E-Book, Deutsch, 153 Seiten
Ehmer Mitteleuropa
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8472-8610-3
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Vision des politischen Romantikers Constantin Frantz
E-Book, Deutsch, 153 Seiten
ISBN: 978-3-8472-8610-3
Verlag: tredition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Constantin Frantz, ein der heutigen Geschichts- und Sozialwissenschaft kaum noch bekannter politischer Philosoph, entwickelte aus dem Geiste der Romantik und des Deutschen Idealismus die Grundlagen einer Politik des Föderalismus, die von Deutschland ausgehen und sich in einem föderativ geeinten Mitteleuropa erfüllen sollte. Dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts setzte er einen abendländischen Universalismus als friedens- und ordnungspolitisches Prinzip entgegen.
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2. Die geistigen Grundlagen 2.1. Grundideen der politischen Romantik Der Föderalismus von Constantin Frantz erwuchs dem Wurzelboden mitteleuropäischen Geistes; denn er gründet sich auf die Philosophie des Deutschen Idealismus – vor allem Schellings – und auf die Staats- und Gesellschaftslehren der Deutschen Romantik. Die Romantik ist eine umfassende geistige Bewegung, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert überall in Europa auftrat als ein groß angelegter Versuch, dem rationalistisch-analytischen Geist der Neuzeit die Vision einer geistigen Welteinheit entgegenzustellen. Sie ist nicht bloß eine bestimmte Kunstrichtung oder Kunstauffassung, sondern vielmehr eine umfassende, alle Lebensbereiche durchdringende Weltanschauung. Philosophie, Religion, Kunst, Politik und Soziologie sind in ihr zu einer unlöslichen Einheit verknüpft.25 Will man die Romantik ihrem Wesen nach verstehen, so muss man sie als ein zusammenhängendes Ganzes verstehen. Eingrenzende Definitionen, knappe Formeln und Begriffe werden zu solch einem ganzheitlichen Verständnis nicht verhelfen. Und schwerlich wird man die romantische Weltanschauung in der Form eines starren Systems dargestellt finden, widerspricht doch das Systematisieren, das Definieren, das Ein- und Abgrenzen schon vom Ansatz her dem Geist der Romantik. Am ehesten noch versteht man das Wesen der Romantik, wenn man sie auffasst als Gegenbewegung und Gegenpol zu jenen Kräften, die das Antlitz der Neuzeit in entscheidender Weise geprägt haben: Aufklärung und Französische Revolution. In ihrer Opposition zum Geist der Moderne verbindet sie sich mit dem Erbe der Vergangenheit, mit allem historisch Gewachsenem und organisch Gewordenem. Insofern steht die Romantik in engem Zusammenhang mit dem politischen Konservatismus; auch mit dem nationalen Gedanken verbindet sie sich: gegenüber dem egalitären und kosmopolitischen Geist der Moderne betont sie die Besonderheit und Bodenständigkeit des Volkhaften. Vorbereitet durch die Dichterbewegung des Sturm und Drang, etwa von 1760 bis 1780, und durch den Pietismus sowie unter starkem Einfluss des Deutschen Idealismus hat die Romantik in den Jahren von 1790 bis 1830 eine eigene Entwicklungsgeschichte durchlaufen. Entwicklungsgeschichtlich kann man sie verstehen als einen über einen radikalen Individualismus und Subjektivismus zu sich selbst gekommenen Universalismus. Die Frühromantik, noch beeinflusst vom Geniebegriff des „Sturm und Drang“, war eine sujektivistische Aufbruchsbewegung. Streben nach Entgrenzung, Sehnsucht nach dem Unendlichen waren ihre treibenden Motive. Nachdem alle Tiefen der menschlichen Subjektivität, auch mit ihren Schatten- und Nachtseiten, durchschritten sind, findet sich in der Spätromantik das Subjekt als Teil eines höheren universalen Ganzen. Dieser Universalismus zeigt sich in der Idee einer alle Völker des Abendlandes umfassenden christlichen Universalmonarchie, und viele Romantiker bekehren sich am Ende ihrer Laufbahn zum Katholizismus (etwa Friedrich Schlegel 1808). Historisch wäre die Frühromantik in den Zeitraum von 1798 bis 1802 einzuordnen (geographische Schwerpunkte: Jena, Berlin), die Hochromantik in die Jahre von 1802 bis 1813 (Berlin, Heidelberg), und die Spätromantik in die Zeit von 1813 bis 1830 (München, Wien). Doch ist diese chronologische Einordnung nur eine ungefähre. Fließende Übergänge sind allenthalben festzustellen. Geistesgeschichtlich könnte man die Frühromantik als eine genialisch-subjektivistische, die Hochromantik als eine philosophische und die Spätromantik als eine theologische bzw. katholisch-universalistische Entwicklungsperiode verstehen. Nun wollen wir diesen Entwicklungsgang verfolgen, um tiefer in das Wesen der Romantik einzudringen und im Zusammenhang damit die Grundzüge der romantischen Staats- und Gesellschaftsideen darzustellen. Entscheidend für das Vorfeld und den Beginn der romantischen Bewegung war der Deutsche