E-Book, Deutsch, 201 Seiten, kartoniert
Reihe: Systemische Therapie
Clement Dynamik des Begehrens
3. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8497-8026-5
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Systemische Sexualtherapie in der Praxis
E-Book, Deutsch, 201 Seiten, kartoniert
Reihe: Systemische Therapie
ISBN: 978-3-8497-8026-5
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Dieses Buch stellt die sexuell handelnde, fühlende und denkende Person in den Mittelpunkt. Selbstbestimmung geht vor Symptombesserung, "Sein" vor "Tun". Insbesondere Störungen des sexuellen Verlangens werden in ihrer Bedeutung für die Selbstachtung als Mann oder Frau untersucht und therapeutisch zugänglich gemacht.
Ulrich Clement interessiert sich dabei nicht nur für Gemeinsamkeiten, sondern auch für Gegensätze und Unterschiede der Partner und deren Ambivalenzen. Jenseits des trivialen Bekenntnisses "Sex macht Spaß" geht es ihm vielmehr um den Sex, der es wert ist, gewollt zu werden.
Dem bekannten Sexualwissenschaftler gelingt damit ein Aufklärungsbuch für Therapeuten. Sachlich fundiert, wissenschaftlich untermauert und mit gutem Humor klopft der Autor alle Facetten systemischer Sexualtherapie ab.
Zielgruppe
Mitarbeiter in Beratungsstellen
Paar- und Sexualtherapeuten
Familientherapeuten
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Systemische Beratung & Therapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Familientherapie, Paartherapie, Gruppentherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologische Disziplinen Sexualpsychologie
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Einleitung: Sex im Gegenteil;10
2.1;Dramaturgie der Gegensätze;11
2.2;Antagonismen;13
2.3;Das Ja und das Nein zum Sex;13
2.4;Interesse;15
2.5;Elf Kapitel, zehn Leitunterscheidungen;17
3;1 Sexualtherapie und der Versuch, einzufangen;19
3.1;Der akademische Trend: Qualitätskontrolle;20
3.2;Wirklichkeitskonstruktionen des sexuellen Begehrens;21
3.3;Fehlende Lust: Diagnostik des Mangels;22
3.4;Sexuelle Sucht: Diagnostik des Zuviel;24
3.5;Die Trivialitätskrise;25
4;2 Vom sexuellen Tun zum sexuellen Sein – und zurück;29
4.1;Sexuelle Motive;34
4.2;Sexuelle Befriedigung;38
4.3;Exkurs: Empirische Messung sexueller Befriedigung;39
4.4;Die kognitive Konstruktion von Zufriedenheit;41
4.5;Fragen zur sexuellen Befriedigung (Fokus: Erlebnisse);47
4.6;Fragen zur sexuellen Zufriedenheit (Fokus:Durchschnitt);48
5;3 Sexuelle Ressourcen;49
5.1;Trieb und Ressourcen;49
5.2;Was ist eine sexuelle Ressource?;51
5.3;Ressourcen der Vergangenheit, der Gegenwart;54
5.4;Ressourcenorientierte Interventionen in der Sexualtherapie;57
5.4.1;(1) Das ressourcenorientierte Interview;58
5.4.2;(2) Das Liebhaber-/Geliebten-Profil oder: Ich bin nicht mein Symptom;59
5.4.3;(3) Die Selbst-Ernennung;61
6;4 Das Nein zum Sex;64
6.1;Exkurs: Das männliche und das weibliche Nein;65
6.2;Varianten des Nein;69
6.3;Erotische Barrieren als Übergangskompetenz;70
6.4;Das Dual-Control-Modell: Das Nein als funktionale Hemmung;74
6.5;Hemmung als Ressource – Nein als Kompetenz;76
6.6;Therapie;79
6.7;Interventionen, die Lustlosigkeit als Problem fokussieren;81
6.8;Interventionen, die Lustlosigkeit als Kompetenz fokussieren;82
7;5 Innen und außen: Bedeutungen und Handeln;85
7.1;Sexuelle Skripte;85
7.2;Sexuelles Verhalten und sexuelle Bedeutungen;89
7.3;Feste Kopplung von innen und außen;89
7.4;Lose Kopplung von innen und außen;90
7.5;Veränderung von Skripten: Assimilation und Akkommodation;91
7.6;Oszillieren zwischen Assimilation und Akkommodation;95
8;6 Das Dauerthema: Nachhaltige Erotik;97
8.1;Das Dilemma: Berechenbarkeit und Lebendigkeit;98
8.2;Paardynamik von Bindung und Autonomie;100
8.3;Bindungssicherheit und Erotik;104
8.4;»Sicherung« durch Stagnation;105
8.5;Exkurs: Das innere Familiensystem in der Sexualtherapie;107
8.6;Exkurs: Bindungssicherheit und erotisches Sprechen;109
8.7;Reise in den erotischen Raum;112
8.8;Therapie: Das Zwei-Schritte-Konzept;115
9;7 Ambivalenzen des sexuellen Begehrens;119
9.1;Sexuelle Lustlosigkeit;119
9.2;Exkurs: Das Ideale Sexuelle Szenario (ISS);122
9.3;Zwei Systeme: Werte und Begehren;127
9.4;Paardynamik der Ambivalenz:;130
10;8 Sexuelle Beziehungsangebote – Geben und Nehmen;134
10.1;Geben und Nehmen: Form und Inhalt;137
10.2;Geben als Haltung;140
10.3;Die andere Seite des Gebens: Annehmen;143
11;9 Nehmen und Genommenwerden;147
11.1;Sexualpartner und Sexualobjekt;147
11.2;Die Unwiderstehlichkeitsfantasie und der;149
11.3;Objekt: Politischer und sexueller Diskurs;151
11.4;Männliches Begehren;152
11.5;Hingabe;158
11.6;Partner als Subjekt und Partner als Objekt;161
12;10 Sexuelle Fantasien;163
12.1;Geschlechtsunterschiede;163
12.2;Funktion von Fantasien: Kompensation, Kreativität, Antizipation;169
12.3;Von der Perversion zur »normalen« Erregung;172
12.4;Analyse von Fantasien;176
12.5;Und wenn keine Fantasien zu erkennen sind?;177
13;11 Bewegungen;179
13.1;Die schließende Bewegung: von der Mehrdeutigkeit;179
13.2;Die öffnende Bewegung: von der Eindeutigkeit;180
13.3;Öffnen und schließen;181
13.4;Innehalten;184
14;Sex, öffnen, schließen, innehalten: Ein sparsames Schlusswort zu einem großen Gedanken;189
15;Verzeichnis der Tabellen;190
16;Verzeichnis der Interventionen;191
17;Literatur;193
18;Über den Autor;202
1 Sexualtherapie und der Versuch, das Begehren einzufangen Psychotherapeutische Pflanzen wachsen auf verschiedenen Feldern. In den geordneten Gewächshäusern der universitär verankerten Therapien wird Klarheit und Ordnung gepflegt. Dabei mag es oft steril zugehen, aber immerhin wissen die Gärtner, was sie tun. Ganz anders die Flora der außeruniversitären Psychotherapien in einer schnell wuchernden (und verwelkenden) Dschungellandschaft verästelter Schulen, die in ihren Details kaum jemand überschaut. Eigentlich könnten sie sich gut ergänzen: Das beschneidende gehört ebenso wie das wuchernde Prinzip zu einer lebendigen Botanik. Wenn, ja wenn sie sich gegenseitig wahrnehmen würden. Tun sie aber nicht. Dabei sind sie aufeinander angewiesen. Die meisten therapeutischen Innovationen sind außerhalb der Universitäten entstanden. Diese haben dann später ihrerseits den nicht so kreativen, aber notwendigen Part der empirischen Qualitätsprüfung übernommen. In dem Bemühen, Hafer und Spreu zu trennen, kapriziert sich die prüfende empirische Forschung mit hochgezogener Augenbraue auf eine Vermeidung von Falsch-positiv-Aussagen (nichts behaupten, was unzutreffend sein könnte). Sie wäre freilich brotlos, wenn nicht irgendwo anders ein Wildwuchs von Substanz und Quatsch wachsen würde, der überhaupt auseinandergehalten und geprüft werden kann. Dafür braucht es die theoretische und praktische Risikofreude der Innovateure, die froh und überzeugt ihre Konzepte in die Welt bringen und sich wenig um das Falsch-positiv-Risiko kümmern. Diese unterschiedlichen Felder entwickeln sich nicht synchron. Naturgemäß sind die Innovateure den Prüfern eine gewisse Zeit voraus. Das kann dazu führen, dass die kritische Evaluation Ergebnisse liefert, die auch ohne empirische Prüfung bereits Allgemeingut sind, und das zu einem Zeitpunkt, an dem die neuen Ideen schon woanders unterwegs sind. Das ist auch in der Sexualtherapie zu beobachten. Hier zeigt sich ein interessanter Prozess, wie auf der einen Seite versucht wird, Komplexität zu reduzieren, damit aber ungewollt eine rational begründete Sterilität erzeugt wird. Auf der andern Seite wuchern neue Ideen, die sich dem akademischen Ordnungsbestreben entziehen. Der akademische Trend: Qualitätskontrolle In dem führenden sexualwissenschaftlichen Journal, den Archives of Sexual Behavior, war 2009 ein bemerkenswertes Positionspapier erschienen. Mit dem scheinbar fragenden, aber provokant gemeinten Titel »The future of sex therapy: specialization or marginalization?« stellten die Autoren Yitzhak Binik und Marta Meana infrage, ob eine eigenständige Disziplin »Sexualtherapie« ihre fachliche Berechtigung habe. Handelt es sich um eine sinnvolle Spezialisierung oder eine problematische Außenseiter-Position? Darin machen sie vor allem drei Argumente geltend: Es gebe keine einheitliche Theorie des Faches. Es gebe keine spezifischen Interventionen und kein spezifisches Setting. Es gebe einen Mangel an Wirksamkeitsnachweisen. Aus ihrer Kritik leiten sie unter anderem ab, dass die Behandlung sexueller Funktionsstörungen keine eigene Disziplin begründe, sondern als integraler Bestandteil der allgemeinen Psychotherapie zu verstehen sei: Deshalb sollten Sexualtherapeuten mit ihrer selbst gewählten Abgrenzung vom allgemeinen psychotherapeutischen Geschehen aufhören und lieber im allgemeinen Therapiegeschäft mitmischen. Dazu gehöre, dass sie ihre wissenschaftlichen Hausaufgaben machen und mehr randomisierte Outcome-Studien (RCT) durchführen sollten. Das Papier ist umso interessanter, als es zu einem Zeitpunkt erscheint, an dem Sexualpsychotherapie und Sexualmedizin durch eine seit Jahrzehnten nicht gekannte Konjunktur an empirischen, theoretischen, psychotherapeutischen und pharmakologischen Innovationen belebt sind, die noch nicht ihren Höhepunkt erreicht haben dürfte. So lässt sich die Kritik als willkommene Einladung sehen, die Stärken der aktuellen Sexualtherapie – und die auch nicht gerade zu übersehenden Schwächen – sichtbar zu machen und zu kommentieren. Die drei Kritikpunkte, die sich übrigens nur auf die etablierten kognitiv-behavioralen Ansätze beziehen, hatte ich im Einzelnen an anderer Stelle diskutiert (Clement 2014a)4. Unterm Strich ist das Binik-Meana-Paper als provokanter Aufwecker zu bewerten, angesichts dessen sich die Sexualtherapie aber nicht zu verstecken braucht. Die klassische Sexualtherapie der Masters-Johnson-Tradition hat sich als Spezialgebiet legitimiert und etabliert. Freilich zeigt sich an dieser Aufzählung auch die andere Seite des Bewährten, nämlich dass sowohl die Einzeltechniken als auch