Höcker / Engberding / Rist | Prokrastination – Extremes Aufschieben | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Reihe: Fortschritte der Psychotherapie

Höcker / Engberding / Rist Prokrastination – Extremes Aufschieben


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8444-3081-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 120 Seiten

Reihe: Fortschritte der Psychotherapie

ISBN: 978-3-8444-3081-3
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten werden in der Praxis immer häufiger mit dem Anliegen Prokrastination, also dem chronischen exzessiven Aufschieben, oder mit milderen Formen des Aufschiebens konfrontiert, die zwar nicht „pathologisch“ sind, aber dennoch als störend oder belastend empfunden werden. Das Buch liefert einen praxisorientierten Leitfaden für die Diagnostik und Behandlung von Prokrastination.

Chronisch-exzessives Aufschieben ist ein Problem der Selbststeuerung. Es hat gravierende Folgen sowohl für die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit als auch für die allgemeine Lebensführung und das psychische Wohlbefinden. Prokrastination kann Ursache psychischer Symptome und Störungen sein, als Symptom im Rahmen psychischer Störungen auftreten oder selbst eine klinisch relevante Symptomatik darstellen. Der Band liefert neben einer Beschreibung der speziellen Arbeitsstörung ein kognitiv-behaviorales Erklärungsmodell und eine Anleitung für das diagnostische Vorgehen. Weiterhin werden Behandlungsmodule vorgestellt, die je nach individueller Problemlage und nach zeitlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich kombiniert werden können. Die Module sind einzeln durchführbar oder können in eine bestehende umfassendere Behandlung oder Beratung integriert werden. Lösungen für die Bewältigung problemtypischer Schwierigkeiten in der Behandlung werden erörtert. Arbeitsmaterialien erleichtern die Umsetzung des Vorgehens in die Praxis.

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Zielgruppe


Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Fachärzt_innen für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psycholog_innen, Psychologische Berater_innen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.

