Herrmann | Sophie Isler verlobt sich | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 375 Seiten

Herrmann Sophie Isler verlobt sich

Aus dem Leben der jüdisch-deutschen Minderheit im 19. Jahrhundert
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-412-50394-9
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Aus dem Leben der jüdisch-deutschen Minderheit im 19. Jahrhundert

E-Book, Deutsch, 375 Seiten

ISBN: 978-3-412-50394-9
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wer spricht noch von den großen Hoffnungen der deutschen Judenheit im 19. Jahrhundert oder vom Aufbruch bürgerlicher Frauen? Dieses Buch erzählt die Geschichte von Sophie Isler, der frisch verlobten Hamburgerin, und Otto Magnus, ihrem Braunschweiger Bräutigam. Sorgfältig bereiten sie sich 1867 auf ihr Projekt Ehe vor. Denn Sophie will Gleichberechtigung, als Frau und als Jüdin. Vom frühen Feminismus erfahren wir, vom Alltag der jüdischen Minderheit und ihrer Annäherung an die Mehrheitsgesellschaft. Das wird hautnah erzählt, aus der Sicht und mit den Worten der Beteiligten, denn der Text basiert auf ca. 4.000 Briefen von 1827 bis 1888, Familienbriefen aus dem jüdisch-deutschen Bildungsbürgertum. Sie wurden für dieses Buch erstmals erschlossen und werden hier in einem eigenen Format präsentiert: als durchgehende biographisch-historiographische Erzählung mit vielen in den Erzählfluss eingebundenen, oft umfangreichen Briefstellen. So verbindet sich anspruchsvolle Geschichtsdarstellung mit anschaulicher Lesbarkeit.
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Der Briefwechsel
…in alten Briefen […] ist [es] gerade so, als ob die Zeiten wieder aufständen und man wie in einem Guckkasten Alles sähe was damals geschehen ist. (Sophie, Braunschweig, 21.3.1887) Vom Brautstand der Sophie Isler soll hier erzählt werden. Auf den ersten Blick eine Allerweltsgeschichte von Verlobung, Brautzeit und Verheiratung, wie sie von vielen Frauen im 19. Jahrhundert gelebt wurde. Aber zugleich doch eine ganz besondere Geschichte, erzählt anhand des Briefwechsels, den Sophie mit ihrem Bräutigam Otto geführt hat. Sie selbst wird in ihren Briefen darlegen, wie eine junge Hamburgerin 1867 sich auf das Wagnis Ehe vorbereitet und eindringlich und offen auf den Mann zugeht, für den sie ihr bisheriges Leben verlassen muss, um zu ihm in eine fremde Stadt, unter fremde Menschen und in unbekannte, provinzielle Verhältnisse zu ziehen. Vorsichtig, sensibel und doch sehr direkt breitet sie vor ihm ihre ganze Existenz aus und begegnet in seinen Briefen einem ebenso einfühlsamen, achtungsvollen und um Wahrheit bemühten Gegenüber. Wichtig für Sophie ist, dass sie sich dabei auf Augenhöhe begegnen: Sie will eine gleichberechtigte Partnerin in dieser Ehe sein. Erklärend und ergänzend wird sich meine Stimme als die einer Briefeleserin und Chronistin in den Dialog des Paares einmischen, Vergangenem nachspüren, Entwicklungen verfolgen und dabei auch Sophies Eltern und Großeltern zu Wort kommen lassen. Im Zentrum aber wird die Suche des Brautpaars nach tragfähiger Gemeinsamkeit für ein ganzes Leben stehen. Der Vorschuss an Vertrauen, den beide in diese Beziehung investieren, zeigt Menschen von hohem Verantwortungsgefühl und großer Sicherheit, die aus der familialen Liebe und dem engen Zusammenhalt jüdischer Familien im Jahrhundert ihrer Integration erwachsen. 