Buch, Deutsch, Band 20, 327 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 216 mm, Gewicht: 411 g
Lokale Strategien gegen den Klimawandel in Frankfurt am Main, München und Stuttgart
Buch, Deutsch, Band 20, 327 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 216 mm, Gewicht: 411 g
Reihe: Interdisziplinäre Stadtforschung
ISBN: 978-3-593-50186-4
Verlag: Campus Verlag GmbH
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geowissenschaften Umweltwissenschaften Klimawandel, Globale Erwärmung
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Regierungspolitik Umwelt- und Gesundheitspolitik
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Systeme Kommunal-, Regional-, und Landespolitik
- Rechtswissenschaften Öffentliches Recht Verwaltungsrecht Verwaltungspraxis Kommunal- und Regionalverwaltung
Weitere Infos & Material
Inhalt
1. Einleitung 7
1.1 Zentrale Fragestellung des Buches und sein Entstehungszusammenhang 7
1.2 Politische Entscheidungen und Wissen 9
1.3 Städtische Strategien und Maßnahmen gegen den Klimawandel als Untersuchungsgegenstand 20
1.4 Methodische Zugangsweise 24
2. Konzeptionelle Überlegungen zu Wissensordnungen 35
2.1 Vorbemerkung 35
2.2 Inhalt und "Rahmen" von Wissensordnungen 37
2.3 Der "Rahmen" einer Wissensordnung: Strukturen und Prozesse 39
2.4 Zwischenresümee 70
3. Frankfurt 73
3.1 Allgemeine für die Klimapolitik handlungsleitende Inhalte der Wissensordnung 75
3.2 Institutionelle Koordinationsformen der Formierung und Reproduktion der Wissensordnung 86
3.3 Akteurskonstellationen und strukturelle Besonderheiten von Akteuren 95
3.4 Stadtspezifische Materialisierung der Mechanismen 105
3.5 Zwischenresümee 128
4. München 133
4.1 Allgemeine für die Klimapolitik handlungsleitende Inhalte der Wissensordnung 135
4.2 Institutionelle Koordinationsformen der Formierung und Reproduktion der Wissensordnung 144
4.3 Akteurskonstellationen und strukturelle Besonderheiten von Akteuren 152
4.4 Stadtspezifische Materialisierung der Mechanismen 155
4.5 Zwischenresümee 178
5. Stuttgart 185
5.1 Allgemeine für die Klimapolitik handlungsleitende Inhalte der Wissensordnung 188
5.2 Institutionelle Koordinationsformen der Formierung und Reproduktion der Wissensordnung 202
5.3 Akteurskonstellationen und strukturelle Besonderheiten von Akteuren 212
5.4 Stadtspezifische Materialisierung der Mechanismen 227
5.5 Zwischenresümee 248
6. Ergebnisse 253
6.1 Zu den klimapolitisch relevanten Wissensordnungen der drei Städte 253
6.2 Mechanismen und ihr Potenzial für Erklärungen 269
6.3 Stadtspezifische Bedingungen für die Entwicklung der jeweiligen Wissensordnungen 272
6.4 Vom Klima zur Policy 280
Tabellen und Schaubilder 295
Literatur 297
Interviews 323
1. Einleitung
1.1 Zentrale Fragestellung des Buches und sein Entstehungszusammenhang
In Kooperation zwischen Ingenieuren und Sozialwissenschaftlern ist an der TU Darmstadt der Frage nachgegangen worden, warum bestimmte verfügbare Wissensbestände in politischen Entscheidungen aufgegriffen oder auch erst entwickelt werden - und andere nicht. Dabei ist davon ausgegangen worden, dass lokale Problemdefinitionen, Handlungsorientierungen und Problemlösungsstrategien von einer "Deutungs-" und "Wissenswahl" (Nullmeier 1993) abhängen, in der zum Ausdruck kommt, was in spezifischen örtlichen Kontexten als sachlich und normativ angemessen gilt. Es wurde untersucht, wie solche Standards normativer und sachlicher Angemessenheit in einem je spezifischen örtlichen Kontext generiert, reproduziert und in Frage gestellt werden und welche Mechanismen dafür relevant sind.
