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Burnett | Das verfallene Herrenhaus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 807 Seiten

Reihe: Reclam Taschenbuch

Burnett Das verfallene Herrenhaus

Roman

E-Book, Deutsch, 807 Seiten

Reihe: Reclam Taschenbuch

ISBN: 978-3-15-962312-2
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Szenen einer Ehe

Rosalie Vanderpoel, die naive Tochter eines New Yorker Millionärs, findet es zunächst sehr romantisch, den verarmten britischen Adeligen Sir Nigel Anstruthers zu heiraten und ihm auf sein einsames Anwesen Stornham Court zu folgen. Doch ihr Mann nutzt ihren Reichtum schamlos aus und bringt sie schließlich ganz unter seine Kontrolle. Nachdem ihre Familie lange nichts mehr von ihr gehört hat, bricht Rosalies jüngere Schwester Bettina nach England auf, um Nachforschungen anzustellen. Bald wird ihr klar, dass sie Rosalie aus ihrer Ehe retten muss …

Ein faszinierender Roman über Liebe, Gaslighting und soziale Konventionen – und die Wiederentdeckung eines zeitlosen Klassikers.
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Kapitel I Der Pendelverkehr webt sein Netz
Als durch den Pendelverkehr zunächst langsam und schwerfällig ein Netz von Ufer zu Ufer gewebt worden war, wusste niemand, dass es von der großen Hand des Schicksals gehalten und geführt wurde. Das Schicksal allein verstand die Bedeutung des Netzes, das es webte, seine ganze Macht und seine Stellung in der Weltgeschichte. Die Menschen hielten wenig von dem Netz und dem Weben, das da stattfand, und benannten beides mit anderen, weniger bedeutsamen Namen; noch waren sie sich nicht bewusst, welche Stärke der Faden hatte, der über den schäumenden, wogenden, bald grauen, bald blauen Ozean geworfen wurde. Das Schicksal und das Leben planten das Weben, und es schien allein den Zeitumständen geschuldet, dass der Pendelverkehr sich zwischen zwei Welten hin und her bewegte, die von einer Kluft getrennt wurden, die breiter und tiefer war als Tausende von Kilometern salzig tosender See: die Kluft eines bitteren Streits, der von Hass und dem Blutvergießen zweier Brüdervölker vertieft worden war. Zwischen den beiden Welten im Osten und im Westen gab es kein Bedürfnis, sich anzunähern. Beide blieben für sich. Diejenigen, die gegen das rebelliert hatten, was ihr Innerstes Tyrannei nannte, die verzweifelt gekämpft und Blut vergossen hatten, um sich zu befreien, wandten ihren unbesiegten Feinden strikt den Rücken zu, brachen mit allen Fesseln, die sie an die Vergangenheit ketteten, verwarfen das Band des gemeinsamen Namens, ihrer Verwandtschaft und ihres Ranges und begannen mit Todesverachtung ein neues Leben. Diejenigen, gegen die man rebelliert hatte, fanden die Revolutionäre zu leidenschaftlich in ihrer Entschlossenheit und zu unerbittlich in der Verteidigung ihrer Festungen, so dass sie einfach nicht zu besiegen waren. Naserümpfend segelten sie davon, zurück in ihre Welt, die doch so sehr die größere Macht zu sein schien. Sie stürzten sich in neue Schlachten, sie fügten neue Eroberungen und neuen Glanz zu den alten hinzu und schauten mit so etwas wie Verachtung auf den halbwilden Westen, den sie zurückgelassen hatten, damit er seine eigene Zivilisation aufbaute, und das ohne andere Hilfe als die Stärke seiner eigenen Hände und seiner kraftvollen unkultivierten Köpfe. Aber während die beiden Welten sich fern voneinander hielten, webte der Pendelverkehr langsam durch die große Hand des Schicksals eine Verbindung, zog sie zueinander hin und hielt sie fest, ohne dass sie es merkten, und was zunächst wie Spinnfäden dünn gewesen war, formte bald ein Netz, dessen Stärke sie nicht hätten berechnen können und das sich schwerlich ohne Tragödien