Ertz Regel und Witz
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-11-021399-7
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Wittgensteinsche Perspektiven auf Mathematik, Sprache und Moral
E-Book, Deutsch, Band 88, 267 Seiten
Reihe: Quellen und Studien zur Philosophie
ISBN: 978-3-11-021399-7
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
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Zielgruppe
Academics, Institutes, Libraries / Wissenschaftler, Institute, Bibliotheken
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Westlichen Philosophie Westliche Philosophie: 20./21. Jahrhundert
- Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Mathematik, Philosophie der Physik
- Mathematik | Informatik Mathematik Mathematik Allgemein Philosophie der Mathematik
- Geisteswissenschaften Philosophie Sprachphilosophie
- Geisteswissenschaften Philosophie Ethik, Moralphilosophie
- Geisteswissenschaften Sprachwissenschaft Sprachwissenschaften Sprachphilosophie
Weitere Infos & Material
1;Inhaltsverzeichnis;9
2;Einleitung;15
3;I Regel und Witz in Wittgensteins Spätphilosophie;17
3.1;I. Konstitution durch Regeln?;19
3.2;II. Was heißt es, einer Regel zu folgen?;26
3.3;III. Aspektsehen;53
3.4;IV. Der Witz in Wittgensteins Spätphilosophie;64
4;II Zur Anwendung der Beschreibungsformen Regel und Witz auf die Mathematik;87
4.1;I. Regel und Witz der Mathematik;89
4.2;II. Was ist ein mathematischer Beweis?;107
4.3;III. Mathematische Begriffsbildung;127
4.4;IV. Satz und Bild;141
5;III Zur Anwendung der Beschreibungsformen Regel und Witz auf die Sprache;151
5.1;I. Regel und Witz der Sprache;153
5.2;II. Was heißt ›Zweifeln‹?;174
5.3;III. Was heißt ›Wissen‹?;192
5.4;IV. Mooresche Sätze;202
6;IV Zur Anwendung der Beschreibungsformen Regel und Witz auf die Moral;221
6.1;I. Regel und Witz der Moral;223
7;Fazit und Ausblick;252
8;Literaturverzeichnis;255
9;Register;261
(S. 178-179)
Nehmen wir an, eine Katze wartet vor einem Loch, weil sie dort eine Maus hat verschwinden sehen. Wir könnten sagen: Die Katze weiß, dass sich eine Maus im Loch befindet. Allerdings hat die Katze keine Gründe, sie kann ihre Überzeugung nicht rechtfertigen, sie wägt keine Evidenzen ab, sie zweifelt nicht und sie fällt auch kein Urteil. Warum sprechen wir dann überhaupt von einem Wissen? Schließlich schreiben wir einer Blume, selbst wenn sie ihre Bewegung am Lauf der Sonne orientiert, auch kein Wissen zu.
Im Fall der Blume gibt es keine Anhaltspunkte, die auf mehr als ein Reiz-Reaktionsschema hindeuten. Dahingegen sprechen wir der Katze aufgrund ihrer Fähigkeit zur Ortsbewegung und der Komplexität ihrer Reaktion auf Umwelteinflüsse Wahrnehmung zu: Die Katze hat die Fähigkeit, ihr Verhalten an ihrem ›Wissen‹ zu orientieren. Der Begriff des Wissens dient im Fall der Katze zur Erklärung ihres Verhaltens: Warum wartet die Katze vor dem Loch? Weil sie weiß, wo sich eine Maus befindet – nämlich in diesem Loch. Diese Erklärung beschreibt das Verhalten der Katze als Aktualisierung einer Fähigkeit, sich Umweltbedingungen entsprechend zu verhalten. Die Katze kann sich aber nicht selbst erklären. Es gibt Gründe für das Verhalten der Katze, die Katze hat aber keine Gründe. Wie nun gezeigt werden soll, ist das ein Grund, im Fall der Katze nicht (oder allenfalls im übertragenen Sinne) von einem Wissen zu sprechen.
§ 1. Wissen: eine Fähigkeit?
Dass Etwas-zu-wissen keine Tätigkeit ist (wie etwa das Lesen eines Textes), erkennt man leicht daran, dass man das Lesen unterbrechen kann, dass man langsam oder schnell lesen kann, dass man versuchen kann zu lesen. Dahingegen kann man sein Wissen nicht unterbrechen und man kann auch nicht schnell oder langsam wissen, wie man auch nicht versu chen kann zu wissen und schließlich hört man nicht auf zu wissen, während man anderen Tätigkeiten nachgeht oder gar schläft. Wenn das Wissen keine Tätigkeit ist, könnte es ja vielleicht ein (geistiger) Zustand sein. Doch das Wissen ist auch kein Bewusstseinszustand.
Denn nehmen wir an, Felix weiß, dass Peter seit Jahren ein rotes Auto besitzt. Doch gerade heute Morgen hat Peter seinen alten Wagen verkauft und einen neuen, schwarzen Wagen erworben. Wenn Felix von diesem Kauf nichts mitbekommen hat, weiß er also nicht mehr, welche Farbe Peters Wagen hat – wenngleich er noch immer glaubt, es zu wissen. Sein Bewusstseinszustand hat sich nicht geändert, obwohl er bis vor wenigen Stunden noch etwas wusste, was er nun nicht mehr weiß. Es ist daher, wie Wittgenstein es formuliert, »immer von Gnaden der Natur, wenn man etwas weiß.« Aus diesem Grund kann das Wissen auch keine Disposition sein: Wenn Felix weiß, dass Peter ein rotes Auto besitzt, und ihn jemand nach der Farbe von Peters Wagen fragt, wird er wohl geneigt sein, »Rot« zu sagen.
Doch auch wenn Peter mittlerweile den roten Wagen gegen einen schwarzen eingetauscht hat, wird dies an Felix‘ Disposition nichts ändern. Nicht das Wissen ist eine Disposition, sondern allenfalls der dem Wissen zugrunde liegende Glaube. Das Wissen ist eine Fähigkeit. Es stellt sich aber die Frage, wozu das Wissen befähigt. Und hier scheint es eine schier unendliche Vielfalt zu geben: Wer etwas über englische Sprachgeschichte weiß, kann offensichtlich andere Dinge als derjenige, der etwas von Volkswirtschaft, Jazz, oder vom Stricken versteht.