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E-Book, Deutsch, Band 2015, 447 Seiten

Reihe: Tagung Junger Prozessrechtswissenschaftler

Effer-Uhe / Hoven / Kempny Einheit der Prozessrechtswissenschaft?

E-Book, Deutsch, Band 2015, 447 Seiten

Reihe: Tagung Junger Prozessrechtswissenschaftler

ISBN: 978-3-415-05741-8
Verlag: Richard Boorberg Verlag
Format: PDF
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Der Band dokumentiert die Beiträge der Tagung Junger Prozessrechtswissenschaftler am 18./19. September 2015 in Köln zum Generalthema 'Einheit der Prozessrechtswissenschaft?' und gibt wichtige Impulse für die Fortentwicklung des Prozessrechts in Deutschland.
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Der Schutz der Verfahrensgrundrechte in sog. Bagatellstreiten – prozessuale Einheit im Zivilverfahren und Impulse des französischen Rechts
Lars Bierschenk* A. Einführung B. Die Verfahrensgrundrechte und ihr zivilprozessualer Schutz I. Zum Bedeutungswandel der Verfahrensgrundrechte im Zivilprozess II. Entwicklungslinien korrespondierender Rechtsbehelfe III. Rechtsdogmatische und rechtstatsächliche Defizite der gegenwärtigen Situation C. Fortentwicklung des Rechtsbehelfssystems zum Schutz der Verfahrensgrundrechte I. Bestehende Ansätze: § 321a ZPO analog und § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO analog II. Historisch-vergleichender Blick auf das französische Zivilverfahrensrecht III. Versuch einer Lösung innerhalb des Instanzenzuges: § 544 ZPO analog? 1. Der hinkende Vergleich von ZPO und ArbGG im Recht der Berufungszulassung 2. Strukturelle Entsprechung von VwGO, SGG und ZPO in Zulassungsfragen 3. Neuere Entwicklungen im Rahmen der ZPO und Anforderungen der Verfassung D. Zusammenfassende Thesen und Ausblick A. Einführung
Eine Berufung ist im zivilgerichtlichen Verfahren nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 EUR übersteigt oder das Eingangsgericht die Berufung zugelassen hat, § 511 Abs. 2 ZPO. Dies gilt auch dann, wenn sich eine beschwerte Partei auf eine Verletzung ihrer Verfahrensgrundrechte stützt. In der Rechtspraxis wird bei fehlenden Berufungsvoraussetzungen häufig das Bundesverfassungsgericht zur Wahrung der Prozessgrundrechte in die Rolle einer „Superberufungsinstanz“1 gedrängt. Die Frage, inwiefern die ZPO die Möglichkeit einer effektiven fachgerichtlichen Kontrolle zur Wahrung der Prozessgrundrechte in sog. Bagatellstreiten bieten kann, ist Gegenstand des Beitrags. B. Die Verfahrensgrundrechte und ihr zivilprozessualer Schutz
In Form grundrechtsgleicher Rechte garantiert das Grundgesetz in Art. 101 Abs. 1 S. 2 und Art. 103 Abs. 1 ausdrücklich das Recht auf den gesetzlichen Richter und das Recht auf rechtliches Gehör.2 Der Parlamentarische Rat übernahm diese Verbürgungen noch eher beiläufig als Grundsätze, „die im Kern grundrechtsartigen Charakter tragen“ in die Verfassung.3 Während die subjektiv-rechtliche Qualität dieser Verfahrensgarantien mittlerweile anerkannt ist,4 stellt sich zunehmend die Frage nach der Legitimation und der Wahrung weiterer subjektiver Prozessgrundrechte.5 I. Zum Bedeutungswandel der Verfahrensgrundrechte im Zivilprozess
Bereits früh berücksichtigte das Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung der ausdrücklich normierten Verfahrensgrundrechte auch die Grundrechte des ersten Teils des Grundgesetzes6 und entwickelte zunächst für das Strafverfahren das Recht auf ein faires Verfahren.7 Ab den 1970er Jahren begann das Bundesverfassungsgericht damit, das Gebot effektiven Rechtsschutzes als Annex materieller Grundrechtspositionen im Zivilprozess zu etablieren.8 Parallel hierzu verstärkte sich die wissenschaftliche Diskussion über allgemeine Prozessprinzipien und ungeschriebene Prozessgrundrechte aller Verfahrensordnungen,9 die in jüngerer Zeit zunehmend unter Berücksichtigung der EMRK und der GRCh geführt wird.10 Der allgemeine Justizgewähranspruch11, das Willkürverbot12 und das Recht auf ein faires Verfahren13 sind als ungeschriebene Verfahrensgrundrechte mittlerweile anerkannt. Im Rahmen seines Gutachtens anlässlich des 70. Deutschen Juristentages 2014 entwarf Calliess das Modell einer modernen Ziviljustiz vor dem Hintergrund sowohl der geschriebenen als auch der ungeschriebenen Prozessgrundrechte.14 In der praktisch orientierten Literatur werden die Verfahrensgrundrechte bisweilen als „Fundgrube“ anwaltlicher Gestaltungsmöglichkeiten bezeichnet.15 Vor allem der allgemeine Justizgewähranspruch hat in der Rechtspraxis den Charakter einer prozessualen „Bündelungsnorm“16 angenommen und wird vom Bundesverfassungsgericht unter ergänzender Berücksichtigung des Fairness- und des Effektivitätsgrundsatzes als „allgemeines Prozessgrundrecht“ gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG bezeichnet;17 das Willkürverbot gemäß Art. 3 Abs. 1 GG tritt ergänzend hinzu.18 Die konkreten Einzelverbürgungen („Teilkonkretisierungen“19) der längst nicht mehr strikt voneinander zu trennenden Prozessgrundrechte sind Gegenstand einer stetig wachsenden Kasuistik und begleitenden wissenschaftlichen Systematisierung.20 II. Entwicklungslinien korrespondierender Rechtsbehelfe
