Dostojewski | Der Idiot | E-Book | www.sack.de
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E-Book, Deutsch, 862 Seiten

Dostojewski Der Idiot


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8496-1713-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 862 Seiten

ISBN: 978-3-8496-1713-4
Verlag: Jazzybee Verlag
Format: EPUB
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Der Idiot gehört zu den fünf bekanntesten Romanen Fjodor Dostojewskis, die zur Weltliteratur gezählt werden. Er wurde von Dostojewski in Genf 1867 begonnen und in Mailand 1868 beendet und erschien von Januar 1868 bis Februar 1869 in der Zeitschrift Russki Westnik. Der junge Fürst Myschkin, Titelheld des Romans, kehrt nach einem jahrelangen Aufenthalt in einer Schweizer Heilanstalt nach Sankt Petersburg zurück. Er leidet an Epilepsie (wie auch Dostojewski selbst), ist zwar den Jahren nach erwachsen, gleicht aber in emotionaler Hinsicht einem unerfahrenen Kind. Viele seiner Eigenschaften, die in der damaligen russischen Gesellschaft als 'idiotisch' angesehen werden, beruhen schlicht auf Myschkins eigenwilliger Ehrlichkeit und Vertrauensseligkeit. Er zeigt sich großmütig und ist immer bereit, gelassen zu verzeihen und das Beste in den Menschen zu sehen und zu fördern ... (aus wikipedia.de)

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V


Die Generalin war auf ihre Abstammung stolz. Wie mußte ihr da zumute sein, als sie so geradezu und ohne alle Vorbereitung hörte, daß dieser letzte Sprößling des Myschkinschen Fürstengeschlechts, über den ihr bereits einiges zu Ohren gekommen war, nichts weiter als ein kläglicher Idiot und beinah ein Bettler sei und Almosen annehme! Denn der General haschte bei der Schilderung, die er von ihm entwarf, nach Effekt, um gleich von vornherein das Interesse seiner Gattin für ihn zu erwecken, ihre Gedanken nach einer andern Seite abzulenken und infolge dieser Erregung der Frage nach dem Perlenschmuck zu entgehen.

Bei besonderen Ereignissen riß die Generalin gewöhnlich die Augen sehr weit auf, bog den Oberkörper etwas zurück und blickte, ohne ein Wort zu sagen, starr vor sich hin. Sie war eine hochgewachsene Frau, von gleichem Alter wie ihr Mann, mit dunklem, größtenteils schon ergrautem, aber immer noch dichtem Haar, mit etwas gekrümmter Nase, mager, mit gelben, eingefallenen Wangen und schmalen, welken Lippen. Ihre Stirn war hoch, aber nicht breit; die grauen, ziemlich großen Augen hatten mitunter einen recht ungewöhnlichen Ausdruck. Sie hatte früher die Schwäche gehabt, zu glauben, daß ihr Blick außerordentlichen Eindruck mache, und diese Überzeugung war ihr unausrottbar verblieben.

»Empfangen? Sie sagen, ich soll ihn empfangen, jetzt, auf der Stelle?«

Dabei riß die Generalin die Augen auf, so weit es nur ging, und blickte den vor ihr auf und ab gehenden Iwan Fjodorowitsch an.

»Oh, du brauchst mit ihm gar keine Umstände zu machen, liebe Frau, falls du überhaupt Lust hast, ihn zu sehen«, beeilte sich der General erläuternd hinzuzufügen. »Er ist das reine Kind und dabei so bemitleidenswert; er leidet an irgendwelchen Krankheitsanfällen; er kommt soeben aus der Schweiz, direkt von der Bahn, trägt einen sonderbaren Anzug, wohl nach deutscher Art, und hat überdies buchstäblich keine Kopeke in seinem Besitz; er weint beinah. Ich habe ihm fünfundzwanzig Rubel geschenkt und will ihm bei uns in einem Bureau eine kleine Stelle als Schreiber verschaffen. Und euch, mesdames, bitte ich, ihn zu bewirten, da er, wie es scheint, auch recht hungrig ist ...«

»Sie setzen mich in Erstaunen«, erwiderte die Generalin in derselben Art wie vorher, »hungrig und Anfälle! Was sind denn das für Anfälle?«

»Oh, sie wiederholen sich nicht oft, und überdies ist er sonst wie ein Kind, übrigens ein gebildeter Mensch. Ich wollte euch bitten, mesdames«, wandte er sich wieder zu seinen Töchtern, »ihn ein bißchen zu examinieren; es wäre doch gut, wenn man wüßte, wozu er zu brauchen ist.«

»Ex-a-mi-nie-ren?« fragte die Generalin in gedehntem Ton und ließ höchst erstaunt ihre Augen wieder von ihren Töchtern zu ihrem Mann und umgekehrt herüberrollen.

»Ach, liebe Frau, so mußt du das nicht auffassen ... übrigens ganz, wie es dir gefällig ist; ich wollte ihm eine kleine Freundlichkeit erweisen und ihn bei uns verkehren lassen; denn das ist beinahe ein gutes Werk.«

»Bei uns verkehren lassen? Aus der Schweiz kommt er?«

»Die Schweiz kann dabei nicht hinderlich sein; übrigens noch einmal: ganz wie du willst. Ich wünschte es deswegen, weil er erstens dein Namensvetter und vielleicht sogar ein Verwandter von dir ist, und weil er zweitens nicht weiß, wo er sein Haupt hinlegen soll. Ich dachte sogar, du würdest dich für ihn ein wenig interessieren, da er ja doch zu unserer Familie gehört.«

»Selbstverständlich, Mama, wenn wir mit ihm keine Umstände zu machen brauchen«, sagte Alexandra, die Älteste. »Überdies wird er von seiner Reise hungrig sein; warum sollen wir ihm da nicht etwas zu essen geben, wenn er nicht weiß, wo er bleiben soll?«

»Und obendrein ist er das reine Kind; man kann mit ihm noch Blindekuh spielen.«

»Blindekuh spielen? Wieso?«

»Ach, Mama, hören Sie doch, bitte, auf, sich so anzustellen!« unterbrach Aglaja sie ärgerlich.

