E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Grawe Die militärische Elite des Kaiserreichs
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8062-4085-6
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
25 Lebensläufe
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-8062-4085-6
Verlag: Theiss in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
August von Mackensen, Paul von Lettow-Vorbeck oder Colmar von der Goltz – sie und die anderen hochrangigen Offiziere in diesem Band eint, dass sie entscheidenden Einfluss auf Vorgeschichte und Verlauf des Ersten Weltkriegs hatten. Wer aber waren diese Stabsoffiziere, Generäle und Admiräle? Was prägte sie, wie dachten und welche Ziele verfolgten sie?
In 24 biographischen Essays werden die führenden Militärs des Kaisers porträtiert. Sie bildeten eine elitäre Kaste, einen Staat im Staate, ohne den man die Entwicklung des Kaiserreichs nicht verstehen kann. Die Essays bilden so Mentalität und Politik des späten Kaiserreichs ab. Berücksichtigt werden alle Teilstreitkräfte, inklusive der jungen Luftwaffe, und Vertreter preußischer Militärs ebenso wie die Sachsens, Bayerns oder Württembergs. Ein bisher nicht dagewesenes Panorama des wilhelminischen Offizierkorps, das über die reine Militärgeschichte hinaus bedeutsam ist.
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Oberst Max Bauer
von Heiko Suhr Am 31. Januar 1869 kam Max Bauer in Quedlinburg als Sohn des Stadtrates Friedrich Carl Bauer zur Welt.1 Der Familientradition folgend begann der junge Bauer nach erfolgreicher Reifeprüfung 1888 ein Studium der Rechtswissenschaften in Berlin, brach dieses aber aus finanziellen Gründen nach nicht einmal einem Semester ab und trat noch im selben Jahr in das 2. Fußartillerie-Regiment in Swinemünde ein. Nach dem Besuch der Kriegsschule in Hannover tat Bauer Dienst bei der Fußartillerie in Danzig-Neufahrwasser, Swinemünde und Metz. Eine erste richtungsweisende Kommandierung erfolgte im Januar 1899 mit seinem Eintritt in die Artillerieprüfungskommission, wo er zunächst als Assistent und später – ab Januar 1890 befördert zum Sekondeleutnant – als Adjutant des Präses fungierte. Hier wurden ihm fundierte technische Kenntnisse des Geschützbaus vermittelt. Ab 1902 war Hauptmann Bauer Batterie-Chef im Fußartillerie-Regiment Nr. 7 in Westfalen. 1905 wurde er dann zur Festungsabteilung im Großen Generalstab kommandiert, nachdem er bei einem vorangegangenen Bataillons-Schießen durch unkonventionelle Taktik und selbstkritisches Verhalten positiv aufgefallen war.2 Im Großen Generalstab war er für die russischen Festungen zuständig und erstellte bald eine Denkschrift über die Narew-Befestigungen, die er erstmals in ihrer Gesamtheit analysieren wollte. Mangels verfügbarer schriftlicher Zeugnisse begab er sich getarnt als Holzhändler nach Warschau, um von dort einzelne Erkundungsreisen zu unternehmen. Da während der revolutionären Wirren die militärische Wachsamkeit eher gering ausfiel, konnte er mehrere Festungen auch von innen erkunden und abschließend urteilen, dass sich die Festungen in „überaus kläglichem Zustand“ befänden.3 In einer zweiten Spionagereise begab er sich erneut nach Russland, um sich nun auch der schweren Artillerie zu widmen. Dabei kam er wieder zu sehr skeptischen Einschätzungen, aus denen er schlussfolgerte, dass auch die japanische schwere Artillerie – man stand sich im Sommer 1905 in Port Arthur in einer