E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
Frank Aus den Tagebüchern
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-15-960899-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Reclams Universal-Bibliothek
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Reihe: Reclams Universal-Bibliothek
ISBN: 978-3-15-960899-0
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Tagebuch der Anne Frank ist weltberühmt als Dokumentation des unmenschlichen Alltags unter der Nazi-Herrschaft in den Niederlanden. Das Werk erfährt in dem Anne-Frank-Film »Das Tagebuch der Anne Frank« (2016) eine eindrucksvolle Würdigung. Reclams neue Ausgabe des Anne-Frank-Tagebuchs stellt die wichtigsten und bekanntesten Ausschnitte aus den Tagebüchern für den Schulunterricht bereit: in der neuen Übersetzung von Simone Schroth in einer verlässlichen, konsequent die bisherigen Mischfassungen vermeidenden Darstellung; die verschiedenen Fassungen sind in dieser Ausgabe eindeutig voneinander zu unterscheiden. Ein Kommentar und ein Nachwort geben Verständnishilfen für dies erstaunliche Werk einer jungen Frau, die Schreiben als ihr Lebensmotto verstand. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.
Simone Schroth, geb. 1974, Anne-Frank-Spezialistin und Übersetzerin aus dem Niederländischen; in ihrer Doktorarbeit setzte sie sich kritisch mit Übersetzungen der Werke von Anne Frank auseinander; ihre Neuübersetzung von Anne Franks Schriften wurde durch den Nederlands Letterenfonds mit Aufenthalten im Übersetzerhaus in Amsterdam gefördert.
Weitere Infos & Material
Aus den Tagebüchern
[7]Vorblatt [a]
Ich werde dir, hoffe ich, alles anvertrauen können, so wie ich es noch bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, dass du mir eine große Stütze sein wirst. Anne Frank 12. Juni 1942 [a] Ich habe bisher eine große Stütze an dir gehabt, und auch an unserem lieben Club, dem ich nun regelmäßig schreibe; diese Art, mein Tagebuch zu führen, finde ich viel schöner, und jetzt kann ich es fast nicht erwarten, bis ich Zeit habe, in dich zu schreiben. 28. September 1942 Anne Frank Ich bin oh so froh, dass ich dich mitgenommen habe. Sonntag, 14. Juni 1942 [a] Die Seiten, die hierauf folgen, werden, denke ich, alle vom selben Datum sein, denn ich muss dich noch über alles informieren. Ich fange mal bei dem Augenblick an, als ich dich bekommen habe, also als ich dich auf meinem Geburtstagstisch habe liegen sehen (denn das Kaufen, bei dem ich auch dabei gewesen bin, zählt nicht mit). Am Freitag, dem zwölften Juni, war ich schon um sechs [8]Uhr wach, und das ist sehr begreiflich, da ich Geburtstag hatte. Aber um sechs Uhr durfte ich noch nicht aufstehen, also musste ich meine Neugierde noch bis Viertel vor sieben bezwingen. Dann hielt ich es nicht länger aus; ich ging ins Esszimmer, wo ich von Moortje (der Katze) mit Kopfstupsern willkommen geheißen wurde. Die Zwischentüren machte ich natürlich zu. Um kurz nach sieben ging ich zu Papa und Mama und dann ins Wohnzimmer, um meine Geschenke auszupacken; an erster Stelle warst du es, was ich zu sehen bekam und was wohl eines meiner schönsten Geschenke ist. Dann einen Strauß Rosen, zwei Zweige Pfingstrosen, eine Pflanze, das waren an diesem Morgen Floras Kinder, die auf meinem Tisch standen, aber es kamen noch viel mehr. […] Dann kam Hanneli mich abholen, und wir gingen in die Schule. In der Pause verteilte ich Butterkekse an Lehrer und Schüler, und dann wieder an die Arbeit. Als ich nach Hause kam, war es fünf Uhr, denn ich war mit beim Turnen