Gaus | Der Sinn von Demokratie | Buch | 978-3-593-38870-0 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 936, 298 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 376 g

Reihe: Campus Forschung

Gaus

Der Sinn von Demokratie

Die Diskurstheorie der Demokratie und die Debatte über die Legitimität der EU
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-593-38870-0
Verlag: Campus

Die Diskurstheorie der Demokratie und die Debatte über die Legitimität der EU

Buch, Deutsch, Band 936, 298 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 376 g

Reihe: Campus Forschung

ISBN: 978-3-593-38870-0
Verlag: Campus


Soll die Legitimität der EU am Ideal des demokratischen Rechtsstaats gemessen werden? Viele Europaforscher behaupten: Nein! Dagegen argumentiert Daniel Gaus anhand der Diskurstheorie von Jürgen Habermas, dass der Begriff des demokratischen Rechtsstaats nicht beliebig durch andere Vorstellungen von Legitimität ersetzt werden kann. Dieser ist als normatives Ideal legitimer politischer Ordnung im kollektiven Bewusstsein moderner Gesellschaften fest verankert.
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Inhalt

Vorwort

Einleitung

Die Habermassche Theorie
1. Zur Rationalität sozialer Praxis: epistemische, teleologische und kommunikative Rationalität
1.1. Die Rationalität der Rede: Zum Aspekt kommunikativer Rationalität
1.2. Die praktische Funktion von Wissen: Zum Aspekt epistemischer Rationalität
1.3. Das Verhältnis von Zwecktätigkeit und sprachlicher Verständigung: Zum Aspekt teleologischer Rationalität
2. Ein Strukturmodell sozialer Praxis: Kommunikatives Handeln zwischen Diskurs und Lebenswelt
2.1. Der formalpragmatische Begriff der Lebenswelt
2.2. Kommunikatives Handeln zwischen Diskurs und Lebenswelt
3. Rekonstruktive Theorie der Gesellschaft
3.1. Der Begriff von Gesellschaft als Lebenswelt
3.2. Sinnrekonstruktion und Objektivität
3.3. Geltungsbedingungen einer Theorie der Gesellschaft
4. Eine Theorie der gesellschaftlichen Rationalisierung
4.1. Zum Begriff sozialer Evolution
4.2. Der Verlauf gesellschaftlicher Rationalisierung
5. Der Sinn von Demokratie
5.1. Die Problemkonstellation sozialer Ordnung in modernen Gesellschaften
5.2. Der Sinn einer Verfassungsgebung zum demokratischen Rechtsstaat
5.3. Rekonstruktive Soziologie der Demokratie

Exemplarische Analyse zweier Rechtfertigungen der Rechtsordnung der Europäischen Union
6. Die Unterscheidung zwischen Input- und Output-Legitimation
7. Rechtfertigung der EU qua nicht-staatlicher Organisation

Schlussbetrachtung und Ausblick

Literatur


Einleitung

Mit dem vorliegenden Buch vertrete ich die These, dass sich die Diskurstheorie der Demokratie als Bestandteil einer allgemeinen Soziologie von Jürgen Habermas verstehen lässt und als solche mit dem explanativen Geltungsanspruch einher geht, Zusammenhänge politischer Praxis in modernen Gesellschaften zutreffend zu beschreiben. Meines Erachtens stellt sie einen Beitrag zur "Rekonstruktion der Struktur sozialer Überzeugungssysteme und Rechtfertigungspraktiken" (Peters 2000, 290) dar und entwickelt unter anderem Hypothesen über die Legitimationspraxis politischer Herrschaft in modernen Gesellschaften. Mit dieser These verbindet sich der Vorschlag, die Diskurstheorie der Demokratie als ein Erklärungsmodell der Struktureigenschaften moderner politischer Praxis zu betrachten, das es in künftiger politikwissenschaftlicher Forschung weiterzuentwickeln gilt und dessen Hypothesen einer Geltungsüberprüfung unterzogen werden sollten.

