Fox | Die Zigarette und andere Stories | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Fox Die Zigarette und andere Stories


1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-406-61290-9
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-406-61290-9
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Mann sitzt nach einer Beerdigung an einem strahlend hellen Sommertag im Kino, sieht
einen Zeichentrickfilm an und fängt plötzlich an zu schreien; eine Frau, die auf einer von
einem Ölteppich eingeschlossenen Insel lebt, verliebt sich unsterblich in den alten Künstler,
für den sie täglich putzt, ohne kaum je mehr als ein paar Sätze mit ihm gewechselt zu haben;
eine Schriftstellerin, bei der es sich um Paula Fox selbst handelt, wird um ein Haar an ihrem
eigenen Schreibtisch erschossen, weil Jugendliche im Nachbargarten mit einer geladenen
Pistole spielen. Neben ihren Romanen und Jugendbüchern hat Paula Fox seit den 60er-Jahren
Erzählungen und kleine Prosastücke geschrieben, die hier zum ersten Mal versammelt sind.
Oft sind es kleine, stille Begebenheiten, die sich schließlich zu etwas Unerhörtem ausweiten
und so von den großen Themen Liebe, Tod und Verlust erzählen. Paula Fox ist eine Meisterin
der genauen Beobachtungen, die selbst den einfachsten Situationen eine Poesie abtrotzt, die
einen gefangen nimmt. Mit ihrer feinen, klaren und eindringlichen Sprache erschafft sie eine
ganz eigene Welt, in der die Grenzen zwischen Autobiographie und Fiktion irgendwann
nahezu aufgehoben scheinen.
'Die Zigarette und andere Stories' versammelt Texte von den 60er-Jahren bis heute, die noch
einmal die kluge Beobachtungsgabe und die Menschenkenntnis einer großen zeitgenössischen
Autorin, deren Leben und Schreiben untrennbar miteinander verbunden sind, unter Beweis
stellen.

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Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Widmung;5
5;Inhalt;7
6;Vorwort;9
7;Die Zigarette;13
8;Lord Randal;27
9;Die Lebenden;33
10;Mit sich allein;41
11;Nachrichten aus der großen Welt;55
12;Am Meer;61
13;Andere Orte;63
14;Antworten ohne Fragen;75
15;Die Unterdrückung der Wahrheit;101
16;Im tiefen Süden;109
17;Grace;117
18;Die weiten Gefilde des Todes;145
19;Franchot Tone bei der Paramount;167
20;Frieda in Taos;173
21;Die zärtliche Nacht;191
22;Clem;209
23;Licht auf der dunklen Seite;223
24;Nachwort;241
24.1;Das Sichtbare und das Unsichtbare;243
25;Quellenverzeichnis;253
26;Zum Buch;256


