Graw | Die Grünen an der Macht | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Graw Die Grünen an der Macht

Eine kritische Bilanz
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96092-498-2
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine kritische Bilanz

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-96092-498-2
Verlag: FinanzBuch Verlag
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Panikorchester oder Zukunftspartei – Die Grünen

Gut, dass wir die Grünen haben! Ohne sie wäre der Rhein noch vergiftet und Debatten über Nitrat im Grundwasser, überdüngte Äcker und Insektensterben mit sehr viel weniger Engagement geführt worden.

Gut, dass wir die Grünen haben? Sie waren gegen die NATO und die Deutsche Einheit. Sie wollen den Deutschen Veggie-Days und Böllerverbote vorschreiben, und Robert Habeck akzeptiert "notfalls" Enteignungen für mehr Mietraum. Und sie rütteln am Fundament unseres Wohlstands: Ausstieg aus der Kernkraft, Kohlekompromiss, Gasausstieg, am liebsten 100 Prozent Erneuerbare aber wie das gehen soll, weiß keiner so genau. Noch dazu am liebsten eine radikale Verkehrswende samt Abschied vom Auto und in der Migrationspolitik ein "Bleiberecht für alle", ohne Wenn und Aber.

Ansgar Graw, Chefreporter der WELT, beobachtet die Grünen aus nächster Nähe –und auch hinter den Kulissen. Er hat mit den führenden Politikern der Partei, mit internen Kritikern und mit vielen Veteranen der ersten Stunde gesprochen. Herausgekommen ist eine kritische, aber faire Bilanz grüner Politik.

