E-Book, Deutsch, Band 4, 352 Seiten
Heldt Tante Inge haut ab
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-423-40658-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 4, 352 Seiten
Reihe: Das kommt in den besten Familien vor
ISBN: 978-3-423-40658-1
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Für einen Neuanfang ist man nie zu alt.
Typisch Dora Heldt - ein herrlich komischer Frauen- und Familienroman unter dem Motto 'Das Leben ist Veränderung!'
Die Frau am Ende des Bahnsteigs trug einen roten Hut und sah aus wie meine Tante Inge. Nur dass die niemals Hüte und schon gar nicht ihr Gepäck tragen würde.
Urlaub auf Sylt! Freudig begrüßt Christine (46) am Bahnhof ihren Johann, da tippt das Unheil ihr auf die Schulter: Die Frau mit dem roten Hut ist tatsächlich Tante Inge (64), Papas jüngere Schwester. Aber was macht sie allein auf Sylt? Noch dazu mit so vielen Koff ern? Für Papa Heinz kann dies nur eines bedeuten: Inge will Walter, den pensionierten Finanzbeamten, samt gemeinsamem Reihenhaus verlassen. Als dann auch noch Inges neue Freundin Renate mit ihrem Faible für (nicht nur alleinstehende) ältere Männer auftaucht, platzt Mama Charlotte der Kragen: Walter muss her, und zwar sofort! Christine indessen stimmt Inges Lebenslust nachdenklich. Mit Mitte 60 wagt ihre Patentante einen Neuanfang – und sie selbst?
'Ein charmanter und witziger Roman über Familie, Freundschaft, das Älterwerden, das Jungbleiben und über die Liebe und ihre verrückten Eigenheiten.' denglers-buchkritik.de
'Die perfekte Lektüre für Strandkorb oder Liegestuhl.' Petra von der Linde im ›Westfälischen Anzeiger‹
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Die Frau am Ende des Bahnsteigs trug einen roten Hut und sah aus wie Tante Inge. Nur dass die nie Hüte und nur im äußersten Notfall ihr Gepäck tragen würde. Christine kniff die Augen zusammen, um sie besser sehen zu können. Die Ähnlichkeit war wirklich verblüffend. Aber es konnte nicht sein. Schließlich stand sie hier in Westerland. Christine verlor die Frau aus dem Blick und konzentrierte sich auf die Zugtüren. In einer von ihnen würde er auftauchen, Johann, der wunderbarste Mann überhaupt. Sie hatten sich in letzter Zeit viel zu selten gesehen. Aber heute war der erste Tag ihres gemeinsamen Urlaubs. Zwei Wochen Sylt im Mai, es war einfach grandios. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen. Immer mehr Menschen bevölkerten den Bahnsteig, der Zug musste brechend voll gewesen sein. Endlich sah sie ihn. Er stieg aus einem der hinteren Wagen. Christine versuchte, ihm entgegenzulaufen. Die Menschenmassen machten das Vorhaben fast unmöglich, zumal Johann aus irgendeinem Grund stehen geblieben war. Christine hatte ihn fast erreicht, als sie sah, dass sich der Strom um ein Hindernis teilte. Mitten auf dem Bahnsteig stand ein voll beladener Gepäckwagen. Die Frau mit dem roten Hut saß darauf und ignorierte die Flüche und irritierten Gesichter derjenigen, die plötzlich ausweichen mussten oder gleich dagegengerannt waren. Sie lächelte einfach alles weg. Johann rieb sich schmerzverzerrt das Schienbein. Christine hatte nur Augen für ihn, kam endlich bei ihm an, fasste nach seiner Schulter, er drehte sich um, sie sah sein Lächeln, fühlte plötzlich seine Hände und Arme, roch sein Rasierwasser und schloss die Augen beim Kuss. Die Welt versank, das Leben war großartig. Bis sich jemand hinter ihr räusperte. Und eine Stimme, die wie Tante Inge klang, sagte: »Na? Ist das dein neuer Freund?