenkommunikation, Öffentlichkeit und Internet 116
Normative Ansprüche an politische Öffentlichkeit 122
Öffentlichkeit und Publizität 124 | Internet und Öffentlichkeit 126
Zwischen Enthusiasmus und Skepsis: Erwartungen an das Netz 128
Plattformisierung – ein dritter Strukturwandel der Öffentlichkeit? 133
Zweites Fazit: Das Netz ergänzt die Massenkommunikation – aber es ersetzt sie nicht 137
6 Wirkungsforschung 143
6.1 Zur Genese der massenkommunikativen Wirkungsforschung 147
6.2 Psychologisch orientierte Wirkungsforschung 152
6.2.1 Persuasionstheorie 153
Merkmale der Aussage 155 | Merkmale der Kommunikationsquelle 157
Persönlichkeit der Rezipientinnen 159
6.2.2 Konsistenztheorie/Kognitive Dissonanz 160
6.2.3 Elaboration-Likelihood-Model (ELM) 165
6.3 Soziologisch orientierte Wirkungsforschung 168
6.3.1 Das Opinion-Leader-Konzept 169
Two-Cycle-Flow und Multi-Step-Flow 172 | Opinion Sharing 173
6.3.2 Diffusionsforschung 175
Meinungsführerinnen 2.0? 177
Influencer 178
6.4 Massenmedien ohne Wirkung? 180
Umkehrung der Wirkungsfrage 182
6.5 Nutzung der Massenmedien 183
6.5.1 Der Nutzenansatz und der Uses-and-Gratifications Approach 184
Das aktive Publikum 184
Der Symbolische Interaktionismus als Handlungstheorie 185
6.5.2 Publikumsforschung als Gratifikationsforschung 187
Nutzungsarten 188 | Der Erwartungs-Bewertungs-Ansatz 192
U&G im Internetzeitalter 194 | Kritik am Nutzenansatz 195
Medienrepertoires als neue Nutzungsmuster? 196
6.6 Dynamischtransaktionaler Ansatz (DTA) 198
Empirische Evidenzen für den DTA 202 | Zuverlässige Überraschung 204
6.7 AgendaSetting 205
Nonlineare Agenda-Setting-Modelle 211 | Second-Level-Agenda-Setting 212
Kritik: Widersprüchlichkeit und Grenzüberschreitung? 212
Third-Level-Agenda-Setting 213
Priming, Framing und Agenda-Setting 213
Agenda-Building 216
6.8 Wissenskluft und DigitalDivide 219
Bildung oder Motivation als relevante Wissenskluft-Variablen? 221
Differenzierung von Wissen 222 | Verringerung von Wissensklüften durch Nutzung von Printmedien? 222
Digital-Divide-Forschung 223
6.9 Schweigespirale 227
Die Entdeckung des Meinungsklimas 229
Frosch- und Vogelperspektive in TV-Interviews 230
Bedingungen für die Entwicklung einer Schweigespirale 231
Der Eisenbahntest und die „Schweiger“ 232
Schweigespirale goes online 233
Isolationsfurcht auch im Netz? 234
7 Strukturen der modernen Kommunikationsgesellschaft 237
7.1 Kommunikation und Gesellschaft 237
Informationsgesellschaft 239
Netzwerkgesellschaft 241
Kommunikations- und Mediengesellschaft 243
7.2 Medien und Wirklichkeit 248
7.2.1 Fake News – Desinformation durch Falschmeldungen, Lügen und Verschwörungstheorien 250
Der Begriff Fake News 252
Medien als Opfer oder als Täter? 253
Fake News als aktuelle Desinformation 255
Verschwörungstheorien 257
Zur Rezeption von Desinformation und Verschwörungserzählungen 260
7.2.2 Von Ptolemäus zu Kopernikus 262
7.3 Realität als mediale Konstruktion 266
Journalist·innen als Gatekeeper 266 | Vom Gatekeeping zum Gatewatching (?) 267
News Bias 270
Nachrichtenfaktoren (NRF) 270
Nachrichten – Mittel zum Zweck? 274
Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenrezeption 275
7.4 Realitätsinszenierung in der Kommunikationsgesellschaft 275
Pseudo-Ereignisse 276
7.5 Journalismus und Public Relations/Öffentlichkeitsarbeit 279
Dominiert PR den Journalismus? 281
Zweifel und Kritik an der Determinationsthese 283
