E-Book, Deutsch, 324 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
Graf / Gramß / Edelkraut Agiles Lernen
3. Auflage 2022
ISBN: 978-3-648-15856-2
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neue Rollen, Kompetenzen und Methoden im Unternehmenskontext
E-Book, Deutsch, 324 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
ISBN: 978-3-648-15856-2
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. Nele Graf ist Geschäftsführerin der Mentus GmbH. Sie lehrt und forscht als Professorin für Personal und Organisation an der Hochschule für angewandtes Management in Erding und Berlin.
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2 Agil Arbeiten, agil Lernen
Die bisherige Diskussion zeigt, dass man kein Prophet sein muss, um vorherzusagen, dass alle Organisationen mehr oder weniger stark von schnellen Veränderungen betroffen sind und allein die Frage nach den nötigen Qualifizierungen zügiges Handeln erfordert. Lernen ist eine Schlüsselkompetenz auf individueller und organisatorischer Ebene!
Für Unternehmen und deren Mitarbeitende sind somit umfassendere Ansätze nötig, um schnell genug die jeweils relevanten Kompetenzen zu erwerben und Lernsysteme zu etablieren, die auf die digitale bzw. die agile Welt vorbereiten, als wir bisher betreiben.
Daher werden wir in diesem Kapitel einen umfassenderen Blick auf das Lernen in der agilen VUCA-Welt wagen und versuchen, daraus zukunftsfähige Lernstrategien abzuleiten.
2.1 Lernen – Eine Schlüsselkompetenz in der agilen Wirtschaft
Im vorherigen Kapitel haben wir gesehen, dass Unternehmen aktuell eine große Zahl technologischer, sozialer und anderer Veränderungen erleben, die häufig in unterschiedlichen Formen miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Somit hängt zukünftiger Erfolg immer mehr davon ab, Komplexität, Widersprüchlichkeit etc. professionell und flexibel handhaben zu können.
Die Herausforderungen für die Unternehmen sind im Personalmanagement dabei besonders vielfältig:
- Globalisierung des Arbeitsmarktes
- alternde Belegschaften bei einem Rückgang der Zahlen von Berufseinsteigern
- Mangel an qualifizierten Fachkräften
- veränderte Erwartungshaltung der Mitarbeitenden
- neue Formen der Unternehmens- und Arbeitsorganisation, wie z. B. die Nutzung agiler Methoden oder hybrider Arbeitsmodelle
- …
Im Personalmanagement resultiert hieraus eine immer geringere Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte. Die Situation wird durch die beschriebenen Veränderungen bei Technologien und Geschäftsmodellen weiter verschärft, da relevante Qualifizierungen erst noch erworben werden müssen.
In der Konsequenz gehört das kontinuierliche Lernen von Mitarbeitenden, Führungskräften und der Organisation zu den zentralen Aufgaben moderner Personalentwicklung.
Der Status der Weiterbildung in Firmen (vgl. auch Abb. 10) zeigt einen immer weiter steigenden Handlungsbedarf, da sich sowohl die Art als auch der Umfang der zu erwerbenden Kompetenzen stetig erhöht (World Economic Forum, 2020). In einer Studie von Oxford Economics wurden bereits 2014 die wesentlichen Treiber und Widersprüche beschrieben:
- Der Bedarf an Technologie-Know-how wird steigen, doch nur wenige Mitarbeitende glauben, dass sie hier vertiefte Kenntnisse erwerben können. Mehr als die Hälfte von ihnen erwartet, dass sie in drei Jahren auch Fachexperte im Bereich Datenanalysen ist, doch weniger als ein Drittel glaubt, dass sie bei Cloud und mobilen Lösungen ausreichende Kompetenz erwerben wird.
- 53 % der deutschen Führungskräfte geben an, dass ihr Unternehmen in großem Umfang zusätzliche Schulungsprogramme zum Aufbau neuer Qualifikationen anbietet. Doch nur 48 % der Mitarbeitenden meinen, dass ihr Unternehmen die richtigen Wege und Werkzeuge bereitstellt, die sie für eine Weiterentwicklung und die Steigerung ihrer Leistung brauchen.
- 39 % der Mitarbeitenden geben an, dass ihr Unternehmen Fortbildungs- und Schulungsmaßnahmen zur Förderung der Karriereentwicklung unterstützt.
- Nur 6 % der Mitarbeitenden geben an, den Großteil ihrer beruflichen Weiterentwicklung durch formale Ausbildung erzielt zu haben.
- Nur 59 % der Führungskräfte sagen, in ihrem Unternehmen herrsche eine Kultur der kontinuierlichen Weiterbildung.