verlustreichen Schlacht gegenüber – nicht sonderlich leistungsfähig gewesen sein konnte. Da dies der Lehrmeinung im Großen Generalstab widersprach, kam es zu ersten Auseinandersetzungen mit seinen Vorgesetzen. Fernab seines eigentlichen Aufgabenspektrums fertigte Bauer als direkte Folge aus dem Konflikt bis Ende 1906 eigenmächtig eine Denkschrift über schwere und schwerste Artillerie aus technischer, organisatorischer und taktischer Perspektive an. Dazu pflegte er – den üblichen Verhaltensweisen des Generalstabs durchaus widersprechend – enge private Kontakte zu den führenden Ingenieuren der Rüstungsdynastie Krupp in Essen. Weil sich einige Feldversuche als überaus erfolgversprechend erwiesen, konnte Bauer den eigentlich zuständigen Leiter der Aufmarschabteilung Oberst Hermann Stein auf seine Seite ziehen, womit er fortan im Generalstab „freie Bahn“ hatte.4 Steins Nachfolger Erich Ludendorff holte Bauer dann im September 1909 zur Aufmarschabteilung, womit eine äußerst enge und folgenreiche Zusammenarbeit ihren Anfang fand. Zu seinen Aufgaben gehörten nun unter anderem die Organisation der Spezialtransporte der schweren Artillerie, die Entwicklung neuer Taktiken zum Sturm von gegnerischen und auch die Erörterung der Mobilmachung deutscher Festungen. Bauer setzte sich also recht früh mit Fragen der kriegswirtschaftlichen Organisation und der wirtschaftlichen Mobilmachung insgesamt auseinander. Der im März 1911 zum Major beförderte Offizier blieb – abgesehen von einer etwa einjährigen Kommandierung 1912 als Generalstabsoffizier bei der 39. Division in Colmar/Elsass – bis Kriegsausbruch im Großen Generalstab. Seine Beförderungen verliefen bis dahin zwar den Richtlinien entsprechend, aber man muss trotzdem schon von einer Laufbahn sprechen, die über die normalen Erwartungen hinausging, da Bauer – ohne je die Kriegsakademie besucht zu haben – fester Bestandteil des Großen Generalstabs war. Das komplexe und vielschichtige Wirken von Max Bauer in den Jahren des Ersten Weltkrieges kann hier nicht in seiner Gesamtheit beleuchtet werden. Bauers Einfluss auf die Einführung und die Entwicklung des Gaskrieges vor dem Hintergrund des industriellen Massenkriegs taugt aber als Fallstudie, um sein Wirken an den Schnittstellen von Militär, Industrie und Wissenschaft zu konkretisieren. Seine Ränkespiele gegen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg sollen außerdem kurz gestreift werden. Ab dem 1. August 1914 fungierte Bauer als Leiter der Sektion II (schwere Artillerie und Festungen) der Operationsabteilung des Generalstabs des Feldheeres. Zum 16. Juli 1915 wurde er Chef der Operationsabteilung II. Mit dem Wechsel zur dritten OHL erhielt Bauers Abteilung eine entscheidende organisatorische Aufwertung durch die Angliederung der aufgelösten Stelle des Feldmunitionschefs und durch die Einrichtung einer kriegswirtschaftlichen Sektion. Bauer wuchs damit mehr und mehr zu Ludendorffs Fachmann für die Reorganisation der gesamten Kriegswirtschaft heran und konnte daraus auch innenpolitischen Einfluss ableiten. Im März 1916 wurde er zum Oberstleutnant und im August 1918 schließlich zum Oberst befördert. Ludendorff sorgte schließlich wegen seines – durchaus umstrittenen – Einflusses auf die Entwicklung der schweren Artillerie für Bauers Auszeichnungen mit der Ehrendoktorwürde der Universität Berlin und dem Pour le Mérite. Beim 30jährigen Regierungsjubiläum im Großen Hauptquartier in