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Historie
Wie sich Rudi Dutschke an Herbert Gruhl vorbeimogelte
Rudi Dutschke kam im Dunkel der Nacht über die Grünen. Damit der frühere Studentenführer in die Geschäftsstelle der soeben eigens für die Europawahl gegründeten »sonstigen politischen Vereinigung« gelangen konnte, hatte Petra Kelly an jenem Abend im Herbst 1979 heimlich ein Fenster in dem kleinen Bungalow in der Bonner Friedrich-Ebert-Allee 120 offenstehen lassen. Sie hatte Angst, Herbert Gruhl, der vormalige CDU-Bundestagsabgeordnete und starke Mann in der Gründungsphase der neuen Partei, könne beim Anblick des linken Revoluzzers und Bürgerschrecks das von ihm angemietete gemeinsame Parteibüro »platzen lassen«, erzählte Kelly später.1 Das zeige, »welche Autoritätsperson Gruhl sein wollte, wie intolerant er war«. Die Anekdote deutet die Gegensätze zwischen den Initiatoren der neuen politischen Kraft an. Würden die Grünen als »Bewahrer der Schöpfung« antreten oder als Feinde des Kapitalismus? »In der Anfangsphase war völlig offen, ob die Grünen eher ein emanzipatorisches, linkes Projekt würden oder ein sehr konservatives, fast ein Blut-und-Boden-Projekt«,2 sagt Ludger Volmer, einer der Parteilinken, der gleichwohl früh auf Regierungsbeteiligungen setzte und in der rot-grünen Bundesregierung Staatsminister im Auswärtigen Amt wurde – der Aufpasser der Linken für Joschka Fischer, wurde damals geunkt. Es war ein verwirrendes Geflecht unterschiedlicher Strömungen: Da gab es die konservativen Ökologen um Gruhl, den Autor des 1976 erschienenen Bestsellers Ein Planet wird geplündert, und den ­Biobauern Baldur Springmann. Petra Kelly, geboren bei München, ­aufgewachsen in den USA, sozialisiert in Brüssel und bis kurz zuvor Mitglied der SPD, war das authentische Gesicht der Grünen als Bewegung, als »Antiparteien-Partei«. Sie wurde 1992 von ihrem Lebensgefährten, dem Grünen-­Abgeordneten Gerd Bastian, im Schlaf erschossen, bevor sich der Ex-General selbst richtete. Ein linker Gegenspieler Gruhls war der RAF-Verteidiger Otto Schily, lange Zeit der einzige Krawattenträger in der Partei; er wechselte 1990 zur SPD und wurde Bundesinnenminister. Für eine sehr kurze Zeit schien Rudi Dutschke eine Anknüpfung an die Veteranen der Studentenbewegung zu verkörpern; schon zu Weihnachten 1979 sollte der gesamtdeutsch denkende Sozialist allerdings an den Spätfolgen des Attentats auf ihn im Jahr 1968 sterben. Die Nationalneutralisten in der »Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher« (AUD) um den CSU-Mitbegründer August Haußleiter suchten einen »dritten Weg« zwischen Kapitalismus und Sozialismus und zwischen West und Ost. Der international bekannte Künstler Joseph Beuys war ein Vertreter der Anthroposophen, die sich auf Rudolf Steiner beriefen; Lukas Beckmann, später lange Jahre Bundesgeschäftsführer der Grünen, stammte aus diesem Kreis. Zu den undogmatischen Linken gehörten die pazifistischen »Ökopaxe«, aber auch linke »Spontis«, von denen viele gewaltfrei und andere eher handfest agierten. Zum Beispiel Joschka Fischer, Ex-Straßenkämpfer ohne abgeschlossene Schulausbildung, der 1982 der jungen Partei beitrat. Er initiierte den Arbeitskreis Realpolitik; seine Realos (heute Reformer) wollten an der Seite der SPD Regierungsverantwortung übernehmen. Und es gelang: Fischer wurde schon 1985 erster grüner Landesumweltminister in Hessen und 1998 Vizekanzler und Bundesaußenminister in Bonn. Auf dem anderen Flügel bekämpften die Fundamentalisten oder Fundis, darunter Radikalökologen oder Ökosozialisten wie Jutta Ditfurth, jede Regierungsbeteiligung. Von ihnen spaltete sich 1988 das Linke Forum (Lifo) ab, das Systemkritik und Antikapitalismus mit Ministerposten verbinden wollte. Viele Ökosozialisten und Lifo-Grüne wechselten später zur PDS/Linkspartei. Zum grünen Personalreservoir wurden zahlreiche Bürgerinitiativen in Kommunen und auf Ebene der Bundesländer. Grünen-Mitbegründerin Eva Quistorp, später Bundesvorsitzende (1986 bis 1988) und Europaabgeordnete (1989 bis 1994), kam aus diesem Milieu und zugleich aus dem der gewaltfreien Spontis. Schließlich gab es noch die Ökolibertären, die frühzeitig zur Zusammenarbeit sogar mit der CDU bereit waren, aber einflusslos blieben. Einer ihrer Vertreter, Wolf-Dieter Hasenclever, wurde 2002 Mitarbeiter der FDP-Bundestagsfraktion, ein anderer, Winfried Kretschmann, brachte es zum ersten grünen Ministerpräsidenten. Rudolf Bahro, der SED-kritische Marxist aus der DDR mit spiritualistischen Anwandlungen, verkündete: »Rot und Grün und Grün und Rot geht gut zusammen« – er war ein Außenseiter und verließ die Partei 1985. Ab 1980 sollten die Maoisten aus den K-Gruppen vorübergehend den Laden übernehmen; für Konservative wie Gruhl und Springmann war da kein Platz mehr. Verdreckte Flüsse, neue Eiszeit und Seveso
