E-Book, Deutsch, 464 Seiten
Reihe: Fallbuch
Hellmich Fallbuch Innere Medizin
6. aktualisierte und erweiterte Auflage 2020
ISBN: 978-3-13-243204-8
Verlag: Thieme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 464 Seiten
Reihe: Fallbuch
ISBN: 978-3-13-243204-8
Verlag: Thieme
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Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zielgruppe
Studenten
Autoren/Hrsg.
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Multiples Myelom Kommentar Beim Multiplen Myelom (oder beim Plasmozytom) handelt es sich um eine maligne Transformation einer Plasmazellreihe unbekannter Genese. Klinik: Neben einer Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens, Gewichtsabnahme und Nachtschweiß klagen die Patienten häufig über Knochenschmerzen, vor allem im Bereich der Wirbelsäule. Typischerweise treten lokalisierte Osteolysen (z. B. „Schrotschuss-Schädel”) auf und mit fortschreitender Erkrankungsdauer kommt es auch zur Entwicklung einer generalisierten Osteoporose mit deutlich erhöhtem Frakturrisiko (im vorliegenden Fall sollte daher überprüft werden, ob eine Osteolyse im Schenkelhalsbereich nachweisbar ist und ob eine generalisierte Osteoporose vorliegt). Diagnostik: Die BSG ist bei Vorliegen eines Multiplen Myeloms extrem beschleunigt (1-Stunden-Wert: oft > 100 mm n. W.), beim Leichtketten (Bence-Jones-)Plasmozytom jedoch oft nur leicht erhöht. Häufig findet sich eine meist makrozytäre Anämie (Hb-Erniedrigung) mit Bedeutung für die Prognose ( ? Tab. 2.1 ). Im vorliegenden Fall ist die auffällige Serumelektrophorese diagnostisch wegweisend. Der schmalbasige Peak in der ?-Globulin-Fraktion (sog. M-Gradient, ? Abb. 2.2) entspricht einer exzessiven Vermehrung monoklonaler Immunglobuline (früher: Paraproteine) und deutet auf das Vorliegen eines Multiplen Myeloms hin. Eine breitbasige Erhöhung der ?-Globulin-Fraktion kommt z. B. bei Kollagenosen und Lebererkrankungen vor. Zur Identifizierung dieser monoklonalen Immunglobuline (Ig) muss eine Immunfixation oder Immunelektrophorese in Serum und Urin durchgeführt werden. So lassen sich IgG-, IgA-, IgD- oder Leichtkettenmyelome unterscheiden. Letztere werden heute vorzugsweise anhand von Leichtketten im Serum, einschl. der sog. FLC-(= freie Leichtketten) Ratio, nachgewiesen (statt Bestimmung des Bence-Jones-Proteins im Urin und der Immunfixation des Urins). Die Quantifizierung der Paraproteinämie ist für Stadieneinteilung, Therapie und Prognose von Bedeutung. Die Stadieneinteilung nach Salmon und Durie ( ? Tab. 2.1 ) wird zunehmend durch ein neues internationales Staging-System ersetzt, welches nur auf zwei Laborwerten basiert: ß2-Mikroglobulin und Albumin ( ? Tab. 2.2 ). Tab. 2.1 Stadieneinteilung des Multiplen Myeloms nach Salmon und Durie. Stadium Parameter I Hb > 10 g/dl + Ca2+ i. S. normal + Röntgen Knochen normal oder 1 solitärer Herd + niedrige Paraproteinkonzentrationen II weder zu Stadium I noch Stadium III passend III Hb < 8,5 g/dl und/oder Ca2+ i. S. erhöht und/oder > 3 osteolytische Herde und/oder hohe Paraproteinkonzentrationen „A“ bei Serum-Kreatinin < 2 mg/dl, „B“ bei Serum-Kreatinin > 2 mg/dl Tab. 2.2 ISS-Einteilung (International Staging System) des Multiplen Myeloms (2005). Stadium ß 2-Mikroglobulin Albumin Prognose* I = 3,5 mg/l = 3,5 g/dl 62 II weder zu Stadium I noch Stadium III passend 44 III > 5,5 mg/l nicht relevant 29 *medianes Überleben in Monaten Ein Differenzialblutbild liefert erste Anhaltspunkte