Dostojewski | Der Idiot. Band 2 von 4 | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 2

Reihe: Das Myschkin-Experiment

Dostojewski Der Idiot. Band 2 von 4

Mit Anmerkungen (und einem Essay im letzten Band)
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96130-385-4
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Mit Anmerkungen (und einem Essay im letzten Band)

E-Book, Deutsch, Band 2

Reihe: Das Myschkin-Experiment

ISBN: 978-3-96130-385-4
Verlag: apebook Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Fürst Myschkin tritt nach einem fünfjährigen Sanatoriumsaufenthalt in die Petersburger Gesellschaft ein. Durch seine vorherige Isolation hat er sich kindlich wirkende Verhaltensweisen bewahrt, wodurch er in den Augen der anderen ein weltfremder Sonderling ist, den man bestenfalls belächelt. Dem intriganten Treiben sind seine Naivität, Offenheit und Ehrlichkeit wehrlos ausgesetzt, sein Ideal der gelebten Menschenliebe trifft auf Unverständnis. Myschkins Versuche, den Menschen zu helfen, wie auch seine Versuche, sich aus den gesellschaftlichen und persönlichen Verstrickungen, in die er gerät, zu befreien, sind zum Scheitern verurteilt. 'Der Idiot' zählt zu den bekanntesten Werken des russischen Schriftstellers Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821-1881). Der Roman wurde zuerst in Fortsetzungen zwischen 1868 und 1869 in der Zeitschrift 'Russki Westnik' veröffentlicht. Die vorliegende Ausgabe folgt der Übertragung ins Deutsche von Hermann Röhl (1851-1923), ist mit erläuternden Anmerkungen versehen und enthält im letzten Band zusätzlich einen Essay über Dostojewski vom österreichischen Schriftsteller und Literaturkritiker Hermann Bahr. Dieses ist der zweite von vier Bänden. Der Umfang entspricht ca. 250 Druckseiten.

