E-Book, Deutsch, 616 Seiten
Hurrelmann / Richter / Stock Referenzwerk Prävention und Gesundheitsförderung
6., überarbeitete und erweiterte Auflage 2024
ISBN: 978-3-456-76350-7
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Grundlagen, Konzepte und Umsetzungsstrategien
E-Book, Deutsch, 616 Seiten
ISBN: 978-3-456-76350-7
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung als sich ergänzende Interventionsformen
Viele chronische Krankheiten können nicht geheilt, sondern lediglich begleitet und in ihren Auswirkungen eingedämmt werden. Kluge und nachhaltige Strategien, die Krankheiten vorbeugen und die Gesundheit fördern, gewinnen daher immer mehr an Bedeutung.
In diesem Referenzwerk wird das Ergänzungsverhältnis der beiden Interventionsformen Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung herausgearbeitet. Ein interdisziplinär zusammengesetztes Team von Expertinnen und Experten erläutert die wissenschaftlichen Grundlagen beider Ansätze und veranschaulicht ihre Umsetzung anhand von konkreten Beispielen.
Schwerpunkte der Darstellung sind:
Theoretische Grundlagen und Konzepte einschließlich digitaler Ansätze der Prävention und GesundheitsförderungBesonderheiten von lebenslaufbezogenen KonzeptenPrävention somatischer Störungen und Krankheiten in den Bereichen Herz-Kreislauf, Krebs, Atemwege, Muskuloskelettalsystem, Adipositas, Diabetes, Infektionen, Zahn-Mund, NeurologiePrävention psychosomatischer und psychischer Krankheiten in den Bereichen Stress, Suizidalität, Sucht, Essstörungen, ADHSAnsätze von Prävention und Gesundheitsförderung in verschiedenen Zielgruppen und Settings: ambulant/stationär, Öffentlicher Gesundheitsdienst, Familien, Arbeitsplatz, Kommunen, Männer und Frauen, Migrantinnen und Migranten Gesundheitspolitische Umsetzungvon Strategien: Präventionsgesetz, Ansätze der Finanzierung, Bekämpfung gesundheitlicher Ungleichheiten, Ansätze auf globaler Ebene und im Klimawandel
Das vorliegende Lehrbuch hat sich als führendes Referenzwerk in medizinischen, gesundheitswissenschaftlichen, psychologischen, pädagogischen und soziologischen Studiengängen und Weiterbildungsprogrammen bewährt. Es erscheint hier in sechster, überarbeiteter und erweiterter Auflage.
Zielgruppe
Studierende aus medizinischen, gesundheitswissenschaftlichen, psychologischen, pädagogischen und soziologischen Studiengängen und Weiterbildungsprogrammen
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
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|23|1 Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung
Klaus Hurrelmann, Matthias Richter, Theodor Klotz und Stephanie Stock Überblick Was charakterisiert die Begriffe „Krankheitsprävention“ und „Gesundheitsförderung“? Was sind Risiko- und Schutzfaktoren für die Gesundheit? Wie ergänzen sich „Krankheitsprävention“ und „Gesundheitsförderung“? Welchen Stellenwert haben „Krankheitsprävention“ und „Gesundheitsförderung“ in der gesundheitlichen Versorgungsstruktur? 1.1 Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung als komplementäre Interventionsformen
Die Begriffe „Krankheitsprävention“ und „Gesundheitsförderung“ werden in der internationalen Fachliteratur nicht einheitlich verwendet. Auch im deutschen Sprachraum bestehen unterschiedliche Definitionen nebeneinander. 1.1.1 Historische Entstehung der Begriffe Um eine Begriffsverwirrung zu vermeiden, ist eine Rückbesinnung auf die historische Entstehung der beiden Begriffe hilfreich (Hurrelmann et al., 2016): Der historisch ältere Begriff „Krankheitsprävention“, meist verkürzt als „Prävention“ bezeichnet, entwickelte sich in der Sozialmedizin des 19. Jahrhunderts. Unter den Begriffen Vorbeugung, Vorsorge, Prophylaxe oder Prävention wurden alle Ansätze zusammengefasst, die eine Vermeidung des Auftretens von Krankheiten und damit die Verringerung ihrer Verbreitung und die Verminderung ihrer Auswirkungen zum Ziel hatten. Der entscheidende Ansatz dafür war, die Auslösefaktoren von Krankheiten zurückzudrängen oder ganz auszuschalten. Um 1900 verdichtete sich die Erkenntnis, dass vor allem unzureichende hygienische Lebensumstände und belastende Arbeitsbedingungen zu den Auslösefaktoren zählen und sowohl Lebensqualität als auch Lebensdauer der Bevölkerung schwer beeinträchtigen. Fachwissenschaftlich waren an der Aufdeckung dieser Zusammenhänge vor allem innovative Bereiche der Medizin und Epidemiologie beteiligt. Aus