gewesen (obwohl ich nie mitmachen darf, weil ich mir dann Arme und Beine ausrenke) und hatte für meine Klassenkameraden Volleyball als Geburtstagsspiel ausgesucht. Später tanzten sie alle im Kreis um mich herum und sangen »Lang soll sie leben«. Als ich nach Hause kam, war Sanne Ledermann schon da, und Ilse Wagner, Hanneli Goslar und Jacqueline van Maarsen habe ich vom Turnen mitgebracht, denn sie sind in meiner Klasse. Hanneli und Sanne waren früher meine beiden besten Freundinnen, und wer uns zusammen sah, sagte immer, da gehen Anne, Hanne und Sanne. Jacqueline van Maarsen habe [9]ich erst auf dem Jüdischen Lyzeum kennengelernt, und sie ist nun meine beste Freundin. Ilse ist die beste Freundin von Hanneli, und Sanne geht auf eine andere Schule und hat dort ihre Freundinnen. […] 20. Juni 1942 [b] Es ist für jemanden wie mich ein sehr eigenartiges Gefühl, in ein Tagebuch zu schreiben. Nicht nur, dass ich noch nie geschrieben habe, es kommt mir auch so vor, als würde später weder ich noch jemand anders die Herzensergüsse eines dreizehnjährigen Schulmädchens für wichtig halten. Nun gut, eigentlich kommt es darauf nicht an; ich habe Lust zu schreiben, und noch viel mehr, mein Herz, was allerlei Dinge betrifft, einmal gründlich und ganz und gar zu erleichtern. »Papier ist geduldiger als Menschen«, diese Redensart fiel mir ein, wenn ich an einem meiner eher melancholischen Tage gelangweilt mit dem Kopf in den Händen dasaß und vor Antriebslosigkeit nicht wusste, ob ich ausgehen oder zu Hause bleiben sollte, und deshalb letzten Endes auf demselben Fleck sitzen blieb und grübelte. Ja, tatsächlich, Papier ist geduldig, und da ich nicht vorhabe, jemals jemanden dieses in Karton eingebundene Heft, das den prunkvollen Namen »Tagebuch« trägt, lesen zu lassen, es sei denn, ich finde noch einmal im Leben einen Freund oder eine Freundin, der oder die dann »der« Freund oder »die« Freundin ist, interessiert es wahrscheinlich niemanden. Nun bin ich an dem Punkt angekommen, an dem die ganze Tagebuchidee angefangen hat: Ich habe keine Freundin. [10]Um noch deutlicher zu werden, ist hier eine Erklärung nötig, denn niemand wird verstehen, dass ein Mädchen von dreizehn Jahren ganz allein auf der Welt dasteht, und das ist auch nicht so: Ich habe liebe Eltern und eine Schwester von sechzehn, ich habe alles zusammengenommen sicher an die 30 Bekannte und was man so Freundinnen nennt, ich habe eine ganze Menge Verehrer, die mir jeden Wunsch von den Augen ablesen und, wenn es nicht anders geht, in der Klasse mit dem Stück eines Taschenspiegels noch einen Blick auf mich zu erhaschen versuchen; ich habe Familie, liebe Tanten und ein gutes Zuhause; nein, so auf den ersten Blick fehlt es mir an nichts, außer an »der« Freundin. Ich kann mit keiner meiner Bekannten etwas anderes tun als Spaß haben, ich komme nie dazu, einmal über etwas anderes als über alltägliche Dinge zu sprechen oder etwas Vertraulicheres anzusprechen, und genau das ist das Problem. Vielleicht liegt dieser Mangel an Vertraulichkeit bei mir, jedenfalls ist es eine Tatsache und lässt sich, so schade das auch ist, nicht aus der Welt schaffen. Darum dieses Tagebuch. Um nun die Vorstellung der so lange ersehnten Freundin in meiner Fantasie noch lebendiger werden zu lassen, werde ich nicht wie jeder andere einfach so die Tatsachen in dieses Tagebuch schreiben, sondern ich will dieses Tagebuch die Freundin selbst sein lassen, und diese Freundin heißt Kitty. Da niemand etwas von meinen Geschichten für Kitty verstehen würde, wenn ich einfach