E-Book, Deutsch, Band 30, 184 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 215 mm
Deeg / Lehnert Nach der Volkskirche
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-374-05146-5
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gottesdienste feiern im konfessionslosen Raum
E-Book, Deutsch, Band 30, 184 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 215 mm
Reihe: Beiträge zu Liturgie und Spiritualität
ISBN: 978-3-374-05146-5
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die kirchliche Situation in den östlichen Bundesländern stellt die gottesdienstliche Feier vor ganz neue Herausforderungen. Zentrale Begriffe liturgiewissenschaftlicher Reflexion geraten in Schräglage: Was heißt Tradition, wenn deren Weitergabe abbricht? Wie kann Liturgie »wirken« ohne oder nur mit erodierten religiösen Bildungsgrundlagen? Was für eine liturgische Sprache ist gefordert? Unsere Vermutung ist, dass der ostdeutsche Kontext mit seinen tiefen Säkularisierungsbrüchen ein Sensor ist für grundlegende liturgische Entwicklungen in Mitteleuropa.
In Leipzig, einer Stadt, deren überwiegende Mehrheit keiner Kirche angehört, wurden zwei Kirchen neu gebaut: die katholische Propsteikirche St. Trinitatis (der größte katholische Kirchenneubau im Osten Deutschlands seit der Friedlichen Revolution) und die Universitätskirche. Der Band untersucht, ausgehend von den architektonischen, liturgischen und gemeindepraktischen Vorgaben dieser beiden Sakralräume, die Möglichkeiten gottesdienstlicher Gestaltungen in konfessionslosem Kontext. Zudem wird versucht, die Wirklichkeit hinter dem Adjektiv »konfessionslos« genauer zu fassen, um die liturgischen Herausforderungen besser zu verstehen.
[After the Majority Church (Volkskirche). Worshipping in a Non-Confessional Social Space]
The ecclesial situation in Eastern Germany confronts the church service with totally new challenges. Key terms of liturgical theology are involved: What is the meaning of tradition when it is not transmitted? How can liturgy be »effective« when there is no or only little religious knowledge? What kind of liturgical language is needed? The Eastern German context with its deep impacts of secularisation is perhaps a sensor for fundamental liturgical developments in Central Europe.
In Leipzig, where the majority of the population is not affiliated to any church, two new churches have been built: the catholic Provost Church of St. Trinitatis and the University Church. The present volume explores possible conceptions of church service in a non-confessional context, basing its reflections on the architectonical, liturgical and practical conditions of these two sacral spaces.
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SIND WIR »SÄKULAR« – UND WIE SIND WIR ES GEWORDEN?
Neue Beiträge zum Problem der Säkularisierung
Daniel Weidner
Dass Religion heute wieder intellektuell wichtig geworden ist, bedarf keines Nachweises: Im öffentlichen wie im wissenschaftlichen Diskurs der letzten Jahrzehnte sind Religionsfragen aktuell, so dass man sogar wieder von einem ›religious turn‹ spricht, einer weiteren von jenen Wendungen, die den Diskurs der Theorie und der Kulturwissenschaften bestimmen. Weniger selbstverständlich ist, dass damit auch ein Konzept wieder zentral wird, das schon fast vergessen schien: die ›Säkularisierung‹, deren Resultat die moderne Welt sein soll. Denn selbst wenn man heute eine ›Wiederkehr‹ der Religion konstatiert, impliziert das ja, dass Religion einmal verschwunden war, meist sogar darüber hinaus, dass sich die Religion in der einen oder anderen Weise in dieser Wiederkehr verändert hat, denn jede Wiederkehr ist eine Entstellung. Worin diese Entstellung oder jenes Verschwinden bestand oder besteht, wurde früher mit dem Ausdruck ›Säkularisierung‹ beschrieben, der eine eigenartige Geschichte hat. Gebildet um 1900, prominent geworden in den ideenpolitischen Debatten der Zwischenkriegszeit, dann in den sechziger und siebziger Jahren heftig diskutiert, schien der Begriff für einige Jahrzehnte verabschiedet worden zu sein: Er sei