Abb. 10: Qualifizierungsbedarf nach Anteil der Berufstätigen und deren Kompetenzen
(Quelle: WEF 2020)
An den Zahlen hat sich auch im Jahr 2022 wahrscheinlich wenig geändert und die bisherigen Überlegungen in dem Buch zeigen, dass Lernen eine zentrale Rolle in der Weiterentwicklung von Personen und Organisationen spielt – allerdings scheinen die meisten Personen und Unternehmen noch nicht wirklich darauf vorbereitet zu sein (Abb. 10). In einer groß angelegten, globalen Befragung von Personalleitern hat die Boston Consulting Group festgestellt, dass die Themen Qualifizierung, Führungskräfteentwicklung und Talent-Management als besonders relevant angesehen werden, die eigenen Fähigkeiten, diese Themen umzusetzen, jedoch sehr kritisch bewertet werden (Abb. 11).
Abb. 11: Schlüsselthemen des Personalmanagements in Relation zur Umsetzungsfähigkeit
(Quelle: BCG 2021)
2.2 Agilität und das Agile Manifest
Bis hierher haben wir immer wieder die Begriffe »agil« oder »Agilität« verwendet, und es dürfte offensichtlich geworden sein, dass Agilität in der modernen Wirtschaft eine zunehmende Bedeutung hat. Daher wird es Zeit, den Begriff und die dahinterstehenden Konzepte und Methoden etwas genauer zu betrachten und anschließend zu reflektieren, welche Konsequenzen sich für das Lernen in einer agilen Welt ergeben und was man unter Agilem Lernen verstehen kann.
Was bedeutet »agil« eigentlich? Manche verstehen es im Sinne der Duden-Definition, d. h. als regsam und wendig (www.duden.de), und meinen damit, dass Organisationen sich entsprechend am Markt verhalten. Andere sehen allein die agilen Methoden wie Scrum, während wiederum andere betonen, dass agil vor allem eine Haltung (engl. Mindset) sei. Die Begriffsverwirrung resultiert zu einem Gutteil daraus, dass das Wort Agilität in den letzten Jahren immer umfassender verstanden wurde. Es wird nicht mehr nur synonym für »agile Methoden« und »agiles Arbeiten« verwendet, das Verständnis der Historie »agiler Methoden« hilft jedoch, die Bedeutung und Tragweite agilen Arbeitens zu verstehen.
Agiles Arbeiten ist eine globale Bewegung, die nach allgemeinem Verständnis im Jahr 2001 mit der Verfassung des »Agilen Manifests« (s. u.) ihren Ursprung hatte. Wie bei allen Bewegungen mag dieser Ursprung kontrovers diskutiert werden, entscheidend ist jedoch, dass sich agiles Arbeiten bis heute in fast alle Regionen, Branchen, Funktionsbereiche ausgebreitet hat. Agile Methoden und agiles Arbeiten sind Stand der Technik, spätestens seit das einflussreiche Management-Magazin Harvard Business Review über »Agile« geschrieben hat (Rigby, Sutherland, Takeuchi 2016).
Was aber ist »agiles Arbeiten« genau? Wenn man sich die Masse der Publikationen und Diskussionen zum Thema ansieht, entsteht eher Verwirrung, denn es gibt rund 40 Methoden, die unter »agil« zusammengefasst werden. Die aktuell am weitesten verbreitete Methode ist Scrum. Gerade für diejenigen, die bisher keine eigene Erfahrung mit agilen Methoden haben, lohnt sich die intensivere Auseinandersetzung mit Scrum, da hier die Grundwerte und Prinzipien des Agilen Manifestes und der agilen Arbeit gut erkennbar sind. Um den Rahmen dieses Kapitels nicht zu sprengen und den Fokus auf Lernen nicht zu verlieren, haben wir eine Diskussion zu agilen Methoden mit dem Schwerpunkt Scrum im Anhang des Buches (Kapitel 11.4 »Agile Methoden, agiles Arbeiten und Personalmanagement«) aufgenommen. Dort finden Sie auch Erläuterungen der Begriffe, die im Zusammenhang mit agilen Methoden immer wieder benutzt werden.
Das Agile Manifest
Das Agile Manifest entstand 2001 während eines Skiurlaubs mehrerer Experten für Software-Entwicklung. Es resultierte im Wesentlichen aus einer tiefsitzenden Unzufriedenheit mit der Art, in der Software entwickelt wurde. In den Jahren zuvor war immer klarer geworden, dass die im sogenannten »Wasserfall-Projektmanagement« definierten Ziele für Entwicklungsprojekte, deren Planung und Abarbeitung der definierten Arbeitspakete nicht mehr in die Zeit passten. Software wurde immer wieder als monolithisches Produkt konzipiert, das für die Kunden nicht mehr tauglich war, wenn es endlich fertig entwickelt war. Es galt, eine dynamischere, kundennähere und vor allem an Veränderungen anpassbare Art der Programmierung zu finden. Die Überlegungen zur Verbesserung führten zum Agilen Manifest, in dem vier Grundwerte agilen Arbeitens und zwölf Prinzipien diese Anforderungen aufgreifen. In der allgemeinen Diskussion wird meist auf die Werte Bezug genommen, obwohl die Prinzipien mehr Aufschluss darüber geben, wie agiles Arbeiten konkret funktionieren sollte:
Agile Werte
- Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.
- Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation.
- Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlung.
- Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines...