Buch, Deutsch, Band 9, 253 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 330 g
Reihe: Eigene und fremde Welten
Die Oratorik europäischer Parlamente in Spätmittelalter und Früher Neuzeit
Buch, Deutsch, Band 9, 253 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 214 mm, Gewicht: 330 g
Reihe: Eigene und fremde Welten
ISBN: 978-3-593-38680-5
Verlag: Campus
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Inhalt
Danksagung
Einleitung - Vormoderne Parlamentsoratorik
Johannes Helmrath und Jörg Feuchter
Oratorik - ein erfolgversprechendes Forschungsprojekt?
Josef Kopperschmidt
Protocols of the German Imperial Diet during the Reign of Emperor Charles V
Henry J. Cohn
Der Augsburger Reichstag von 1518 - ein Höhepunkt politischer Oratorik?
Lucas Rüger
Symbol und Diskurs - Das Beispiel des Reichstags in Augsburg 1530
Barbara Stollberg-Rilinger
Die Reichstagsoratorik der Gesandtschaften Innerösterreichs und ihre verfassungspolitischen Dimensionen
Sašo Jerše
Politische Repräsentation und Rhetorik der Reichsstädte auf dem Reichstag nach 1648
André Krischer
Reden als Aushandeln: Rhetorik und Zeremoniell auf dem polnisch-litauischen Sejm zu Beginn der Wasa-Zeit
Kolja Lichy
Rhetoric and Politics in the Elizabethan Parliament
Peter Mack
Zur Oratorik der französischen Generalstände im späten Mittelalter und zu Beginn der frühen Neuzeit (1302-1561)
Jörg Feuchter
Zwischen Vernunft, Notwendigkeit und Autorität - Rhetorik und Politik in den Reden des Michel de L'Hospital (1563-1568)
Loris Petris
Autorenverzeichnis
Register
Der Inhalt des vorliegenden Bandes
Dass die in dieser Einleitung eher abstrakt formulierten Thesen des Projekts ›Oratorik‹ auf fruchtbaren Boden fallen, zeigen die Beiträge des Bandes. Homogen auf das Konzept eingeschworen im Sinne eines sterilen ›quod erat demonstrandum‹ sind sie aber nicht, können es gar nicht sein. Sinn und Reiz der Tagung hatte ja gerade darin bestanden, zum Thema ›Oratorik‹ Gelehrte aus verschiedenen Disziplinen (Historiker, Philologen, Rhetoriker), Nationen und Wissenschaftstraditionen zusammenzubringen. Entsprechend facettenreich fallen die Beiträge aus. Eröffnet wird ihre Reihe mit den grundsätzlichen Erörterungen von Josef Kopperschmidt (Mönchengladbach), gewissermaßen dem Doyen der deutschen Rhetorikforschung, die programmatischen Charakter tragen. Er begrüßt den oratorischen Ansatz als angemessene Antwort auf die Mängel der traditionellen Rhetorik, die aufgrund ihrer ausschließlichen Konzentration auf Inhalt, sprachlich-figurale Gestaltung und Argumentation keine adäquate Antwort auf die zentrale Frage nach der tatsächlichen Wirkung politischer Rede und deren Bedingungen geben könne. Denn wirksame Rede sei wesentlich von der erfolgreichen "Anpassung" des Sprechers an die "Plausibilitätspotentiale" seines Publikums abhängig. Deren Rekonstruktion sei eine wesentliche Aufgabe von Oratorikforschung. Kopperschmidt verdeutlicht dies an der Bildmetapher des ›Hercules gallicus‹ und seinen goldenen Ketten und an der Frankfurter Türkenrede des Enea Silvio Piccolomini von 1454. Henry Cohn (Warwick) eröffnet eine Gruppe von Beiträgen über den Reichstag, zentrales Verhandlungsforum des Reichs in Spätmittelalter und früher Neuzeit und zugleich größte und eigenartigste politische Zentralversammlung Europas, mit einer Diskussion der Quellenüberlieferung, insbesondere über Genesis und Typen protokollarischer Aufzeichnungen in den frühneuzeitlichen