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Child Das Verhör

Eine Jack-Reacher Story aus "Der Einzelgänger"

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ISBN: 978-3-641-23944-2
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Der Mann im Krankenhausbett war riesig - bestimmt zwei Meter groß und muskelbepackt mit Händen wie Bratpfannen. Irgendjemand hatte ihm in die Brust geschossen. Bislang hatte er sich geweigert, mit irgendjemandem darüber zu reden, was geschehen war. Doch bei ihm hatte man einen Ausweis gefunden, sodass die Polizei wenigstens wusste, wie er hieß. Sein Name war Jack Reacher!

Lee Child wurde in den englischen Midlands geboren, studierte Jura und arbeitete dann zwanzig Jahre lang beim Fernsehen. 1995 kehrte er der TV-Welt und England den Rücken, zog in die USA und landete bereits mit seinem ersten Jack-Reacher-Thriller einen internationalen Bestseller. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Anthony Award, dem renommiertesten Preis für Spannungsliteratur.
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DAS VERHÖR
Es gibt Vorschriften und ungeschriebene Regeln, und ich lernte an meinem ersten Tag im Department beide kennen. Die ungeschriebene Regel besagte, dass neue Kriminalbeamte die unangenehmsten Jobs bekamen. Der an diesem Morgen daraus bestand, nach Vorschrift zu handeln: Die Krankenhäuser der Stadt mussten Schusswunden melden, und das Department musste ihretwegen ermitteln. Langweilige, meist erfolglose Arbeit. Aber Vorschrift war Vorschrift. Erst recht für eine Frau in einer Männerwelt. Also fuhr ich los. Natürlich bekam ich den schlechtesten Wagen ohne Navi und ohne Stadtplan im Handschuhfach, aber ich fand das Krankenhaus ganz leicht. Es war ein riesiger beiger Komplex südöstlich der Innenstadt. Ich wies meine glänzende neue Plakette vor und wurde in den vierten Stock geschickt. Keine richtige Intensivstation, sagten sie, aber etwas in dieser Art. Ernsthaft genug, dass ich mein Handy ausschalten musste. Eine Krankenschwester nahm mich in Empfang und brachte mich zu einer Ärztin, die silberne Strähnen im Haar hatte und klug und reich aussah. Sie sagte, ich sei leider vergeblich hergekommen. Der Verletzte schlafe und werde nicht so bald wieder aufwachen, weil er mit einer Spezialmischung sediert sei, die in meinen Ohren ziemlich gut klang. Aber ich war neu, ich musste einen Bericht schreiben, deshalb fragte ich nach ihrer Perspektive. »Schusswunde«, sagte sie, als wäre ich schwer von Begriff. »Linke Brustseite, unter der Achsel, hat eine Rippe gebrochen und Muskelfasern zerrissen. Nicht sehr nett. Daher die Schmerzmittel.« »Kaliber?«, fragte ich. »Keine Ahnung«, antwortete sie. »Jedenfalls kein Kleinkaliber.« Ich bat, den Patienten sehen zu dürfen. »Sie wollen zusehen, wie er schläft?« »Ich habe einen Bericht zu schreiben.« Sie ließ mich nicht zu ihm, weil sie eine Infektion befürchtete, aber ich durfte einen Blick durchs Fenster in der Tür werfen. Ich sah einen Mann, der fest schlafend auf einem Krankenbett lag. Ein sehr auffälliger Typ. Kurzes zerzaustes Haar, ein Allerweltsgesicht. Er lag auf dem Rücken, die dünne Decke zurückgeschlagen. Er war von der Taille aufwärts nackt. Sein Oberkörper steckte in einem Druckverband. In den Port auf seinem Handrücken führten dünne Schläuche, und er hatte ein Messgerät am Finger. Auf seinem Monitor war eine Sinuskurve zu erkennen. Sein Herz schlug regelmäßig und kräftig. Das war zu erwarten, denn der Kerl war fast größer als das Krankenbett. Bestimmt zwei Meter groß und hundertzehn Kilo schwer. Ein Gigant. Pranken wie Bratpfannen. Ein muskelbepackter Koloss. Nicht alt. Aber auch nicht jung. Er machte einen ziemlich mitgenommenen Eindruck, hatte zahlreiche Narben. Die auf seinem Bauch sah wie ein mit groben, unbeholfenen Stichen geformter riesiger Seestern aus. In der Brust eine alte Schusswunde. Ziemlich sicher Kaliber .38. Ein bewegtes Leben. Was einen nicht umbringt, macht einen stärker. Er schien friedlich zu schlafen. Ich fragte: »Irgendeine Idee, was passiert ist?