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Henningsen | Die neue Psychosomatik der Körperbeschwerden | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 154 Seiten

Henningsen Die neue Psychosomatik der Körperbeschwerden

Schmerzen, Schwindel, Erschöpfung & Co. besser verstehen und behandeln
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12425-5
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Schmerzen, Schwindel, Erschöpfung & Co. besser verstehen und behandeln

E-Book, Deutsch, 154 Seiten

ISBN: 978-3-608-12425-5
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Rätsel funktioneller Störungen

Höchst innovatives Konzept zum Verständnis und zur Behandlung von psychosomatischen Störungen

Peter Henningsen ist einer der profiliertesten Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Deutschland

Millionen von Menschen leiden unter teils gravierenden chronischen Beschwerden, die sich nicht klar auf eine organische Erkrankung zurückführen lassen: Mit Erschöpfungszuständen, Schmerzen aller Art, Schwindelattacken u. v. m. werden sie oft jahrelang durch unser Gesundheitssystem gereicht, meist ohne Ergebnis. »Long Covid« gehört ebenfalls in dieses Spektrum der unverstandenen Krankheiten. Peter Henningsen legt in diesem Buch die Basis für ein umfassenderes und tieferes Verständnis der funktionellen Störungen. Neue Erkenntnisse zur Funktionsweise unseres Gehirns legen einen integrierten Erklärungsansatz nahe: Funktionelle Körperbeschwerden können als gestörtes Zusammenspiel der untrennbar verbundenen biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren verstanden werden. Eine Chance für Betroffene, auch selbst aktiv zu werden.

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Zielgruppe


Ärzt:innen, Psychotherapeut:innen und Fachleute der helfenden Berufe; alle, die an psychosomatischen Störungen leiden


