20 romantische Leseproben von Persephone Haasis, Manuela Inusa, Wladimir Kaminer, Katherine Webb und vielen weiteren Autoren des lit.Love-Festivals 2019
E-Book, Deutsch
ISBN: 978-3-641-26124-5
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mit Leseproben von: Nora Elias, Anne Freytag, Adrienne Friedlaender, Persephone Haasis, Lucinde Hutzenlaub, Manuela Inusa, Wladimir Kaminer, Lena Kiefer, Silvia Konnerth, Julius Kraft, Marie Lacrosse, Beate Maly, Beth O’Leary, Adriana Popescu, Brenda Strohmaier, Kristina Valentin, Jana Voosen, Katherine Webb, Meike Werkmeister, Annette Wieners
Autoren/Hrsg.
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? Dezember 1880
? Adela löste sich aus Carls Kuss und stieß einen tiefen Seufzer aus. Konnte sich das Leben vollkommener anfühlen? Der Atem stand zwischen ihren Mündern, dann küssten sie sich wieder. »Ich möchte mich deinem Vater erklären«, sagte er. Sie zögerte. »Das wünsche ich mir auch, wir müssen nur den passenden Zeitpunkt abwarten.« Sie hegte jedoch die Befürchtung, ihr Vater würde nicht einwilligen, denn er verfolgte grundsätzlich nur Pläne, die er selbst geschmiedet hatte. Und ein junger Mann, den er schon bei seinem ersten Auftauchen der Beachtung für nicht würdig erachtet hatte, würde niemals Gnade vor seinen Augen finden. »Was ist mit deiner Familie?« Vielleicht bestand Hoffnung, wenn Carls Vater jene Art Mann war, dem ihr Vater mit Respekt begegnete. »Mein Vater hat mir nie etwas verwehrt«, antwortete Carl. »Er wird mir auch diesen Wunsch nicht verweigern.« Adela nickte, obgleich ein stetes Unbehagen an ihr nagte, selbst bei Nacht, wenn sie in ihrem Bett lag und vergeblich Schlaf suchte. Ihr Vater plante etwas, das war offensichtlich, aber nicht einmal Justus war eingeweiht. Dass ihr Vater ein solches Geheimnis daraus machte, legte nahe, dass er mit ihrem Widerspruch rechnete. Nicht dass er viel darauf gab, aber es war ihm einfach lästig. Ohne seine Einwilligung zu heiraten war gewiss eine schöne Vorstellung, nichtsdestoweniger war es eben genau das – eine Vorstellung und somit nur ein Traum. Adela hätte diese Treffen mit Carl schon viel früher wieder beenden sollen. Aber es fühlte sich so wundervoll an, und ganz aufgeben mochte sie den Gedanken an eine Zukunft mit ihm eben doch noch nicht. Langsam spazierten sie am Waldsaum entlang, Arm in Arm, als dürfe jeder sehen, dass sie zusammengehörten. Dabei hatten sie diesen Treffpunkt gewählt, gerade weil sie wussten, dass niemand sie hier sehen würde. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, und der Atem stieg in weißen Wölkchen auf, während die Welt in einer frostkalten Stille zu verharren schien. Die Vorstellung gefiel Adela. Alles war regungslos, die Zeit blieb stehen und verschaffte ihnen einen endlos währenden Augenblick des Beisammenseins. Als der Moment kam, sich zu verabschieden, taten sie das eng umschlungen mit einem langen Kuss. Raben flatterten krächzend auf, und der endlos währende Augenblick war vorbei, die Welt hielt nicht mehr inne. »Wo, um alles in der Welt, ist Carl?«, fragte Johannes von Reichenbach an diesem frostkühlen Morgen. Fortgeritten, mit liebestrunkenen Augen, dachte Magdalena, schwieg jedoch und zuckte mit den Schultern. Sie stand in der Box ihrer Stute und streichelte die weichen Nüstern. Ein wenig beneidete sie Carl darum, einfach fortzureiten, in der Hoffnung, ein Mädchen zu treffen, in das er sich so unvermittelt verliebt hatte. Natürlich würde ihr Vater ihm eine solche Liaison, sollte sie ernst werden, nicht bewilligen, aber ein wenig träumen konnte man ja trotzdem. Die Position ihres Vaters machte es seinen Kindern schwer bis unmöglich, ihren Lebensweg selbst entscheiden zu können. »Ist er schon lange fort?