E-Book, Deutsch, 516 Seiten
Haas / Kleideiter Kinderkardiologie
3. unveränderte Auflage 2021
ISBN: 978-3-13-244362-4
Verlag: Thieme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klinik und Praxis der Herzerkrankungen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
E-Book, Deutsch, 516 Seiten
ISBN: 978-3-13-244362-4
Verlag: Thieme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zielgruppe
Ärzte
Autoren/Hrsg.
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1 Kinderkardiologische Anamnese und Untersuchung
1.1 Grundlagen
Jede kinderkardiologische Beurteilung beginnt mit einer gründlichen Anamnese und klinischen Untersuchung. Aufgrund der zunehmenden technischen diagnostischen Möglichkeiten besteht eine Neigung dazu, Anamnese und Untersuchung immer mehr in den Hintergrund zu drängen. Eine sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung sind aber wesentliche Voraussetzungen, um die infrage kommenden Differenzialdiagnosen herauszuarbeiten und sinnvolle weitere (apparative) Untersuchungen in die Wege zu leiten. 1.2 Anamnese
Die kinderkardiologische Anamnese beinhaltet neben den aktuellen Beschwerden auch die Erhebung der Schwangerschafts- und Geburtsanamnese, der Familienanamnese sowie der bisherigen körperlichen Entwicklung. Selbstverständlich muss auch nach der aktuellen Medikation gefragt werden. 1.2.1 Schwangerschaftsanamnese
In der Schwangerschaftsanamnese sind gezielt folgende Fragen zu klären: Ergaben sich bereits bei den fetalen Ultraschalluntersuchungen Hinweise auf einen angeborenen Herzfehler? Einen Großteil der angeborenen Herzfehler kann man mittlerweile pränatal mit der fetalen Echokardiografie diagnostizieren. Wurde bereits pränatal eine Chromosomenanomalie oder genetische Erkrankung vermutet oder diagnostiziert?
Eine Vielzahl genetischer Syndrome ist mit angeborenen Herzfehlern assoziiert ( ? 23.1). Zu den wichtigsten gehören: Trisomie 21 (AV-Kanal, VSD, Fallot-Tetralogie) Trisomie 13 (VSD) Trisomie 18 (VSD) VACTERL-Assoziation (VSD) Mikrodeletion 22q11 (konotrunkale Herzfehler wie Fallot-Tetralogie, Pulmonalatresie, Truncus arteriosus communis) Noonan-Syndrom (Pulmonalstenose, hypertrophe Kardiomyopathie) Turner-Syndrom (Aortenisthmusstenose, Aortenstenose, Kardiomyopathie) Williams-Beuren-Syndrom (supravalvuläre Aortenstenose, periphere Pulmonalstenosen, Aortenisthmusstenosen) Marfan-Syndrom (Dilatation der Aortenwurzel, Aorteninsuffizienz, Mitralklappenprolaps, Mitralinsuffizienz) Nahm die Mutter während der Schwangerschaft Medikamente, Alkohol oder Drogen ein?
Zahlreiche Medikamente werden als teratogen angesehen. Die Einnahme folgender Medikamente und Substanzen in der Schwangerschaft ist beispielsweise mit angeborenen Herzfehlern assoziiert: Phenytoin (Pulmonalstenose, Aortenstenose, Aortenisthmusstenose, PDA) Valproat (ASD, VSD, Aortenstenose, Pulmonalatresie mit intaktem Ventrikelseptum, Aortenisthmusstenose) Lithium (Ebstein-Anomalie) Retinolsäure (konotrunkale Herzfehler wie Fallot-Tetralogie, Truncus arteriosus communis) Amphetamine (VSD, PDA, ASD, TGA) Progesteron/Östrogen (VSD, TGA, Fallot-Tetralogie) Alkohol (VSD, PDA, ASD, Fallot-Tetralogie) Besteht oder bestand ein mütterlicher Diabetes mellitus oder Gestationsdiabetes?
Bei einem mütterlichen Diabetes mellitus ist das Risiko beim Kind für eine hypertrophe Kardiomyopathie (reversibel), eine TGA, einen VSD und eine Aortenisthmusstenose erhöht. Liegt bei der Mutter ein systemischer Lupus erythematodes (SLE) vor?