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II
  Es war Anfang Juni, und das Wetter war in Petersburg schon eine ganze Woche lang außerordentlich schön gewesen. Jepantschins besaßen ein prächtiges eigenes Landhaus in Pawlowsk. Lisaweta Prokofjewna bekam es auf einmal mit der Unruhe und trieb zum Aufbruch; nach kaum zwei Tagen geschäftiger Tätigkeit zogen sie um. Einen oder zwei Tage nach dem Umzug der Familie Jepantschin traf Fürst Ljow Nikolajewitsch Myschkin mit dem Morgenzug aus Moskau ein. Es war niemand zu seinem Empfang auf dem Bahnhof erschienen; aber beim Aussteigen aus dem Waggon kam es ihm auf einmal so vor, als ob aus der Menge, die die mit dem Zug Angekommenen umdrängte, der seltsame, brennende Blick zweier Augen auf ihn gerichtet sei. Als er jedoch aufmerksamer hinschaute, konnte er nichts mehr wahrnehmen. Gewiß war es ihm nur so vorgekommen; aber es blieb doch bei ihm eine unangenehme Empfindung zurück. Zudem war der Fürst auch ohnedies traurig und nachdenklich und schien aus irgendeinem Grund in Sorge zu sein. Ein Droschkenkutscher fuhr ihn nach einem Gasthof in der Litejnajastraße. Das Gasthaus war sehr gering. Der Fürst erhielt zwei kleine, dunkle, schlecht möblierte Zimmer, wusch sich und kleidete sich um; dann ging er, ohne etwas zu genießen, eilig aus, wie wenn er Zeit zu verlieren oder jemanden nicht zu Hause zu treffen fürchtete. Wenn einer von den Leuten, die ihn vor einem halben Jahr bei seinem ersten Aufenthalt in Petersburg kennengelernt hatten, ihn jetzt gesehen hätte, so würde er vielleicht gefunden haben, daß sein Äußeres sich sehr vorteilhaft verändert habe. Und doch war das kaum der Fall. Nur die Kleidung war eine völlig andere geworden: er trug jetzt einen in Moskau von einem guten Schneider gearbeiteten Anzug; aber dieser Anzug hatte einen Fehler: er war gar zu sehr nach der Mode angefertigt (wie das gewissenhafte, aber nicht sehr talentvolle Schneider immer machen), und noch dazu für einen Menschen, der darauf nicht den geringsten Wert legte, so daß ein besonders Lachlustiger bei einem aufmerksamen Blick auf den Fürsten vielleicht Anlaß genommen hätte zu lächeln. Aber was kommt den Leuten nicht alles lächerlich vor. Der Fürst nahm eine Droschke und fuhr nach den Peski 1 . In einer der Straßen der Roschdestwenskaja fand er bald ein kleines Holzhäuschen. Zu seiner Verwunderung präsentierte sich dieses Häuschen äußerlich recht hübsch: es war sauber, gut in Ordnung gehalten und mit einem Vorgarten versehen, in welchem Blumen wuchsen. Die Fenster nach der Straße zu waren geöffnet, und aus ihnen wurde ein lautes, unaufhörliches Sprechen vernehmbar, ja fast ein Schreien, wie wenn jemand laut läse oder eine Rede hielte; ab und zu wurde diese Stimme durch das Lachen mehrerer anderer heller Stimmen unterbrochen. Der Fürst ging auf den Hof hinein, stieg ein paar Stufen hinan und fragte nach Herrn Lebedjew. »Da ist er«, antwortete die Köchin, die die Tür geöffnet hatte. Sie hatte die Ärmel bis zum Ellbogen aufgestreift und wies mit dem Finger nach dem »Salon«. In diesem Salon, der dunkelblau tapeziert war, und dessen sauberes Mobiliar einigen Anspruch auf Eleganz erhob (es befanden sich dort ein runder Tisch, ein Sofa, eine Bronzeuhr unter einem Glassturz, ein schmaler Spiegel am Fensterpfeiler und ein sehr altertümlicher kleiner Kronleuchter mit Glasprismen, der an einer bronzenen Kette von der Decke herabhing), mitten in diesem Zimmer stand Herr Lebedjew in eigener Person, mit dem Rücken nach dem eintretenden Fürsten zu, sommerlich gekleidet, ohne Rock, in bloßer Weste, und hielt, sich gegen die Brust schlagend, eine affektvolle Rede über irgendein Thema. Seine Zuhörer waren: ein fünfzehnjähriger Knabe, der ein recht lustiges, kluges Gesicht hatte und ein Buch in der Hand hielt, ein etwa zwanzigjähriges junges Mädchen, ganz in Trauerkleidung, mit einem Säugling auf dem Arm, ein dreizehnjähriges Mädchen, gleichfalls in Trauer, das sehr herzlich lachte und dabei den Mund gewaltig weit aufriß, und endlich ein sehr sonderbarer Zuhörer, ein auf dem Sofa liegender junger Mann von etwa zwanzig Jahren, sehr hübsch, mit langem, dichtem, dunklem Haar, großen, schwarzen Augen und einem kleinen Anflug von Bart. Dieser Zuhörer schien den Redenden häufig zu unterbrechen und ihm zu widersprechen, und darüber lachte wahrscheinlich das übrige Publikum. »Lukjan Timofejewitsch, Lukjan Timofejewitsch! So hör doch! Sieh doch mal her …! Na, bei euch ist auch alles vergebens!« Mit einer wegwerfenden Handbewegung ging die Köchin fort; sie ärgerte sich so, daß sie ganz rot geworden war. Lebedjew sah sich um und stand, als er den Fürsten erblickte, eine Weile wie vom Donner gerührt; dann stürzte er mit einem knechtischen Lächeln auf ihn zu, wurde aber unterwegs von neuem ganz starr und sagte nur: »Durch-durch-durchlauchtigster Fürst!