zum Ausschluss einer sekundären Paraproteinämie, z. B. bei einer chronisch-lymphatischen Leukämie. Zur Sicherung der Diagnose ist eine zytologische Untersuchung des Knochenmarks (Beckenkamm- oder Sternalpunktion) unerlässlich. Nach den Kriterien der Myeloma Working Group kann ein Multiples Myelom diagnostiziert werden, wenn der Plasmazellanteil im Knochenmark bei = 10 % liegt (alternativ histologischer Nachweis eines extramedullären Myeloms) und definierte Myelom-assoziierte Organschäden (nach den sog. CARB-Kriterien) vorliegen: Anämie (Hb < 10 g/dL, Hyperkalzämie (> 2.75 mmol/L), Niereninsuffizienz (Kreatinin > 2 mg/dL) oder osteolytische Knochenläsionen. Die Knochenmarkzytologie erlaubt auch eine Abgrenzung zu anderen hämatologischen Neoplasien bzw. einer monoklonalen Immunglobulinvermehrung ungewisser Signifikanz (MIUS). Eine Hyperkalzämie deutet auf Osteolysen hin. Zur Erkennung von Osteolysen muss bei einer gesicherten Paraproteinämie ein Ganzkörper-Low-Dose-CT des Skeletts durchgeführt werden. Die Skelettszintigrafie eignet sich nicht zur Osteolysesuche, da sie beim Multiplen Myelom falsch negativ ausfallen kann. Bei Patienten mit Multiplem Myelom muss außerdem die Nierenfunktion regelmäßig überprüft werden (Kreatinin und Kreatinin-Clearance in Abhängigkeit vom Krankheitsstadium und Verlauf alle 2–8 Wochen). Insbesondere beim Leichtketten-Myelom können die Paraproteine zu einer toxischen Schädigung der Nierentubuli und später zur Entwicklung einer Amyloidose führen. Therapie: Therapie nur bei gesicherter Diagnose eines multiplen Myeloms! Vor Einleitung einer Therapie erfolgt zunächst eine Risikostratifizierung: Patientenalter, Allgemeinzustand und zytogenetische Faktoren (z.B. Mutationen wie del17p13, t[14,16], t[14,20]) bestimmen die Prognose und die Wahl der Therapie. Dann wird die Eignung des Patienten für eine Stammzelltransplantation geprüft. Insbesondere bei Patienten mit hohem und mittlerem Risiko kommt eine Hochdosis-Chemotherapie mit nachfolgender autologer Stammzelltransplantation infrage. Sie weist eine deutlich höhere Ansprechrate als die konventionelle Chemotherapie auf, allerdings hat sie auch eine höhere Toxizität. Neue Substanzen, wie die beiden Immunmodulatoren Thalidomid und Lenalidomid sowie der Proteasom-Inhibitor Bortezomib, verbessern in der Induktionstherapie die Ansprechraten vor und nach Stammzelltransplantation. Sie sind auch für Patienten geeignet, die für eine Stammzelltransplantation nicht geeignet sind (z.B. Alter > 75 Jahre, ECOG Funktionsstatus < 3, Komorbiditäten). Diese Patienten erhalten dann in der Regel eine Erhaltungstherapie mit Lenalidomid oder Bortezomib. Alle Patienten mit einem Multiplen Myelom profitieren von einer frühzeitigen antiresorptiven Therapie mit einem Bisphosphonatpräparat, auch wenn eine manifeste Osteoporose oder eine Fraktur noch nicht vorliegen. Bei Frakturgefährdung können osteolytische Herde, z. B. in der Wirbelsäule, gezielt bestrahlt werden. Weitere Komplikationen müssen entsprechend therapiert werden (s. o.). Prognose: Die Prognose ist individuell sehr variabel (siehe prognoseweisende Parameter, ? Tab. 2.2 ), hat sich in den vergangenen 10 Jahren aber deutlich verbessert. Durch eine aggressive Therapie (Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzelltransplantation) können heute 10-Jahres-Überlebensraten von über 50 % erreicht werden. ZUSATZTHEMEN FÜR LERNGRUPPEN Typen des Multiplen Myeloms und deren Häufigkeitsverteilung ...