Die Mittlere, Adelaida, ein lachlustiges Ding, konnte sich nicht länger halten und lachte los.

»Rufen Sie ihn her, Papa; Mama erlaubt es«, entschied Aglaja. Der General klingelte und gab Befehl, den Fürsten zu rufen.

»Aber nur unter der Bedingung, daß ihm jedenfalls eine Serviette um den Hals gebunden wird, wenn er sich an den Tisch setzt«, erklärte die Generalin. »Ruft Fjodor oder Mawra ... es soll einer hinter ihm stehen und auf ihn aufpassen, wenn er ißt. Verhält er sich denn wenigstens ruhig, wenn er seine Anfälle bekommt? Schlägt er nicht mit den Armen um sich?«

»Er ist sogar im Gegenteil sehr wohlerzogen und hat sehr gute Manieren. Etwas zu naiv ist er manchmal ... Aber da ist er ja selbst! Hier stelle ich euch den Fürsten Myschkin vor, den Letzten dieses Geschlechts, einen Namensvetter und vielleicht sogar Verwandten; nehmt ihn freundlich auf! Es findet gleich das Frühstück statt, Fürst; erweisen Sie uns also die Ehre ...! Mich aber entschuldigen Sie, bitte; ich habe mich schon verspätet und muß mich beeilen ...«

»Man weiß schon, wohin Sie es so eilig haben«, sagte die Generalin würdevoll.

»Ich muß eilen, ich muß eilen, liebe Frau; ich habe mich schon verspätet. Gebt ihm auch eure Alben, mesdames, damit er euch etwas hineinschreibt; er ist ein Kalligraph, wie man ihn selten findet, ein wahres Talent! Dort bei mir in meinem Arbeitszimmer hat er in altertümlicher Schrift geschrieben: ›Der Abt Pafnuti hat dies eigenhändig unterzeichnet‹ ... Nun, auf Wiedersehen!«

»Pafnuti? Abt? So warten Sie doch, warten Sie doch, wohin wollen Sie denn, und was ist das für ein Pafnuti?« rief die Generalin eigensinnig, ärgerlich und beinah in Aufregung ihrem davoneilenden Gatten nach.

»Ja, ja, liebe Frau, das war so ein Abt in alten Zeiten ... Aber ich muß zum Grafen; er wartet auf mich, schon lange; und vor allen Dingen: er hat mir die Zeit selbst bestimmt ... Auf Wiedersehen, Fürst!«

Der General entfernte sich mit schnellen Schritten.

»Ich weiß, zu welchem Grafen er es so eilig hat!« bemerkte Lisaweta Prokofjewna in scharfem Ton und lenkte gereizt ihre Blicke auf den Fürsten. »Ja, was war doch gleich?« begann sie, indem sie sich mürrisch und ärgerlich zu erinnern suchte. »Wovon redeten wir nur? Ach ja: was war das für ein Abt?«

»Mama!« begann Alexandra, und Aglaja stampfte sogar mit dem Füßchen.

»Stören Sie mich nicht, Alexandra Iwanowna!« schalt die Generalin, »ich will das auch wissen. Setzen Sie sich, Fürst, da auf diesen Sessel mir gegenüber; nein, hierher, rücken Sie mehr in die Sonne, ins Licht, damit ich Sie sehen kann! Nun also, was war das für ein Abt?«

»Der Abt Pafnuti«, antwortete der Fürst höflich und ernst.

»Pafnuti? Das ist interessant; also was war mit ihm?«

Die Generalin fragte ungeduldig, schnell, in scharfem Ton, ohne die Augen von dem Fürsten wegzuwenden, und als der Fürst antwortete, nickte sie zu jedem seiner Worte mit dem Kopf.

»Der Abt Pafnuti lebte im vierzehnten Jahrhundert«, begann der Fürst. »Er stand einem Kloster an der Wolga vor, in unserem jetzigen Gouvernement Kostroma. Er war durch sein frommes Leben weit und breit bekannt; er reiste auch zur Goldenen Horde, half die damals schwebenden Angelegenheiten ordnen und unterzeichnete ein Schriftstück; von dieser Unterschrift habe ich ein Faksimile gesehen. Die Schrift gefiel mir, und ich übte mich in ihr. Als der General vorhin sehen wollte, wie ich schriebe, um mir eine passende Stellung anzuweisen, schrieb ich einige Sätze in verschiedenen Schriftgattungen nieder und unter anderem auch den Satz ›Der Abt Pafnuti hat dies eigenhändig unterzeichnet‹ in der eigenen Schrift des Abtes Pafnuti. Das gefiel dem General sehr, und so hat er es denn jetzt erwähnt.«

»Aglaja«, sagte die Generalin, »merke es dir: Pafnuti! Oder notiere es dir lieber; ich vergesse dergleichen sonst immer. Übrigens hatte ich gedacht, die Sache würde interessanter sein. Wo ist denn diese Unterschrift?«

»Ich glaube, sie ist im Arbeitszimmer des Generals geblieben, auf dem Tisch.«

»Schickt doch gleich jemand hin und laßt sie herholen!«

»Ich werde sie Ihnen lieber...



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