so mit der Tür ins Haus falle, muss ich kurz meine Lebensgeschichte wiedergeben, so ungern ich das auch tue. Mein Vater, der liebste Schatz von einem Vater, den ich kenne, heiratete erst im Alter von 36 [11]Jahren meine Mutter, die damals 25 war. Meine Schwester Margot wurde 1926 geboren, in Frankfurt am Main in Deutschland. Am 12. Juni 1929 folgte ich, und weil wir Vollblut-Juden sind, emigrierten wir 1933 in die Niederlande, wo mein Vater als Direktor der niederländischen Opekta Gesellschaft zur Marmeladenherstellung angestellt wurde. Unser Leben verlief nicht ohne einige Aufregung, da die restliche Familie in Deutschland nicht von Hitlers Judengesetzen verschont blieb. 1938, nach den Pogromen, flüchteten meine beiden Onkel, Brüder von Mutter, und kamen sicher in Nordamerika an; meine alte Großmutter zog zu uns; sie war damals 73 Jahre alt. Nach Mai 1940 ging es bergab mit den guten Zeiten; erst der Krieg, die Kapitulation, der Einmarsch der Deutschen, und das Elend für uns Juden begann. Judengesetz folgte auf Judengesetz, und unsere Freiheit wurde sehr eingeschränkt, aber es ist noch zu ertragen, trotz des Sterns, der Trennung der Schulen, der Zuhausezeit usw. usw. Oma starb im Januar 1942, Margot und ich mussten im Oktober 1941 auf das Jüdische Lyzeum wechseln. Sie in die vierte, ich in die erste Klasse. Unserer Viererfamilie geht es immer noch gut, und so bin ich dann beim heutigen Datum angelangt, wo die feierliche Einweihung meines Tagebuchs beginnt. Amsterdam 20. Juni 1942 Anne Frank [12]20. Juni 1942 Samstag [b] Liebe Kitty, dann fange ich gleich an; es ist gerade so schön ruhig, Vater und Mutter sind ausgegangen, und Margot ist mit ein paar jungen Leuten bei ihrer Freundin Trees, zum Pingpong. Pingpong spiele ich in letzter Zeit auch sehr viel, sogar so viel, dass wir mit fünf Mädchen einen Club gegründet haben. Der Club heißt »Der Kleine Bär minus zwei«; das ist natürlich ein sehr verrückter Name, aber er geht auf einen Irrtum zurück. Wir wollten einen ganz besonderen Namen für unseren Club und dachten alle fünf an die Sterne. Wir glaubten, dass der Große Bär aus sieben und der Kleine Bär aus fünf Sternen besteht, fragten aber nach und fanden heraus, dass sie alle beide sieben haben. Darum »minus zwei«. Ilse Wagner hat ein Pingpong-Spiel, und das große Esszimmer der Wagners steht uns jederzeit zur Verfügung; Susanne Ledermann ist unsere Vorsitzende, Jacqueline van Maarsen Sekretärin, Elisabeth Goslar, Ilse und ich sind die übrigen Mitglieder. Da wir fünf Pingpong-Spielerinnen vor allem im Sommer sehr gern Eis essen und man beim Pingpong ins Schwitzen kommt, läuft es meistens darauf hinaus, dass wir zu einer der nächsten Eisdielen gehen, die Juden besuchen dürfen, in die Oase oder ins Delphi. Nach Portemonnaies oder Geld suchen wir schon gar nicht mehr; in der Oase ist meistens so viel los, dass sich unter den ganzen Leuten immer einige großzügige Herren aus unserem großen Bekanntenkreis oder der eine oder andere Verehrer finden lassen, und die bieten uns mehr Eis an, als wir in einer Woche essen können. Ich denke, du wirst ein bisschen erstaunt darüber sein, dass ich, so jung wie ich bin (die Jüngste im Club), von [13]Verehrern spreche. Leider, oder in manchen Fällen auch wieder nicht leider – dieses Übel scheint bei uns auf der Schule unvermeidbar zu sein. Sobald ein Junge fragt, ob er mich mit dem Fahrrad nach Hause begleiten darf, und ein Gespräch begonnen wird, kann ich in neun von zehn Fällen davon ausgehen, dass der betreffende Jüngling die lästige...