Gschwend Mütter ohne Liebe
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-456-94740-2
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Vom Mythos der Mutter und seinen Tabus
E-Book, Deutsch, 121 Seiten
ISBN: 978-3-456-94740-2
Verlag: Hogrefe AG
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Medien und Werbung setzen uns täglich eine heile, idyllische Mutter-Kind-Welt vor. Es gilt als ein Sakrileg, die Position der Mutter anzugreifen oder das Wesen der Mutter-Kind-Beziehung zu hinterfragen. Das vorliegende Buch strebt, jenseits der verklärenden Sicht des Muttermythos, eine sachlichere und vollständigere Wahrnehmung von Müttern und Mutter-Kind-Beziehungen an, denn es kann zu viel Verwirrung und unerkanntem Leid in der Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern führen, ein idealisiertes und falsches Bild der Mutter aufrechtzuerhalten.Zu den hier thematisierten 'Unaussprechlichkeiten' der Mutter-Kind-Beziehung gehören insbesondere Aspekte wie das Eigeninteresse der Mutter am Kind, die Ablehnung der Mutterschaft und das Phänomen der Abneigung, Aggression und Destruktivität gegen die eigenen Kinder, das wohl eines der letzten großen Tabuthemen unserer Gesellschaft ist.Das Buch rüttelt am Mythos der Mutter und thematisiert realitätsnah verborgene und verleugnete 'Schattenseiten', die dem gesellschaftlichen Bild der Mutter nicht entsprechen, jedoch zur alltäglichen Realität von Kindern und Müttern gehören. Dabei spricht es sowohl eine breite Öffentlichkeit als auch ein interessiertes Fachpublikum an und lädt zur Diskussion ein.
Zielgruppe
Psychologen, Therapeuten
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Entwicklungspsychologie Erwachsenenpsychologie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizin, Gesundheit: Sachbuch, Ratgeber
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Klinische und Innere Medizin Gynäkologie, Geburtshilfe
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften: Allgemeines Populärwissenschaftliche Werke
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort;10
3;1 Mutterliebe;14
3.1;Zur Geschichte der Mutterliebe;14
3.1.1;Das 18. Jahrhundert: Mutterschaft ohne Sentimentalitäten;15
3.1.2;Das 19. Jahrhundert: Idealisierung der Mutterschaft;17
3.1.3;Die neue Mutter;19
3.1.4;Das 20. Jahrhundert: Psychologisierung der Mutter- Kind- Beziehung;20
3.2;Zur Psychologie der Mutterliebe;23
3.2.1;Theorien zur Entstehung der Mutterliebe;24
3.2.2;Mütterliche Liebe;29
4;2 Vom Mythos der Mutter und von Müttern ohne Liebe;32
4.1;Das Ideal der Mutterliebe;33
4.2;Die unhinterfragten Annahmen des Muttermythos;35
4.2.1;Die Selbstlosigkeit der Mutter;35
4.2.2;Die Reinheit der Mutterliebe;37
4.2.3;Mütter lieben alle ihre Kinder gleich;38
4.2.4;Alle Mütter lieben ihre Kinder;39
4.2.5;Die Unentbehrlichkeit der Mutter für das Kind;40
4.3;Die Auswirkungen des Muttermythos;41
4.3.1;Verdrängung und Verleugnung der negativen Seiten der Mutterschaft;42
4.3.2;Verdrängung und Verleugnung ambivalenter und ablehnender Gefühle;45
4.3.3;Verdrängung und Verleugnung der Existenz von lieblosen Müttern;47
4.4;Merkmale von Müttern ohne Liebe;47
5;3 Die ablehnend-distanzierte Mutter;50
5.1;Merkmale und Eigenschaften;52
5.1.1;Interesselosigkeit;52
5.1.2;Körperliche Ablehnung;54
5.1.3;Emotionale Unberührbarkeit;55
5.2;Ursachen und Hintergründe;56
5.2.1;Die Biografie der Mutter;56
5.2.2;Selektive Ablehnung;57
5.2.3;Die Enttäuschung über das eigene Leben;60
5.2.4;Die solipsistische Persönlichkeit;60
5.3;Auswirkungen;62
5.3.1;Sich unwürdig fühlen;63
5.3.2;Körperliche Entfremdung;64
5.3.3;Einsamkeit und emotionaler Hunger;65
5.3.4;Anstrengung und Selbstverleugnung;67
5.4;Wege zur Selbsthilfe;67
5.4.1;Die Heilung des inneren Kindes;68
5.4.2;Botschaft für lieblose Mütter;70
6;4 Die seelisch ausbeutende Mutter;74
6.1;Merkmale und Eigenschaften;76
6.1.1;Pseudo- Nähe;77
6.1.2;Autonomie- und Individuationsverbot;78
6.1.3;Manipulation und Kontrolle;79
6.2;Ursachen und Hintergründe;81
6.2.1;Die kastrierte Mutter;81
6.2.2;Minderwertigkeit und Depression;82
6.3;Auswirkungen;83
6.3.1;Selbstentfremdung und Selbstverlassenheit;83
6.3.2;Wahrnehmungskonfusion und Gefühlsentfremdung;84
6.3.3;Im Kampf zwischen Abhängigkeit und Autonomie;85
6.4;Anregungen zur Selbsthilfe;86
6.4.1;Wege zur Autonomie;86
6.4.2;Loslassen können;88
7;5 Die aktiv Gewalt ausübende Mutter;92
7.1;Formen der Gewalt;93
7.1.1;Seelische Gewalt;93
7.1.2;Vernachlässigung;94
7.1.3;Körperliche Gewalt;95
7.1.4;Sexueller Missbrauch;97
7.2;Ursachen und Hintergründe;97