und schlimme Katastrophen hätte durchtrennen lassen. Die Webarbeit war erst in ihren Anfängen und wuchs noch langsam, als unsere Geschichte begann. Dampfschiffe überquerten den Atlantik hin und her in beide Richtungen, aber sie machten ihre Reisen gemächlich, wenn auch mit heftigem Schlingern und all den Unbequemlichkeiten, die kleine Schiffe sich nun einmal leisten. Ihre Suiten und Decks waren noch nicht besetzt mit Leuten, für die die Reise ein Ereignis von vielen war – vielleicht sogar eines, das sie jedes Jahr erlebten. »Eine Überfahrt« war in jenen Tagen noch eine bedeutende Begebenheit, sie wurde akribisch geplant, lange vorher durchdacht, man sprach ausführlich darüber – und das nicht nur einmal – mit den verschiedenen Mitgliedern der Familie, zu der der Reisende gehörte. Man nahm an, dass einem Individuum, das New York, Philadelphia, Boston und dergleichen Städten den Rücken zuwandte und seinen Blick gen »Europa« richtete, eine gewisse Kühnheit anhaftete, die schon beinahe Leichtsinn genannt werden konnte. In diesen Tagen, als der Pendelverkehr noch gemütlich vor sich hin tuckerte, fuhr man nicht einfach nach London oder Paris oder Berlin, vielmehr machte man sich feierlich nach »Europa« auf. Da es wahrscheinlich war, dass der Reisende die Fahrt nur einmal im Leben unternehmen würde, nahm er sich vor, so viel wie möglich zu sehen, so viele Städte, Kathedralen, Ruinen und Galerien zu besuchen, wie seine Zeit und seine Börse es zuließen. Menschen, die mit einem gewissen Grad von Vertrautheit über den Hyde Park, die Champs-Élysées und den Pincio sprechen konnten, kam eine besondere Würde zu. Die Fähigkeit, mit einem Hauch von Intimität von diesen Orten reden zu können, war eine raison de plus1, zum Tee oder Dinner eingeladen zu werden. Fotografien oder Erinnerungsstücke zu besitzen, europäische Berühmtheiten gesehen zu haben – und sei es auch nur von ferne –, in den Gärten von Dichtern und den Häusern von Philosophen gewandelt zu sein, verdiente einen gewissen Respekt. Diese Epoche war noch weit entfernt von der Zeit, als der Pendelverkehr hin und her schoss, indem er schneller und immer schneller, Woche für Woche, Monat für Monat, neue Fäden in das Netz webte, Jahr für Jahr, Kette und Schuss, bis sie beide Ufer miteinander verbanden. Es geschah noch in den vergleichsweise frühen Tagen, dass der erste Faden, dem wir folgen, in das Netz eingewebt wurde. Viele seiner Art sind seitdem hinzugekommen und haben sich immer mehr verstärkt und ein festes Band aus Geschlecht, Heimbildung und Familiengründung gedreht. Doch dieser war ein dünner und schwacher, der nur aus dem Lebensfaden einer Tochter eines gewissen Reuben Vanderpoel bestand – dem der hübschen, kleinen, einfachen, deren Name Rosalie lautete. Sie – die Vanderpoels – gehörten zu den Amerikanern, deren Geschick und Reichtum Teil der Geschichte ihres Landes waren. Dieses aufzubauen hatte Epochen und Krisen geprägt oder gar geschaffen. Ihre Millionen konnte man eigentlich nicht Privateigentum nennen. Zeitungen erzählten davon, wenn man so will, verwendeten sie als Argumente, benutzten sie als Redewendung, bauten sie in ihre Kalkulationstechniken ein. Die Literatur verwies auf sie, Moralsysteme nutzten sie, in Geschichten für die Jugend wurden sie voller Ernst als vorbildlich beschrieben. Der erste Reuben Vanderpoel, der in den frühen, gefährlichen Tagen mit den Ureinwohnern Pelz- und Tierhandel betrieben hatte, wurde in den Geschichten über Sparsamkeit und Unternehmergeist als Held gelobt. Sein ganzes hart arbeitendes Leben hindurch war er immer von einem Genius des Handels unwiderstehlich angetrieben worden, aktiv zu werden, der sich zu Beginn in ungeheurem Mut beim Tauschhandel