E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Fuchs Gott geht unter die Haut
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-451-81999-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Glauben aus Leidenschaft
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-451-81999-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hinter seinen Tätowierungen stecken wahre Geschichten, hinter seinen Worten echte Erfahrungen und hinter dem, was er tut: Leidenschaft und Überzeugung. Rainer Fuchs ist evangelischer Diakon und zeigt, wie Glaube begeistern und die Welt verändern kann. Und: Dass es gut ist, wenn man anders ist.
Rainer Fuchs ist alles, nur kein Kirchenmann-Klischee. Er liebt Johnny Cash, ist begeisterter Biker und über und über tätowiert: Fuchs fällt auf. Nicht nur wegen seines Aussehens, sondern vor allem auch wegen seines Auftretens. Sein Auftrag dabei: Kirche wieder sichtbar machen. Öffnung statt Rückzug, Kontakt mit Kirchenfernen und den Menschen am Rand. Er besucht Häftlinge, hilft Alleinerziehenden, kümmert sich um Jugendliche an sozialen Brennpunkten, ist als Seelsorger für alle da. Dabei spürt man: Fuchs kennt Krisen und Umbrüche nicht aus gelehrten Büchern, sondern dem eigenen Leben. Er spricht aus dem Herzen zu den Herzen. Bei ihm finden Menschen das, wonach sich heute so viele sehnen: Heimat. Rainer Fuchs zeigt buchstäblich mit Leib und Seele: Egal zu welcher Konfession man gehört, egal wo man lebt – Gott geht uns nicht nur an, sondern auch unter die Haut.
Nach der Scheidung von seiner Frau ist er in einer schweren Krise. Und macht selbst in diesem schwärzesten Tief die Erfahrung, ein geliebtes Kind zu sein und behält die Gewissheit, dass ihm seine Beziehung zu Gott niemand nehmen kann. Deshalb erzählt er seine Geschichte, daraus zieht er seine Glaubwürdigkeit. "Diese Gottesbeziehung und die daraus erwachsende Geborgenheit haben mich über alle Zweifel hinweggetragen – und mit dem guten Ausgang, den diese Krise dann nahm, mich noch mehr glauben lassen, dass da etwas ist, was mich begleitet und gut nach mir schaut. Gott ist da. Das ist das eine. Das andere ist: Auch das Leid ist da. Und das Dritte bleibt: Es gibt immer eine zweite Chance! Stell dich deinen Umbrüchen. Versuche sie aktiv zu gestalten. Du selbst bist verantwortlich für dein Leben. Ich bin nicht vorherbestimmt. Nicht seine Marionette. Du selbst bist verantwortlich dafür, dass Leben gelingt."
Sein "Glaube aus Leidenschaft", in dessen Zentrum die sieben Werke der Barmherzigkeit und Nächstenliebe stehen, ist seine Berufung. Er ist seine Botschaft, die er an andere weitergibt. Als Gemeinwesendiakon ist er im Münchner Stadtteil Giesing als "Gottes Biker" unterwegs und tut, was er tut, damit Menschen wieder ernst genommen werden, die christlich glauben. Er trägt seinen Teil dazu bei, in Giesing und weit darüber hinaus: "Ich hoffe, sie fühlen sich angeregt, belebt und unterhalten und tragen die frohe Botschaft des Buches weiter."
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Über dem Herzen ist die Haut besonders dünn
The taste of love is sweet
When hearts like ours meet.
I fell for you like a child
Oh, but the fire went wild. I fell into a burnin’ ring of fire
I went down, down, down
And the flames went higher,
And it burns, burns, burns,
The ring of Fire Johnny Cash
Mit dem Schmerz kommt die Erinnerung. Gleißende Bruchstücke zunächst, die zusammenhanglos plötzlich aufblitzen und sich dann zu immer größeren Bildern vereinen. Meine Kindheit. Sonne blitzt durch die kleinen Autofenster, Lichtreflexe aus der vorbeisausenden Landschaft. Ich sitze auf der Rückbank, der sonntägliche Ausflug in die fränkische Schweiz. Mein Vater am Steuerrad seines Opel Manta Typ B, Ellbogen locker aus dem offenen Fenster und nur eine Hand am Steuerrad. Meine Mutter mit Kopftuch über dem sorgsam frisierten Haar und »Frühstück bei Tiffanys«-Sonnenbrille auf dem Beifahrersitz. Aus dem Kassettendeck dröhnt genau dieses Lied, das mir mit seinem treibenden Takt seit Tagen nicht mehr aus dem Ohr geht, sich dreht und durch meinen Kopf windet, immer und immer wieder: »The Ring of fire«. Aber in der Originalversion. Von Johnny Cash, nicht Bruce Springsteen. Dieser geniale, mehrdeutige Text mit seinen teuflisch tiefen und himmlisch hochfliegenden Ebenen, den kaum jemand ins Deutsche zu übersetzen vermag, ohne dass es holpert: »Der Geschmack der Liebe ist süß, wenn sich Herzen wie unsere treffen. Ich verfiel Dir wie ein Kind, oh, aber das Feuer schlug hoch. Liebe ist ein brennendes Ding, und sie bildet ’nen feurigen Ring. Und es brennt, brennt, brennt, der Ring aus Feuer, der Ring aus Feuer.« Meine Begeisterung für Johnny Cash, diesen tief gläubigen Sänger, wurde durch meinen Vater geprägt, der auf unseren Ausflugsfahrten derart häufig seine Lieder spielte und mitsang, bis ich sie bis heute teilweise auswendig herbeten kann. Johnny Cash, Country- und Westernsänger, Rock’n’Roll war die Musik seiner Jugend. Die Melodie seiner Auflehnung und seiner inneren Revolution gegen die Welt der Erwachsenen. Mein Vater war Mitglied im Verein christlicher junger Männer, CVJM. In diesem Sinne war mein Vater ein »Believer«. Cash, die Begleitmusik seiner Jugend. Zeltlager. Unbeschwerte Sommer. Und immer wieder die rauchige Stimme von Johnny Cash. Dieser Rhythmus, der Motorsound vom Opel Manta, die vorbeirauschende Landschaft und der sich im Takt wiegende Glatzkopf meines Vaters haben mich geprägt. Wie oft haben wir auch laut mitgesungen. Meine Mutter machte mit, obgleich sie fünf Jahre jünger als mein Vater und vom Musikgeschmack eher ein Kind der Beatles-Zeit war oder auch gerne deutsche Schlager hörte. Auch die kann ich auswendig. Auch wenn ich das nicht so gerne zugebe. Johnny Cashs Texte allerdings, die haben sich in meine Seele gebrannt, wie jetzt die Nadel in meine Haut. Ihre Spuren werden bleiben, so wie die genialen Lieder von Cash, der für mich Jahr für Jahr neue, überraschende Facetten aufscheinen lässt. Seine Musik hat sich entwickelt, ein wenig wie mein Glauben. Erst kindlich naiv, aufbegehrend – und dann mit den Jahren an Lebenserfahrung immer tiefer die ganze Dimension erfassend. Neues Stechen, neuer Schmerz, neue Erinnerungen. Die Bilder meiner Kindheit folgten in einer schnellen Abfolge. Ich sehe mich mit meinen grün gefärbten Haaren, sehe das Entsetzen meiner Lehrer, meiner Eltern und meines Großvaters. Ich sehe meine besorgten Eltern mir ins Gewissen reden, ich solle mich endlich anstrengen, etwas Ordentliches lernen, in die Bank oder eine Versicherung gehen. Meine Vorfahren waren immer schon Arbeiter und Tagelöhner gewesen. Und das sage ich voll trotzigem Stolz: Ich bin ein Arbeiterkind aus Nürnberg. Ich stamme väterlicherseits aus einer dieser klassischen, fränkischen, bodenständigen Arbeiterfamilien, die evangelisch-rechtschaffend leistungsorientierten Werten folgten. Fleiß. Pünktlichkeit. Gründlichkeit. Ehrlichkeit. Strebsamkeit. Zuverlässigkeit. Tugendhaftigkeit. Genügsamkeit. Gehorsam. Wieder sticht und brennt es. Ich öffne kurz die Augen, sehe die stechende Nadel und den Tätowierer, der sie führt. Der Schmerz fährt tief, tief wie der seelische Schmerz, der ebenfalls in mir brennt. Ich schließe die Augen wieder und falle in die Erinnerung zurück. Wie passt das zusammen, diese evangelische Bodenständigkeit, diese genügsame Strebsamkeit und Johnny Cash? War und ist das nur Rebellion, Auflehnen gegen das Elternhaus und dessen Werte? Nein. Nicht nur, dass ich meine Kindheit als behütet, als glücklich empfunden habe, alles war so intakt. Nein, auch deshalb, weil Johnny Cash und seine Musik und seine Lieder mehr sind. Auf meinem Körper finden sich auch ein paar Tattoos aus Cashs Leben, die unmittelbar mit meinem Leben zu tun haben: Zum Beispiel ein Zellenfenster, vergittert mit Blick nach draußen, und eine Dampflok, als Tribute an das legendäre siebzigminütige Cash-Konzert im Knast Folsom-Prison am 13. Januar 1968, diesem Meilenstein der Musikgeschichte. Jahrelang hatte Cash vergeblich mit seiner Plattenfirma gekämpft, ausgerechnet dort, an einem Ort des Bösen, ein Konzert geben zu dürfen. Niemand traute ihm das noch zu. Cash war nach seinem ersten Megahit »Ring of Fire« – meinem zweiten Lieblingstitel – an seinem Welterfolg fast erstickt und wirklich tief abgestürzt. »Manchmal bin ich zwei Personen: Johnny ist der Nette, und Cash macht all den Ärger. Sie kämpfen miteinander!