Reichstagen. Cohn untersucht sie auf ihre Aussagekraft über Oratorik und stellt dabei die Annahme eines einseitigen Verschriftlichungs- und Verrechtlichungsprozesses in Frage. Lucas Rüger (Berlin) befasst sich mit einem konkreten Reichstag, dem sehr oratorikträchtigen von Augsburg im Jahr 1518. Es geht ihm dabei am Beispiel Ulrich von Huttens und anderer um den ›Markt‹ und die Medialität humanistischer Oratorik, zwischen tatsächlich gehaltenen (das heißt auch: zugelassenen) Reden, verhinderten Reden und von vornherein nur als für den Druck bestimmten "Lesereden". Am Beispiel eines anderen Augsburger Reichstages (1530) untersucht Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) das Verhältnis von verbaler (diskursiver) und nonverbaler (symbolischer) Kommunikation im Zeichen des voll aufbrechenden Konfessionsstreites und zeigt, wie die Beteiligten die unterschiedliche Funktion der beiden Kommunikationssysteme durchaus bewusst einsetzen, wobei das symbolische den Rahmen des diskursiven stark vorprägt. Es folgen zwei Beiträge, die nach der Funktion des oratorischen Auftrittes auf dem Reichstag für bestimmte dort vertretene Gruppen fragen: Sašo Jerše (Ljubljana) widmet sich der Oratorik landständischer Teilnehmer am Beispiel der Reichstagsgesandtschaften des konfessionell gespaltenen Innerösterreich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sie ist ganz dem Genre "Türkenrede" verhaftet, ihr Zweck bestand aber vor allem im Einigkeit manifestierenden Auftritt an sich. Grundsätzlich ähnlich schätzt auch André Krischer (Münster) die Funktion der Reden von Reichsstädten auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit ein. Bei weitgehender Einflusslosigkeit auf die Beschlussfassung geht es den Stadtrednern vor allem darum, der vertretenen Stadt in einem performativen "Verfahren" Legitimität zu verleihen und sie an die Adelswelt zu assimilieren.
Mit dem Beitrag von Kolja Lichy (Berlin, jetzt Gießen) beginnt der zweite, europäische, Teil des Bandes: in Polen. Lichy analysiert, wie Zeremoniell und Gehalt der hochentwickelten frühneuzeitlichen Sejm-Oratorik als Repräsentation der politischen Ordnung Polen-Litauens als "res publica" und "regimen mixtum" fungiert, besonders deutlich am Beispiel des Sejms von 1606 im Zeichen der Adelsopposition gegen König Sigismund III. Peter Mack (Warwick) widmet sich der parlamentarischen Rhetorik im elisabethanischen England. Er zeigt einerseits die starke Prägung der Debattenkultur durch die akademische Rhetorik auf, andererseits die herrschaftsstabilisierende Funktion der (relativen) Redefreiheit im Parliament. Jörg Feuchter (Berlin) gibt einen Überblick über die Oratorik der vormodernen französischen Generalstände und ihre Quellenbasis bis 1561. Er greift damit aus bis zur Wiederaufnahme der mittelalterlichen Tagungstradition, nach mehr als 70 Jahren ohne Etats Généraux, durch die Versammlungen von 1560-1561 in Orléans und Pontoise, kurz vor Ausbruch der Religionskriege. Diese Wiederbelebung war mit der expliziten Hoffnung verbunden, sie möge - gleichsam therapeutisch - Heilung durch Reden und Zuhören bewirken. Exakt die darauf folgende Zeit, die Anfangsphase der Religionskriege (1563-1568), behandelt der abschließende Beitrag von Loris Petris (Neuchâtel) über die flexiblen, im Sinne Kopperschmidts "anpassungsfähig" antikegetränkten, persuasiv auf "Einheit" abzielenden Strategien in den Reden des französischen Kanzlers Michel de l'Hospital.