Grethlein | Lebensalter | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 236 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm

Grethlein Lebensalter

Eine theologische Theorie
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-374-06013-9
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine theologische Theorie

E-Book, Deutsch, 236 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 190 mm

ISBN: 978-3-374-06013-9
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Menschen leben in verschiedenem Alter. Welchen Sinn hat das?

Historisch zeigt sich, dass die Lebensalter immer wieder neu verstanden werden. Teilweise verdanken sie sich – wie 'Kindheit', 'Jugend' oder 'Drittes Alter' – bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen. Biblisch eröffnet das Kinder-Evangelium (Mk 10,13-16) eine neue Perspektive. Nicht die leistungsfähigen Erwachsenen, sondern die auf Zuwendung angewiesenen Kinder erscheinen als beispielhaft für menschliches Leben. Ähnliches gilt wohl für pflegebedürftige Alte.

Von daher gewinnt eine schöpfungstheologisch begründete Sicht auf die Lebensalter eine eminent gesellschaftskritische Ausrichtung. Sie weist auf eine Lebensform hin, die nicht Welt verbraucht, sondern sich empfangend zur Schöpfung und damit zu Gott verhält.

Stages of Life. A Theological Theory

People live at different stages of life. What is the meaning of this?

Historically it has been shown that the stages of life are always understood anew. The view on some of them – such as 'childhood', 'youth' or 'third age' – depends on certain social constellations. Biblically the children's gospel (Mk 10,13-16) opens a new perspective. Not the capable adults, but the children, dependent on caring, appear as exemplary for human life. The same applies to old people in need of care.

For this reason, a view on the stages of life based on a theology of creation gains an eminently socio-critical orientation. It points to a way of life that does not consume the world, but that behaves in a receiving way towards creation and thus towards God.