7.2.1;Der Kreislauf der Gewalt;98
7.2.2;Macht- und Dominanzstreben;98
7.2.3;Belastende Bedingungen;99
7.3;Auswirkungen;100
7.3.1;Angst und Misstrauen;101
7.3.2;Selbsthass und Selbstverachtung;101
7.3.3;Beziehungsstörungen;102
7.4;Anregungen zur Selbsthilfe;103
7.4.1;Selbstwert und Selbstwirksamkeit;103
7.4.2;Soziale und psychologische Unterstützung;105
8;6 Die Überwindung des Muttermythos;106
8.1;Negative Auswirkungen des Muttermythos;106
8.1.1;Das Leiden am Ideal;107
8.1.2;Das Tabu destruktiver Mutter- Kind- Beziehungen;108
8.1.3;Alleinzuständigkeit und Machtmonopol der Mutter;109
8.1.4;Die Väter im Abseits;110
8.2;Der Verzicht auf den Muttermythos und seine Folgen;112
8.2.1;Realistisches Mutterbild;112
8.2.2;Wahrnehmung von problematischen und destruktiven Mutter- Kind- Beziehungen;114
8.2.3;Erweiterte Zuständigkeit;114
8.2.4;Voraussetzungen, Widerstände, Hindernisse;116
9;Literatur;120
5 Die aktiv Gewalt ausübende Mutter (S. 91-92)
Guten Tag, oft und wiederholt schlägt meine Frau meinen Sohn. Heute waren es über siebzig Schläge, weil er seine Bromhexintabletten nicht schlucken wollte […] Sie sagt mir immer ich darf mich nicht einmischen, das würde die Erziehung untergraben und vor allem ihre Autorität. Meine Frau ist Ärztin und hat immer recht […] Das Problem ist aber viel schwerer, es vergeht fast kein Tag, an dem unser Sohn nicht von meiner Frau geschlagen wird. Wenn er statt einer eins nur eine zwei nach Hause bringt zum Beispiel. Wenn er nicht schnell genug irgendwelche Anweisungen ausführt. Wenn er das versalzene Essen nicht zu Ende essen will. Nun muss er seine Wäsche selbst waschen, soll allein kochen. Natürlich darf ich ihm nicht dabei helfen. Das alles um ihn zu einem selbständigen Sohn im Sinne des Kindswohles zu erziehen. Meine Frau droht mir damit, dass sie bei einer Scheidung das alleinige Sorgerecht bekommt. Meine größte Angst ist die, dass das wahr wird. Ist das wirklich immer so?
Dieser Brief eines verzweifelten, Rat suchenden Vaters stammt aus einem Internet-Forum, und er ist nur einer von vielen Beiträgen, in denen mütterliche Gewalt off enbar wird, die sich häufi g jenseits der Öff entlichkeit im privaten «Mutter-Kind-Heim» abspielt. Die Werbeindustrie setzt uns täglich eine verkitschte Mutter-Kind-Welt vor, während die Massenmedien mit traurigen und grausamen Kinderschicksalen aufwarten. Diese aber sind nur die Spitze eines Eisbergs, die nicht (mehr) zu übersehen sind. In tieferen Schichten ist ein Vielfaches an unerkannten Schicksalen verborgen. Für viele Kinder ist seelische und körperliche Misshandlung, auch und vor allem seitens ihrer Mütter, trauriger und grausamer Alltag.
Entgegen der Suggestionen des Muttermythos macht Mutterschaft nicht frei von Wut und Grausamkeit. Seelische und körperliche Gewalt von Müttern gegen ihre Kinder ist häufi ger, als wir wahrhaben wollen und öff entlich wird dieses Th ema schon gar nicht thematisiert. Aus Gründen der Moral und des Anstandes verdrängen und verleugnen die meisten Frauen bestimmte Gefühle und spontane Impulse gegen ihre Kinder. Aber in Ohrfeigen, Wutausbrüchen und Beschimpfungen kommen ihre tieferen Regungen doch unvermittelt ans Licht. Dann schießen in ihnen vielleicht urplötzlich unkontrollierte Wut- und Hassgefühle hoch, die danach verlangen, das Kind niederzumachen – mit Worten oder mit körperlicher Gewalt. Das Kind ist dabei der Übermacht der Mutter, ihrer Wut und Frustration hilfl os ausgeliefert und ein idealer «Sündenbock».
5.1 Formen der Gewalt
Kindesmisshandlung kann als eine «nicht zufällige, gewaltsame psychische und/oder physische Beeinträchtigung des Kindes» defi niert werden (Deegener 2005, S. 37). Unterschieden wird nach den verschiedenen Formen von Gewalt in:
• emotionale/seelische Gewalt/Misshandlung
• Vernachlässigung
• körperliche Gewalt/Misshandlung
• sexueller Missbrauch.
Oft handelt es sich um Kombinationen von Gewaltformen, und seelische Misshandlung ist immer auch ein Bestandteil der anderen Formen von Gewalt.
5.1.1 Seelische Gewalt Seelische Gewalt ist nicht so leicht wahrzunehmen und zu fassen. Es handelt sich um wiederholte, aber unterschiedliche und zum Teil subtile Verhaltensweisen der Pfl egeperson. Gemeinsam ist ihnen, dass sie dem Kind zu verstehen geben, «es sei wertlos, mit Fehlern behaft et, ungeliebt, ungewollt, gefährdet oder nur dazu nütze, die Bedürfnisse eines anderen Menschen zu erfüllen» (ebd., S. 143). Es sind Verhaltensweisen, die Kinder entwerten, ängstigen oder überfordern und sie in ihrer Entwicklung beeinträchtigen.