E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Günther-Haug Den Boden unter den Füßen verlieren
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96121-556-0
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wenn eine seelische Erschütterung schwer trifft und wie man bei Schock-Erfahrungen Heilung findet
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-96121-556-0
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine schlimme Nachricht, ein Unfall, eine Kündigung – nach einer traumatischen Erfahrung können Gefühle, Gedanken und die eigene Wahrnehmung durcheinandergeraten. Man befindet sich im Schockzustand: Es ist, als würde man den Boden unter den Füßen verlieren.
Die erfahrene Psychotherapeutin Barbara Günther-Haug erläutert die mentalen Veränderungen, die nach einem Schock-Erlebnis eintreten, und zeigt anhand praktischer Arbeitsblätter, wie Sie sich selbst helfen können. Dieses Buch unterstützt Sie dabei, den Schock zu bewältigen, die psychischen Wunden heilen zu lassen und gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Aufgrund der Corona-Krise erleben wir die verheerendste Wirtschaftskrise seit dem zweiten Weltkrieg. Wenn auch Sie plötzlich mit lähmenden Existenzängsten kämpfen, die es Ihnen schwer machen, die jetzige Lage zu bewältigen, kann Ihnen dieses Buch helfen. Die geschulte Psychotherapeutin Barbara Günther-Haug zeigt Ihnen, wie Sie Ihre aufgewühlte Seele beruhigen und zu mentaler Leistungsstärke zurückfinden können.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 14
Das Morgengrauen
Ein Schock kann das Hirn so belasten, dass es weder abends gut einschläft noch morgens gut in den Tag findet. Achtung: Wenn Sie schon Stunden vor dem Weckerklingeln erwachen, sich zur Aufstehzeit dann aber antriebslos und zerschlagen fühlen oder gar nicht mehr aus dem Bett kommen und verlangen, dass die Rollläden unten bleiben, dann haben Sie vermutlich leider eine Depression oder jedenfalls krankheitswertige Ängste. Bitte gehen Sie in diesem Fall zur Hausärztin und beraten Sie sich mit ihr. Aber nicht immer ist es so schlimm. Vielleicht fühlt man sich einfach benommen und lustlos. Man kann sich zwar aufrappeln, kämpft aber mit einer Mattscheibe, sieht allerlei Unangenehmes voraus und hat vielleicht wirklich eine scheußliche Masse zu tun. Wieder ist es die Kunst, den Mittelweg zu finden: Einerseits will der Tag halbwegs geplant sein, sonst rinnt uns die Zeit durch die Finger. Andererseits darf man nicht, noch bevor man die Augen aufschlägt, sämtliche Punkte der To-do-Liste innerlich herbeten. Wie soll man seinen Job schaffen, wenn einen schon beim Denken an den Hinweg schaudert? Deshalb gilt gerade zur Morgenstunde: Fokussieren Sie sich aufs Hier und Jetzt. Erledigen sie eins nach dem andern. Bei jeder Wanderung ist die erste Stunde am schwersten. Man starrt auf den Wegweiser: Was, das ist immer noch so weit? Aber dann kommt man ins Laufen, Schauen, der Schritt gewinnt an Kraft und Sicherheit, und plötzlich geht es voran. So ist es auch im Alltag, wir dürfen uns nur nicht selbst im Wege stehen. Statt uns also von miesen Gefühlen benebeln zu lassen, schwingen wir lieber die Beine aus dem Bett und installieren eine hilfreiche Morgenroutine. Drei Gehirn-Erfrischer