«, fragte ihr Vater nun, und Magdalena zuckte mit den Schultern. Die Seide ihres teuren Kleides raschelte leise bei jeder Bewegung, ein seltsamer Missklang zwischen den Geräuschen mahlender Mäuler, dem leisen Schnauben, dem Klirren von Zaumzeug und dem Aufflattern im Gebälk. Ihr Vater murmelte etwas, das sie nicht verstand, das jedoch verärgert klang und zweifellos wenig schmeichelhaft für ihren Bruder war. Magdalena wandte sich wieder der Stute zu, murmelte Koseworte und lauschte der morgendlichen Geschäftigkeit. Im Herbst, nach der Ernte, hatten die Reitjagden stattgefunden, quer über ungepflügte Stoppelfelder und Wiesen, die vorher gemäht worden waren. Auf diese Weise waren lange Galoppstrecken möglich, und die Vorfreude auf die nächste Jagd vibrierte bereits in der Luft. Magdalena hatte an der Jagd selbst kein Interesse. Sie konnte zwar gut schießen, aber sie tat es nicht gerne. Vielmehr genoss sie den wilden Galopp über Wiesen und Felder, und da es in der Hand ihrer Mutter lag, ihr dieses Vergnügen zu verwehren, hatte Magdalena sich sehr folgsam und angepasst gegeben. Sie verließ den warmen Stall, in dem es nach Leder, Pferd und Stroh roch, und atmete die Schneeluft, als sie den Hof betrat, der still im blassen Licht des frühen Tages lag. Im Haus hatte die Geschäftigkeit schon vor Anbruch des Morgens begonnen, und auch in den Ställen war die Arbeit aufgenommen worden, aber der Hof schien erst langsam zu erwachen. Marie, die Magd, verließ durch den Seiteneingang die Küche, um im Hühnerstall die Eier zu holen. Der Bauer hatte die Milch bereits in aller Frühe gebracht, und obwohl Magdalena bei dem Gedanken an frisches Brot, Kaffee, Butter und süßes Kompott einen drängenden Hunger verspürte, hatte sie es nicht eilig, ins Haus zurückzukehren. »Du riechst nach Pferd«, begrüßte ihre Mutter sie, kaum, dass sie die Halle betreten hatte. »Wir leben ja auch auf einem Gestüt«, antwortete Magdalena und barg die Hände in den Falten ihres Kleides. »Wo ist dein Bruder?« »Grandeur steht nicht in der Box.« Das musste ihrer Mutter Antwort genug sein, und diese nickte nur und wies Magdalena mit einem knappen Nicken an, ins Speisezimmer zu gehen. Der Tisch war gedeckt, und auf der Anrichte standen Körbe mit frischem Brot, hauchdünn geschnittener Schinken, Süßrahmbutter, Kompott, Honig, Käse und Wurst. Außerdem Kannen mit Tee und Kaffee. »Guten Morgen, gnädiges Fräulein«, sagte Hanne, eines der Stubenmädchen. Derer hatten sie im Haus acht, allesamt adrett gekleidet in Kleider, die fein grau gestreift waren, mit weißen Schürzen und ebensolchen Hauben. Magdalena nahm Platz, als ihre Mutter gerade den Raum betrat und sich mit einem Blick davon überzeugte, dass alles ihren Wünschen entsprechend war. Kurz darauf folgte ihr Vater. Magdalena beobachtete, wie Hanne die Kaffeekanne von der wärmenden Haube befreite und Kaffee in eine Tasse aus weißem Porzellan einschenkte. Diesen servierte sie hernach dem Hausherrn und reichte Magdalena den Brotkorb sowie das Butterfässchen und das Kompott. »Halte dich gerade«, sagte ihre Mutter, und Magdalena drückte