E-Book, Deutsch, 206 Seiten
Fröhlich Narzissa die Glückliche
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7526-1535-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Drei Novellen Band
E-Book, Deutsch, 206 Seiten
ISBN: 978-3-7526-1535-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieser Band umfasst die Werke Narzissa die Glückliche, Giuseppe und Der reine Tisch. Die Novellen entstanden in einem Zeitraum vom Frühjahr 2019 bis zum Sommer 2020. Im Mittelpunkt stehen eine karikierte, narzisstische Persönlichkeit, das Leben eines sozial entgleisten Obdachlosen, sowie der Konflikt eines Bauers mit seinem charismatischen Knecht.
Michael Fröhlich, am 01. Mai 1995 in Mutlangen geboren, war nach dem Abitur Freiwilliger beim Deutschen Roten Kreuz. Danach verschiedene Reisen und Aufenthalte in Europa, Afrika und Neuseeland. Anschließend Studium der Germanistik und Philosophie. Später Student der Soziologie an der Universität Bamberg. Für »Heinrich und Puk« 2019 Arbeitsstipendium des Förderkreis dt. Schriftsteller in BW. Im selben Jahr erster Abdruck in fortississimo: Edition junger Texte.
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Narzissa die Glückliche
1.
Es war ein Abend im Frühjahr, als ein junges, verliebtes Paar auf seinem Spaziergang Halt machte. Beide sahen amüsiert hinauf, denn sie gingen am Stadtrand, und dort befand sich der Hang, auf welchem einige große Villen erbaut waren; manche in barockem Stil und recht protzig, andere modern und quaderhaft hinzugebaut, da es Prestige bedeutete, hier zu wohnen. »Schau«, sagte sie, »Frau Martinelli gibt Abendgesellschaft.« »Die Villa Vanille«, sagte er. Und gemeinsam sahen sie hinauf, wo man einen beleuchteten Weg durch Ginsterhecken bis hin zur beleuchteten Villa erkannte. Diese gehörte im Übrigen zu den barocken Protzen unter den Häusern und war im vergangenen Jahr mit einem knalligen rosa überstrichen worden, was den meisten Anwohnern ein Dorn im Auge war. Vor dem schmiedeeisernen Eingangstor stand ein Wagen und ein Portier führte die Insassen gerade hinein, in den hellbeleuchteten Garten. Jener verfügte über eine Balustrade über dem Hang, und dort glommen bisweilen kleine, orange Glutpunkte auf. »Da sitzen sie und rauchen ihre Zigarren«, sagte er, als beobachte man eine Horde Affen, die naturgemäß Bananen verspeisend auf ihrem Affenberg sitzt. Schweigend sah das Paar hinauf. Da sagte er, in einem Anflug von Kühnheit: »Lieber lasse ich mich vierteilen, als dort oben eine solche Farce zu spielen. Sie schauen auf uns herunter und leben von Geld, das ihnen gar nicht gehört. Wie unangenehm ist es, nur daran zu denken, in deren Welt zu leben.« Da sie wusste, dass er das Reden liebte, rollte sie herzlich mit den Augen und sagte: »Wie meinst du?« »Ach«, tat er mit einer lässigen Handbewegung, »man kennt es doch: Sie leben dort oben auf hohem Fuß, sind immer freundlich und korrekt, pflegen ihre Kontakte und würden nicht zögern, einander zu hintergehen, sobald es sich um ein sicheres Geschäft handelt. Wenn man so viel besitzt wie die da oben, ist man gefangen in seinem Reichtum, denn man verkehrt ausschließlich mit reichen Leuten, die ausschließlich über Reiche-Leute-Dinge reden und deren Gewohnheit der Reichtum ist. Man sollte meinen, sie hätten einen Sinn für das Existenzielle und Philosophische, denn sie haben ja wenig zu tun und jede Freiheit, sich Gedanken zu machen. In Wahrheit aber werden sie in einer solchen Gesellschaft nur immer hohler und unwirklicher. Sie werden zu Vertretern ihres Reichtums und müssen immer perfekt sein. Und um immer perfekt zu sein, muss man entweder alle Zweifel immerzu abtun und sich, und überhaupt allen, einreden, man sei die Excellence in Person, oder aber man darf nichts verfängliches sagen. Darum reden sie nur an der Oberfläche herum, über Uhren und natürlich über die Kunst, von der sie eigentlich nicht mehr verstehen, als den Preis, mit dem sie sich schmücken … Lieber vierteile mich!« So sprach der junge Mann, der sich nämlich als Musiker versuchte, und sich darum als natürlichen Feind der Kapitalisten verstand. Gleichwohl strebte er danach, seine Miete von der Musik bezahlt zu machen und eines – nicht allzu fernen Tages – letztendlich doch noch international bejubelt zu werden. Er befand sich in einer angenehmen Situation; denn er war jung, und dabei, voller Ignoranz, Eitelkeit und Zuversicht in die Zukunft zu blicken – gleichzeitig war er jedoch zu jung, um sich seiner Erfolglosigkeit schämen zu müssen. So kamen seine Worte leicht über seine Lippen, und im Grunde sagte er es doch nicht, um klar zu stellen, wer die da oben waren, sondern vielmehr, um ein wenig mehr zu wissen, wer er sei. »Unsinn. Die sind auch gewöhnliche Menschen … und wer die Sorge nicht mit dem Geld hat, der hat sie anderswo. Außerdem muss man etwas können, um reich zu werden. Jeder, der reich ist, kann etwas.