Weitere Infos & Material


2  Störungstheorien und Erklärungsansätze
Bisher liegen für Prokrastination keine befriedigenden Studien zu biografischen Entstehungsfaktoren vor. Für die Berücksichtigung prädisponierender Bedingungen in der Praxis wird deshalb auf die im Kapitel 1.3 dargestellten psychologischen Befunde sowie auf allgemein bekannte psychische Faktoren verwiesen, die für die Entwicklung von Selbstkontrolle günstig bzw. ungünstig sind. Zu nennen sind hier etwa Lernerfahrungen mit Belohnungsaufschub, Frustrationstoleranz, Anspruchsniveausetzung, Anstrengungsbereitschaft oder -vermeidung, Misserfolgsverarbeitung oder die individuelle Entwicklung von Kompetenzen zur vorausschauenden und Folgen berücksichtigenden Entscheidung, Planung und Selbstaktivierung. |21|In psychologischen Erklärungsmodellen für die Aufrechterhaltung von Prokrastination werden sowohl lerntheoretische Mechanismen als auch emotionale, kognitive, motivationale und verhaltensbezogene Faktoren angeführt. Im Folgenden stellen wir zwei sich ergänzende Modelle vor, deren Kombination sich für den Einsatz in der praktischen Arbeit bewährt hat: ein kognitiv-verhaltenspsychologisches Erklärungsmodell für Prokrastination, welches die lerntheoretischen Mechanismen sowie emotionale, kognitive, motivationale und verhaltensbezogene Faktoren verbindet sowie das Rubikon-Modell der Handlungsphasen, welches den Ablauf der erfolgreichen Realisierung einer Absicht darstellt. Dieses Modell eignet sich gut, um die Herausforderungen für eine gelungene Selbststeuerung und die individuellen Probleme des Klienten in der jeweiligen Handlungsphase darzustellen. 2.1  Kognitiv-verhaltenspsychologisches Erklärungsmodell für Prokrastination
Prokrastination erfolgt trotz Kenntnis der negativen Konsequenzen und obwohl die Betroffenen selbst ihr Verhalten als nachteilig erleben. Im Konflikt zwischen dem, was sie tun wollten/sollten und dem, was sie stattdessen tun, entscheiden sie sich aber regelhaft für Letzteres. Die stattdessen ausgeführten Ersatztätigkeiten haben dabei eines gemeinsam: sie sind aktuell angenehmer und leichter zu erledigen oder auch weniger selbstwertrelevant. Im verhaltensbezogenen Erklärungsansatz ist negatives Erleben wie Unbehagen, Angst und Widerwille gegenüber der als unangenehm empfundenen Aufgabe das zentrale aufrechterhaltende Moment des Prokrastinierens (vgl. Kapitel 1.3). Die Ersatzaktivitäten müssen nicht unbedingt angenehm sein, werden aber im Vergleich zur aufgeschobenen Tätigkeit zumindest als weniger unangenehm empfunden. Lerntheoretisch ist gut nachvollziehbar, dass Aversives nach Möglichkeit gemieden wird. Ein solches Vermeidungs- oder Fluchtverhalten wird durch das Nachlassen der unangenehmen Gefühle unmittelbar und zuverlässig kurzfristig negativ verstärkt. Dies gilt selbst dann, wenn es nicht gelingt, sich von der anstehenden Aufgabe vollständig abzulenken und die alternativen Ersatztätigkeiten von schlechtem Gewissen und Schuldgefühlen begleitet werden. Somit stellt Prokrastination einen aktuell kurzfristig – aber nicht längerfristig wirksamen – Versuch der Emotionsregulation dar, langfristig überwiegen die negativen Folgen. Gut ersichtlich wird die Aufrechterhaltung von Prokrastination entsprechend lerntheoretischer Prinzipien im kognitiv-verhaltenspsychologischen Erklä|22|rungsmodell (vgl. Abbildung 1 und die Karte „Kognitiv-verhaltenspsychologisches Erklärungsmodell für Prokrastination“ am Ende des Buches). Es zeigt, dass die Aufrechterhaltung in der Regel sowohl durch kurzfristige negative als auch durch kurzfristige positive Verstärkung geschieht: Die negative Verstärkung erfolgt durch das Nachlassen aufgabenbezogener unangenehmer Kognitionen und Emotionen, die positive Verstärkung durch (in Relation) angenehmere Ersatztätigkeiten. Dabei kann es sich entweder um per se angenehme und zerstreuende Tätigkeiten handeln (z.?B. Gespräche mit Kollegen, Fernsehen, Internetspiele) oder um Arbeiten, die positiv verstärkt werden, weil sie das Gefühl geben, etwas erledigt zu haben (z.?B. einem Kollegen helfen, weniger komplexe Arbeitsschritte vorziehen, E-Mails checken, putzen, aufräumen etc.). Die Durchführung solcher Aktivitäten wird durch schnellen Erfolg positiv verstärkt: sie schafft kurzfristig ein Gefühl der Zufriedenheit und blendet Gedanken an die eigentlich vorgenommenen Aufgaben aus. Die unangenehmen Konsequenzen des Aufschiebens, wie das Nichteinhalten von Fristen, das Nichterreichen gesetzter Ziele, sind zeitlich weiter entfernt und wirken deshalb häufig nicht verhaltenssteuernd. Darüber hinaus schließt das Modell prokrastinationsfördernde, erlaubniserteilende Kognitionen sowie motivationale Vorbedingungen für negative mit der Arbeit verbundene Gefühle ein. Die längerfristigen negativen Konsequenzen erschweren die Veränderung problemtypischer Kognitionen, Emotionen und Verhaltensmuster zusätzlich und tragen zur weiteren Aufrechterhaltung der Prokrastination bei. Im Leistungsbereich kann Aufschieben als sogenanntes „self-handicapping“ (Ferrari & Tice, 2000) fungieren: Es kann dabei selbstwertschonend vor einer realistischen Konfrontation mit befürchteten eigenen Defiziten schützen, wenn Zeitdruck und Hektik als entlastende Rechtfertigung angeführt werden können nach dem Motto „hätte ich früher angefangen, wäre es sicher viel besser geworden“. Zusammenfassung Aufschieben ist ein typisches, durch die kurzfristigen anstatt durch die langfristigen Konsequenzen gesteuertes Verhaltensmuster. Die Aufrechterhaltung erfolgt über positive und negative kurzfristige Verstärkung, die schädlichen langfristigen Konsequenzen sind oft nicht oder nur unzureichend verhaltenssteuernd, weshalb es der Selbststeuerung bedarf. Des Weiteren ist Aufschieben oft ein gelerntes Bewältigungsverhalten im Sinne eines Versuchs der Emotionsregulation (Versuch, unangenehme Gefühle wie Unlust, Langeweile oder Angst kurzfristig zu reduzieren oder zu vermeiden), auch dann, wenn die langfristigen Konsequenzen negativ sind und die Betroffenen deutlich beeinträchtigen. |23| |24|Ableitung von Interventionen aus dem Erklärungsmodell Diese kognitiv-verhaltenspsychologische Konzeptualisierung von Prokrastination erlaubt die Ableitung und Zuordnung von Veränderungszielen und -methoden für die dauerhafte Reduktion des Problemverhaltens. Dazu gehören auf Verhaltensebene das Einüben von Routinen für Beginn und Durchführung von Arbeitsphasen, das Priorisieren und Aufteilen von Arbeitszielen in erreichbare Unterziele, die realistische Planung konkreter Schritte, der kleinschrittige Aufbau effizienter Arbeitszeit sowie ein Bedingungsmanagement durch Veränderung prokrastinationsfördernder Bedingungen und Aufbau günstiger Kontingenzen. Veränderungen auf kognitiver und emotionaler Ebene werden durch kognitive Umstrukturierung und Verhaltensexperimente sowie systematische Auswertung der Erfahrungen angestrebt. Die so erreichten alternativen, positiv verstärkten Erfahrungen erhöhen das Erfolgserleben und die Selbstwirksamkeitserwartung (vgl. Kapitel 4 und 5). Fallbeispiel: Frau S. (vgl. auch S. 4, 50 und 85?f.) – Entstehung und Aufrechterhaltung Frau S. berichtet, sie habe schon früher „mehr aufgeschoben als andere“. Bereits in der weiterführenden Schule habe sie Hausaufgaben, „wenn überhaupt, oft auf den letzten Drücker“ erledigt, dies sei jedoch oft nicht aufgefallen, da ihr das Verstehen und Lernen immer leichtgefallen sei. Auch für Prüfungen habe sie nicht oder erst kurz vorher unter großem Druck gelernt, sodass sie eigentlich „nie gelernt habe, auf längere Sicht zu arbeiten“. Auch im Beruf habe sie sich lange Zeit „durchwurschteln können“. Es habe zwar immer mal wieder negative Rückmeldungen gegeben, die jedoch nie zu ernsten Konsequenzen führten. Seit ihrer Beförderung vor einem halben Jahr habe...



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