Idealismus in Gestalt des Philosophen Johann Gottlieb Fichte (1762–1814). Ja, man kann geradezu sagen: In der Begegnung mit Fichte und der Überwindung seiner ursprünglichen Position, durch Fichte selbst und durch den jungen Schelling, gelangt die Romantik erst zu einem Bewusstsein ihrer selbst. In dem Bemühen, über Kant hinauszugehen, hatte Fichte der menschlichen Subjektivität eine umfassende metaphysische Bedeutung verliehen. In den frühen Fassungen seiner WISSENSCHAFTSLEHRE führte er alles Sein und Bewusstsein auf einen letzten Grund zurück, auf ein „transzendentales Ich“, das in einem Akt freier „Tathandlung“ sich selbst und damit auch die Welt erschafft. Diese Lehre vom transzendentalen Ich, freilich religiös-mystisch umgedeutet, inspirierte die ersten Romantiker. Doch wollten diese in der reinen Subjektivität nicht stecken bleiben, sondern das Subjekt zum Universalen als dem höheren Ganzen in Beziehung setzen. Das Ich bedarf, um nicht im Solipsismus unterzugehen, eines Gegenpols: des Kosmos, der Gemeinschaft, der Menschheit. So schreibt Friedrich Schlegel (1772–1829), der eigentliche Pionier der Romantik: „Der Satz: das Ich soll sein, lautet in dieser besonderen Bestimmung: Gemeinschaft der Menschheit soll sein, oder das Ich soll mitgeteilt werden.“26 Ich und Menschheit, Individualität und Gemeinschaft, Subjektivismus und Universalismus sind zwei sich polar ergänzende Elemente der romantischen Weltanschauung. Die Entwicklung von der Früh- und Hochromantik zur Spätromantik ist nur eine Akzentverlagerung innerhalb einer von Anfang an gegebenen Polarität.27 Wesentlich hat zur Überwindung des Fichte'schen subjektiven Idealismus Schelling beigetragen. Von ihm empfing die romantische Bewegung die entscheidenden philosophischen Impulse. Ursprünglich selbst ein Anhänger Fichtes, mochte er doch nicht die Konsequenz der „Wissenschaftslehre“ akzeptieren, dass Geist und Bewusstsein nur dem „Ich“ vorbehalten sind, während die „Welt“ als bloßes Nicht-Ich erscheint. In dem Bemühen, Geistiges auch außerhalb des subjektiven menschlichen Bewusstseins zu finden, gelangte Schelling in den Jahren 1798 bis 1800 zu seiner Naturphilosophie. Das ganze Universum erscheint dort als ein lebendiger, durchgeisteter, allumfassender Organismus. Diesen All-Organismus nennt Schelling auch die „Weltseele“. Es handelt sich also um eine wesentlich pantheistische Naturphilosophie, die zusammen mit dem in ihr enthaltenen Begriff des Organischen zu einem festen Bestandteil der romantischen Weltanschauung wurde28. Bei der Betrachtung der Welt ist die Romantik hauptsächlich ästhetisch ausgerichtet. Die Welt soll nicht als bloßes Nicht-Ich, als tote Objekt-Welt genommen werden. Im Endlichen soll das Unendliche transparent werden: eine Aufgabe, die nur die Kunst zu leisten vermag. In diesem Sinne sagt Novalis (1772–1801): „Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung. (…) Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.“29 Trotzdem ist die Romantik kein unpolitischer Ästhetizismus. Wesentliche Elemente der romantischen Staats- und Gesellschaftstheorie sind bei der bisherigen Darstellung schon deutlich geworden: 1) die Synthese, oder besser, die Polarität von Individuum und Gemeinschaft, 2) der Begriff des Organischen, der aus der Schelling'schen Naturphilosophie übernommen und auf das Gebiet der Politik übertragen wird. Die politische Romantik verwarf vor allem die naturrechtliche Ansicht, die den Staat als einen bloßen „Vertrag“ betrachtet, den die ursprünglich isolierten Individuen aus Selbsterhaltungsinteresse und zur Förderung ihres Egoismus geschlossen hätten. In der Sicht der Romantik ist der Staat kein solcher Kontrakt, sondern eine historisch gewachsene, mit Individualität ausgestattete, physisch-geistige Ganzheit. Bahnbrechend für diese Auffassung war der englische Philosoph und Staatsmann Edmund Burke (1730–1797), dessen epochemachendes Werk BETRACHTUNGEN ÜBER DIE REVOLUTION IN FRANKREICH (1790) von Friedrich Gentz 1793 ins Deutsche übertragen wurde. Die folgenden Sätze Edmund Burke's drücken prägnant das Wesen der romantischen Staatsauffassung aus: „Kleine Privatkontrakte, die ein vorübergehendes Interesse herbeiführt, können nach Belieben wieder aufgehoben werden: aber es wäre frevelhaft, den Staatsverein wie eine alltägliche Kaufmannssozietät, wie einen unbedeutenden Gemeinhandel mit Pfeffer oder Kaffee zu betrachten, den man betreibt, solange man Lust hat, und aufgibt, wenn man seinen Vorteil nicht mehr absieht. Ein Staat ist eine Verbindung ganz anderer Art und von ganz anderer Wichtigkeit. Er ist nicht bloß eine Gemeinschaft in Dingen, deren die grobe tierische Existenz des vergänglichen Teils unseres Wesens bedarf, er ist eine Gemeinschaft in allem, was wissenswürdig, in allem, was schön, in allem, was schätzbar und gut und...