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Kapitel 2 Körperbeschwerden
2.1 Zunächst: alltägliche und andere Körperbeschwerden
In jeder Sekunde unseres wachen Lebens können wir unseren Körper spüren, den Druck an Rücken und Gesäß beim Sitzen, die Anspannung der Muskeln beim schnelleren Gehen, den Herzschlag. Nur achten wir meistens nicht darauf, nehmen den Körper im täglichen Erleben und Handeln gar nicht oder nur in besonderen Situationen bewusst wahr – wie in einer Atemnot beim Rennen oder einem raschen Herzschlag bei Aufregung. In diesen Situationen ist die Körperwahrnehmung, wenn sie denn bewusst wird, einfach Teil des Gesamterlebens des Rennens, der Aufregung. Aber oft ist es auch anders. Wir spüren zuerst ein diffuses Unwohlsein in der Magengegend, eine leichte Spannung im Kopf, ein schwindliges Gefühl. Meist braucht es Zeit, bis aus der beiläufigen Wahrnehmung eine bewusste Beschwerde wird, in der mir der Körper oder Teile davon als Ort der Beschwerde gewissermaßen gegenübertritt: Mir ist übel im Magen, ich habe Kopfschmerzen, mir ist schwindlig. Die bewusste Wahrnehmung der Körperbeschwerde ist eingebettet in eine Wahrnehmung des Zusammenhangs, in dem sie aufgetreten ist – daraus kann sich eine Erklärung der Beschwerden ergeben oder auch nicht: Bevor die Übelkeit auftrat, war schon meinem Partner schlecht geworden – ein verdorbenes Nahrungsmittel oder eine Magen-Darm-Grippe? Die Kopfschmerzen entstehen beim angestrengten Diskutieren über ein schwieriges Thema – ein Zeichen von Belastung oder Ärger? Der Schwindel entsteht nach längerem Sitzen als Beifahrer auf kurviger Strecke – eine ganz normale Reaktion? 90 % von uns erleben innerhalb einer Woche eine oder mehrere solcher Körperbeschwerden – sehr oft können wir sie aus dem Kontext heraus erklären, als Folge und Begleiterscheinung körperlicher oder psychischer Belastungen, seltener als Zeichen einer beginnenden körperlichen Erkrankung, manchmal als Folge eines Wetterumschwungs oder anderer Umgebungseinflüsse. Nicht selten bleibt der Zusammenhang aber unklar, die Rückenschmerzen, der Schwindel, die ungewohnte Erschöpfung sind einfach da, warum auch immer. Ob wir nun eine Ursache zu kennen glauben oder nicht – wir haben in aller Regel unsere Routinen, wie wir mit den Schmerzen, der Übelkeit, der Erschöpfung umgehen. Diese Routinen sind sehr individuell. Die eine spricht erst mal mit ihrem Partner darüber, ein anderer greift schnell zur Schmerztablette, die eine bevorzugt bestimmte Tees, der andere einen Schnaps, manche einen verlängerten Mittagsschlaf. In den meisten Fällen beeinträchtigen die Beschwerden unser Wohlbefinden aber nur vorübergehend und nach kurzer Zeit klingen sie auch wieder ab, ob mit oder ohne die Selbsthilfemaßnahmen. Aus dieser uns allen vertrauten Schilderung folgt ein wichtiger Punkt: Solche vorübergehenden, nicht stark beeinträchtigenden Körperbeschwerden sind keine Krankheit, sie sind Teil von Gesundheit. Gesundheit ist nämlich nicht, wie von der Weltgesundheitsorganisation, der WHO, vor Jahren postuliert, »ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens«, also auch der Abwesenheit aller Körperbeschwerden. Und sie ist auch nicht, in einer anderen, wahlweise dem Philosophen Paul Valéry oder einem französischen Chirurgen zugeschriebenen Formulierung, das »Schweigen der Organe«. Gesundheit ist stattdessen die Fähigkeit, mit alltäglich auftretenden Beschwerden selbstregulierend so umgehen zu können, dass sie nicht anhaltend beeinträchtigen. Was aber, wenn die Beschwerden auf Selbsthilfemaßnahmen hin nicht besser werden, sich sogar verstärken, Arbeit und Alltag daher zunehmend schwer zu bewältigen sind? Spätestens dann wird in unserem gut ausgebauten Gesundheitssystem meist Hilfe gesucht, beim Hausarzt oder häufig auch gleich bei der Fachärztin, die man aufgrund der Art der Beschwerden für zuständig hält (beim Schwindel zum HNO-Arzt oder zur Neurologin, bei Rückenschmerzen zum Orthopäden, bei Verdauungsproblemen zum Gastroenterologen etc.). Sobald ich über meine Beschwerden beim Arzt berichte, sobald er mich körperlich untersucht und ggf. noch weitere Labor-, Röntgen- und andere technische Untersuchungen veranlasst, ist das weitere Schicksal meiner Beschwerden nicht mehr ausschließlich in meiner Hand. Der Hausarzt, die Fachärztin prägen mit ihrem Verständnis der Beschwerden und ihrem Handeln den weiteren Weg mit, und wer glaubt, dass der Stand der medizinischen Kunst hier immer eindeutige Regeln vorgibt, der irrt. Natürlich gibt es Beschwerdekonstellationen, da ist die Lage klar und fast jede Ärztin würde das Gleiche tun – eine Gastroskopie bei regelhaft auftretenden Magenschmerzen veranlassen oder ein EKG bei spürbaren Veränderungen im Herzrhythmus. Und dann findet sich häufig eine an den Körperorganen nachweisbare Veränderung, etwa ein Magengeschwür oder ein Vorhofflimmern am Herzen, wofür es dann etablierte und allgemein verbreitete Therapien gibt, seien es Medikamente oder, wie beim Vorhofflimmern, eventuell eine Intervention mithilfe eines Katheters. Das ist wie gesagt das weite Feld von »Krankheit classic«: Ein Patient kommt mit körperlichen Beschwerden, eine Untersuchung erbringt als Ursache eine organische Pathologie, eine Therapie zur Beseitigung oder Linderung der Beschwerden wird angewandt, dem Patienten geht es deutlich besser oder er ist sogar geheilt. Doch dieser klassische Ablauf, den