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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 19, 235 Seiten

Reihe: Historische Einführungen

Füssel Wissen

Konzepte - Praktiken - Prozesse
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-593-44822-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Konzepte - Praktiken - Prozesse

E-Book, Deutsch, Band 19, 235 Seiten

Reihe: Historische Einführungen

ISBN: 978-3-593-44822-0
Verlag: Campus Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wissen ist nicht nur eine umkämpfte Ressource unserer Gesellschaft, sondern mittlerweile auch ein zentraler Gegenstand der Geschichtswissenschaften. Seit den 1990er Jahren hat sich neben der Wissenschaftsgeschichte eine eigene Wissensgeschichte etabliert, deren Themen und Theorien weit über das wissenschaftliche Wissen hinausgehen. Gerade diese Dynamik der Ausweitung macht einen komprimierten Überblick erforderlich - Marian Füssel bietet ihn mit dieser prägnanten Einführung in ein wichtiges Thema der historischen Kulturwissenschaften. Thematische Schwerpunkte des Studienbuchs bilden Räume, Institutionen, Akteure, Praktiken, Medien, Prozesse und Narrative der Geschichte des Wissens, also Archive und Bibliotheken, Akademien und Universitäten, Wunderkammern und Museen oder die Gelehrtenkultur Europas seit dem Mittelalter. Außerdem diskutiert der Band auf dem aktuellen internationalen Forschungsstand unterschiedliche Wissensbegriffe, das Verhältnis von Wissensgeschichte und Wissenschaftsgeschichte, die Geschichte des Nicht-Wissens und die Historisierung der Wissensgesellschaft.

Marian Füssel ist Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der Wissenschaftsgeschichte an der Universität Göttingen.