Die Zigarette
Als ich elf war, verbrachte ich ein paar Herbstmonate in East Jacksonville, Florida, in einem alten Holzhaus mit gelben Innenwänden, von denen die Farbe abblätterte, und das vielleicht hundert Meter vom Ufer des St. Johns River entfernt stand. An Wochentagen ging ich morgens durch ein Wäldchen mit struppigen Kiefern zu einer schmalen Teerstraße, wo ich von einem Bus abgeholt und mit anderen Kindern zur Schule gebracht wurde. Wenn ich nach Hause kam, wurde ich an der Tür von einer älteren schottischen Haushälterin, Mrs Lesser, in Empfang genommen. Sie war die Mutter einer Studienfreundin von Mary. Mary, die Besitzerin des Hauses, war eine vermögende junge Frau, die meinen Vater heiraten wollte, sobald seine Scheidung von Elsie, meiner Mutter, rechtskräftig war. An heißen Nachmittagen ging ich im St. Johns River schwimmen. Ich sprang immer von der einen Seite eines verrotteten grauen Stegs ins Wasser, der auf abgesplitterten Pfählen ruhte. Ich hüpfte auf den morschen Brettern herum, bis vier oder fünf Wassermokassinottern, Giftschlangen, die Pfähle hinunterglitten und sich als dicke Knäuel in den Fluss fallen ließen. Mattie, ein befreundeter Junge in meinem Alter, der ganz in der Nähe am Fluss wohnte, hatte mir gezeigt, wie man das machte. Zu Beginn meines Aufenthalts in dem alten Haus quartierten sich mehrere Leute, größtenteils Verwandte, in den spärlich möblierten Zimmern ein: zuerst mein Vater für ein paar Tage allein, dann für ein paar Tage meine Mutter, dann ihre Mutter, meine spanische Großmutter, für eine Woche und dann Mary, der ich dort zum ersten Mal begegnete. Ohne mich anzusehen, schob sie ein Buch in meine Richtung. Ich nahm es, weil ich musste. Es war ein Band mit Kurzgeschichten von Katherine Mansfield. Einen Augenblick lang waren wir beide unsicher. «Kannst du behalten …», murmelte sie leise. Ich kannte meine Eltern kaum. Ich hatte nie mit ihnen zusammengelebt. Aber ich wusste genau, dass alle Erwachsenen, die für kurze Zeit in dem alten Haus abstiegen, sich und mich anlogen – alle mit Ausnahme der alten Mrs Lesser, die überhaupt wenig sagte. Während ich auf den Brettern des Stegs herumsprang, empfand ich es als Erleichterung, auf eine gruselige Art, den Schlangen dabei zuzusehen, wie sie an den Pfählen in die schwimmenden Wasserhyazinthen hinunterglitten, wo ihre fleckigen grauen Schuppenköpfe zwischen den zarten weißen Blüten und den dichten grünen Blättern hervorlugten – ganz echt, ganz unverhohlen das, was sie waren. Mein Vater sprach in geschraubten Metaphern, um zu vermitteln – oder zu verbergen –, was er sagen wollte. Ich sah keinen Unterschied. Oder er erging sich in komischen Übertreibungen; aus seinen Worten hörte ich einen melancholischen Unterton heraus. Auf halbem Weg zwischen Holzhaus und Flussufer verlief ein knapp zehn Meter hoher Damm. Mehrere eiserne Bänke standen auf einem Kiesweg. Eines Nachmittags wollte sich mein Vater dort mit mir treffen. Ich war froh, dass Samstag war, sonst hätte er es mir vielleicht als Ausflucht ausgelegt, dass ich zur Schule musste. Wir hatten spät zu Mittag gegessen, von Mrs Lesser bekocht. Ich merkte deutlich, dass meine Mutter Elsie trotz der häufigen ängstlichen Blicke, die ich ihr zuwarf, das Gesicht von mir abgewandt hielt. Daddy saß auf einer der Bänke am Weg und wartete auf mich, die langen Beine ausgestreckt, die Hände in den Taschen. Bevor ich ihm zurief, sah ich ihm einen Moment lang direkt ins Gesicht. Es lag keinerlei Ausdruck darin. Es war, als wartete er darauf, dass jemand kam und ihn zum Leben erweckte. Als er mich erblickte, setzte er sich aufrecht hin und fasste mich an den Schultern. «Ich weiß, dass du hinter meinem Rücken rauchst, du kleine Ratte! Du riechst nach Tabak! Hier! Greif zu!» Und er drückte mir eine offene Schachtel Zigaretten in die rechte Hand. Nach so vielen Jahrzehnten sehe ich immer noch die Bank vor mir, den Weg, den breiten Fluss weiter unten, das gelbe Kamel auf der Packung. Er schloss mit Nachdruck meine Finger um die Schachtel. «Jetzt wirst du mal ehrlich sein!», sagte er. «Jetzt wirst du vor mir rauchen!» In der Hand hielt er eine krumme Zigarette. Plötzlich packte er meinen Kopf und schob mir gleichzeitig die Zigarette zwischen die Lippen. «Na bitte!», rief er triumphierend. «Jetzt rauch die, und in der Zeit unterhalten wir uns mal gepflegt!» Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. Er sagte: «Unterhalt mich, mein Kind …» Aber ich konnte ihm nicht antworten; ich würgte am ersten Zug an der Zigarette, die er mit einem blauköpfigen Streichholz angezündet hatte. Ich rauchte jahrzehntelang, während meiner Ehen, während meine Kinder geboren wurden, während ich meine Bücher schrieb. Nachdem ich viele Jahre vor den Gefahren des Tabakgenusses gewarnt worden war, machte ich eines Tages halbherzig einen Nichtraucherkurs mit, dann noch einen und noch einen. Die Dozenten, die uns dazu anhielten, mit dem Rauchen aufzuhören, gingen die Probleme der Entwöhnung unabhängig von ihrem Alter und Geschlecht alle auf ähnliche Weise an. Oft falteten sie die Hände vor ihrem Bauch und lächelten wissend, während sie mit professioneller Begeisterung von den segensreichen Vorzügen sprachen, das Rauchen aufzugeben. In einem der Kurse fiel mir besonders eine Frau im Rollstuhl auf, die an einem Arm einen Sauerstoffschlauch klemmen hatte und mit ihrer freien Hand gierig rauchte, die nackte Todesangst im Gesicht. Einmal schaffte ich es, fast ein ganzes Jahr nicht zu rauchen. Dann gewann ich einen Literaturpreis und musste von Manhattan, wo ich wohnte, nach Chicago reisen, um ihn in Empfang zu nehmen. Ich übernachtete in einem Luxushotel am Ufer des Lake Michigan in einem großen Zimmer, das mit zum Preis gehörte. Ich überlegte, ob es in Chicago jemanden gab, den ich kannte. Ich zog die Schreibtischschublade auf, weil ich dort ein Telefonbuch vermutete. Stattdessen fand ich eine schmale, längliche Schachtel. Ich machte sie auf. Darin lagen Seite an Seite drei lange, dünne Zigaretten, auf denen in goldenen Lettern mein Name stand. Ich rauchte sie alle. Ich fing wieder an. Ich gab das Aufgeben auf. 1996 flogen mein Mann Martin und ich nach Israel, um einen Monat in Jerusalem als Stipendiaten im Gästehaus eines Kulturzentrums zu verbringen. Unser Flugzeug landete am Ben-Gurion-Flughafen, von dem aus wir ein Taxi nach Jerusalem und zum Gästehaus nahmen. Es war Samstag, es herrschte Sabbat. An der Rezeption des Gästehauses war niemand, der uns einen Gepäckträger hätte rufen können. Nach einer Weile erschien ein Mann, der wie der Hausmeister in einer New Yorker Sozialbausiedlung aussah. Er überprüfte gewissenhaft die Pässe und trug das Gepäck nach oben in unser Quartier, zu unserer Überraschung eine hübsche Maisonettewohnung mit Blick über das Tal bis hinunter zu der großen weißen Mauer um die Altstadt. Während wir unsere Sachen einräumten, klopfte Ilana an die Tür, Irving Howes Witwe und israelische Staatsbürgerin. Wir freuten uns, sie zu sehen, und winkten ab, als sie sich dafür entschuldigen wollte, dass sie uns nicht wie geplant am Flughafen abgeholt hatte. Wir hatten viel zu erzählen, und es gab das Obst aus dem großen Korb, den sie mitgebracht hatte. Wir saßen um den Wohnzimmertisch, bis es dunkel wurde. Ich knipste eine Lampe an, und wir redeten weiter. Es war spät, als wir schließlich das Gästehaus verließen. Ilana erinnerte sich an ein nicht koscheres Restaurant in der Nähe. Die Straßen waren leer, fremd. Das Restaurant war eine Art Höhle, zu der eine lange Steintreppe hinunterführte. Drinnen war es voll und laut. Man konnte von dort direkt in ein angeschlossenes Kino gehen. Ich bestellte etwas. Es war abscheulich, eine Pampe mit Kartoffelscheiben, dazu eine Soße aus Wagenschmiere, jedenfalls schmeckte es so. Wir stiegen die Treppe hinauf und spazierten auf dem gepflasterten Weg, der von Gebüsch umsäumt war, zum Gästehaus zurück. Ich blieb stehen, um auf die hell erleuchtete Stadtmauer ein Stück weiter unten zu schauen. Alle Häuser in ihrer Nähe waren in ein goldenes Licht getaucht, sie wirkten wie Schiffe auf einem dunklen Meer. Als ich wieder auf den Weg trat, während sich einige Schritte hinter mir Martin und Ilana angeregt unterhielten, richtete sich plötzlich eine Gestalt auf, die auf einer Bank im Schatten gekauert hatte, und sprang mich an. Der Mann schlug mich nieder, riss mir meine beige Stoffhandtasche mit Kreditkarten, Pass und Bargeld aus den Händen und verschwand in der Dunkelheit. Ich wurde bewusstlos, versank im Nichts. Viel später erfuhr ich, dass Martin den Angreifer zunächst verfolgt hatte und dann zu mir zurückgekehrt war. Ilana war verzweifelt den Weg hinuntergelaufen und bald auf zwei Leute mit einem Handy gestoßen, die sofort die Polizei alarmierten. Ich wurde von Sanitätern in die Hadassah-Klinik gebracht. Ich war wieder zu Bewusstsein gekommen. Nach der Untersuchung entschied der Arzt in der Notaufnahme, mich über Nacht...


Paula Fox wurde 1923 in New York geboren, wo sie auch heute lebt. Sie veröffentlichte zahlreiche Kinderbücher, für die sie 1978 mit dem „Hans-Christian-Andersen-Preis“ ausgezeichnet wurde, sechs Romane und zuletzt ihre Autobiographien „In fremden Kleidern“ (C. H. Beck 2003) und „Der kälteste Winter“ (C. H. Beck 2006).



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