Die APO, entstanden aus der 68er-Rebellion, zu deren Wortführer Dutschke geworden war, bildete eine der wichtigen Wurzeln der Grünen. Aus dem ursprünglich sozialdemokratischen, dann aber extrem nach links gewendeten und von der SPD 1961 mit einem Unvereinbarkeitsbeschluss belegten Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) stieß beispielsweise der spätere RAF-Anwalt Christian Ströbele zu den Grünen. Vor allem der Vietnamkrieg hatte sie auf die Straße gebracht. In den Siebzigerjahren mobilisierten zusätzlich Nachrichten über sauren Regen und Waldsterben, über die verdreckten Flüsse und Smog in den Städten, über Atomkraftwerke, in deren Nähe angeblich gehäufte Fälle von Leukämie und anderen Krebserkrankungen auftraten. Der SDS blieb gleichwohl von derartigen Themen weitgehend unberührt. »Die Studentenbewegung hat die Antiatom- und die Ökologiefrage voll verpennt«, urteilt die Theologin und Grünen-Mitgründerin Quistorp.3 Im Juli 1976 erschütterte ein Unfall in dem Lombardei-Städtchen Meda, unweit von Mailand, Italien und ganz Europa: Aus einer Chemiefabrik wurden mehrere Kilo des Umweltgiftes Dioxin freigesetzt. Pflanzen starben, Tiere verendeten, vor allem Kinder erkrankten an massiven Hautveränderungen. Besonders schwer traf die Dioxinwolke die nahe Gemeinde Seveso, die diesem möglicherweise schwersten Chemieunglück in Europa den Namen gab. Die Angst vor Kernkraft und nun auch vor Dioxin prägte die weitere Umweltpolitik. In der bundesrepublikanischen Wohlstandsgesellschaft entwickelte sich ein Bewusstsein für die Begrenztheit der Ressourcen und die Notwendigkeit, Energie und Rohstoffe zu sparen. Regionale grüne Gruppen mobilisierten in Westdeutschland gegen wenig regulierte Mülldeponien, einen sorglosen Umgang mit Chemikalien in der Landwirtschaft und die Einleitung von Giften und Abfällen in Gewässer. Von Beginn an wohnte linken ökologischen Basisgruppen ein systemfeindlicher Gedanke inne. Sie lehnten unter der Chiffre der »konkreten Utopie« die bundesrepublikanische Gesellschaftsordnung ab. Das galt für Initiativen wie »Tunix«, in deren Einladung zu einem großen Kongress 1978 in Westberlin es hieß: »Wir werden bereden, wie wir das Modell Deutschland zerstören und durch Tunix ersetzen.« Ebenfalls 1978 entstand die links-alternative Tageszeitung taz, zu deren Initiatoren mit Hans-Christian Ströbele und Otto Schily zwei Protagonisten gehörten, »die zur gleichen Zeit die Gründung der West-Berliner Alternativen Liste vorantrieben«.4 Ein »Netzwerk Selbsthilfe« bündelte linke Betriebe, Kultureinrichtungen, politische Initiativen und grün-alternative Wahlbewegungen. Alle diese Initiativen »gehorchten demselben Trend zur Vernetzung und Institutionalisierung, der die Neuen Sozialen Bewegungen und das grün-alternative Milieu im letzten Drittel der 1970-er Jahre kennzeichnete«, schreibt Silke Mende in ihrer Studie über die »Gründungsgrünen«.5 Von der parlamentarischen Demokratie hielt die »basisdemokratische« alternative Szene wenig. Deshalb hatten Linke wie Joschka Fischer zunächst gezögert, den Grünen beizutreten. Die Bedeutung der Bürgerinitiativen
Sie sei »natürlich links, aber undogmatisch« gewesen, erzählte Mitgründerin Eva Quistorp dem Autor im Frühjahr 2019. Ihr politisches Engagement begann sie in einer Berliner Bürgerinitiative gegen ein geplantes Straßenprojekt. Später war die westfälische Pfarrerstochter Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU). »Wir lebten in Wohngemeinschaften, noch mit Obstkisten statt Möbeln, es gab erst zwei Italiener und einen Griechen als Szenelokale.« Derartige »neue sozialen Bewegungen« engagierten sich gegen Straßenprojekte, Kernkraft oder Flughafenerweiterungen und sind durchaus vergleichbar mit jenen Umweltbewegten, die heute mit dem Hinweis auf Natur- und Tierschutz Windkraftanlagen zu verhindern versuchen. Der fundamentale Unterschied: Die heutigen Bürgerinitiativen werden von den Grünen nicht sonderlich geschätzt. Da kommt der Verdacht auf, dass der emanzipatorische Gestus der Grünen und der Ruf nach Bürgerbeteiligung und Basisentscheidungen stets eher instrumentell denn ideell war: Sprechen sich Initiativen etwa gegen Endlagerstätten aus, müssen sie gehört werden. Als 2017 aber 56,1 Prozent der Berliner in einem Volksentscheid für den Weiterbtrieb des Flughafens Berlin-Tegel...


Ansgar Graw, Jahrgang 1961, ist seit 2020 Herausgeber des Debattenmagazins The European. Davor war er Chefreporter für WELT und WELT AM SONNTAG und beobachtete in dieser Funktion insbesondere die Grünen. Der studierte Historiker und Politikwissenschaftler (M.A., Universität Hamburg) ist Autor etlicher Werke über innen- und außenpolitische Themen, darunter eine Biografie über Gerhard Schröder, den Kanzler der rot-grünen Koalition. Graw, der aus Fernsesendungen wie "Markus Lanz" und "ARD-Presseclub" bekannt ist, arbeitete acht Jahre als Korrespondent in den USA und veröffentlichte darüber 2017 das Buch Trump verrückt die Welt.



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