« Ein bekanntes Zitat des Musikers, der ein Mensch mit zwei Gesichtern war. Hier die populäre Country-Ikone, ein Hüne mit markantem Bassbariton und einem missionarischen Glauben. Dort der raue Rebell, der launische Egoist und Drogensüchtige, der mit dem Gesetz in Konflikt kam, mit Schuldgefühlen, Depressionen und Schmerzen rang, sich umbringen wollte, seine Vorsätze verriet und längst am Ende schien. Schließlich erlaubte es die Plattenfirma, hatte aber zwei Durchläufe angesetzt, aus Angst vor Cashs drogenbedingten Aussetzern. Doch schon das erste Konzert mit seiner roh und so authentisch wirkenden Knastausstrahlung lief fehlerfrei und wurde eines der besten Livealben seiner Zeit, mit dem »Folsom Prison Blues« wird es zum Welthit. Für mich ist das Album noch mehr: Ich habe selbst hin und wieder im Knast als Seelsorger gewirkt, in Stadelheim und anderswo, und das, was Cash dort machte, ist gesungene Diakonie. Gefangene besuchen, das ist eines der Werke der Barmherzigkeit und die wiederum essenzieller Bestandteil meiner Spiritualität. Ruhig führt der Tattoo-Meister seine Hand, aber mit jedem Zentimeter wühlt er mit seinen Nadelstichen alles weiter auf, füllt mit Farbe, was eben noch schwarzweiß aus dem Dunkel kam. Über dem Herzen ist die Haut besonders dünn. Die Nadeln schlagen ihre Spur, tief unter meine Haut. Es ist, als würden die Stiche dein Brustbein perforieren, es zertrümmern, um dann immer tiefer vorzustoßen – mitten in dein Herz. Was waren das für Gefühle gewesen. Der erste Kuss, irgendwo auf einem Dachboden auf einer alten verstaubten Couch, verborgen vor den strengen Eltern der Freundin: »Gefangen durch wildes Verlangen fiel ich in einen Ring aus Feuer. Ich fiel in einen brennenden Ring aus Feuer. Ich fiel in einen brennenden Ring aus Feuer, ich sank tiefer, tiefer, tiefer. Und die Flammen stiegen höher, und er brennt, brennt, brennt:
Der Ring aus Feuer.« Es hätte nicht so enden dürfen. So nicht. Nach fünfzehn Jahren Beziehung. Die Stiche und der Schmerz, mit ihnen kommt noch mehr Erinnerung: An vergangene Tage, Tage, an denen ich mir klein vorkomme. Und schwach. Ungeliebt. Und fühle mich nicht mehr so selbstsicher, wie ich einst war. An manchen Tagen ist mein Unglück so übermächtig, dass ich nicht aus dem Bett komme, so schwach fühle ich mich. Zu schwach, aufzustehen und den Tag, die Sonne, das Licht in mein dunkles Zuhause und mein Herz scheinen zu lassen, das sie verlassen hat. Sie hatte sich nicht mal mehr die Mühe gemacht, es mir persönlich zu sagen. Eines Abends hatte sie angerufen, aus der Ferne von ihrem neuen Arbeitsplatz, und zunächst fast geschäftsmäßig mitgeteilt, Rainer, es geht nicht mehr. Dann war es still gewesen zwischen uns. Wie all die Monate zuvor, wenn sie nur noch an den Wochenenden – und dies auch immer seltener – abgearbeitet nach Hause kam. Wie bei meinen Besuchen bei ihr, wo mir Stadt und Apartment gleichermaßen fremd waren. Wo wir uns fremd waren. Wir waren uns nie wieder so nahe gekommen wie all die Jahre zuvor. Jetzt – sie in der fremden Stadt und dem fremden Apartment und ich hunderte Kilometer entfernt – jetzt drang erst langsam bei mir durch, dass jetzt da war, was wir beide längst wussten. Dass es aus ist. Ein Moment, der dich kalt anfasst, dir den Atem nimmt – wie wenn jemand stirbt. Ich konnte nichts sagen. Minutenlang. Zu übermächtig waren all die Gedanken, die Erinnerungen und der Abgrund an Konsequenzen, der sich vor mir auftat. Stille kann sehr laut sein. Dann habe ich geweint. Dann hat sie geweint und aufgelegt. Und seither war ich allein. Mein Leben lang habe ich die Einsamkeit gefürchtet, war vor ihr geflohen und hatte immer die Gemeinschaft mit vielen anderen Menschen gesucht, um mich aufgehoben und geborgen zu fühlen. Das ist seit meiner Kindheit schon so. Vielleicht, weil ich Einzelkind bin. Jetzt hatte mich die Einsamkeit eingeholt, und das war nicht gut so. Alles Vertraute war fort. Unser Bett blieb kalt. Ich schlief auf dem Wohnzimmerboden. Wo war jetzt noch Heimat? Wie oft haben meine Großeltern davon erzählt, die wirklich Heimatlosen. Wie groß die Not im ersten Winter nach dem Krieg war, auf der Flucht: vor Hunger, Frost, Verfolgung und Tod. Wo...