« »Vermutlich nicht selbst zugefügt«, sagte die Ärztin. »Außer er ist ein Schlangenmensch.« »Ich meine, hat er Ihnen nichts erzählt?« »Er ist bei Bewusstsein eingeliefert worden, aber er hat kein Wort gesagt.« Ich fragte: »Hat er sich ausweisen können?« »Seine Sachen sind in einem Beutel«, antwortete die Ärztin. »Im Stationszimmer.« Der Beutel war ziemlich klein. Durchsichtiger Kunststoff, Reißverschluss. Wie Fluggäste sie beim Einchecken benutzten. Ganz unten etwas Kleingeld. Ein paar Bucks in Münzen. Darüber zusammengefaltete Geldscheine. Vermutlich ein paar hundert Dollar. Vielleicht auch mehr. Das hing von der Stückelung ab. Außerdem eine Bankkarte. Ein verknitterter alter Pass. Und zuletzt eine Reisezahnbürste, die so zusammengeklappt war, dass die Borsten in einem Plastikröhrchen steckten. »Ist das alles?«, fragte ich. »Glauben Sie, dass wir unsere Patienten bestehlen?« »Kann ich mir das Zeug mal ansehen?«, fragte ich. »Sie sind der Cop«, sagte die Ärztin. Die Bankkarte war auf J. Reacher ausgestellt und noch ein Jahr gültig. In dem vor drei Jahren abgelaufenen Pass stand der Name Jack Reacher. Nicht John. Also musste Jack auf seiner Geburtsurkunde gestanden haben. Kein zweiter Vorname, was in den USA ungewöhnlich war. Das Passfoto entsprach ungefähr dem Gesicht, das ich im Bett gesehen hatte. Es war dreizehn Jahre jünger, und sein Gesichtsausdruck wirkte ungeduldig, als würde er dem Fotografen die benötigte Zeit zubilligen, aber keine Sekunde länger. Kein Führerschein, keine Kreditkarten, kein Handy. Ich fragte: »Was hat er angehabt?« »Billige Sachen«, sagte die Ärztin. »Wir haben sie verbrannt.« »Warum?« »Infektionsgefahr. Manche Stadtstreicher im Park sind besser angezogen.« »Ist er obdachlos?« »Er hat wie gesagt kein Wort gesprochen. Wer weiß, vielleicht ist er ein exzentrischer Milliardär?« »Er scheint gut in Form zu sein.« »Außer dass er dick verbunden im Krankenhaus liegt, meinen Sie?« »Generell, meine ich.« »Gesund wie ein Ross. Stark wie ein Pferd.« »Wann wacht er wieder auf?« »Vielleicht heute Abend. Ich habe ihm eine Pferdedosis gegeben.« Obwohl meine Schicht zu Ende war, fuhr ich noch einmal zurück. Unbezahlt, aber ich war neu und wollte einen guten Eindruck machen. Eigenartigerweise lag keine Meldung über eine Schießerei vor. Es gab auch keine Gerüchte. Keine weiteren Verletzten, keine Zeugen, keine Anrufe bei der 911. Was an sich nicht ungewöhnlich war. So war die Stadt eben. Ihr Bauch führte ein Eigenleben. Wie in Vegas. Was dort ablief, blieb dort. Ich verbrachte einige Zeit damit, die Datenbanken abzufragen. Reacher war kein häufiger Name, und ich rechnete mir aus, dass die Jack-ohne-Reacher-Kombination noch seltener sein würde. Aber es gab keine wirklichen Informationen. Oder um es anders auszudrücken: Alle Informationen waren negativ. Der Kerl hatte kein Telefon, kein Auto, kein Boot, keinen Wohnwagen, kein Kreditrating, kein Haus und keine Versicherungen. Rein gar nichts. Aus lange zurückliegender Zeit gab es Militärakten. In der Army war er bei der Militärpolizei gewesen, hauptsächlich bei der Criminal Investigation Division, ein vielfach ausgezeichneter Offizier, was in mir anfangs kameradschaftliche Gefühle weckte, bevor es anfing, mir