E-Book, Deutsch, 218 Seiten
Gast Odysseus
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-6613-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Logbuch
E-Book, Deutsch, 218 Seiten
ISBN: 978-3-7534-6613-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Welche Anziehungskraft liegt in diesen Geschichten, die ein Grieche namens Homer vor rund 27 Jahrhunderten in 12.109 Verszeilen festhielt? Warum wurden die kruden Erlebnisse einer Fantasiegestalt nicht längst vergessen, sondern durch sehr unterschiedliche Epochen weitergetragen. Die Oberfläche der Erzählung, die Erscheinungsbilder allein erklären den Erfolg nicht. Einige Schichten tiefer ist eine zuverlässige Antwort zu finden: Es sind musterartige Situationen, in denen Leser aller Epochen immer wieder Eigenes entdecken. Der Aufbruch, um ein bestimmtes Ziel zu ereichen. Zwischenfälle unterwegs, die in eine andere, oft in entgegen gesetzte Richtung treiben. Das Eingefangensein in Umstände und die (bisweilen brutale) Befreiung daraus. Verführungen, denen man eine Zeitlang freudig nachgibt. Der nie ganz aufgegebene Traum vom Happy End. Die Odyssee als Lebensform und Lebenslinie: eben dies ist das Thema des vorliegenden Buches. Es liefert hierzu einen philosophischen Essay. Darin aber werden Fragen und Antworten nicht in allgemeinen Aussagen und Grundsätzen diskutiert; der Autor bevorzugt das narrative Philosophieren, das wie jedes Erzählen konkret, anschaulich, tatsachenbezogen bleibt. Ein ideales (und zur Nachahmung empfohlenes) Arbeitsmittel ist hierbei das Tagebuch. Ein Mensch nimmt Tatsachen zu Protokoll, setzt sich mit ihrer Bedeutung - ihrem Zweck und Sinn - auseinander und kann versuchen, seinen Umgang mit der Welt jenen Deutungen anzupassen, die er gewonnen hat.
Geboren 1940 in Nürnberg. Ab 1960 quer durchs Studium Generale, Universität Erlangen. Zusatzausbildung Schauspiel und Gesang. 1968 Doctor iuris utriusque. 1977 Habilitatiom in Jura und Philosophie, Universität Mannheim. Dort apl. Professor für Rechtsphilosophie und Juristische Rhetorik. Von 1985 bis 2001 Leitender Redakteur und Cheflektor in Fachverlagen. Bis 2016 Rechtsanwalt. 2001 Ankunft im Traumberuf: Freier Schriftsteller und Publizist. Dazu als Solobetrieb: Kabarett mit philosophischer Schlagseite. Seit 2013 Mitglied im Pegnesischen Blumenorden (1644 in Nürnberg gegeründete Literatur- und Sprachgesellschaft). Werkauswahl (ohne wissenschaftliche Monografien und Lehrbücher): Erstes Hologramm. 1003 Bagatellen, 1992. - Auch Arkadien. Jahrestage-Roman, 1999. - Zeitbruch. Protokoll am Jahrtausendrand, 2010. - minimale geschichten, 2012. - Andere Horizonte. Geschichten von Anfang und Ende, 2015. - flammmen, fluten und das spiel. 68 philosophische Scherenschnitte, 2019. --- Als Koautor gemeinsam mit Ursula Gast: paarweise. Ein Lobgesang auf das Leben zu zweit, 2001. - Glücklich sein mit Sisyphus, 2004.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
SPIEGEL
30 Vor dem Spiegel. Er macht sich ein Bild von mir. Ich gehe zur Seite. Schon hat der Spiegel mich vergessen. Sein Glück scheint zu sein, dass er keine Erinnerung hat. 31 Dem Spiegel halte ich ein Buch entgegen. Er zeigt den Einband; Bild und Schrift. Das Bild: mit verdrehten Seiten (linker Anfang ist rechtes Ende geworden). Die Schrift: unlesbar. 32 Jene Spiegel mit glänzend glatter Oberfläche spielen nur. Sie halten nichts fest, die Wirklichkeit tanzt an ihnen vorüber. Über sie hinweg. Ein gewöhnliches Blatt Papier hingegen behält, bewahrt auf, was ihm eingeschrieben wurde. Mein Spiegel: papieren. 33 Jeder Schreiber hinterlässt Spuren. Zeugnisse seiner Hand, auch seines Geistes. Gleichgültig, was er aufgezeichnet hat. Fremdes oder eigenes Dasein. 