« Christine zuckte zusammen, löste sich von Johann und sah die Frau auf dem Gepäckwagen an. Es war Tante Inge. Nur mit Hut. Und ohne Onkel Walter. Aber bestens gelaunt und mit sehr viel Gepäck. Sie legte den Kopf schief und musterte den verblüfften Johann. »Sehen Sie, man sollte immer so freundlich wie möglich pöbeln, man weiß nie, wen man vor sich hat. Ich bin Christines Patentante. Ich halte den Westerländer Bahnhof zwar nicht für den idealen Ort, um sich kennenzulernen, aber bitte. Seid ihr nicht etwas zu alt, um hier öffentlich zu knutschen? Na ja, müsst ihr wissen.« Sie drehte sich wieder zum Gepäckwagen. »Habt ihr eine Ahnung, wie man dieses Monstrum in Bewegung setzt?« Johann reagierte endlich. »Sie müssen den Griff drücken, sonst bremst er. Ich habe auch nicht gepöbelt, das war ein Schmerzensschrei. Kommen Sie, ich schiebe den Wagen, wo wollen Sie denn hin?« Christine starrte ihre Tante noch immer an. Sie war dünner geworden, trug einen engen Rock, eine helle Bluse und einen vermutlich teuren Mantel. Die Handtasche passte zum Hut. Inge wirkte irgendwie verändert. Sie nahm die Handtasche vom Wagen. »Ach, so einfach? Na, dann mal los. Was ist? Kommst du, Christine?« Christine musste zweimal tief Luft holen, bevor sie sprechen konnte. »Was machst du denn hier? Papa hat gar nicht erzählt, dass du kommst. Sonst hätten wir uns doch gar nicht in der Dachwohnung einquartiert. Das ist viel zu eng, zu dritt. Und wo ist Onkel Walter?« Tante Inge lächelte ihre Nichte an. »Reg dich nicht auf. Ich schlafe nicht bei euch auf der Ritze, ich habe mir bei Petra eine Ferienwohnung gemietet. Mein Bruder weiß gar nicht, dass ich komme. Und Onkel Walter ist zu Hause, wo sonst. Ich habe aber nicht die geringste Lust, über ihn zu sprechen. Ich denke, es ist an der Zeit, mein Leben zu verändern. Und jetzt kommt, ihr könnt mich zu Petra fahren, diese Taxipreise finde ich sowieso übertrieben.« Sie rückte den ungewohnten Hut zurecht, sie hatte ihn viel zu tief ins Gesicht gezogen, und ging mit schnellen Schritten zum Ausgang. Christine sah ihr mit offenem Mund hinterher, während Johann seine Reisetasche schulterte und sich mit dem voll beladenen Gepäckwagen in Bewegung setzte. Sie hatte Tante Inge vor einem knappen Jahr das letzte Mal gesehen, bei einem Familienfest in Dortmund, als Onkel Walter seinen 65. Geburtstag gefeiert hatte. Das Lokal hieß »Eichenhof«, es gab gemischten Braten mit Gemüseplatte und Kroketten, hinterher Schnaps, und alles war in Ordnung. Bis auf die Tatsache, dass Tante Inge in ihrer Rede sagte, dass sie Walters Rentnerdasein in die Gefahr bringen würde, ihn irgendwann einmal auf dem Sofa zu erschlagen. Es sei denn, er suche sich endlich ein vernünftiges Hobby. Und damit wären nicht die Bundesliga und seine Kegelrunde gemeint, das reiche ihr nicht aus. Onkel Walter guckte zwar etwas beleidigt, doch keiner hatte es ernst genommen. Tante Inge war noch nie diplomatisch gewesen. Christine hatte für einen kurzen Moment das Bild des erschlagenen Walters auf dem blutgetränkten Sofa vor Augen, zwang sich aber sofort, es wegzublinzeln und stattdessen Tante Inge anzusehen, die neben dem Auto stand und beobachtete, wie Johann ihre Gepäckstücke im Kofferraum verstaute. »Was heißt, es ist an der Zeit, dein Leben zu verändern? Was ist denn mit Onkel Walter?