Diese Interpretation unterscheidet sich von der Rezeption, die die Diskurstheorie der Demokratie in der Politikwissenschaft für gewöhnlich erfährt. In der politikwissenschaftlichen Diskussion bzw. der politischen Theorie ist die Prämisse weit verbreitet, Habermas lege mit seiner Theorie zum demokratischen Rechtsstaat eine Argumentation vor, die einen normativ-präskriptiven bzw. normativ-evaluativen Geltungsanspruch erhebt. Zur exemplarischen Veranschaulichung einer derartigen Rezeption soll folgende Beschreibung der Habermasschen Demokratietheorie aus dem "Lexikon der Politikwissenschaft" (2005) herangezogen werden:

"Die Verfechter des Ideals der Herrschaftsfreiheit setzen auf den herrschafts- und repressionsfreien Diskurs, welcher das unverzichtbare Mindestmaß an Gemeinsamkeit erzeugen soll, indem er täuschungsfrei die Interessen aller Beteiligten offenkundig macht. Das Diskursmodell von Jürgen Habermas geht von der Wahrheitsfähigkeit praktischer Fragen aus und mündet konsequent in der Forderung nach konsensuellen Einigungsverfahren. Wo keiner mehr überstimmt wird, kann sich keiner mehr beherrscht und fremdbestimmt empfinden. An diesem utopischen Fluchtpunkt berühren sich die partizipatorische und die anarchistische Variante der kritischen Demokratietheorie." (Guggenberger 2005)

Die Annahme, dass Habermas' Theorie auf die Begründung von allgemein akzeptierbaren Maßstäben zur normativen Rechtfertigung bzw. zur praktischen Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse zielt, hat nicht nur Eingang in die Lehr- und Handbücher der Disziplin gefunden (von Beyme 2000, 256ff.; Gutmann/Thompson 2001, 137f.; Scheuerman 2006, 85ff.). Sie liegt in unterschiedlicher Ausprägung auch differenzierten Diskussionen in der politischen Theorie sowie der Demokratietheorie zugrunde. So beziehen sich beispielsweise Arbeiten, die sich mit dem Thema Gesellschaftskritik befassen, auf die Habermassche Theorie als einer "single comprehensive social theory as the basis for social criticism" (Bohman 1999, 54). Dort wird sie als eine kritische Theorie im Sinne einer Theorie aufgefasst, die auf die Konstruktion ideal-rechtfertigbarer Bedingungen zielt, welche eine gerechte Gesellschaftsordnung ermöglichen bzw. welche anzeigen, wann praktische Kritik an bestehenden Verhältnissen als gerechtfertigt gelten kann (Iser 2008; Morris 2001; Sitton 2003). In diesem Zusammenhang bezieht sich Rainer Forst auf die Habermassche Argumentation als Kandidaten für eine Theorie der Gerechtigkeit, deren Anspruch er wie folgt beschreibt:

"[D]ie konstruktive und kritische Aufgabe einer Theorie der Gerechtigkeit [lässt sich] so verstehen, daß sie die normativen Bedingungen benennt, unter denen eine soziale Grundstruktur gerechtfertigt genannt werden kann. […] Der konstruktive Teil der Theorie liegt in dem Aufzeigen der Prämissen, Prinzipien und Verfahren des Projekts der Etablierung einer gerecht(er)en Gesellschaft, ihr kritischer Teil liegt in der Aufdeckung falscher oder fehlender Begründungen für bestehende soziale Verhältnisse und der Rückgabe der Begründungsmacht an die Subjekte selbst." (Forst 1999, 160 und 161)