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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. Was ist Wissensgeschichte?
1.1 Theorien und Ansätze
Wissensgeschichte ist kein klar gefasster Gegenstandsbereich, sondern eine bestimmte Perspektive auf eine potentiell unbegrenzte Vielfalt von Gegenständen. Das Forschungsfeld, das sich in den letzten Jahren unter dem gemeinsamen Dach der Geschichte des Wissens formiert hat, verdankt seine Existenz einer Vielzahl von theoretischen Einflüssen und Forschungstraditionen, die von der älteren Wissenssoziologie bis zur postkolonialen Epistemologie reichen. Als die beiden ältesten Ansätze können die Wissenssoziologie und die Historische Epistemologie gelten, deren formative Phasen im Wesentlichen in die Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg fielen (Knoblauch 2010: 90–115; Rheinberger 2007: 35–77). Wissenssoziologie und Historische Epistemologie Mit der Wissenssoziologie trat Wissen als Medium der Vergesellschaftung in den Blick, und viele der aktuellen Fragehorizonte der Wissensgeschichte wurden von ihr bereits vorweggenommen (Schützeichel 2007). Der in Ungarn gebürtige Soziologe und Philosoph Karl Mannheim (1893–1947) gilt als einer der Begründer der Wissenssoziologie (Mannheim 1964). Er prägte Begriffe wie den »epistemologischen Relationismus«, den »absoluten Ideologiebegriff« und entwickelte Alfred Webers Begriff der »freischwebenden Intelligenz« weiter. Ideen sind für ihn immer abhängig von der gesellschaftlichen Position ihrer Träger. Laut Mannheim gebe es kein Denken jenseits der Ideologie, einzig die Intelligenz vertrete einen sozial ungebundenen Standpunkt. Mannheim unterschied »konjunktives« und »kommunikatives« Wissen und ebnete damit den Weg für Konzepte wie das implizite vor-theoretische im Gegensatz zum expliziten Wissen. Zuvor hatten sich bereits Soziologen wie Max Scheler (1874–1928) mit den Zusammenhängen der neuen Naturphilosophie des 17.?Jahrhunderts und dem gleichzeitigen Aufkommen des Kapitalismus beschäftigt, eine Frage von ungebrochener Aktualität (Freudenthal 1982; Cook 2007). Scheler unterschied Herrschaftswissen, Bildungswissen und Erlösungswissen als drei existentielle Seinsverhältnisse und wandte sich damit von einem positivistischen Wissensverständnis ab, das allein das wissenschaftliche Wissen privilegiert (Scheler 1926/1960). Die frühe Wissenssoziologie perspektivierte auch die Produktionsprozesse des wissenschaftlichen Wissens neu; marxistische Philosophen wie Edgar Zilsel (1891–1944) historisierten den Geniekult (Zilsel 1990) und begriffen Wissensproduktion als ein kollektives Projekt. Der polnische Mikrobiologe und Erkenntnistheoretiker Ludwik Fleck (1896–1961) prägte am Beispiel der Syphilis-Forschung die Begriffe des »Denkkollektivs« und des »Denkstils« und gilt als einer der Begründer einer Historischen Epistemologie (Fleck 1935 [1980]). Für die Medizingeschichte folgenreich wurde damit die Erkenntnis, dass Krankheitsbilder soziale Konstrukte und keine objektiven Beschreibungen von Wirklichkeit sind (Schlich 1998). Zwischen forschendem Subjekt und erforschtem Objekt steht das Denkkollektiv der Gemeinschaft der Forschenden, die einen gemeinsamen Denkstil teilen. Während Karl Mannheim und Edgar Zilsel die Flucht vor den Nationalsozialisten gelang, wurde Fleck in Auschwitz und Buchenwald inhaftiert, überlebte jedoch den Holocaust aufgrund seiner medizinischen Forschungszwangsarbeit. Der Terror des NS-Regimes führte zum vorläufigen Ende der Wissenssoziologie in Deutschland, deren Schriften erst in den 1970er und 1980er Jahren wiederentdeckt wurden. Neben Fleck erhielt die Historische Epistemologie zentrale Impulse durch die Franzosen Gaston Bachelard (1884–1962) und dessen Lehrstuhlnachfolger an der Sorbonne und als Direktor des Instituts für Geschichte der Wissenschaften Georges Canguilhem (1904–1995) (Erdur 2018). Bachelard hat mit der Kategorie des »epistemologischen Bruchs« sowohl auf die Differenz von intuitiver Alltagserfahrung und kontraintuitiver wissenschaftlicher Erfahrung hingewiesen als auch auf den Bruch mit der bis dato geltenden Wahrheit, die durch neue Erkenntnisse herausgefordert wird (Bachelard 1938 [1984]). Für die Wissensgeschichte ist Bachelard unter anderem in der Rezeption Michel Foucaults weiter wirksam geworden, mit dem er das Insistieren auf der radikalen Historizität wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse teilt. Michel Foucault und Pierre Bourdieu Mit Michel Foucault und Pierre Bourdieu hat sich in Frankreich eine poststrukturalistische Wissenssoziologie entwickelt, der die Wissensgeschichte wichtige Einflüsse verdankt. Gemeinsam teilen Foucault und Bourdieu das Interesse an den sozialen Konstitutionsbedingungen von Wissen und Wissenschaft. Foucault interessierte, wie Diskurse – verstanden als regelgeleitete Aussageformationen, die nicht nur Texte, sondern auch Bilder, Graphiken oder Architekturen enthalten können – an der Kontrolle des gesellschaftlich legitimen Wissens arbeiten. Er unterscheidet drei Formen der Regulierung: externe Prozeduren der Ausschließung, interne Mechanismen der Kontrolle und die Verknappung der sprechenden Subjekte. So werden bestimmte Akteure extern durch Tabuisierung oder Ritualisierung von den Produktionsstätten der Wahrheit ausgeschlossen, während intern Praktiken wie der Kommentar, das Prinzip der Autorschaft oder Institutionen wie Disziplinen regulierend auf das geltende Wissen einwirken. Diskursgemeinschaften und Rituale sorgen schließlich dafür, dass bestimmte Subjekte sich gar nicht erst äußern können, etwa durch die Verweigerung akademischer Zertifikate oder den Ausschluss von bestimmten Publikationsformaten wie der wissenschaftlichen Zeitschrift. Es geht Foucault um die Archäologie und die Genealogie historischer Relationen von Macht und Wissen, die sich vor allem in Diskursen und Praktiken artikulieren und nicht durch einige starke Akteure. Foucaults Ansätze sind unter anderem für die Erforschung von Wissen und Geschlecht und die postkoloniale Wissensgeschichte enorm einflussreich geworden. Bourdieu sucht ebenfalls nach Auswegen aus dem klassischen Strukturalismus und findet ihn in der Beziehung von Habitus und Feld. Der Habitus ist weder Rolle noch beliebig wechselbare Selbststilisierung, sondern inkorporierte Geschichte. Er prägt in gruppenspezifischen Sozialisationsprozessen erworbene Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster aus, die die sozialen Akteure voneinander unterscheiden. Das soziale Kräfteverhältnis der Akteure untereinander nennt Bourdieu Feld, im Sinne eines physikalischen Kräftefeldes, etwa eines Magnetfeldes. Die Struktur des Feldes ist von der Zusammensetzung bestimmter Kapitalsorten bestimmt, neben dem ökonomischen Kapital unter anderem sozialem und kulturellem Kapital. Gemeinsam ist die Notwendigkeit der sozialen Anerkennung der Kapitalien in Form des symbolischen Kapitals der Ehre. Wissen kann als kulturelles Kapital in inkorporierter Form, als Fähigkeit oder Fertigkeit, in institutionalisierter, etwa zertifizierter Form (Doktortitel) oder in objektivierter Form (Buchbesitz) auftreten. Innerhalb eines sozialen Feldes wie der Wissenschaft bestimmen sich die Position der Akteure und damit die Geltungschancen ihres Wissens über die Kapitalien. Der Habitus wiederum reguliert die soziale Passgenauigkeit zu den Regeln des Feldes. Für den Homo Academicus gelten beispielsweise andere Umgangsweisen als für einen frühneuzeitlichen Höfling oder einen modernen Banker. Systemtheorie Die Frage, wie autonom das wissenschaftliche Feld gesellschaftlich agiert, ist Gegenstand einer systemtheoretischen Wissenssoziologie, wie sie in Deutschland von Niklas Luhmann und Rudolf Stichweh geprägt wurde. Als soziales System ist Wissenschaft von einem spezifischen Code geprägt, der Differenz wahr/unwahr (Luhmann 1990). Je mehr das System diesen Code gegen äußere Imperative von Religion, Politik oder Ökonomie durchzusetzen in der Lage ist, desto autonomer wird es – ein historischer Prozess, der durch den gesellschaftlichen Transformationsprozess von der stratifikatorischen zur funktional differenzierten Gesellschaft seit der Sattelzeit um 1800 befördert worden sei. Stichweh ist vor allem mit Arbeiten zur Geschichte der System/Umwelt-Beziehungen der europäischen Universität und der Entstehung des modernen Systems wissenschaftlicher Disziplinen ...



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