« Aber wie wenn er immer noch nicht imstande wäre, seine Fassung wiederzugewinnen, drehte er sich auf einmal um und stürzte ohne jede Veranlassung zunächst auf das Mädchen in Trauer zu, das das Kind auf dem Arm hielt, so daß diese vor Überraschung und Schreck zurückschwankte; dann aber ließ er diese und stürmte auf das dreizehnjährige Mädchen los, das in der nach dem Nebenzimmer führenden Tür auf der Schwelle stand, und auf dessen Gesicht als Überrest des kurz vorhergehenden Lachens noch ein Lächeln lag. Sie hielt dem Anschreien nicht stand, sondern flüchtete sogleich in die Küche; Lebedjew stampfte hinter ihr her sogar mit den Füßen auf den Boden, um sie noch mehr zu erschrecken; aber als er dem Blick des Fürsten begegnete, der ihn verlegen ansah, sagte er zur Erklärung: »Nur … nur aus Ehrerbietung, hehehe!« »Aber Sie machen sich unnötige Mühe …«, begann der Fürst. »Sofort, sofort, sofort … schnell wie der Wind!« Damit lief Lebedjew rasch aus dem Zimmer hinaus. Erstaunt blickte der Fürst das junge Mädchen, den Knaben und den auf dem Sofa liegenden jungen Mann an, die alle drei lachten. Auch der Fürst fing an zu lachen. »Er ist gegangen, sich den Frack anzuziehen«, sagte der Knabe. »Es tut mir außerordentlich leid …«, begann der Fürst. »Ich dachte schon … Sagen Sie, ist er vielleicht …« »Sie meinen betrunken?« rief eine Stimme vom Sofa her. »Nicht die Spur! Er hat vielleicht drei bis vier Gläschen getrunken, na, oder auch fünf; aber was will das bedeuten? Das ist ja ganz normal!« Der Fürst wollte sich zu der vom Sofa herkommenden Stimme hinwenden; aber nun begann das junge Mädchen zu sprechen und fragte mit dem offenherzigsten Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht: »Vormittags trinkt er nie viel; wenn Sie in einer geschäftlichen Angelegenheit zu ihm hergekommen sind, dann reden Sie jetzt mit ihm; es ist gerade die rechte Zeit. Wenn er abends nach Hause kommt, dann ist er allerdings manchmal betrunken; aber jetzt weint er meistens bis in die Nacht hinein und liest uns aus der Heiligen Schrift vor, weil unsere Mutter vor fünf Wochen gestorben ist.« »Er ist wahrscheinlich deswegen weggelaufen, weil er noch nicht recht wußte, was er Ihnen antworten soll«, rief lachend vom Sofa her der junge Mann. »Ich möchte wetten, daß er vorhat, Sie zu betrügen, und sich jetzt überlegt, wie er es anzustellen hat.« »Erst vor fünf Wochen! Erst vor fünf Wochen!« fiel der zurückkehrende Lebedjew ein, der inzwischen den Frack angezogen hatte. Er blinzelte mit den Augen und zog ein Taschentuch aus der Tasche, um sich damit die Tränen abzuwischen. »Meine Kinder sind mutterlos!« »Aber warum kommen Sie denn in diesem zerlumpten Anzug herein?« sagte das Mädchen. »Da hinter der Tür haben Sie ja einen ganz neuen Oberrock liegen; haben Sie ihn nicht gesehen, nein?« »Schweig still, du Schwätzerin!« schrie Lebedjew sie an. »Willst du wohl!« Er trampelte wieder, um sie zu bedrohen, mit den Füßen. Aber dieses Mal lachte sie nur. »Warum versuchen Sie, mich zu erschrecken? Ich bin ja nicht Tanja; ich werde nicht davonlaufen«, sagte sie. »Sie werden noch unsere kleine Ljubow hier aufwecken, und dann wird sie noch Krämpfe bekommen … Weshalb schreien Sie denn so?« »Nein, nein, nein! Schweig, schweig …!« versetzte Lebedjew in größter Bestürzung, lief zu dem Kind hin, das auf dem Arm seiner Tochter schlief, und bekreuzte es mit erschrockener Miene mehrmals. »Herr Gott, erhalte sie mir; Herr Gott, erhalte sie mir! Das ist meine Kleinste, meine Tochter Ljubow«, wandte er sich an den Fürsten; »sie ist in legitimer Ehe von meiner unlängst verstorbenen Gattin Jelena geboren, die im Wochenbett starb. Und dieser Kiebitz hier ist meine Tochter Wjera, in Trauerkleidung. Und dieser, dieser, ja dieser …« »Nun? Bist du steckengeblieben?« rief der junge Mann. »So fahr doch fort! Sei nicht verlegen!« »Durchlaucht!« rief Lebedjew plötzlich mit Heftigkeit. »Haben Sie von der Ermordung der Familie Schemarin in den Zeitungen gelesen?« »Ja, ich habe davon gelesen«, erwiderte der Fürst einigermaßen verwundert. »Nun, das ist hier der wahre Mörder der Familie Schemarin; er ist es, er!« »Aber was reden Sie!« versetzte der Fürst. »Das heißt, im übertragenen Sinn gesprochen; er ist der künftige zweite Mörder einer künftigen zweiten Familie Schemarin, wenn es noch einmal eine solche geben wird. Darauf bereitet er sich jetzt schon vor …« Alle lachten. Dem Fürsten kam der Gedanke, Lebedjew mache vielleicht wirklich diese Winkelzüge und Seitensprünge nur deshalb, weil er seine Fragen voraussehe, nicht wisse, was er darauf antworten solle, und Zeit zu gewinnen suche. »Er revoltiert! Er stiftet Verschwörungen...



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