Determination 2.0 285
Das Intereffikationsmodell 286
7.6 Resümee – oder: Zuflucht beim Konstruktivismus? 289
Wirklichkeit als Konstruktion 290
Konstruktivismus und Kommunikationswissenschaft 292
Alter Wein in neuen Schläuchen? 295
7.7 Das Fernsehen – ein Jahrhundertmedium 296
7.7.1 Fernsehen als epochales Phänomen. 297
Die ins Haus gelieferte Welt (Günther Anders) 297
Das Medium ist die Botschaft (Marshall McLuhan) 299
Wir amüsieren uns zu Tode (Neil Postman) 300
Der Verlust des Orts-Sinns (Joshua Meyrowitz) 301
Fernsehen als Zeitfaktor (Irene Neverla) 302
7.7.2 Die Kultivierungsthese 303
Kritik an der Kultivierungsthese 304
7.7.3 Politikverdrossenheit und die Videomalaise-These 306
7.7.4 Fernsehen und Gewalt 307
Fernsehgewalt und reale Gewalt: Ein Faktor unter vielen 309
Katharsisthese 310
Inhibitionsthese 311
Umkehrthese 311
Stimulationsthese 312
Excitation-Transfer-These 312
Imitationsthese 313
Suggestionsthese 314
Habitualisierungsthese 315
Gewalt und Sucht durch Computerspiele? 315
Kognitivphysiologischer Ansatz 318
7.7.5 Fernsehen und Bildung 320
7.7.6 Fernsehen und Lesen 322
Trends im Verhältnis zwischen Fernsehen und Lesen 323
7.7.7 Von der Zerstückelung des (linearen) Fernsehens zum Web-TV 326
Das neue Fernsehen 327
7.8 Internet, Suchmaschinen, Web 2.0 und Social Media 329
Das World Wide Web 330
Die kommunikative Revolution 331
Digital Natives vs. Digital Immigrants? 333
7.8.1 Das mobile Internet und die permanente Vernetzung 335
Suchmaschinen, Algorithmen und die Filter Bubble 337
7.8.2 Web 2.0 und Social Media 339
Social Media 340
Bilder/Fotos und Videos in der Social Media Ära 345
Statt eines Resümees 348
7.9 Funktionen publizistischer Medien 350
7.9.1 Soziale Funktionen 352
7.9.2 Politische Funktionen 358
7.9.3 Ökonomische Funktionen 363
7.9.4 Information 367
Information via Massenkommunikation 368
Vollständigkeit 370
Objektivität 372
Verständlichkeit 378
8 Kommunikationswissenschaft als interdisziplinäre Sozialwissenschaft 381
Material- und Formalobjekt 384
8.1 Exkurs: Zur Besonderheit wissenschaftlichen Wissens 386
Entdecken und Erklären 386
Wissenschaft beginnt mit Problemen 389
8.2 Kommunikationstheorien: Eine Systematik 392
8.3 Allgemeine Theorieperspektiven von Kommunikation 394
8.3.1 Kommunikation als Signalübertragung 395
Technikorientierter Informationsbegriff 396
Shannon/Weaver – sozialwissenschaftlich interpretiert 397
8.3.2 Kommunikation als interaktiver Vorgang 398
8.3.2.1 Der Symbolische Interaktionismus 399
8.3.2.2 Die Theorie des kommunikativen Handelns 400
Erkenntnisinteresse: Emanzipation 401
Bedingungen von Verständigung 402
Der Diskurs 406
Resümee und Kritik 408
Die Rezeption einer TV-Diskussion als Verständigungsprozess 410
8.3.2.3 Das Kommunikationsquadrat 411
8.3.3 Kommunikation als umweltabhängiger Prozess 414
8.3.3.1 Der historische Materialismus 414
Kommunikation aus historisch-materialistischer Perspektive 416
Von materialistischer Medienforschung zur Medienökonomie 419
8.3.3.2 Die Systemtheorie 421
Strukturell-funktionale versus funktional-strukturelle Systemtheorie 422
Journalismus als Sozialsystem 424
Kritik an der Systemtheorie 425
8.3.4 Kommunikation als Wirklichkeitskonstruktion 426
Feminismus und die Gender-Konstruktion 427
8.4 Ziele von Kommunikation 429
8.4.1 Beeinflussung durch Kommunikation 430
8.4.2 Emanzipation durch (öffentliche) Kommunikation 431