die dahinterliegenden lerntheoretischen Konzepte nicht mehr ganz jugendfrisch sind. Das Problem liegt deshalb weniger in den von Binik und Meana betonten Punkten, sondern eher in der Stagnation dieses mittlerweile klassischen Ansatzes, die Leslie Schover und Sandra Leiblum schon vor zwei Jahrzehnten beklagt hatten (Schover a. Leiblum 1994). Wirklichkeitskonstruktionen des sexuellen Begehrens Aber die Zukunft hat schon begonnen. Einen ganz anderen, frischeren Einstieg in eine konstruktive Kritik der Sexualtherapie wählt die Kanadierin Peggy Kleinplatz (2012a), die den aufklärerischen Impetus der Sexualtherapie als Ausgangspunkt nimmt. Sie bemängelt, dass die Sexualtherapeuten sich lange auf konventionellen »Wahrheiten« ausgeruht hätten, die mittlerweile so weit Allgemeingut seien, dass die Sexualtherapie inspirationsarm im Mainstream mitschwimme und keinen Unterschied mehr mache. Solche Wahrheiten seien zum Beispiel: Sex sei natürlich und damit gut. Es gebe fundamentale Geschlechtsunterschiede zwischen Mann und Frau. Es gebe ein »korrektes« Niveau sexuellen Begehrens, nicht zu viel (Sucht), nicht zu wenig (Lustlosigkeit). Männer seien einfach, Frauen kompliziert. Sexuelle Beziehungen seien zu Beginn heiß und kühlten dann ab. Der Orgasmus müsse gut getimt sein: Männer sollten nicht zu früh kommen, Frauen könnten gar nicht zu früh kommen. Mit ihrer Kritik liegt sie nicht falsch. Die interessanten Ansätze der letzten Jahre, deren Interesse durchweg dem Großthema des sexuellen Begehrens gilt, sind alle außerhalb der Universitäten entstanden (z. B. Schnarch 2006; Perel 2004; Clement 2004; Kleinplatz 2012c). Kleinplatz‘ Kritik lässt sich vertiefen, wenn man mit einem systemischen Blick auf die Wirklichkeitskonstruktionen sexueller Störungen schaut, die in der sexualtherapeutischen Diagnostik erzeugt werden. Ich will das an zwei Beispielen zeigen. Fehlende Lust: Diagnostik des Mangels Welche Rolle der jeweilige sexuelle Zeitgeist für die Sexualtherapie spielt, lässt sich besonders prägnant an der diagnostischen Aktualisierung der sexuellen Lustlosigkeit illustrieren, wie sie sich in den jeweiligen Revisionen des DSM darstellt: Implizites Modell DSM-III Inhibited sexual desire 1980 psychodynamisches Konfliktmodell DSM-III-R/DSM-IV5 Hypoactive sexual desire disorder6 (HSDD) 1987/1994 Sexuelle Aktivität ist gesund DSM-5 Female sexual interest/ arousal disorder7 Male HSDD 2013 Sex als Option; geschlechtsspezifische Kategorien Tab. 1: Wandel der Fokussierungen bei der Diagnose von Störungen der sexuellen Lust im DSM Das DSM-III hatte 1980 noch ein implizites Konfliktmodell zur Grundlage: »Inhibited sexual desire« geht von einem Spannungsfeld zwischen Begehren und Hemmung aus, unterstellt gewissermaßen wohlwollend, dass ein sexuelles Begehren vorhanden sei, das aber durch verschiedene Ängste oder kulturelle Normen gehemmt ist. In dieser Fassung kommt die Dramaturgie des klassischen Repressionsmodells der Sexualität zum Tragen: der sexuelle Trieb im Dauerkonflikt mit den gesellschaftlich-kulturellen Normen, die – wenn sie internalisiert werden – zur Symptombildung führen. Bereits in der revidierten Fassung des DSM-III-R (1987), dann im DSM-IV (1994) kommt eine ganz andere zeittypische Sichtweise zur Geltung: Die Störung »hypoactive sexual desire...