Ein solches Verständnis der Habermasschen Theorie im Sinne einer konstruktiv-kritischen Theorie bildet auch die Grundlage für die Rezeption der Diskurstheorie der Demokratie im engeren Kontext der Demokratietheorie. Dort wird sie als eine Theorie betrachtet, die "consist[s] of a set of principles that are intended to establish fair terms of political cooperation in a democratic society" (Gutmann/Thompson 2003, 31). Dieser Prämisse entsprechend wird Habermas' Argumentation zur Demokratie unter dem Gesichtspunkt diskutiert, inwiefern es ihm gelingt, "to show how the core idea of radical democracy - that legitimate laws are authored by the citizens subject to them - can still be credible in complex and pluralist societies" (Rehg/Bohman 2002, 31). Seine Erläuterungen zum demokratischen Rechtsstaat werden in dieser Perspektive interpretiert als Entwurf eines Modells von Institutionenordnung, mit dem zweierlei angezeigt werden soll: zum einen die institutionelle Form, in der die normativen Ideale, welche Habermas in seiner Gesellschaftstheorie zuvor als ideal-rechtfertigbar ausgewiesen habe, in der politischen Praxis moderner Gesellschaften realisiert wären; und zum anderen, dass eine solches Modell institutioneller Ordnung keine bloße Utopie bleiben müsse, sondern unter den tatsächlichen Bedingungen komplexer Gesellschaften realisierbar sei (Benhabib 1996, Baynes 2002; Marsh 2001; Niesen/Eberl 2006). Im Lichte dieser Annahme lässt sich die Kritik an der Diskurstheorie in der Literatur zur Demokratietheorie unter verschiedene Typen von Einwänden fassen: dem Einwand, dass die von der Diskurstheorie als ideal-gerechtfertigt ausgezeichneten Prinzipien den normativen Gehalt politischer Praxis nicht erfassen und in der Folge das Modell einer Institutionenordnung nicht normativ rechtfertigbar ist (Jörke 2003, Mouffe 2000; Thomassen 2008); dem Einwand, dass Habermas von den normativen Idealen in der Ausarbeitung seines Modells weiter abrückt, als es die Umstände komplexer Gesellschaften erfordern, und die Diskurstheorie damit den Status einer kritischen Theorie im obigen Sinne einbüßt (Bohman 1996, ch. 4; Buchstein/Jörke 2004; Dryzek 2000; Schmalz-Bruns 1995); schließlich dem Einwand, dass es der Diskurstheorie nicht gelingt, aufzuzeigen, inwiefern die bzw. einzelne der zugrunde gelegten normativen Ideale in dem entworfenen Modell realisiert werden, weil das Abstraktionsniveau der Argumentation zu hoch ist (Baynes 2002) oder weil grundsätzlich anzuzweifeln ist, dass sich solche Ideale in der Realität politischer Praxis wiederfinden könnten (Abromeit 2002, 100ff.; Goodin 2003, 173; Mansbridge 1996; Rehg/Bohman 2002; Shapiro 2003, 123). Im Kontext dieser demokratietheoretischen Rezeption nimmt William E. Scheuerman Habermas' Argumentation zum demokratischen Rechtsstaat als eine "deeply ambiguous account of modern democracy" (Scheuerman 1999, 155) wahr:

"First, Between Facts and Norms at times seems to point to the outlines of an ambitious radical democratic polity, based on far-reaching social equality, and equipped with wide-ranging capacities for overseeing bureaucratic and market mechanisms. Yet Habermas never adequately develops this line of enquiry. Despite his repeated attempts to overcome a false juxtaposition of normativity and facticity, this model remains at the level of an abstract ›ought‹. […] Second, Habermas simultaneously suggests a defensive model of deliberative democracy in which democratic institutions exercise at best an attenuated check on market and administrative processes, and where deliberative publics most of the time tend to remain, as Habermas himself describes it, ›in dormancy‹ (im Ruhezustand)." (Scheuerman 1999, 155 und 156)

Wenn man die Diskurstheorie der Demokratie als konstruktiv-kritische Theorie versteht, kommt eine solche Beschreibung der Habermasschen Demokratietheorie der Diagnose eines Scheiterns an der oben beschriebenen doppelten Aufgabe gleich. Entsprechend äußert Scheuerman Zweifel daran, dass mit Bezug auf die Diskurstheorie der Demokratie Gesellschaftskritik erfolgreich zu betreiben sei:

"[S]hould critical theorists continue to devote their intellectual energy to the project of deliberative democracy? Does deliberative democracy constitute the legitimate future - and not just the contemporary - focus of critical theory?" (Scheuerman 2008, 123)


Gaus, Daniel
Daniel Gaus ist Senior Researcher am Centre for European Studies (ARENA) der Universität Oslo in Norwegen.

Daniel Gaus ist Senior Researcher am Centre for European Studies (ARENA) der Universität Oslo in Norwegen.



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