Bei einem mütterlichen SLE besteht für das Kind ein erhöhtes Risiko, einen angeborenen AV-Block zu entwickeln. Die transplazentar übertragenen mütterlichen Antikörper können bereits intrauterin das kindliche Reizleitungssystem zerstören. Nicht selten ist der SLE bei der Mutter bis dahin noch gar nicht erkannt und wird erst durch den fetalen AV-Block diagnostiziert. Erkrankte die Mutter während der Schwangerschaft an einer Virusinfektion?
Eine mütterliche Rötelninfektion im ersten Trimester kann zu peripheren Pulmonalstenosen, einem PDA und/oder einem VSD führen.
Infektionen mit CMV, Herpes simplex oder Coxsackievirus Typ B gelten als potenziell teratogen. In der späten Schwangerschaft können virale Infekte eine angeborene Myokarditis bedingen. 1.2.2 Geburtsanamnese
In der Geburtsanamnese sind folgende Punkte zu klären: Geburtsgewicht, Schwangerschaftswoche
Das Geburtsgewicht dient als Ausgangspunkt für Verlaufskontrollen. Ein niedriges Geburtsgewicht („small for gestational age“, SGA) kann auf eine intrauterine Infektion hinweisen.
Neugeborene einer Mutter mit Diabetes mellitus sind typischerweise auffällig groß und schwer.
Neugeborene mit einer TGA weisen ebenfalls häufig ein relativ hohes Geburtsgewicht auf. Die Ursache ist allerdings unklar. Wie verlief die postpartale Adaptation (Apgar-Score, pH)?
Zyanotische Herzfehler sind ein Risiko für eine peripartale Asphyxie. Besserte sich eine Zyanose nach Applikation von Sauerstoff?
Hyperoxietest: Der Anstieg der pulsoxymetrisch gemessenen Sauerstoffsättigung nach Gabe von Sauerstoff spricht eher für ein pulmonales als ein kardiales Problem. Wurde bereits früh nach der Geburt ein Herzgeräusch festgestellt?
Herzfehler, die zu einer Obstruktion führen (z. B. Aortenstenose, Pulmonalstenose), verursachen in der Regel bereits frühzeitig ein Herzgeräusch. Das Geräusch eines Shunt-Vitiums (VSD, PDA) ist dagegen meist erst nach Abfall des Lungengefäßwiderstands hören, wenn der Shunt-Fluss zunimmt. 1.2.3 Familienanamnese
In der Familienanamnese wird geklärt, inwieweit eine familiäre Belastung für kardiale Erkrankungen vorliegt. Gibt es in der näheren Verwandtschaft angeborene Herzfehler?
Rund 1 % aller Neugeborenen weisen einen angeborenen Herzfehler auf. Das Risiko ist höher, wenn nahe Verwandte unter einem angeborenen Herzfehler leiden. Allgemein gilt, dass das Wiederholungsrisiko etwa 3 % beträgt, wenn ein Geschwisterkind an einem angeborenen Herzfehler erkrankt ist. Das Wiederholungsrisiko ist aber je nach Herzfehler unterschiedlich groß ( ? Tab. 1.1 ). Liegt bei der Mutter ein angeborener Herzfehler vor, ist das Risiko höher, als wenn der Vater betroffen ist ( ? Tab. 1.2 ). Gibt es genetische Erkrankungen innerhalb der Familie, die mit einem Herzfehler oder Herzrhythmusstörungen assoziiert sind?
Die häufigsten Erbkrankheiten, die mit Herzfehlern assoziiert sind, sind bereits oben aufgelistet (z. B. Marfan-Syndrom). Beispiele für familiär bedingte Herzrhythmusstörungen sind Long-QT-Syndrome, Brugada-Syndrom oder familiäres Vorhofflimmern. Gibt es in der Familie gehäuft auftretende Todesfälle oder Synkopen unklarer Ursache?
Bei entsprechenden anamnestischen Angaben muss differenzialdiagnostisch an ventrikuläre Arrhythmien, Long-QT-Syndrome, Brugada-Syndrom und hypertrophe Kardiomyopathien gedacht werden. Trat bei einem Familienmitglied bereits in jungem Alter ein Herzinfarkt auf?
In diesen Fällen muss man nach Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung, z. B. eine hereditäre Thrombophilie oder Hypertonie bzw. nach Koronaranomalien suchen. Tab. 1.1 Wiederholungsrisiko für Herzfehler, wenn ein Geschwisterkind betroffen ist (nach Nora JJ, Nora AH 1978). Herzfehler Wiederholungsrisiko VSD 3 % PDA 3 % ASD 2,5 % Fallot-Tetralogie 2,5 % Pulmonalstenose 2 % Aortenisthmusstenose 2 % ...