1840, am 30. Juli, wird Sophie Isler in Hamburg geboren. Ihre Mutter Emma (geborene Meyer) ist zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt und seit einem Jahr verheiratet. Sophie ist das erste Kind und wird das einzige bleiben. Emma stammt aus Dessau, ist also Neu-Hamburgerin, denn ihre Familie zog erst 1834 nach Hamburg. Ihre zahlreichen Geschwister werden auch in Sophies Leben eine große Rolle spielen. Als sie geboren wird, heißen sie Heinrich, Martin, Ludwig, Moritz, Ferdinand, Siegmund und Henriette – eine typisch deutsche Familie. Nur [<<11] bei Sophies Vater könnte man stutzig werden: Meyer ist sein Vorname1, Dr. Meyer Isler, in Hamburg geboren und Bibliothekar an der renommierten Stadtbibliothek. Seine wissenschaftliche Tätigkeit könnte ihm den Weg an Gymnasium oder Universität öffnen, aber für die Professur müsste er sich taufen lassen. Das tut er nicht. Seine Familie lebt bereits in der zweiten Generation in Hamburg und er gehört, genau wie seine Frau, zu den Reformjuden. Emma Isler ist ungewöhnlich gebildet und verfolgt philosophische, kulturelle und politische Entwicklungen zeitlebens mit wachem Blick. Wer von dieser Familie erzählen will, muss im Auge behalten, dass es sich um jüdische Bildungsbürger handelt. Wann immer Islers sich trennen, sei es, dass Meyer ins Studium geht, Emma Verwandte besucht, seien es Kuraufenthalte oder Reisen – ja, und erst recht, als Sophie nach Braunschweig heiratet, immer schreiben sie Briefe und alle werden aufgehoben. Du wunderst Dich, dass ich Stadt und Jahreszahl schreibe, aber ich bin dabei alte Briefe zu ordnen und bin gar nicht sehr erbaut, dass die meinigen etwas mangelhaft datiert sind. Weißt Du eigentlich, was später einmal aus all den Briefen werden soll? Aber ich konnte mich nicht entschließen, sie zu verbrennen. Ich ordne sie nach Jahrgängen und schreibe darauf zwischen wem und aus welchen Städten sie gewechselt sind. Ich finde es etwas trostlos eine ordentliche Schlumpe zu sein (Emma, Hamburg, 12.5.[1868], 9 Uhr abends!). So Emma, und ihre Tochter antwortet salopp: Dass Du alle Briefe aufbewahrst versteht sich von selbst: was einmal am Ende aller Tage daraus wird ist ja ganz einerlei (Sophie, Braunschweig, 14.5.1868, 3 Uhr). Keine besondere Absicht also war mit dem Aufheben verbunden, uns aber gestatten sie den Blick in eine fremde Vergangenheit, deutsch zwar, nach Einschätzung ihrer VerfasserInnen, und doch voller Spuren jüdischer Kultur. Diese Briefe haben anderthalb Jahrhunderte überdauert, ihre VerfasserInnen, die Häuser, in denen sie gelebt, gesellschaftliche und politische Umbrüche: den Deutschen Bund und das Kaiserreich, die Republik von Weimar und wunderbarerweise sogar die Diktatur des Nationalsozialismus, weil sie rechtzeitig außer Landes geschickt wurden. Sophies Enkelin Hannah hat alle aus der alten deutschen Kurrentschrift in heute lesbare Schreibmaschinenseiten übertragen – da sind sie nun und breiten ein buntes Bild des 19. Jahrhunderts vor uns aus, aus der Sicht von Bildungsbürgern, die jüdischer Abstammung waren. Der Anfang des Briefwechsels liegt weit zurück: Meyer Islers Reise von Hamburg nach Bonn, 1827, zum Studium. Israel Abraham*, der Vater, sah das nicht gern, sollte doch der kluge und gebildete Sohn in die eigene Knabenschule als Lehrer eintreten; dazu war kein Universitätsstudium nötig. Der Vater leitete die 1793 gegründete Schule, die Mutter stand dem Pensionat vor, denn die Jungen sollten (neben religiösem Wissen) nicht nur das nötige Allgemeinwissen erwerben und korrektes Deutsch schreiben und sprechen, sondern sich [<<12] auch zu benehmen wissen, damit sie den Sprung an die Realschule oder – wie Meyer – ans Gymnasium schafften. Sie sollten nicht nur im Unterricht mithalten können, sondern auch in ihrem Verhalten und ihrer Sprache nicht auffallen.2 Aber der junge Isler hatte wenig Lust, Lehrer zu werden; er wollte studieren. Und