1) Der Königs-Tipp: Brausen Sie sich am Ende des Duschens für ein paar Sekunden mit kaltem Wasser ab. Sie können sich in den ersten Tagen zur Eingewöhnung auf Arme und Beine beschränken und dann langsam zum Kerngebiet vorrücken. So eine kalte Dusche auf Hinterkopf und Rücken führt wirklich zum mentalen Reset. Nicht umsonst ist dies ein bewährtes Ausnüchterungsmittel bei Leuten, die über den Durst getrunken haben. Alkohol-Kater und Schock-Kater gehören zur gleichen krummen Sippschaft. Wetten, dass Sie diese Vitalitätsspritze bald nicht mehr missen wollen! Und das Ganze stärkt außerdem noch das Immunsystem. 2) Goldwert bei einem Morgentief ist auch eine gezielte Dosis Koffein. Peilen Sie mindestens einen halben Liter Flüssigkeit an: Entweder einen doppelten Espresso plus zwei Glas Wasser oder einen großen Milchkaffee (Café au lait) plus ein Glas Wasser oder eine Kanne schwarzen Tee. Für den Rest des Tages sollte man nun nicht permanent koffeinhaltige Getränke hinterherschütten, aber gegen den toten Punkt am Nachmittag kann man eine zweite Ration brauchen. Schließlich ist »das Kaffeetrinken« eine deutsche Institution – weise verwendet, tut Koffein dem müden Gehirn einfach gut. Wem der Kaffee zu bitter ist, darf ihn durch Tee oder eine eiskalte Cola ersetzen. Viel trinken ist generell wichtig. Wir sind ein Stück Natur, ohne Flüssigkeit verdursten wir wie die Pflanze im Blumentopf. Unsere Hirnzellen sollen sich regenerieren, also gilt es, sie gut zu wässern. Als Durchschnittsmenge wären zwei Liter täglich zu empfehlen, vorwiegend ungesüßt und alkoholfrei. 3) Frühsport. Wer Joggen geht oder zur Arbeit radelt oder vor dem geöffneten Fenster Kniebeugen macht, zählt zu den großen Vorbildern. Ansonsten nutzt als kleinster Nenner schon das Recken und Strecken auf der Bettkante oder im Bad. Holen Sie außerdem ein paarmal tief Luft – bis hinunter in die Füße und Zehenspitzen. Mit diesen Strategien bringen Sie die Maschine langsam in Gang. Wer unter einem Morgentief leidet, sollte Alkohol abends meiden. Wenn die Birne hin und wieder gar nicht leuchten will, nehmen Sie zum Frühstück eine Kopfschmerztablette. Achten Sie auf Präsenz: Schnuppern Sie nach Ihrem Shampooduft, freuen Sie sich über die gebügelte Bluse. Solange Sie nicht gut drauf sind, müssen Sie morgens keine Superfood-Pausenbrote für Ihre Familie fabrizieren, es sei denn, es macht Ihnen Spaß. Ansonsten ist Vereinfachung angesagt, Sie haben genug anderes zu tun. Jeder legt sich selbst den Schinken auf die Stulle: Das versteht auch ihre »Erbmasse«. Hören Sie aufbauende Musik und lesen Sie die aktuellen Nachrichten. Schockbewältigung heißt, die Zeit für sich arbeiten zu lassen. Driften Sie nicht uferlos ins Nirwana ab, sondern nehmen Sie anhand des Datums wahr, dass der Tag des Schocks allmählich in die Vergangenheit rückt. Die Welt wandelt sich – und damit auch Sie. Und genau dies wollen wir für unsere Seele, dann können wir jeden Tag mehr auf Heilung hoffen. Denn uns gibt es ja noch, und wir dürfen für uns sorgen. Wir haben alle kein Zweitleben im Schrank hängen: Pflegen wir also unsere kostbaren Ressourcen. Manchmal braucht man morgens vor dem Spiegel eine Art Schlachtruf, um sich selbst anzufeuern. Was sagen Sie zu den Vorschlägen auf Arbeitsblatt 21? Arbeitsblatt 21
Meine Morgenparole
Name und Datum: ___________________________________ Entweder Sie nehmen einen Aufmunterungsspruch aus der Liste unten oder Sie denken sich selbst etwas Inspirierendes aus. Vorschläge für die Morgenparole Ihrer Wahl: Jeder Tag zählt. Irgendwas wird schon klappen. Das Leben ist das Leben. Danke, dass ich noch da bin. Ich bin kein Huhn, also raus aus den Federn. Schritt für Schritt in die richtige Richtung. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich’s nachher ungeniert. Ich sorge für meine Belange. Der Tee schmeckt. Mein Liebling, für dich und mich. Ihre eigenen Ideen: _________________________________________________________________ _________________________________________________________________ _________________________________________________________________ Kapitel 15