34 Als eigentlicher Aufzeichner erscheint uns der Bildkünstler, nicht der Schreibkünstler. Bilder sind die ältere Darstellungsweise, die Schrift ist ein Spätling. Erst in der Metapher zeichnet ein Schreiber etwas auf. Mittelbar ist auch er ein Bildermacher. 35 Das Bildzeichen ist offen. Schriftzeichen werden durch Lesen geöffnet. Auf einem Bild sehe ich, was es zeigt. Einen Satz muss ich verstehen, damit sich einfinden kann, was er zeigen soll. 36 Zeichnung und Schriftzeichen, beide haben ihren Inhalt. Der für einen geübten Betrachter/Leser auf Anhieb zutage tritt. Verhält es sich schwieriger, ist Auslegungsarbeit fällig. 37 Für Fremde, Unkundige ist der Spiegel leer, das Blatt Papier schwarz. 38 Das bleiche Papier: dürstet nach Leben in Wort und Bild. Der glänzende Spiegel: ihn stören Dinge nur. 39 Auch der Text seinerseits, jedes Wort in ihm, ist Spiegel. Spiegelstrecke: Vom Papier zur Inschrift zum aufgeschriebenen Etwas. 40 Der Satz als Spiegelbild – wofür? Ganz allgemein und unbestimmt gesprochen: Für ein Stück Welt. Wie kommt Welt in den Satz? Der Satz zur Welt? Die Brücke zwischen Satz und Welt. Sie hat zwei konträre Namen. Entweder: Wahrheit. Oder: Irrtum. Der vorsätzliche Irrtum: Lüge. 41 Auch eine Odyssee. Unterwegs zwischen Untiefen, Blendwerken, Lockvögeln der Sprache, Taschenspielertricks und Wahrhaftigkeiten der Sprecher. Ein rettendes Wort Odysseus, eingesperrt in der Höhle des Riesen Polyphem. Der Einäugige will den Namen seines Gefangenen wissen. „Ich bin Outis.“ Am nächsten Tag blendet Odysseus den rabiaten Menschenfresser. Schreie des rasenden Verwundeten rufen die Nachbarn herbei. „Was ist los?“ „Outis will mich ermorden.“ „Er ist verrückt geworden“, sagen die Nachbarn. „Beschwert sich, weil keiner ihn umbringen will.“ Lachend ziehen sie ab. Der Fluchtweg ist frei. Warum? Outis, das Wort, bedeutet: Niemand. Keiner. Ein Wort als rettende Tarnkappe. „…dieses Blatt Papier…“ Das Wort als Spiegel. Jedoch wie viel oder wie wenig zeigt, verrät ein solcher Spiegel? Die definitive Antwort finden wir bei Hegel, in der Phänomenologie des Geistes von 1807. – Glücklich ein Mensch, der sich ein halbes Jahr lang mit nichts anderem als mit diesem Buch beschäftigen dürfte. Tiefer in das „Wesen“, teils auch „Unwesen“ der Wörter könnte er kaum noch jemals eindringen, als auf einem Gang durch jene rund 600 Druckseiten.* * Die hier zitierte Ausgabe: suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Bd. 8, 2. Aufl. 1975. Hegel sitzt am Schreibtisch, vor ihm liegt ein Blatt Papier. Ein Ding mit Namen. Er lautet: „ein Blatt Papier“. Wer den Namen kennt, weiß, was man vor sich hat. Was weiß er über dieses Ding noch? Zum Beispiel, dass man mit Feder und Tinte darauf schreiben kann. Der Schreiber weiß es – aber nicht schon, weil er den Ding=Namen kennt. Zusätzliche Wörter geben die Tatsache wieder, dass Papier sich dazu eignet, beschrieben zu werden. Zwar nicht jedes Papier, doch jedenfalls „dieses Blatt Papier“. Dessen Name allein nur besagt: Ein Blatt Papier ist … ein Blatt Papier … ist ein Blatt Papier …; und so weiter, in beliebig häufiger Wiederholung, die mich dem Blatt Papier nicht näher bringt. Dazu Hegel: >> Sage ich: ein einzelnes Ding, so sage ich es vielmehr ebenso als ein ganz Allgemeines, denn alle sind ein einzelnes Ding; und gleichfalls dieses Ding ist alles, was man will. Genauer bezeichnet, als dieses Stück Papier, so ist alles und jedes Papier ein dieses Stück Papier, und ich habe nur immer das Allgemeine gesagt. << Vielerlei lässt sich über ein Blatt Papier sagen: Seine Größe; seine Farbe; seine Tauglichkeit zum Beschriebenwerden; seine Brennbarkeit; wie es hergestellt wird… Mit Benennung oder