Sorgen zu machen. Er hatte dreizehn Jahre ehrenhaft gedient, und nun war er obdachlos, war angeschossen worden und trug so billige Klamotten, dass das Krankenhaus sie hatte verbrennen müssen. Das war nichts, was man als junge Kriminalbeamtin an ihrem ersten Tag im Dienst hören wollte. Es war schon dunkel, als ich ins Krankenhaus zurückkam, aber oben im vierten Stock traf ich den großen Kerl wach an. Weil ich seinen Namen kannte, stellte ich mich ihm fairerweise vor. Um höflich zu sein. Ich erklärte ihm, ich müsse einen Bericht schreiben, denn der sei vorgeschrieben. Ich fragte ihn, was passiert sei. Er sagte: »Ich kann mich an nichts erinnern.« Was plausibel war. Ein physisches Trauma kann retrograde Amnesie nach sich ziehen. Aber ich glaubte ihm nicht. Ich hatte das Gefühl, er speise mich mit einer Ausrede ab. Ich begann zu begreifen, weshalb seine Akte so dünn war. Um unter dem Radar zu bleiben, muss man hart arbeiten. Was mir ehrlich gesagt nur recht war. Man hatte mich befördert, weil ich eine gute Vernehmerin war. Und ich mochte Herausforderungen. Ein früherer Freund meinte einmal, das müsse auf meinem Grabstein stehen: Jeder packt aus. Ich sagte: »Kommen Sie, helfen Sie mir ein bisschen.« Er erwiderte meinen Blick mit klaren blauen Augen. Woraus der Schmerzmittelcocktail, den er bekam, auch bestehen mochte – seine Denkfähigkeit beeinträchtigte er offenbar nicht. Sein Blick war sorglos und freundlich, aber auch ausdruckslos und gefährlich, klug und primitiv. Ich hatte das Gefühl, er kenne hundert Möglichkeiten, mir zu helfen, und hundert Methoden, mich zu liquidieren. Ich sagte: »Ich bin neu in diesem Job. Heute ist mein erster Tag. Wenn ich nicht liefere, krieg ich einen Tritt in den Hintern.« »Was schade wäre«, sagte er. »Weil’s ein sehr hübscher Hintern ist.« Dafür wäre er im Department zu einem Antisexismusseminar verdonnert worden, aber ich durfte keinen Anstoß nehmen. Er lag verletzt und hilflos da, war halb nackt und verströmte einen gewissen Charme. »Sie waren ein Cop«, sagte ich. »Das weiß ich aus Ihrer Akte. Sie haben in einem Team gearbeitet. Haben Sie mal jemandem den Arsch gerettet?« »Gelegentlich«, sagte er. »Gut, dann retten Sie jetzt meinen.« Er schwieg. »Wie hat alles angefangen?« »Es ist spät«, sagte er. »Haben Sie kein Zuhause, das auf Sie wartet?« »Haben Sie eines?« Er gab keine Antwort. »Wie hat alles angefangen?«, fragte ich nochmals. Er seufzte, atmete tief durch, was schmerzhaft sein musste, und sagte, es habe angefangen, wie solche Dinge meist anfingen. Indem sie eigentlich gar nicht anfingen. Er sagte, in den meisten Bars gehe es ruhig und friedlich zu. Er sagte, in den meisten passiere nie etwas. Ich fragte ihn, wie er das meine. Er sagte, in Groß- und Kleinstädten mache er sein Ding, ohne irgendwie aufzufallen. Er aß seine Mahlzeiten, schlief, duschte und wechselte seine Kleidung und sah, was er sah. Manchmal hatte er Glück und konnte sich eine Stunde lang unterhalten. Manchmal hatte er Glück und fand eine Gefährtin für eine Nacht. Aber meistens passierte nichts. Er sagte, er führe ein ruhiges Leben. Er sagte, zwischen Tagen zum Vergessen lägen oft Monate. Aber falls etwas...


Child, Lee
Lee Child wurde in den englischen Midlands geboren, studierte Jura und arbeitete dann zwanzig Jahre lang beim Fernsehen. 1995 kehrte er der TV-Welt und England den Rücken, zog in die USA und landete bereits mit seinem ersten Jack-Reacher-Thriller einen internationalen Bestseller. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Anthony Award, dem renommiertesten Preis für Spannungsliteratur.


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