Die dynamische Entwicklung und die stetig wachsende Bedeutung der Prozessgrundrechte finden auf der Ebene der Rechtsbehelfe vergleichsweise wenig Widerhall, obgleich das Bundesverfassungsgericht seit seinem grundlegenden Beschluss zur sog. „Pannenjudikatur“21 aus dem Jahr 1976 kontinuierlich die Einrichtung fachgerichtlicher Behelfe zum Schutz der Prozessgrundrechte fordert.22 Im Mittelpunkt der Diskussion stehen von Beginn an Urteile in sog. Bagatellverfahren, vorwiegend der Amtsgerichte, gegen die eine Berufung mangels Erreichung des erforderlichen Beschwerdewertes gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bzw. § 511a Abs. 1 S. 1 ZPO a. F.23 nicht gegeben ist.24 Während einige Land- und Oberlandesgerichte seit den 1980er Jahren in zunehmenden Fallkonstellationen eine „außerordentliche Berufung“ gegen Urteile zur Beseitigung von Verletzungen des rechtlichen Gehörs gewährten,25 beschränkten der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht derartige Ansätze auf das schriftliche (§ 128 Abs. 2 und 3 ZPO a. F.) und das vereinfachte amtsgerichtliche (§ 495a ZPO a. F.) Verfahren.26 Eine „außerordentliche Beschwerde“ zum Bundesgerichtshof wegen „greifbarer Gesetzwidrigkeit“ von Beschlüssen konnte sich bereits zuvor in der gerichtlichen Praxis etablieren, war jedoch nicht auf den Schutz prozessualer Grundrechte beschränkt.27 Unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes28 am 1. Januar 2002 entschied der Bundesgerichtshof, dass Rechtsbehelfe außerhalb der geschriebenen Rechtsordnung nicht mehr anzuerkennen seien. Zum Schutz des rechtlichen Gehörs gewähre die reformierte ZPO die Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO; darüber hinaus sei die Wahrung der Verfahrensgrundrechte im Revisionszulassungsgrund des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO („grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache“) angelegt.29 Auch das Bundesverfassungsgericht befand in einem Beschluss vom 30. April 2003, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Behelfe nicht (mehr) den verfassungsrechtlichen Geboten der Rechtssicherheit und der Rechtsmittelklarheit genügten.30 Infolge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte31 führte der Gesetzgeber im Jahr 2011 die Verzögerungsrüge gemäß § 198 GVG zur Kompensation von Verletzungen des Justizgewähranspruchs in Fällen unangemessen langer Verfahrensdauer ein.32 Außerhalb der Anwendungsbereiche der speziellen §§ 321a ZPO und 198 GVG können die Parteien eine Verletzung ihrer Verfahrensgrundrechte gegenwärtig nur mithilfe einer formlosen Gegenvorstellung zum iudex a quo und darüber hinaus im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen.33 III. Rechtsdogmatische und rechtstatsächliche Defizite der gegenwärtigen Situation
Die grundsätzliche Ablehnung ungeschriebener Rechtsbehelfe verband das Bundesverfassungsgericht mit der an den Gesetzgeber adressierten Forderung, fachgerichtliche Behelfe zum Schutz der Verfahrensgrundrechte in das Gesetz aufzunehmen.34 Zwar entwickelte das Verfassungsgericht seine Forderung vor dem Hintergrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör; eine sachliche Einschränkung lässt sich daraus aber nicht ableiten.35 Dies ergibt sich zum einen aus dem argumentativen Rückgriff des Bundesverfassungsgerichts auf den allgemeinen Justizgewähranspruch, welcher „die Verfahrensgrundrechte, insbesondere die des Art. 101 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG“ prozessual absichere, sowie zum anderen aus dem generellen Hinweis, dass die Verfassungsbeschwerde aufgrund ihrer besonderen Annahme- und Prüfungsvoraussetzungen nicht zu den fachgerichtlichen Rechtsbehelfen zähle.36 Die nach wie vor anerkannte Gegenvorstellung ist aufgrund ihres unförmlichen Charakters nicht geeignet, das Fehlen einer allgemeinen gesetzlichen Grundrechtsrüge zu kompensieren. So steht eine Gegenvorstellung nicht nur im Konflikt mit der materiellen Rechtskraft eines anzufechtenden Urteils,37 sondern ist auch außerhalb des Rechtsweges angesiedelt und setzt deshalb die Frist einer Verfassungsbeschwerde nicht erneut in Gang.38 Parteien, die eine Verletzung ihrer Verfahrensgrundrechte mithilfe einer Gegenvorstellung rügen, riskieren seit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. November 2008 den Verlust einer möglichen Verfassungsbeschwerde durch Fristablauf.39 Zusätzliche Probleme ergeben sich aufgrund des gesondert geregelten Schutzes allein des rechtlichen Gehörs durch...


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