als ein Stipendium den Weg an die Universität öffnete, durfte er tatsächlich zum Studium nach Bonn und später nach Berlin. Der lebhafte Briefwechsel, der nun zwischen dem Studenten Meyer und seiner Familie anhebt, ist für Meyer ziemlich zeitraubend, denn an ihn schreibt nicht nur der Vater Israel Abraham Isler* (streng-liebevoll), sondern auch die Schwester Malchen (munter plaudernd) und die Mutter (besorgt) – sie übrigens immer mit hebräischen Buchstaben, weil sie, anders als ihre Brüder, die deutschen Buchstaben nicht erlernte. Abb. 1     Brief Jette Islers an ihren Sohn Meyer, deutsch in hebräischen Buchstaben, 1827. Jette Islers* Briefe wären heute schwerlich zu verstehen, wenn nicht Sophies Tochter Helene* sie übertragen hätte.3 Meyer antwortet allen, sodass er oft mehrere Briefe gleichzeitig schicken muss, was angesichts seiner schmalen Finanzen nicht einfach für ihn ist. Ähnlich lebhaft ist der Briefwechsel, den eine Generation später Sophie auslöst, als sie beginnt das Elternhaus zu verlassen, nicht zum Studium, sondern ganz frauentraditionell, um zu heiraten. Denn obwohl Sophie Isler ein hochgebildetes Mädchen ist, das Latein und [<<13] neue Sprachen beherrscht und sich für alles Naturwissenschaftliche, Kultur und Politik interessiert, war für sie weder an Gymnasialbesuch noch an Studium zu denken. Das wird in Deutschland für Frauen erst ab 1900 möglich – und es werden Jüdinnen sein, die diese Chance bald besonders häufig nutzen. Einen Beruf hat Sophie natürlich auch nicht, doch von sinnvollen Tätigkeiten für Frauen ist viel die Rede. Sophie ist hauptsächlich „Tochter“, hilft der Mutter im Haushalt und dem Vater bei der Korrektur seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen, ist für beide Gesprächspartnerin und Begleiterin und denkt nicht ans Heiraten, sodass sie die Annäherungsversuche eines jungen Juristen in Braunschweig erst einmal übersieht. Kommt hinzu, dass Sophies Mutter Emma versucht hat, die Tochter auf ein selbstbestimmtes Leben vorzubereiten und darüber immer wieder gesprochen wird. Mutter und Tochter verfolgen die Debatten um Frauenemanzipation mit lebhaftem Interesse und Islers sprechen in diesen Fragen mit. Meyer Isler gehört zum Vorstand einer jüdischen Mädchenschule und auch er ist überzeugt, dass Frauen eine sinnvolle Tätigkeit brauchen und gegebenenfalls ihren Lebensunterhalt verdienen können müssen. Das ändert sich mit Sophies Verlobung – zumindest für Sophie.4 Wie heiratet man denn vor hundertvierzig Jahren? Zuallererst verlobt man sich. Danach ist Zeit zu prüfen, ob und wie gut man zueinander passt. Vor allem muss sich nun für Sophie herausstellen, ob er so ganz der Richtige ist. Aber wie muss er denn sein? Zuverlässig, ernst, hilfsbereit, sich necken lassen, ohne verletzt zu sein, und vor allem den Schwiegereltern ein guter Sohn. Er darf nicht leichtsinnig sein, muss nach Höherem streben und seine kleine Frau verwöhnen. Er darf nicht geizig sein, aber auch das Geld nicht zum Fenster hinauswerfen. Den Gästen einen Stuhl anbieten, sie unterhalten und sie am Ende höflich zur Tür geleiten. Er muss fleißig arbeiten, aber viel Zeit für seine Frau haben, allen Bewunderung abnötigen und auch gut aussehen. Ja, er sollte schon etwas vermögend sein, sodass man vom gesellschaftlichen Leben nicht ausgeschlossen wäre, dass man einladen könnte und eingeladen würde, Theater und Konzerte besuchen könnte, dass Haushaltshilfen vorhanden wären und eine finanzielle Absicherung, falls er zu früh stürbe. Er sollte zuhören können, einen Standpunkt haben, aber auch andere gelten lassen,...



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