zu unscharf, zu ambig und auch zu tendenziös oder gar, mit einer Formulierung Hans Blumenbergs, eine Kategorie historischen Unrechts. Bis schließlich zeitgleich mit der Wiederkehr der Religionen heute wieder wie selbstverständlich von ›Säkularisierung‹ die Rede ist – als habe es jene Kritik niemals gegeben. Gerade in dieser stillen Wiederkehr, in der Selbstverständlichkeit des Begriffsgebrauchs, scheint freilich ein Problem zu liegen: Jeder wird zustimmen, dass die Moderne eine Epoche der ›Säkularisierung‹ sei, aber jeder wird etwas anders darunter verstehen. Diese Unschärfe wird dadurch gesteigert, dass ganz verschiedene Diskursstränge der ›Säkularisierung‹ im Spiel sind: Es gibt soziologische und religionswissenschaftliche Diskurse, historische und kulturhistorische Untersuchungen sowie schließlich auch philosophische Debatten, welche je anders von Säkularisierung sprechen. Darüber hinaus zeichnete sich in den letzten fünfzehn Jahren ein deutlicher Unterschied zwischen der europäischen und der nordamerikanischen Diskussion ab, der auch die verschiedenen – und scheinbar paradox verschränkten – Situationen der Religion widerspiegelt: Während in den USA der Staat gegenüber der Religion traditionell neutral ist, die individuelle Frömmigkeit in den letzten Jahrzehnten aber stetig zugenommen hat, gibt es in Europa häufig staatlich geförderte Religionen bei abnehmender individueller Frömmigkeit. Die neue Aktualität der Religion hat nun auch dazu geführt, dass die amerikanische und die europäische Debatte sich wechselseitig wahrnehmen und ihre jeweilige Form der Säkularisierung nicht mehr selbstverständlich als den einzigen oder paradigmatischen Weg in die Moderne voraussetzen – und gerade diese Öffnung könnte vielleicht eine weitere Öffnung nach sich ziehen, die über den Westen hinaus auch andere Religionen und andere Kulturen in den Blick nimmt. Ein großer Teil der hier vorgestellten Bücher sind denn auch Übersetzungen und implizit oder explizit auch Auseinandersetzungen mit der jeweils anderen ›Ausnahme‹ – und man kann hoffen, dass das in der Zukunft dazu führen wird, die Debatte über Säkularisierung aus den jeweiligen Verengungen zu befreien. 1. ON THE GROUND: DIE ENTWICKLUNG DER FRÖMMIGKEIT Die einfachste Frage, die sich angesichts der gegenwärtigen Debatte stellen mag, scheint zu sein, ob es denn ›wirklich‹ eine Rückkehr des Religiösen gibt. Ist die Frömmigkeit in den letzten Jahrzehnten stärker geworden? Ist eine Zunahme von Religiosität in der Gesellschaft zu beobachten? So einfach die Fragen scheinen, so schwer sind sie zu beantworten, wie das Buch »Die Rückkehr des Religiösen?« des Münsteraner Soziologen Detlev Pollack zeigt, das sich mit dem Wandel der Religion in Europa beschäftigt. Denn was Religion ›wirklich‹ ist, ist so umstritten, dass eine Theorie der Religion überhaupt erst deutlich macht, was religiös sein kann und wie es gemessen werden kann: Praktiken, Einstellungen, Sozialformen? Das ist umso komplexer, als die Theorien, die hierauf eine Antwort geben, ihrerseits die Kategorie der Säkularisierung und ihre Derivate voraussetzen. Das ist etwa bei Thomas Luckmanns Konzept der »unsichtbaren Religion« (darunter fällt alles Letztverbindliche) der Fall, aber auch bei der von Pollack bevorzugten luhmannianischen Antwort – Religion ist Bewältigung von Kontingenz unter Rückgriff auf die Unterscheidung von Immanenz und Transzendenz –, denn beide beruhen auf der Voraussetzung moderner Kontingenz. Pollack weiß um diese Schwierigkeiten und beginnt daher mit einer Diskussion dreier Modelle des religiösen Wandels: der alten These der Säkularisierung als Bedeutungsverlust, der These der Individualisierung und Pluralisierung des Religiösen und schließlich des neuerlich gerade mit Blick auf amerikanische Verhältnisse entwickelten Modells des religiösen Marktes, nach welchem gerade die Konkurrenz religiöser Angebote letztlich die Intensität religiösen Lebens belebt. Aber Pollack will es nicht bei einer reinen Theoriedebatte belassen, sondern die Daten sprechen lassen: Anhand einer Fülle von existierenden Erhebungen zu religiöser Praxis und zu religiösen Einstellungen in verschiedenen europäischen Ländern diskutiert er, welche der Theorien die religiöse Situation Europas am besten beschreibe. Man muss kein besonderer Anhänger von Umfragen sein – à la »Glauben sie an Gott? Wenn ja, mehr oder weniger als vor einem Jahr?