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1.KAPITEL
KONTEXT
1.1VERÄNDERUNGEN DER ZEIT
Beim Verständnis von Zeit und dem Umgang mit ihr setzte sich im Laufe der Jahrhunderte eine Formalisierung durch. Dies zeigt sich anschaulich in Veränderungen bei der Zeitmessung: »Von der Steinzeit über die Antike bis zum Auftauchen der ›neuen Zeiten‹, der Uhrzeiten, vollzogen sich die Zeitmessung und die Zeiteinteilung ausschließlich auf der Grundlage von in der Natur und am Himmel vorfindbaren Parametern, denen ein an Ereignissen und Aufgaben orientiertes Zeitverständnis entsprach. Ihre Funktion bestand in erster Linie darin, die Zeitvorgaben der Natur mit den Bedürfnissen einer Agrargesellschaft, zum Beispiel dem Anbau von Feldfrüchten, sowie religiösen und sozialen Riten und Bräuchen in Einklang zu bringen.«1 So nahm man zu archaischer Zeit folgende vier Zeitgeber in Ägypten an: »Der Lauf der Sonne diente der Einteilung des Tages und des Jahres, die Zyklen des Mondes wurden zur Terminierung bestimmter religiöser Feste herangezogen, die jährliche Überschwemmung durch den Nil markierte den Beginn eines neuen Wirtschaftsjahres und war zugleich der Termin, an dem ein neuer Pharao in sein Amt eingeführt werden konnte. […] Schließlich richteten sich die Ägypter auch nach dem sogenannten heliakischen Aufgang des Sternes Sirius. Dieser Stern im Sternbild des Hundes, die Ägypter nannten ihn Sothis, wird zur Zeit der Sommersonnenwende am Morgenhimmel, d. h. bei seinem heliakischen Aufgang, sichtbar.«2 Periodizität, nicht lineare Veränderung war das grundlegende Kennzeichen dieser Zeitauffassung. Deren Verbindung zur agrikulturellen ländlichen Lebensweise reicht bis heute, wie eindrucksvoll folgende Erinnerungen von Tara Westover (geboren 1986) zeigen, die abgesondert auf einer Farm in Idaho/USA aufwuchs: »I had been educated in the rhythms of the mountain, rhythms in which change was never fundamental, only cyclical. The same sun appeared each morning, swept over the valley and dropped behind the peak. The snow that fell in winter always melted in the spring. Our lives were a cycle – the cycle of the day, the cycle of the seasons – circles of perpetual change that, when complete, meant nothing had changed at all. I believed my family was a part of this immortal pattern, that we were, in some sense, eternal. But eternity belonged only to the mountain.«3 So bestimmen zyklische Zeiterfahrungen – wie der Wechsel von Tag und Nacht oder die Jahreszeiten – menschliches Leben bis heute, obwohl sie seit der Industrialisierung durch den linearen Zeittakt dominiert werden.4 Auch sonst begegnet bei genauerem Hinsehen »Pluritemporalität«. »Pluritemporalität bezeichnet die Tatsache, dass soziale Gruppen, Objekte, Ereignisse etc., also alles, was uns in unserem Alltag begegnet, zumindest potentiell dazu in der Lage ist, eigene Zeitformen auszubilden, die sich von anderen Zeitformen teils erheblich unterscheiden können.«5 Entsprechend der Orientierung am naturalen Geschehen herrschte in der Antike und im Mittelalter, und auf dem Land darüber hinaus bis ins 17. Jahrhundert, das System der Temporalstunden: »deren Dauer wurde entsprechend der Jahreszeit auf den lichten Tag berechnet, so daß die einzelne Stunde – modern gesprochen – zwischen 30 und 90 Minuten betragen konnte.«6 Dementsprechend änderte sich z. B. in der christlichen Liturgie je nach Jahreszeit der Abstand zwischen den sog. Horen (Stundengebeten). Auch wurden Zeitabstände im Alltag nach konkreten Handlungen bemessen. So war etwa das Zeitmessen mit Hilfe des Vaterunsers beim Kochen üblich – noch 1837 gab z. B. ein Kochbuch die Zeitdauer bis zum Hartwerden eines Eis mit drei Vaterunsern an.7 Durch den Zahnradantrieb war hier eine gleichmäßige, lineare Zeiteinteilung in 24 Stunden gegeben (sog. Äquinoktialzeit). Dabei gingen theologische Vorstellungen – Gott, der Schöpfer, als der große Uhrmacher sowie Hüter von Zeit und Ordnung – und technische Rubrizierung Hand in Hand.9 Die Funktion genauerer Zeitmessung bildete sich erst im Folgenden langsam heraus. »Die Uhr war ein akustisches Medium. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung konnte die Uhrzeit nur über die Glockenzeichen erfahren. Entsprechend grobmaschig war auch die in der Kommunikation verwendete Zeitskala. […] An die Stelle inhaltlicher Glockenzeichen trat der Zeitteppich der Uhr. Ihre Zeitzeichen waren zwar relativ unaufdringlich, aufgrund ihrer Gleichmäßigkeit und Allgegenwärtigkeit auf die Dauer aber unausweichlich. Je differenzierter die Abhängigkeitsketten zwischen den Menschen infolge der zunehmenden Urbanisierung und Kommerzialisierung wurden, desto zwingender wurde es für die Menschen, auf die Schläge der Uhr zu achten und eine allgemeine Zeitwachheit zu erlernen.