« Sie hakte sich unter, bemaß sich überlegen, und zog ihn, einen energischen Schritt vorangehend, den Bordstein runter auf die Straße. Für sie war es zwar so, dass sie seine wohlklingenden Reden als kokett empfand, und manches Mal als geradezu unüberlegt und dumm, – gleichzeitig aber fühlte sie sich eben darum zu ihm hingezogen. Die Einfachheit und Bestimmtheit seiner Worte erzeugten eine Illusion der Sicherheit, und obwohl sie seine Urteile verstandesgemäß als Possen abtat, fühlte sie sich in den Possen geborgen und aufgehoben. Sie wusste dadurch nicht mehr über die Welt und wie sie war – doch wusste sie dadurch mehr über die Welt, wie sie für ihn war, und das muss dem Menschen ausreichen. »Ja … «, quäkte er lapidar in einem Ton, der das Thema beenden wollte. » … oder man ist ein Glückspilz und wird Alleinerbin, wie die Martinelli. Lieber vierteile mich.« Und gemeinsam ließen sie die Villa Vanille hinter sich. Schon zwei Tage nach jener Begebenheit machte der junge Mann Schlagzeilen, allerdings ohne jedwedes musikalische Zutun. Obwohl er sich nur stückweise finden ließ, konnte er identifiziert werden, und die gesamte Stadt redete über den brutalen Musikanten-Mord. Rätselhafte Vierteilung lautete eine der Überschriften, und darunter: Leichnam mit Prothese bestattet! Rechtes Schienbein noch immer vermisst! Zwei ganze Wochen befand sich das Städtchen in Aufruhr. Dann mussten aber doch langsam neue Schlagzeilen her, zumal die Maikönigen gewählt wurde. Und eine weitere Woche später tobten die Kinder abends wieder fröhlich auf den Spielplätzen, und auch die Älteren schlenderten spätabends gedankenverloren hinaus auf den Wald zu, ohne an den Vierteiler auf freiem Fuß zu denken. 2.
In der runden Ausbuchtung des Turmes hatte Holger, der Diener, das Teeservice angerichtet. Frau Martinelli trug eine weiße Hose mit golden geschupptem Gürtel, eine weiße, kurzärmelige Bluse und zum Gürtel passende Sandalen, die golden über die Fließen funkelten. Schlank und schön geleitete sie den Besuch zu Tisch. »Setz dich, meine Liebe«, sagte sie, rückte einen Stuhl zurecht, und fasste sich in das voluminöse Ebenholzhaar, um es sich hübsch auf die Schulter zurecht zu legen. »Danke, danke«, sagte Matilda von Rothendorf würdevoll, die in ein gelbes Sommerkleid gehüllt platznahm. »Ach, es ist so schön bei dir. Der Garten! Alles Ihre Arbeit, Holger?« Holger deutete ein vornehmes und zurückhaltendes Nicken an. »Holger ist der Beste!«, setzte sich Frau Martinelli hinzu. »Und das meine ich so – nein, nein, schämen Sie sich nicht! Sie gehören mit Sicherheit zu den Zuverlässigsten und Besten auf Ihrem Gebiet!« Sie lehnte sich näher zu Frau von Rothendorf. »Der Mann macht einfach alles für mich.« Und laut: »Was wäre ich ohne Sie, Holger? Sie sind der treueste Diener, treuer noch als Ludwig!« Bei besagtem Ludwig, ebenfalls Ludo gerufen, handelte es sich um den kleinwüchsigen Mops, den sich Frau Martinelli zwei Jahre zuvor zugelegt hatte. »Bediensteter«, erinnerte Holger mit verhaltener Miene. »Jaja!«, rief Frau Martinelli entzückt, neigte sich über den Tisch zu Frau von Rothendorf und sagte leise und doch unmissverständlich: »Er mag es nicht, wenn ich ihn Diener heiße. Aber was soll er machen? Für mich ist und bleibt er mein Diener.« Sie kicherte und schenkte Tee ein. Frau von Rothendorf sah daraufhin zu Holger und musste ob der versteinerten Grimasse schmunzeln. »Nun, Narzissa«, beugte sie sich jetzt über den Tisch, »was tut er denn alles für dich?« Zwar kannten sich die Frauen schon lange und betitelten einander gerne als enge Freundinnen, doch eine gewisse Konkurrenz unter ihnen war nie gänzlich verschwunden, und so sprach die von Rothendorf frech und gar nicht besonders freundschaftlich die Begebenheit an, dass Frau Martinelli seit mehreren Jahren ohne Mann war. »Red’ keinen Blödsinn!«, wusste sich Frau Martinelli zu behaupten, die mit dem Thema abgeschlossen hatte: »Ich kann keinen Mann an meiner Seite gebrauchen, weder einen Betthasen noch sonst irgendwas. Außerdem muss ich meinen Holger doch schonen, nicht wahr, Holger? Der Mann, der meinen Ansprüchen genügt, muss erst noch geboren werden!« Und sie kicherte wieder, indes sie Bienenstich auf Frau von Rothendorfs Teller lud. »Probiere! Es ist der beste Bienenstich im Land! Jeden Sonntag lasse ich einen kommen.« »Weiß ich doch«, antwortete Frau von Rothendorf und ließ einen Löffel Sahne auf den Kuchen fallen. Insgeheim dachte sie aber, dass es kein Wunder mit den Männern sei, schließlich konnte auch sie die Gesellschaft von Frau Martinelli allerhöchstens zwei Mal im Monat vertragen. Die Männer wussten schon, weshalb sie der Villa Vanille fernblieben. Ihre abweisenden Gedanken wurden durch eine atmosphärische Spannung am Tisch wirklich, und Frau Martinelli sagte, als habe sie die Gedanken gehört: »Nein. Mit den Männern bin ich fertig. Die einzigen, die ich bei mir wissen will, sind...