manifestierte. Sein wacher Geist, der den potentiellen Wert von Dingen erkannte, und die Möglichkeit, Menschen dazu zu bewegen, das zu tun, was er wollte, hatten ihm dabei wunderbar geholfen. Er hatte zu niedrigen Preisen Dinge gekauft, die in den Augen der weniger Scharfsichtigen wertlos waren, aber wenn er diese Dinge erst einmal besaß, dann wurde den weniger Scharfsichtigen stets klar, dass in seinen Händen der Wert dieser Dinge stieg und er Gelegenheiten fand, daraus Geld zu machen, die er auch nutzte. Nichts blieb unbrauchbar. Der praktisch denkende, schäbige, ungebildete kleine Mann entwickelte die Macht, Nachfrage für seine Waren zu schaffen. Wenn ihm einmal ein Fehler unterlief, so machte er ihn schnell wieder wett. Er konnte nahezu ohne irgendetwas leben und deswegen überall hinreisen auf der Suche nach den Dingen, die er haben wollte. Er konnte kaum lesen und schreiben und wusste nichts von Rechtschreibung, aber er war wagemutig und raffiniert. Sein ungeschultes Gehirn war das eines Financiers, sein Blut brannte im Fieber einer einzigen Begierde – der Begierde, Geld anzuhäufen. Geld war für ihn nicht zum Ausgeben da, sondern ausschließlich dazu, es in kleine oder große Besitztümer zu investieren, die in der nahen oder fernen Zukunft mit Profit verkauft werden konnten. Die Zukunft barg Faszination für ihn. Er kaufte nicht für sein eigenes Vergnügen oder seine eigene Bequemlichkeit, er kaufte nichts als das, was wieder verkauft oder getauscht werden konnte. Er heiratete eine Frau, die die Tochter eines Händlers war und seine Passion für das Geldverdienen teilte. Ihre Familie war aus Nordengland gekommen, ihr Vater war ein knauseriger kleiner Kaufmann in einer unwichtigen Stadt gewesen, der wagemutig genug gewesen war, zu emigrieren, als das noch bedeutete, unbekannten Gefahren in einem halbwilden Land gegenüberzutreten. Sie hatte Reuben Vanderpoels Bewunderung erlangt, als sie einmal an einem bitterkalten Wintertag ihren Unterrock auszog, um ihn einer Squaw im Tausch für ein Schmuckstück zu verkaufen, von dem sie wusste, dass eine andere Squaw dafür mit einer wertvollen Tierhaut bezahlen würde. Die erste Mrs Vanderpoel war genauso wundervoll wie ihr Gatte. Sie waren beide wundervoll. Sie waren die Begründer eines Vermögens, das eineinhalb Jahrhunderte später das Entzücken – im Grunde die pièce de résistance2 – von New Yorker Reportern werden würde, von dessen enormer Größe in runden Zahlen immer wieder berichtet wurde, wenn eine Spalte leer zu bleiben drohte. Die Art, wie man davon sprach, war unendlich vielfältig und immer wieder interessant für eine besondere Klasse, in der einige Individuen es ermutigend fanden, wenn man ihnen versicherte, dass so viel Geld ein persönlicher Besitz sein konnte, während andere die Tatsache als weiteres Argument dafür nutzten, gegen die Niedertracht des Monopols zu wettern. Der erste Reuben Vanderpoel vermachte seinem Sohn sein angehäuftes Vermögen und sein fiebriges Verlangen, Geld zu verdienen. Er hatte nur das eine Kind. Der zweite Reuben baute auf den Grundlagen, die ihm dadurch gegeben waren, ein Vermögen auf, das viel größer war als das erste, da das schnelle Wachstum und die zunehmenden...


Frances Hodgson Burnett (1849–1924) wurde in Nordengland geboren und lebte später in den Vereinigten Staaten. Mit ihren Kinderbüchern wie z. B. Der kleine Lord wurde sie zur gefeierten Bestsellerautorin.
Gerlinde Völker ist freie Übersetzerin und hat zuletzt Maria Edgeworth, Edgar Allan Poe und Edith Wharton ins Deutsche übertragen.
Angelika Zirker ist Professorin für Englische Literatur- und Kulturwissenschaft an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.


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