das Kreuz durch und nahm die Schultern zurück. Die bleiche Sonne malte durch die Gardinen hindurch ein Spitzenmuster auf das honigfarbene Parkett, durchbrochen von aufflatternden Schatten, als ein Rabe krächzend aufflog. In Magdalena vibrierte eine stete Unruhe, und sie frühstückte rasch, obwohl sie wusste, dass sie sich erst vom Tisch erheben durfte, wenn ihre Mutter dies erlaubte. Und wie immer war es, als erahnte diese, wie es in ihr aussah, und verlängerte absichtlich die erzwungene Ruhe. Dem Vater zuliebe beendete sie schließlich das Frühstück, und noch bevor sie Magdalena aufhalten konnte, hatte diese sich erhoben und war aus dem Raum geflohen. In der Kammer, wo Mäntel und Stiefel standen, zog sie sich an, streifte pelzgefütterte Handschuhe über die Hände und eine Mütze übers Haar. Zu guter Letzt wickelte sie einen Wollschal um und huschte hinaus in den winterlichen Morgen. Grete, die Tochter des Hausverwalters, kam über den Hof gelaufen. Seit ihrer Geburt, als klar war, dass sie nicht war wie andere Kinder, lief sie einfach so nebenher mit. Sie hatte leicht schrägstehende Mandelaugen wie eine Asiatin, ein flächiges Gesicht und sprach nicht richtig, auch weil sich von klein auf niemand so recht darum gekümmert hatte, dass sie es lernte. Dafür hatte sie ein sonniges Gemüt und umarmte die Menschen, die sie mochte. Magdalena gehörte zu diesen, und als sie ihr »Guten Morgen, Gretchen« zurief, kam die Zehnjährige auf sie zugelaufen und drückte sie überschwänglich an sich. Magdalena löste sich sanft von ihr, schob ihr die wirren Haarsträhnen aus dem Gesicht und setzte ihren Weg fort. In den Stallungen herrschte emsige Geschäftigkeit. Das Gut hatte über vierhundert Gestütsbedienstete und weitläufige Stallungen und Ländereien. Alles stand im Dienst der edlen Pferde, der ganze Stolz der von Reichenbachs. Die Region mit ihren futterwüchsigen Böden und den natürlichen Weiden war ideal für die Zucht. Magdalena hatte schon auf einem Pferd gesessen, bevor sie laufen konnte. Ihr Vater hatte sie oft vor sich in den Sattel gesetzt und festgehalten, wenn er über die Ländereien ritt. Später hatte sie ein eigenes Pony bekommen und als Halbwüchsige schließlich ihren ersten Trakehner, eine Stute, die sie sich aus der eigenen Zucht hatte aussuchen dürfen, womit ihr Vater auch gleich ihren Pferdeverstand auf die Probe stellte. Denn es galt, ein Pferd auszusuchen, das zu ihr passte. Und die Wahl, die sie getroffen hatte, war die richtige gewesen. Sie ging zwischen den Stallungen hindurch zur Rückseite des Anwesens. Ein eisiger Wind stach wie Nadelspitzen in Magdalenas Wangen, und sie senkte das Kinn in ihren Schal. Außer Sichtweite des Hauses atmete sie durch, immer leichter, je weiter sie sich von dem Gut entfernte. Zwei Monate zuvor war sie sechzehn geworden, und ihr entging nicht, wie sich die Blicke und das Verhalten der jungen Männer ihr gegenüber wandelten. Sie war nicht mehr Carls lästige kleine Schwester, die von seinen Freunden geärgert und an den Zöpfen gezogen wurde. Als habe sie eine Grenze überschritten, die jeder außer ihr sah. Vor allem ihrer Mutter schien dieses Überschreiten sehr bewusst zu sein, denn sie war nun zunehmend bestrebt, sie mit jungen Männern bedeutender Familien bekannt zu machen. Und auf einmal war Magdalena diese Aufmerksamkeit nicht mehr nur fremd, sondern auch unangenehm. Sie blieb stehen, tat einen tiefen Atemzug und...