längerer Beschreibung kommt dies alles und mehr zur Sprache. Der Name „Blatt Papier“ wird zur Überschrift, unter der Eigenschaften (usw.) des so benannten Dinges sich auflisten lassen. Anders gesagt: Der Name wird zum Begriff. Der Begriff ist die große Sammelschachtel, worin das Wissen, gelegentlich auch nur Vermutungen, Erwartungen, Thesen über die ergriffene, begriffene Sache aufbewahrt sind. Bereit zu jederzeitiger Verwendung. Immer auch ergänzbar um neue Erkenntnisse; und verbesserbar, indem falsche Aussagen über die Sache aus ihm entfernt werden. Sätze – ein Stück Text – machen die begriffene Sache anschaulich. Neue Erfahrungen mit der Sache machen den Begriff vollständig; eine relative, also nicht abgeschlossene Vollständigkeit. Mit dem, was er sagen kann, ist der Begriff unerschöpflich. Bei jeder Gelegenheit bediene ich mich aus seinem Vorrat, um zu sagen, was ich sehe oder meine und mitteilen will. Und jeder Mensch, der den Begriff gut genug kennt, wird mich verstehen. An der Satzgrenze Jeder Satz verschweigt, was über sein Thema – seine Sache – außerdem noch sagbar wäre. Ein Satz spricht über Mögliches. Oder er verspricht Unmögliches. Manches Mal sind Wörter stärker: Ein Satz fesselt Dinge, Sachverhalte, Tatsachen, Meinungen. Manches Mal sind Dinge (Meinungen über Dinge) stärker. Sie blamieren den Satz. Wohin Wörter – nicht – führen Im Anfang? Das Wort. Aus dem alles hervorgeht. Auch Wahrheit. So gut wie Lüge. Der wahre Satz und der gelogene Satz sehen gleich aus. Oft sogar deckungsgleich (kongruent). Das kleine Wort outis lenkt Riesen ab, führt sie in die Irre. Welch ein wunderbarer Erfolg. Aber ist der „eigentliche“ („wahre“) Zweck und Sinn der Wörter denn nicht, dass sie wohin führen sollen!? – Das Problem ist ungefähr so alt wie Homers Odyssee=Text. Einen berühmten (exemplarischen) Streit dazu hat Platon aufgeschrieben. (Ein Protokoll? Eine erfundene Geschichte?) Tyrannei der Namen Der erfolgreiche Händler oder Dieb – er, aber nur er allein dürfe sich Hermogenes, Sohn des Hermes, nennen. Denn ebendies wäre sein wahrer Name: ein Wort, das verrät, was der Mensch tatsächlich ist. In einem der philosophischen Theaterstücke („Dialoge“) Platons tritt der Sophist Kratylos auf, als hartnäckiger Verfechter des von Natur aus „wahren Wortes“. Rechtzeitig ist auch Sokrates zur Stelle; als habe er in den Kulissen auf sein Stichwort gewartet. Er soll, wie üblich, den Weg vom Streitpunkt zur Wahrheit ebnen. „Kratylos hier, o Sokrates, behauptet, jedes Ding habe seine von Natur ihm zukommende richtige Benennung, und … es gebe eine natürliche Richtigkeit der Wörter.“ – Also gibt es den richtigen Namen auch für jeden Menschen? – So sei es, sagt Kratylos; und mit einem Seitenhieb gegen Hermogenes, den Verursacher des Streits und Wortbezweifler: „Der deinige ist nicht Hermogenes, und wenn dich auch alle Menschen so rufen.“ Sokrates muss dem leicht Gekränkten die Pointe erklären: „Er meint wohl gar, du möchtest gern reich werden, aber als nicht von Hermes abstammend (Hermo/genes, wörtlich genommen) verfehlst du es immer.“ Man müsse schon den Gott der Händler und Diebe zum Vater haben, um ein Vermögen anzuhäufen. – Hermogenes lehnt es ab, seinen Namen als Verpflichtung zu begreifen: „Ich … kann mich nicht überzeugen, dass es eine andere Richtigkeit der Worte gibt, als die sich auf Vertrag und Übereinkunft gründet. … Denn kein Name irgendeines Dinges gehört ihm von Natur, sondern durch Anordnung und Gewohnheit derer, welche die Wörter zur Gewohnheit machen und gebrauchen.“ Nun fängt Sokrates damit an, alltägliche Wörter auf eine natürliche Bedeutung hin auszulegen. Eine Kette absurder Wortspiele entsteht. Beispiel: Gedanken....