Der verständigungsorientierte Ansatz von Habermas 432
8.4.3 Therapie durch Kommunikation 435
Die fünf Axiome der Kommunikation 435
Kommunikations- bzw. Verhaltenstherapie 442
8.5 Modelltheoretische Ansätze 443
Was ist ein Modell? 445
8.5.1 Lasswell-Formel 446
Pro und Contra Lasswell-Formel 446
8.5.2 Modell der Nachrichtentransformation 447
8.5.3 Feldschema 449
8.5.4 Materialistische Massenkommunikation 451
8.5.5 Digital vernetzter Kommunikationsraum 454
8.5.6 Diskursiver Journalismus 458
8.5.7 Verständigungsorientierte Öffentlichkeitsarbeit (VÖA) 461
VÖA-Phasen zur Planung und Evaluation von Konflikt-PR 463
PR-Ziel: Information 463
PR-Ziel: Diskussion 464
PR-Ziel: Diskurs 465
PR-Ziel: Situationsdefinition 467
8.5.8 Ein Index für Verständigungsorientierung (VOI) 470
8.5.9 Handlungsfelder der Unternehmenskommunikation 473
9 Der Objektbereich der Publizistik und Kommunikationswissenschaft 477
9.1 Die Bedeutung von Kommunikation für Mensch und Gesellschaft 477
9.2 Resümee: Der Sinn des vorliegenden Orientierungsrahmens 483
Literaturverzeichnis 489
Verzeichnis der Abbildungen 581
Register 583
1Einleitung Das Wort Kommunikation ist längst selbstverständlicher Teil der Alltagssprache geworden. In der Regel geht es dabei auch um etwas ganz Alltägliches – um Mitteilungen zwischen Menschen. Präziser formuliert: Es geht um den Prozess, in dem wir einander mit Hilfe von Mimik, Gestik, Sprache, Schrift, Bild oder Ton, von Angesicht zu Angesicht oder über verschiedene materielle sowie virtuelle (digitalisierte, computer- und internetbasierte) Übertragungs- und Speichertechniken irgendwelche Botschaften vermitteln. Ausgerechnet diese Alltäglichkeit verdeckt jedoch vielfach die Komplexität des Geschehens, das dabei inszeniert wird. Sie ist erst bei näherer Betrachtung erkennbar1 und kommt unter anderem auch darin zum Ausdruck, dass Kommunikation in verschiedenen Wissenschaften aus unterschiedlichen Perspektiven als Erkenntnisobjekt auftaucht. So spricht man z. B. in der Biologie von interzellulärer Kommunikation, in der Chemie von Chemokommunikation, die Physik kennt kommunizierende Gefäße und die Informatik sieht bei der Übertragung von Daten kommunizierende Hard- und Softwaresysteme. Aber keines dieser Fächer kann für sich in Anspruch nehmen, dem Kommunikationsprozess in allen seinen Dimensionen gerecht zu werden. Das Fach, aus dessen Perspektive der Kommunikationsprozess in diesem Buch betrachtet wird, ist die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Sie ist eine relativ junge Disziplin, wenigstens gemessen an so traditionsreichen Wissenschaften wie Physik oder Medizin. Am Beginn stand die Zeitungskunde bzw. Zeitungswissenschaft, die erstmals im Jahr 1916 in Leipzig durch ein eigenes Institut universitär verankert wurde. In den 1940er Jahren, nach der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten2 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs, mutierte die Zeitungswissenschaft unter dem Diktat technologischer Innovationen und deren massenhafter Verbreitung (die seinerzeit neuen Medien Hörfunk und Fernsehen waren einzubeziehen) zur Publizistik3. Aber auch dieser Begriff sollte sich bald als zu enges Korsett erweisen, dem die Disziplin im Verlauf ihrer sozialwissenschaftlichen Wende in den 1970er Jahren zu entwachsen begann. Die Bezeichnung Kommunikationswissenschaft taucht erstmals im Jahre 1964 mit dem damals