Bei diesen Prozessen einer "Wissens-" und "Deutungswahl" treten in Städten Unterschiede auf. Entgegen der vielfach behaupteten Konvergenz der Städte ist davon ausgegangen worden, dass die spezifische Kombination von Wissen in einer Stadt in der Differenz zu anderen Städten eine wesentliche Ursache für die Varianz städtischer Politik ist. Eine Wissenslücke (ob gewollt oder ungewollt) oder die Dominanz bestimmten Wissens hat demnach unmittelbar Auswirkungen auf politische Entscheidungen (die "Handlungswahl").
Es ist das Ziel der Forschergruppe gewesen, die Mechanismen der Generierung handlungsrelevanten Wissens zu entschlüsseln. Die empirischen Untersuchungen konzentrierten sich auf die Städte Frankfurt am Main, München und Stuttgart und die Frage, welche Strategien im Umgang mit dem Klimawandel verfolgt und welche Maßnahmen umgesetzt worden sind.
1.2 Politische Entscheidungen und Wissen
In der Politikwissenschaft ist in den letzten Jahren von verschiedenen Ausgangspunkten und mit unterschiedlichen Stoßrichtungen eine Debatte um die Relevanz von Wissen in Entscheidungsprozessen in Gang gekommen (vgl. dazu Heinelt 2008: 89-109; Heinelt 2010: 40-48). Dies reicht von konstruktivistischen Ansätzen in den Internationalen Beziehungen (Adler 1992; Checkel 1998; Haas 1992; Kratochwil 1993; Schaber/Ulbert 1994), die die Bedeutung von Kommunikation und sprachlich vermittelten Situationsdeutungen sowie von dominanten Handlungsorientierungen heraus stellen (vgl. unter anderem Risse-Kappen 1995), bis zum "argumentative turn" in der Policy-Forschung (Fischer/Forester 1993: Fischer/Gottweis 2012), in dessen Folge die Relevanz von Ideen und Paradigmen (vgl. Hall 1986; 1993), von Argumentation und Überzeugung (vgl. Majone 1989; 1993) sowie von "belief systems" (vgl. Sabatier 1988; 1993) im "policy-making" herausgearbeitet worden ist (zusammenfassend: Maier 2001; 2003). Mit dieser "kognitiven Wende" (Nullmeier 1997; 2014) erfolgte bei der Erklärung von Entscheidungen sowohl eine Abkehr von Konzepten rationaler Handlungswahl nach dem "rational choice"-Paradigma als auch von institutionellen beziehungsweise strukturellen Handlungsimperativen. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Prozesse der Formierung und Transformation von Akteurspräferenzen im Kontext kommunikativer
Interaktion von Akteuren und daraus resultierender Lernprozesse thematisiert worden sind. Zum anderen ist auf die Bedeutung von Wissen im Umgang von Akteuren mit institutionell beziehungsweise strukturell gegebenen "Imperativen" eingegangen worden.
1.2.1 Wissen
Wissen wird in diesen Debatten nicht gleichgesetzt mit ungeordneten, zusammenhangslosen Informationen und Datenströmen. Im Gegensatz zu Daten und Informationen hängt Wissen vielmehr mit kognitiven Prozessen der Interpretation und der Erfordernis der Auswahl zusammen. Die Kernfunktion des Wissens ist die Auswahl, das Sortieren und die Integration der exponentiell wachsenden Menge an Daten und Informationen, wodurch diese mit spezifischer Relevanz versehen werden. Wissen ist in diesem Sinne (mit Rückriff auf Berger/Luckmann 1966 und Schütz 1976 [1959]) immer verknüpft mit einem Prozess der Sinngebung und der Herstellung und Verbesserung von Handlungsfähigkeiten angesichts einer Konfrontation mit einer Unzahl von Informationen und Daten über die soziale Umwelt:
"Wissen und Handeln sind hier inniglich verknüpft, erweisen sich beide doch als besondere Sinnphänomene: Sinn ist, was Handeln leitet, orientiert und ein Verhalten erst als Handeln auszeichnet. Wissen ist also nichts der Handlung Äußerliches, sondern konstitutiv für Handeln." (Knoblauch 2005: 146)
Die Konstruktionen und Interpretationen, die Wissen zugrunde liegen, münden in Kausalannahmen beziehungsweise Wenn-Dann-Konstrukten im Sinne von "well-probed belie[fs]" (Lindblom 1990: 123), die "the relationship between variables and consequences" (Knott/Wildavsky 1980: 548) spezifizieren und "therefore, a definitive statement of what will happen" beinhalten (ebd.). Ergänzt wird dieses kognitive Element von Wissen (wie die Welt funktioniert) durch Standards normativer Angemessenheit (das heißt Vorstellungen darüber, wie die Welt funktionieren sollte).