alle Beteiligten primär erwarten, wenn Körperbeschwerden im Vordergrund stehen, ist keineswegs immer gegeben. In Studien hat sich gezeigt, dass bei mindestens einem Viertel, eher einem Drittel aller Patient:innen, die sich mit ihren anhaltend belastenden Körperbeschwerden an einen Hausarzt gewandt haben, die diagnostischen Untersuchungen keine eindeutige organische Erklärung der Beschwerden erbringen, kein Magengeschwür trotz heftiger Magenschmerzen, keine Herzrhythmusstörung trotz subjektiv stark wahrgenommenem Herzstolpern. Auch in Facharztpraxen ist die entsprechende Quote hoch, in der ambulanten Gastroenterologie lässt sich z. B. in bis zu 50 % der Fälle keine entzündliche, tumoröse oder andere Veränderung am Darm feststellen, die die geklagten Verdauungsbeschwerden, also Durchfall, Verstopfung und Bauchschmerzen, erklären würde. Bei einem Teil dieser Betroffenen kann zu Beginn der Beschwerden durchaus ein organischer Befund vorgelegen haben, nur ist dieser in der Zwischenzeit abgeklungen, ohne messbare organische Spuren zu hinterlassen – und die Beschwerden bestehen trotzdem weiterhin. Das kann z. B. eine Darmentzündung sein, die Durchfall und Bauchschmerzen anfangs wesentlich erklärte, die aber inzwischen nicht mehr nachweisbar ist, oder eine Entzündung des für das Gleichgewichtsorgan im Innenohr besonders wichtigen Nervus vestibularis, die anfangs den Schwindel verursachte, der dann aber nach Abklingen auch dieser Entzündung weiterbesteht, oder es können Beschwerden wie Luftnot und Erschöpfung sein, die nicht nur während, sondern auch nach einer Virusinfektion fortbestehen, obwohl diese nachweislich vorbei ist. Nicht selten werden – nicht nur dann, wenn anfangs tatsächlich krankhaft veränderte organische Befunde vorlagen – immer wieder neue Labor-, Röntgen- und andere Untersuchungen veranlasst, um doch noch eine organische Ursache zu finden, es werden auch viele verschiedene medikamentöse Behandlungen, auch Operationen, empfohlen und durchgeführt – immer in der Annahme, dass es eine bislang vielleicht übersehene körperliche Ursache gäbe, die man beseitigen oder zumindest verändern müsse, um die Körperbeschwerden zu lindern oder sogar zu heilen. Es sind zum einen die Patient:innen, die auf solche wiederholten körperlichen Untersuchungen und Behandlungen drängen, typischerweise in einer Mischung aus Befürchtung und Hoffnung: Befürchtung, dass doch noch »etwas Schlimmes« gefunden wird, das die ungewohnten und heftigen Beschwerden erklärt – und Hoffnung, dass sich aus dem Befund eine hilfreiche Therapie ergibt. Aber zum anderen veranlassen auch die Ärzt:innen häufig wiederholte diagnostische Untersuchungen, obwohl »eigentlich« klar ist, dass z. B. die Wiederholung eines Kernspintomogramms des Kopfes nach drei Monaten bei seit zwei Jahren unverändert bestehenden Spannungskopfschmerzen extrem unwahrscheinlich einen neuen Befund erbringt. Das geschieht, um die eigene Angst, etwas Organisches übersehen zu haben, zu beruhigen und um den Patient:innen, die wiederholt mit den gleichen Beschwerden in die Praxis kommen, wenigstens irgendeine Maßnahme anbieten (und sie zufrieden aus der Praxis wegschicken) zu können. Aus dem ähnlichen Wunsch heraus, Erklärungen anbieten zu können, werden dann nicht selten auch Bagatell- und Zufallsbefunde, die sich bei Labor- und Bildgebungsuntersuchungen ergeben, zur Ursache erklärt; so soll dann z. B. eine nachgewiesene Bandscheibenvorwölbung zwischen zwei Wirbelkörpern der unteren Wirbelsäule den anhaltenden Ganzrückenschmerz erklären, der die Patientin seit Monaten plagt – auch wenn das anatomisch gar nicht sein kann. Trotzdem werden auf solche Annahmen dann auch Therapiemaßnahmen, hier z. B. eine Bandscheibenoperation, gestützt – »eigentlich« ist von vornherein klar, dass eine solche OP den Ganzrückenschmerz nicht wird heilen oder auch nur lindern können. Viele Ärzt:innen bleiben also zusammen mit ihren Patient:innen in dieser Weise »lange auf der somatischen Schiene«, gehen weiter davon aus, dass es eine körperliche Ursache der Beschwerden und hoffentlich eine Therapie dafür geben wird, auch wenn alle bisherigen Untersuchungen keinen klaren Hinweis dafür erbracht haben. Andere Ärzt:innen sind schneller bereit, diese ursprüngliche Annahme aufzugeben und eine...


Henningsen, Peter
Peter Henningsen, geb. 1959, FA für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Neurologie und Psychiatrie, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin am Klinikum rechts der Isar der TU München, Sprecher der Ltd. Hochschullehrer Psychosomatik, Dekan der Fakultät für Medizin der TUM 2010-2019. Wissenschaftlicher Schwerpunkt: funktionelle Körperbeschwerden. Letzte Buchveröffentlichung: Allgemeine Psychosomatische Medizin. Krankheiten des verkörperten Selbst im 21. Jahrhundert. Springer-Verlag 2021.

Peter Henningsen, geb. 1959, FA für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Neurologie und Psychiatrie, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin am Klinikum rechts der Isar der TU München, Sprecher der Ltd. Hochschullehrer Psychosomatik, Dekan der Fakultät für Medizin der TUM 2010-2019. Wissenschaftlicher Schwerpunkt: funktionelle Körperbeschwerden. Letzte Buchveröffentlichung: Allgemeine Psychosomatische Medizin. Krankheiten des verkörperten Selbst im 21. Jahrhundert. Springer-Verlag 2021.



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