Spa, 15. Juni 1918: Kaiser Wilhelm II. im Gespräch mit Oberst Max Bauer Unmittelbar nach Kriegsausbruch dachte wohl keine der Krieg führenden Nationen ernsthaft an den Einsatz chemischer Giftstoffe.5 Fritz Haber – Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie – brachte das Hauptproblem zugespitzt auf einen Nenner: Militärs, Wissenschaftler und Techniker würden zwar „unter demselben Dache“ leben, sich „auf der Treppe“ auch grüßen, aber es gebe keinerlei „Ideenaustausch“. Erst nachdem sich nach der Schlacht an der Marne Anfang September 1914 die überaus prekäre Munitionsversorgung vollauf gezeigt hatte, nahm die ernsthafte Entwicklung von Gaskampfstoffen im Deutschen Reich ihren Anfang. Haber und der Physikochemiker Professor Walther Nernst – zwei spätere Chemienobelpreisträger – sorgten für die wissenschaftliche Expertise. Der Chef des Generalstabs des Feldheeres Falkenhayn beauftragte im Oktober 1914 den Artillerie-Experten Bauer, die entsprechenden Entwicklungen anzustoßen. Basierend auf den vorhandenen Kontakten zur Wissenschaft wandte sich Bauer an den für den Aufstieg Leverkusens zur Chemiestadt verantwortlichen Generaldirektor der Bayer AG Carl Duisberg. Zu ersten Versuchen auf dem Fußartillerie-Schießplatz in Köln-Wahn trafen sich dann die von Bauer zu einer Sonderkommission zusammengestellten Duisberg, Nernst und der im Kriegsministerium tätige Theodor Michelis. Bauer selbst war – entgegen gängiger Darstellungen – kein Mitglied dieser Kommission, sondern übermittelte als Impulsgeber deren Ergebnisse an die OHL.6 Zunächst konzentrierte man sich auf die Entwicklung sogenannter „Niespulver“ – Augen, Nasen und den Rachenbereich reizend –, die erstmals im Oktober 1914 an der Westfront mit geringem taktischem und strategischem Nutzen getestet wurden. Ab Januar 1915 begannen erste Tests mit Chlor, das in der chemischen Industrie massenhaft als Nebenprodukt vorhanden war. Auf Vorschlag Duisbergs wurde bald das weit toxischere Phosgen beigemengt. Chlor wurde im April 1915 erstmals an der Westfront verwendet. Dazu wurden spezielle Gastruppen aufgestellt, um die technische Umsetzung zu professionalisieren. Zu diesen beorderte Max Bauer unter anderem die späteren Nobelpreisträger Otto Hahn, James Franck und Gustav Hertz. Die Entwicklungen waren aber noch überaus improvisiert, liefen größtenteils mehrgleisig und in direkter Konkurrenz. Aus Bauers Sicht musste der Hauptzweck der von ihm zusammengestellten Kommission und der ersten Versuche sein, die vorhandene Skepsis der OHL und besonders Falkenhayns gegenüber Gaskampfstoffen zu brechen. Dies gelang vollkommen, wie der Übergang von Reizstoffen zu potenziell tödlichen Kampfstoffen zum Jahreswechsel 1914/1915 zeigt. Die weitere Entwicklung des Gaskrieges, entstandene Probleme wie die Abhängigkeit von den Windverhältnissen und Gegenmaßnahmen wie Gasmasken sollen hier übersprungen werden. Auffallend sind die überaus geringen Hemmungen der beteiligten Personen. Bauer selbst hielt nach dem Krieg ein Verbot chemischer Kampfmittel für einen Widerspruch gegen jeden „Grundsatz technischer Kulturentwicklung“.7 Haber argumentierte, dass chemische Kampfstoffe den Krieg insgesamt abkürzen und somit Menschenleben retten würden. Bauers Rolle war es auch, bei seinen Vorgesetzten und den beteiligten Wissenschaftlern und Industriellen Widerstände gegen den massenhaften Einsatz tödlich wirkender Gaskampfmittel zu brechen. Bauer war...