« –, um unter den zahlreichen Aufstellungen und Korrelationen Interessantes zu finden: etwa dass 1992 weniger Befragte als 1967 an Jesu Krankenheilungen glaubten, dagegen mehr an ein Leben nach dem Tode. Was die theoretischen Modelle angeht, hat für Pollack jedenfalls die alte Theorie der Säkularisierung immer noch das »relative Recht«, denn die belebenden Wirkungen religiöser Konkurrenz seien in Europa so gut wie gar nicht zu beobachten, und auch die Pluralisierung und die Zuwendung zu neuen, idiosynkratischen Religionen falle recht gering aus und werde letztlich vom Trend der abnehmenden Bedeutung des Religiösen dominiert – das zeige sich etwa in Osteuropa, wo die kurze Welle der Kirchlichkeit wieder abebbe, und zwar umso mehr, je moderner die jeweiligen Länder seien. Das ist freilich insofern weniger bemerkenswert, als sich Pollack nicht nur deutlich an der Modernisierung als Leitkategorie orientiert (der im religiösen Feld eben weitgehend die Säkularisierung entspricht), sondern weil er auch von vornherein und konsequent Religion von den Einzelnen her fasst und die kulturellen Deutungsmuster demgegenüber als sekundär ausschließt. Dadurch kann Pollack zwar ganz überzeugend Indices bilden über die Nähe von Staat und Kirche – aber dann nicht erklären, wieso sowohl im laizistischen Frankreich als auch im traditionell staatskirchlichen Skandinavien der Grad an Säkularisierung so hoch ist – das, würde man wohl intuitiv sagen, sei wohl eine Frage der ›Kultur‹. Die Begrenzung auf die individuellen Einstellungen mag seine methodische Berechtigung haben, es spiegelt aber letztlich das Problem wider, das symptomatisch für den soziologischen Religionsbegriff zu sein scheint: dass dieser schwankt einerseits zwischen einer Repräsentation der Gesellschaft als solcher (im Sinne einer Durkheim'schen Zivilreligion) und andererseits der allerprivatesten Einstellung, welche ja durch die Befragungstechniken der isolierten Subjekte immer wieder betont wird. Dass man Religion auch anders konzipieren kann, zeigt der bei Pollack kurz diskutierte Ansatz der französischen Soziologin Danièle Hervieu-Léger: Sie fasst ›Religion‹ gerade als die Tradition, die die Weitergabe von (individuellen) religiösen Vorstellungen sichert; Religion ist also weder der Glaube der Einzelnen noch auch der unterstellte Zusammenhalt des großen Ganzen, sondern eine Kette des Gedächtnisses. 2. POLITISCHE RELIGION Einer der Indikatoren für die Rückkehr der Religionen ist ihre wachsende Bedeutung in der Öffentlichkeit. Die klassischen Säkularisierungstheorien hatten ja – das betonen gerade ihre Verteidiger – nicht notwendig das Verschwinden der Religion vorhergesagt, aber ihre Privatisierung und Individualisierung. Aber stimmt diese Diagnose? In Amerika wird schon länger eine Debatte über Religion in Politik und Öffentlichkeit geführt, die nach Deutschland zu bringen das explizite Ziel der von der Berliner Humboldt-Universität organisierten »Berliner Reden zur Religionspolitik« war, von der nun einige Bände publiziert vorliegen. Paul Nolte, Zeithistoriker aus Berlin, setzt sich in »Religion und Bürgergesellschaft« gerade mit diesem Öffentlich-Werden der Religion in Deutschland auseinander. Auch wenn das öffentliche Interesse an Religion nicht auf eine genuine Frömmigkeit zurückgehe – manches an ihm, so einige Seitenhiebe des Autors, sei wohl eher Ausdruck einer neuen Bürgerlichkeit –, sei es doch nicht nur Reaktion auf äußerliche Anlässe wie die Migrationsgesellschaft und das Erstarken des Islams. Es antworte vielmehr auf das Ende der klassischen Moderne und die gebrochenen Hoffnungen auf stetig wachsenden Wohlstand. Die Religion beerbe gewissermaßen den Staat, weil sie nicht nur wohlfahrtsstaatliche Funktionen erfüllt,...