neugeschaffenen Lehrstuhl für „Politik- und Kommunikationswissenschaft“ der Universität Erlangen-Nürnberg auf (Ronneberger 1997: 27).4 Damit war das Fach allerdings in eine Situation geraten, die treffend mit dem „Zustand einer verzögerten Detonation“ (Ronneberger 1978a: 16) bezeichnet worden ist: Mit der Mutation zur Kommunikationswissenschaft hatten sich die Konturen ihres Erkenntnisgegenstandes eher verdunkelt (ebd.: 17). Nicht ganz zu Unrecht wurden daher die „Grenzen der Publizistikwissenschaft“ (Saxer 1980b) eingeklagt, die sich nicht so sehr um den allgemeinen Kommunikationsprozess, als vielmehr um ihr eigenes Materialobjekt, nämlich die Medien kümmern solle. Andererseits war gerade mit dem Verweis auf die Überwindung ebendieser Tradition zu hören, die Kommunikationswissenschaft dürfe ihre Problemstellungen nicht auf die sogenannte Massenkommunikation reduzieren, auch wenn damit keineswegs der Anspruch verbunden sein kann, für jedwede Problematik aus dem Bereich der Humankommunikation zuständig zu sein (vgl. Rühl 1985a). Diesem scheinbaren Dilemma kann man freilich entkommen, wenn man sich darauf besinnt, dass eine wissenschaftliche Disziplin nicht nur durch Materialobjekte (wie z. B. die Medien) definierbar ist, sondern dass sie auch Formalobjekte benötigt (näher dazu: Kap. 8), nämlich eine Sichtweise, „eine besondere Blickrichtung auf das Material“ (Glotz 1990: 250) – oder anders formuliert: eine „spezifische Auswahl von Problemstellungen, -behandlungen und -lösungen“ (Rühl 1985a: 241)5. Mittlerweile hat sich die Kommunikationswissenschaft vielfach ausdifferenziert und auch konsolidiert.6 Sie befasst sich – wie jede andere wissenschaftliche Disziplin auch – mit einem ganz bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit7 und versteht sich als Sozialwissenschaft (DGPuK 2008). Diese Wissenschaften werden – abgeleitet vom lateinischen socius (für gemeinsam, gemeinschaftlich, die Gesellschaft betreffend) – auch als Gesellschaftswissenschaften bezeichnet. Sie rücken die einzelnen „Individuen in ihrer Beziehung zu anderen“ (Seiffert/Radnitzky 1994: 302) in den Mittelpunkt. Aus diesen Beziehungen der Menschen untereinander entstehen gesellschaftliche Gruppen und die menschliche Gesellschaft insgesamt mit ihren Organisationen und Institutionen. Zu den Sozialwissenschaften zählen z. B. Soziologie, Sozialpsychologie, Kultur- und Sozialanthropologie, Pädagogik bzw. Erziehungs- oder Bildungswissenschaft, Politikwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft und eben die Kommunikationswissenschaft. Die Kommunikationswissenschaft interessiert sich nun für den Prozess, in dem (mindestens zwei) Menschen einander etwas mitteilen (wollen), für die Vermittlungsinstanzen (Medien), die dabei im Spiel sind, für die Bedingungen, unter denen diese Bedeutungsvermittlung stattfindet und für die Konsequenzen (Wirkungen), die daraus resultieren. Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft fokussiert – abgeleitet vom lateinischen publicus (für öffentlich) – vorrangig die öffentliche Verbreitung von Aussagen. Bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde diese Öffentlichkeit in erster Linie durch die Massenmedien bzw. durch Massenkommunikation hergestellt. Spätestens seit der Jahrtausendwende haben wir es allerdings durch das Aufkommen von neuen internetbasierten (sozialen) Medien und Kommunikationstechniken mit einem Medienwandel (Kinnebrock/Schwarzenegger/Birkner 2015) zu tun, der neben der traditionellen massenmedialen Öffentlichkeit zusätzliche „digitale Öffentlichkeiten“ (Hahn/Hohlfeld/Knieper 2015) hervorgebracht und damit allem Anschein nach einen neuen strukturellen Wandel von Öffentlichkeit (Eisenegger 2021) eingeleitet hat. Insgesamt markieren die Verbreitung des Internets, das Aufkommen der Mobilkommunikation sowie das Entstehen neuer sozialer Medien und digitaler Plattformen (Meyer 2019) eine kommunikationshistorisch bedeutsame Zäsur, die unseren Kommunikationshaushalt förmlich revolutioniert hat. Davon wird in diesem Buch mehrfach die Rede sein, zumal noch kein Ende dieser Entwicklung absehbar ist. Das vorliegende Buch ist aber auch ein Schritt auf dem Weg zu einem Selbstverständnis der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Die Diskussion darüber ist eigentlich so alt, wie das Fach selbst, dennoch flammt sie bis heute immer wieder auf (näher dazu: Kap. 8). Das Buch knüpft an der Tradition unserer Disziplin insofern an, als es der massenmedial vermittelten, öffentlichen Kommunikation breiten Raum einräumt. Trotz der schleichenden digitalen Transformation nahezu aller Lebensbereiche sowie der Dauerpräsenz sozialer Medien in unserem Alltag, ist ein Ende der Massenkommunikation nämlich keineswegs in Sicht. Sowohl die Kommunikation über soziale Medien als auch die Massenkommunikation sind jedoch erst dann angemessen begreifbar, wenn man menschliche Kommunikation grundsätzlich ins Auge fasst, also auch über relevante Aspekte der Individualkommunikation Bescheid weiß. Einmal, weil Parallelen bzw. Entsprechungen zwischen beiden Realitäten existieren und darüber hinaus, weil Wechselbeziehungen nicht bloß evident sind, sondern auch in der bisherigen gesellschaftlichen Entwicklung immer wieder eine Rolle gespielt haben. Aus diesem Anspruch ergibt sich die inhaltliche Strukturierung des Buches. •Zunächst ist der Kommunikationsprozess in seinen Grundzügen zu reflektieren. Zu diesem Zweck wird ein Kommunikationsbegriff entwickelt, der die besondere Qualität der Humankommunikation zu erfassen vermag (2. Kapitel). •Dabei kommt man nicht umhin, das für den Menschen typische und auch am höchsten entwickelte Kommunikationsmittel etwas näher zu betrachten: die Sprache (3. Kapitel). •Die damit bereitgestellten Einsichten in die Besonderheiten der Humankommunikation sind Ausgangspunkt für eine Diskussion über die Bedeutung real stattfindender Kommunikationsprozesse für Mensch und Gesellschaft (4. Kapitel). Sowohl der Stellenwert von Kommunikation im Verlauf der Anthropogenese, als auch die Relevanz von Kommunikation als Sozialisationsfaktor stehen im Mittelpunkt. •Erst auf dieser Grundlage wird die Bedeutung von Massenkommunikation in unserer internetbasierten Kommunikationsgesellschaft ausgelotet (5. Kapitel). Diskutiert werden die normativen Ansprüche an Öffentlichkeit in demokratisch organisierten Gesellschaften sowie die Veränderungen, die daraus unter den Bedingungen steigender Digitalisierung und Plattformisierung erwachsen. •Breiten Raum nehmen sodann Erkenntnisse aus der (massen-)kommunikativen Wirkungsforschung ein – stets auch mit Blick auf neuere empirische Ergebnisse unter Einbeziehung des Internets (6. Kapitel). •Auf Basis all dieser Reflexionen, Einsichten und empirischen Befunde gilt...