Wissen als "kognitiv stilisierte Erwartung" (Luhmann 1992) impliziert "certainty until further notice" (Schütz 1976: 288) und sieht sich deshalb jederzeit der Infragestellung und der Möglichkeit der Revision ausgesetzt (vgl. Giddens 1996: 55). Wissen kann deshalb - im Unterschied zu Informationen und Daten - nicht angesammelt und gehütet werden, es muss vielmehr aktiviert und in Handlungen übersetzt werden. Anders formuliert: Wissen kann als spezifische Ressource nicht entwickelt, verwaltet und verwendet werden, ohne sich in soziale Interaktionen, Praktiken und Diskurse zu begeben (vgl. Knoblauch 2005).
1.2.2 Wissensordnung
Die Selektions- und Integrationsprozesse von Wissens selbst werden durch institutionelle Regelungen und diskursive Prozesse "der Erzeugung und der kognitiven oder normativen Bewertung von Wissen" (Wehling 2004: 65) strukturiert, die in einem Politik- oder Handlungsfeld (allgemein: einer Handlungsarena) sozial anerkannt sind. Daraus resultieren "Wissenshierarchien und Grenzziehungen" (ebd.) zwischen Wissen, das als handlungsrelevant gilt, und solchem, dem keine Handlungsrelevanz zugeschrieben oder das schlicht ignoriert wird.
Für diese institutionellen Regelungen und diskursiven Prozesse, durch die für einen bestimmten Handlungszusammenhang (zum Beispiel ein Politikfeld in einert Stadt) dominantes oder zumindest hegemoniales handlungsleitendes Wissen selektiert und sinnhaft aufeinander bezogen wird, findet derzeit in verschiedenen sozialwissenschaftlichen Diskussionszusammenhängen der Begriff der "Wissensordnung" Verwendung. Er hat indes noch keine allgemein gültige Präzisierung erfahren. Zudem finden sich mit den Konzepten der "Wissenskulturen" (Knorr-Cetina 2002), der "Wissensregime" (Wehling 2007; Böschen 2010) und "civic epistemologies" (Jasanof 2005) Ansätze in diesen sozialwissenschaftlichen Debatten, die konzeptuelle Ähnlichkeiten aufweisen.
Ein gemeinsames Grundverständnis lässt sich allerdings durchaus feststellen. Es geht danach bei einer Wissensordnung um eine dominante Form der Regulation von Wissen, die sich gegenüber anderen Wissensordnungen oder zumindest bestimmten Wissensangeboten durchgesetzt hat (vgl. dazu unter anderem Huber 2007, Spinner 2004). In diesem Sinne sind Wissensordnungen "historisch wandelbare Arrangements der Produktion, Verteilung, Validierung und Bewertung öffentlich relevanten Wissens" (Straßheim 2010: 5) beziehungsweise
"gesellschaftliche Arrangements der Produktion und Diffusion von Wissen […], die über die Normierung und Zertifizierung die Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit von Wissensbeständen regulieren und über die Kreditierung von Wissensakteuren (Experten) auch die Hierarchie von Wissensformen" (Weingart 2003: 139).
Zentral sind dabei bestimmte kognitiv-konstitutive Regeln (Reckwitz 2004: 313), die festlegen, wie sich Akteure die Welt erschließen und mit Bedeutung versehen und damit eine "capacity to act" erwerben. Wissensordnungen stellen demnach einen Rahmen für die "Auseinandersetzungen über die Verfügung von Wissen, über Definitionsmacht und die Legitimität von Wissensansprüchen" (Weingart 2003: 139) dar.
Ausgehend von diesem Grundverständnis ist im Weiteren (im Kapitel 2) eine konzeptionelle Klärung des Begriffs der Wissensordnung vorgenommen worden.