«10 Während der Reformationszeit kam es zu »Bruchstellen zwischen traditioneller, zyklischer Zeitauffassung und der neuen, quantitativ-linearen Konstruktion von Zeit«.11 Letztere wurde von der Obrigkeit zur Disziplinierung eingesetzt, auch in der Kirche, wie etwa aus Auseinandersetzungen um die Länge der Predigt hervorgeht. »Für die Pfarrer bedeutete die Herrschaft der Uhr nicht nur den Verlust der Zeithoheit; sie mußten lernen, ihre Predigtinhalte in das vorgeschriebene Zeitkorsett einzupassen. […]Welche Schwierigkeiten dieser Lernprozeß den Pfarrern bereitete, läßt sich aus den Quellen nur erahnen.«12 Grundsätzlich zog die Verbreitung von Uhren drei Konsequenzen nach sich: »– Die Zeit der Uhr hat der Welt eine neue Ordnung gegeben. – Die Zeit der Uhr hat die Zeit aus ihrer engen Bindung mit der Natur gelöst, sie qualitativ geleert und der Neubewertung als ökonomische Ressource (sprich: der Verrechnung in Geld) geöffnet. – Die Zeit der Uhr hat der Welt ihr Zeitmuster Takt aufgeprägt und das Arbeiten und das Leben hierdurch immens beschleunigt.«13 Einen neuen Impuls bekam das Zeitverständnis durch die Aufklärungspädagogen (und die Pädagogen des Pietismus). »Der Weg zur Tugend der Arbeitsamkeit und Pünktlichkeit führte für sie über die stereotype Gewöhnung an die Uhr.«14 Das damit verbundene Ideal von Arbeit brachte 1748 Benjamin Franklin auf die sprichwörtlich gewordene Formel: »Time is money«. Die damit implizierte neue Lebenslogik geht anschaulich aus seinen Ausführungen dazu hervor: »Bedenke, daß Zeit Geld ist; wer täglich zehn Schillinge durch seine Arbeit erwerben könnte und den halben Tag spazieren geht, oder auf seinem Zimmer faulenzt, der darf, auch wenn er nur sechs Pence für sein Vergnügen ausgibt, nicht dies allein berechnen, er hat neben dem noch fünf Schillinge ausgegeben oder vielmehr weggeworfen. […] Wer nutzlos Zeit im Wert von 5 Schillingen vergeudet, verliert 5 Schillinge und könnte ebenso gut 5 Schillinge ins Meer werfen. Wer 5 Schillinge verliert, verliert nicht nur die Summe, sondern alles, was damit bei Verwendung im Gewerbe hätte verdient werden können, – was, wenn ein junger Mann ein höheres Alter erreicht, zu einer ganz bedeutsamen Summe aufläuft.«15 Der Zeitforscher Karlheinz Geißler konstatiert dementsprechend ökonomische Konsequenzen aus der Dominanz formalen Zeitverständnisses: »Die fortschreitende Durchsetzung und die immer breitere Akzeptanz der abstrakten Uhrzeit als zentralem Bezugspunkt der Zeitordnung und der Zeitorientierung ist mit dem Fortschreiten des Kapitalismus als Wirtschafts- und als Lebensform untrennbar wechselwirksam verknüpft.«16 Erst die Uhr und die mit ihr vollzogene Formalisierung der Zeit ermöglichten den Kapitalismus und die mit ihm verbundene Ökonomisierung der Lebensvollzüge. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn ab 1835 gelang es erstmals, sich von natural vorgegebenen Geschwindigkeiten – etwa dem Galopp von Pferden oder der Strömung eines Flusses – zu lösen. Automobile und Flugzeuge folgten und steigern die Geschwindigkeit der Fortbewegung bis heute. »Beschleunigung« ist das neue Motto, das sich technisch, sozial und individuell auswirkt.18 Durch die mit der Eisenbahn gegebene Mobilität stellt sich auch die Aufgabe der Vereinheitlichung der bis dahin regional organisierten Zeitmessung. Im Deutschen Reich trat eine einheitliche Zeitbestimmung zum 1. April 1893 in Kraft. »Damit hatten die Menschen nun endgültig die Sonne mittels der Uhr korrigiert.«19 -Konzentration in der Atmosphäre sowie der Düngemittelverbrauch steigen seitdem explosionsartig an.21 »Schon in den 70er Jahren (sc. des 19. Jahrhunderts, C.G.) wird die Bestimmung für höhere und auch mittlere Beamte, daß es ein Recht auf einen ärztlich attestierten Gesundheitsurlaub gibt, zur Regel, und das Attest wird entweder zur Formsache oder es fällt ganz weg. 1875 gilt z. B. bei der Post ein Anspruch auf Urlaub ohne Bezahlung, hier auch für die Unterbeamten. Urlaub wird also zunächst zu einem Beamtenmerkmal. […] Von daher aber dringt der regelmäßige Urlaub in die Gruppe der Angestellten vor, die sich ja als Privatbeamte verstehen; bei Siemens gibt es solchen Angestelltenurlaub, 14 Tage,...


Grethlein, Christian
Christian Grethlein, Dr. theol., Jahrgang 1954, lehrte als o. Professor in Berlin, Halle und jetzt Münster Praktische Theologie mit einem Schwerpunkt in Religionspädagogik. Von 2006 bis 2009 war er Vorsitzender des Evangelisch-Theologischen Fakultätentags, von 2010-2012 Opus-magnum-Stipendiat der VolkswagenStiftung.



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