Der Stress mit dem Essen
Direkt nach dem Schock bleibt der Appetit bei den meisten Menschen aus. Sie bringen nicht viel herunter. Ein paar Tage lang darf man das hinnehmen. Sollte die Appetitstörung besorgniserregend andauern, ist wieder an eine Depression zu denken. Die Depression wirkt sich hier ähnlich aus wie Fieber, auch wenn die Körpertemperatur nicht steigt. Das Essen schmeckt seltsam verändert, jedes Verlangen fehlt, und wenn man sich zum Essen zwingt, geht trotzdem »nichts an einen«. Depressive Patienten nehmen daher häufig ab, was ihnen möglicherweise gar nicht unwillkommen, aber doch ein Krankheitszeichen ist. Aber nicht immer liegt der Essstörung eine Depression zugrunde. Wenn der Antrieb funktioniert, man arbeiten und hin und wieder lächeln kann, ist der Hirnstoffwechsel wohl in dieser Hinsicht intakt. Trotzdem schleichen sich gern Probleme ein, und unwillkürlich gehört dazu die Frage, ob man vielleicht zu viel oder auch zu wenig isst. Was wäre das Normalgewicht? Einen Anhaltspunkt gibt der Body-Mass-Index: Gewicht in Kilogramm geteilt durch Körperlänge in Metern zum Quadrat (BMI = m / l²), der Normbereich liegt bei 18,5 bis 25,9 (kg/m²), mit altersabhängigen Anpassungen. Der ältere Mensch sollte nicht im unteren Normbereich liegen. Wer schon vor dem Schock ein Gewichtsproblem hatte, wird anschließend erst recht in diese Richtung tendieren, also nach oben oder unten. Ein bewusster Umgang mit der Thematik ist dann besonders ratsam. Zu wenig oder selektiv essen
Nach einem Schock klagen manche Menschen über Verdauungsstörungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten, Übelkeit, sogar Erbrechen. Dann essen sie nur noch sehr vorsichtig oder gewöhnen sich spezielle Kostformen an, die ihnen ab einem gewissen Grad das Sozialleben erschweren. Es befremdet den Freundeskreis, wenn man bei jedem Restaurantbesuch mit dem Koch die Zutatenliste diskutiert. Nicht selten bleiben die Betroffenen am Ende sowieso zu Hause, weil sie fürchten, auf der Speisekarte nichts Bekömmliches zu finden. Der entscheidende Faktor ist hier oft die Angst. Was den Verdauungstrakt aus dem Takt bringt, wäre also weniger die Nahrung als das vom Psychotrauma verstörte Kopforgan. Unsere angespannte Seele beeinträchtigt alle Systeme und insbesondere vorbestehende Schwachstellen. Ein hoher Angstpegel erzeugt unter Umständen chronische Übelkeit bis hin zu »würgender Angst«, also Erbrechen, und ist auch eine Ursache von Schwindel und Ohrgeräuschen. Dabei muss das eigentliche Angstgefühl nicht im Vordergrund stehen. Es scheint vielmehr, als säßen die Probleme in Magen oder Ohr. Man nennt dies eine »Somatoforme Störung«, die zwar die »Form« eines körperlichen Leidens hat, in Wahrheit aber von der Seele ausgeht. Wobei die Seele gleichfalls ein Körperteil ist. Bitte glauben Sie mir: Somatoforme Störungen sind keineswegs »Einbildung«. Nein, die sogenannten Endorgane leiden unter der verwirrten Schaltzentrale. Das kennt man ja auch sonst im Leben. Hilfreich sind hier keine ausgeklügelten Diäten, die den Glauben an die eigene Anfälligkeit und somit unsere Angst nur schüren, sondern Methoden zur Spannungssenkung, wie Sie sie in den vorangegangenen Kapiteln finden. Wieder wäre ein begleitender Arztbesuch kein Luxus und zum Beispiel die Ultraschalluntersuchung des Bauchraums einfach und aussagekräftig, sodass wirklich nichts übersehen wird. Denken Sie zudem an Ihre Schilddrüsenwerte, denn gerade dieses Organ reagiert bei Schock-Erfahrungen oft mit. Selbstverständlich sollte man bei Übelkeit, auch wenn sie seelische Ursachen hätte, nicht scharf, fett und überreichlich essen. Verordnen Sie sich leichte Kost, erlegen Sie sich...