« »Hm?« Ihre Tante betrachtete konzentriert Johanns Packkünste. »Wenn Sie die rote Tasche längs legen, geht es vielleicht besser. Oder erst den großen Koffer und dann die Tasche.« »Ich habe gefragt, was mit Onkel Walter ist.« »Ich sagte es doch bereits, ich will nicht darüber reden. So, na bitte, geht doch. Jetzt den Deckel zu und ab. Ihr könnt mich direkt zu Petra nach Kampen fahren, keine Umwege bitte, ich muss ganz dringend zur Toilette.« Johann schlug den Kofferraumdeckel mit Schwung zu und wischte sich über die Stirn. »Wollen Sie vielleicht hier noch mal …? Also, wir haben ja Zeit.« »Nein, schönen Dank.« Inge setzte sich auf den Beifahrersitz und knöpfte ihren Mantel auf. »Ich gehe nicht auf fremde Toiletten. Man weiß ja nie … Können wir jetzt fahren?« Christine sah Johann fragend an, er nickte und stieg hinten ein. Mit einem Blick auf die vier fast fünf Meter hohen Skulpturen auf dem Bahnhofsvorplatz öffnete Christine die Fahrertür. »Reisende Riesen im Wind« hieß dieses Kunstwerk, vier grüne Gestalten, die sich gegen den Wind stemmten. Hoffentlich war das kein schlechtes Omen. Während sie an der Post vorbeifuhren und in den Bahnweg bogen, drehte sich Inge um und musterte Johann nachdenklich. Dann lächelte sie freundlich. »Sie sind also Johann. Wohnen Sie noch in Bremen, oder haben Sie sich schon bei Christine eingenistet?« Johann suchte Christines Blick im Rückspiegel. Sie nickte ihm beruhigend zu. »Ich wohne in Bremen, ich habe da meinen Job. Es war nie die Rede davon, mich bei Christine einzunisten.« Tante Inge sah wieder auf die Straße. »Dann ist ja gut. Christine hat da nämlich ein Händchen für, sie sucht sich gern Männer aus, die sie durchbringen muss.« »Tante Inge!« Sie lächelte. »Komm, du bist schon mal geschieden. Und jetzt kannst du dein Geld allein ausgeben. Das geht überhaupt nicht gegen Sie, Johann, verstehen Sie das bloß nicht falsch, Sie sind mir ja ganz sympathisch. Ich halte nur nichts davon, sich in so jungen Jahren zu binden. Wer weiß, was noch alles passiert.« Johann antwortete sehr höflich. »Ich bin 48. Und Christine ist zwei Jahre jünger. So jung sind die Jahre ja nun auch nicht mehr.« »Stimmt.« Tante Inge nickte. »Ich vergesse das immer. Meine Güte, Christine, 46 bist du schon?« Christine hielt vor einer roten Ampel. Tante Inge deutete nach links. »Du musst hier abbiegen, List, Kampen, Wenningstedt. Hast du gesehen, oder?« »Tante Inge …«, die Ampel schaltete auf Grün, Christine bog links ab, »darf ich dich daran erinnern, dass ich mich auf der Insel auskenne? Guck mal, Johann, dort drüben ist der Flughafen und dahinter der Marine-Golfplatz.« »Ah ja.« Johann blickte zum Heckfenster hinaus. Tante Inge beobachtete ihn dabei. »Falls Sie einen Golfplatz sehen wollen, müssen Sie sich den Hals nicht so verrenken. Da kommt gleich noch einer. Der Golfclub Sylt. Sagen Sie bloß, Sie spielen Golf? So alt sind Sie doch noch gar nicht. Oder machen Sie dabei windige Geschäfte?« Christine stöhnte leise auf. »Tante Inge, bitte!« Inge klappte die Sonnenblende runter und kontrollierte ihre Frisur. »Wie auch immer. Jedenfalls gibt es hier genug Golfplätze. Vier insgesamt. Da können Sie sich richtig...