Buch, Deutsch, 88 Seiten, Paperback, Format (B × H): 155 mm x 220 mm, Gewicht: 154 g
Buch, Deutsch, 88 Seiten, Paperback, Format (B × H): 155 mm x 220 mm, Gewicht: 154 g
ISBN: 978-3-96146-761-7
Verlag: Diplomica Verlag
Die Übernahme der Behandlung eines Patienten durch den Heilkundigen stellt einen Schlüsselpunkt im Arzt-Patienten-Verhältnis dar. Das „unfreiwillige Übernahmeverschulden“ bezeichnet hierbei eine Situation, in welcher der Arzt ohne Not, sowie gegen besseres Wissen und Können, eine Behandlung übernimmt, da er sich dazu gedrängt sieht. Die vorgenommenen medizinischen Maßnahmen kann er unter diesen Umständen nicht nach dem sogenannten „Facharztstandard“ durchführen. Dabei bedeutet die Unfreiwilligkeit der Behandlungsübernahme nicht notwendigerweise, dass vorwerfbares Fehlverhalten des Arztes vorliegt.
Als Schwerpunkt dieser Studie wird die mit dem Übernahmeverschulden zusammenhängende Problematik der Haftung des Arztes diskutiert. Dabei werden wesentliche Aspekte anhand der geltenden Rechtsprechung entwickelt und mögliche Lösungsansätze vorgestellt.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Rechtswissenschaften Berufs- und Gebührenrecht freie Berufe Heilberufe, Architekten, Ingenieure u. a. Berufs- und Gebührenrecht im Gesundheitswesen
- Rechtswissenschaften Öffentliches Recht Medizin- und Gesundheitsrecht Arzthaftungsrecht, Vertragsrecht der Heilberufe, Patientenrechte
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizinrecht, Gesundheitsrecht
Weitere Infos & Material
Textprobe:
Kapitel Anfängeroperation:
Ein BGH-Urteil von 1988 setzte sich auch mit den Anforderungen an die Sorgfaltspflicht einer ärztlichen Berufsanfängerin auseinander, kam jedoch nicht zu einem identischen Ergebnis wie die Anfängereingriff-Entscheidung. Der Hintergrund war die fehlerhafte Behandlung eines Hochdruckpatienten bei Verdacht auf Nebennierentumor und Tod des Patienten. Die Revision der Klagenden gegen die Assistenzärztin hatte Erfolg. Letztere hätte erkennen können und müssen, dass sie als Berufsanfängerin keine Kenntnisse und Erfahrungswerte zu der weitgehend eigenverantwortlichen Behandlung des Patienten habe. Insofern sei sie nicht fähig gewesen, eine selbstständige Entscheidung im Rahmen der medizinischen Betreuung zu treffen. Es käme auf die auch von einer Anfängerin zu erwartenden Einsicht in ihre nicht genügenden Fähigkeiten bei der für sie erkennbar unklaren und gefahrvollen Lage an. Besonders von einem Beginner müsse erwartet werden, dass er sein Wissen und seine Befähigungen sehr selbstkritisch sieht. Er müsste sich der potenziell lebensbedrohenden Risiken bewusst sein, welche „er durch gedankenloses Festhalten an einem Behandlungsplan, durch Mangel an Umsicht oder das vorschnelle Unterdrücken von Zweifeln heraufbeschwören kann.“ Der unerfahrenen Assistenzärztin sei es letztendlich überlassen gewesen, ob sie sich die selbstständige Behandlung des Patienten ohne das Heranziehen eines Facharztes zutraute oder nicht. Da die Trägerin des Universitätsklinikums auch Geschäftsherrin der Klinikärzte ist, hafte sie gemäß § 831 Abs. 1 S. 1 BGB für den Schaden, den die Assistenzärztin widerrechtlich dem Patienten zugefügt hat. Schließlich hafte die Trägerin auch aufgrund eines von ihr zu vertretenden Organisationsmangels. So seien Anleitung und Überwachung eines Berufsanfängers in der Ambulanz unzureichend geregelt und konkrete Vertretungsregelung während des Urlaubs des Facharztes nicht vorhanden gewesen. Weiterhin habe es an den erforderlichen Regeln einer geordneten Kooperation mit dem Labor gefehlt.
In 1992 entschied der BGH, dass bei chirurgischen Eingriffen, die von einem Berufsanfänger vorgenommen werden, immer ein Facharzt assistieren müsse. Aus der im Streitfall im Rahmen einer Appendektomie aufgetretenen Stumpfinsuffizienz als solcher könne kein Anscheinsbeweis für ein Fehlverhalten des Operateurs abgeleitet werden. Da der Berufsanfänger jedoch von einem Weiterbildungsassistenten assistiert und beaufsichtigt wurde, bestehe ein Indiz dafür, dass die unzureichende Qualifikation der Ärzte ursächlich für das Auftreten von Komplikationen sei. Dem Assistenzarzt, der als Nichtfacharzt die Operationsaufsicht des Berufsanfängers übernommen hat, könne darüber hinaus ein Vorwurf des Übernahmeverschuldens zur Last fallen. Dies sei jedoch nur dann der Fall, wenn er sich von sich aus zu dieser Tätigkeit gedrängt fühlte oder sich weisungsgemäß darauf eingelassen hatte. Gleichzeitig hätte er aber seinen vorauszusetzen-den Kenntnissen und Erfahrungen entsprechend dagegen Zweifel haben und eine Gefahr für den Patienten voraussehen müssen. Ähnliches sagte bereits die Anfängereingriff-Entscheidung.
Auch an einen sich in Weiterbildung befindenden, unter Aufsicht eines sachkundigen Facharztes operierenden Arzt sind gemäß OLG Koblenz gewisse Qualifikationsanforderungen zu stellen. Der Hintergrund dieser Entscheidung war eine Harnleitersteinentfernung durch einen Assistenzarzt, der bereits mehr als die Hälfte seiner Weiterbildungszeit abgelegt habe, unter Assistenz eines Oberarztes. Aufgrund von Komplikationen musste schließlich die linke Niere entfernt werden, wobei kein Behandlungsfehler festgestellt wurde. Ein „anfängerbedingter” Fehler könne jedenfalls, auch wenn er von dem assistierenden Facharzt sofort erkannt wird, mit gewichtigen Folgen verknüpft sein. Aufgrund dessen müsse der sich in der Weiterbildung befindende Arzt stückweise an Eingriffe verschiedener Schwierigkeitsstufen herangeführt werden. Es sei im Interesse seiner Ausbildung erforderlich, ihn als Operateur ebenfalls in schwierigen Fällen unter der Aufsicht eines erfahrenen Facharztes heranzuziehen. Maßnahmen höherer Schwierigkeitsgrade dürften ihm aber auch unter Überwachung erst übertragen werden, wenn er einfachere Tätigkeiten mit Erfolg ausgeführt habe.