ihren Reihen heraus wurden auch die ersten Ansätze eines vorbeugenden, prophylaktischen und präventiven Handelns formuliert (Abholz, 2006). Der Begriff „Gesundheitsförderung“ (Health Promotion) ist erheblich jünger. Er entwickelte sich aus den gesundheitspolitischen Debatten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in die neben bevölkerungsmedizinischen auch ökonomische, politische, kulturelle und soziale Erkenntnisse eingingen. Der Begriff etablierte sich im Anschluss an die Definition von „Gesundheit“ in der Gründungskonvention der WHO: „Gesundheit ist der Zustand des völligen körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein |24|von Krankheit und Gebrechen“ (World Health Organization, 1946). Bei der Diskussion über Umsetzungsstrategien des Gesundheitsbegriffs wurde bei einer Konferenz in Ottawa (World Health Organization, 1986) das Konzept „Gesundheitsförderung“ etabliert. Im Unterschied zur Krankheitsprävention mit ihrer im Vordergrund stehenden Vermeidungsstrategie geht es bei der Gesundheitsförderung um eine Promotionsstrategie, durch die Menschen eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und damit eine Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen („Empowerment“) erfahren sollen. Fachwissenschaftlich waren an der Entwicklung dieses Ansatzes vor allem sozial- und bevölkerungswissenschaftliche Disziplinen beteiligt (Kickbusch, 2003). Obwohl sich die beiden Begriffe auf unterschiedliche Bezugsrahmen beziehen, haben sie eine Gemeinsamkeit: Sowohl „Krankheitsprävention“ als auch „Gesundheitsförderung“ beschreiben begrifflich Handlungsschritte, also Formen der „Intervention“. Es handelt sich in beiden Fällen um das gezielte Eingreifen von Akteuren, meist öffentlich und/oder professionell autorisierter Personen und Institutionen, um sich abzeichnende oder bereits eingetretene Verschlechterungen der Gesundheit bei einzelnen Personen oder Bevölkerungsgruppen zu beeinflussen. Damit diese Intention gelingen kann, ist ein koordiniertes Zusammenwirken aller beteiligten Akteure auf verschiedenen Ebenen des Systems notwendig. Zudem sollte sich das präventive Handeln an evidenzbasierten Grundlagen orientieren. 1.1.2 Definition von Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung Der Unterschied der beiden Interventionsformen liegt also in ihrer Eingriffslogik, die sich auf verschiedenartige theoretische Grundlagen bezieht. Hieraus lässt sich ihre Definition ableiten: Krankheitsprävention (oft verkürzt auch nur „Prävention“ genannt) bezeichnet alle Interventionen, die dem Vermeiden des Eintretens und des Ausbreitens einer Krankheit dienen. Das Eingreifen (Intervenieren) richtet sich auf das Verhindern und Abwenden von Risiken für das Eintreten und die Ausbreitung von Krankheiten. Voraussetzung eines gezielten Intervenierens ist eine Kenntnis pathogenetischer physiologischer und psychischer Dynamiken, also der Entwicklungs- und Verlaufsstadien des Krankheitsgeschehens. Gesundheitsförderung bezeichnet alle Interventionen, die der Verbesserung der gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen der Bevölkerung dienen. Das Eingreifen richtet sich auf die ökonomischen, ökologischen, kulturellen und sozialen Bedingungen der Lebensgestaltung von einzelnen Personen oder Gruppen der Bevölkerung. Voraussetzung eines gezielten Intervenierens ist eine Kenntnis salutogenetischer Dynamiken, also der Entwicklungs- und Verlaufsformen für das Gesundsein und Gesundbleiben. Wichtig für Gesundheitsförderung und Prävention Gemeinsames Ziel: Gesundheitsgewinn Gemeinsames Ziel der beiden Interventionsformen „Krankheitsprävention“ und „Gesundheitsförderung“ ist, einen sowohl individuellen als auch kollektiven Gesundheitsgewinn zu erzielen – einmal durch das Zurückdrängen von Risiken für Krankheiten, zum anderen durch die Förderung von gesundheitsrelevanten Lebensbedingungen und individuellen Ressourcen. Die analytische Unterscheidung der beiden Begriffe ist auf Antonovsky zurückzuführen, der auch den neuen Begriff „Salutogenese“ als Gegenbegriff zu „Pathogenese“ prägte (Antonovsky, 1987). Die pathogenetische und die salutogenetische Dynamik folgen einer unterschiedlichen Sachlogik. Entsprechend bezeichnen die beiden Begriffe |25|Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung bei gemeinsamer Zielsetzung unterschiedliche Interventionsformen mit verschiedenartigen Wirkungsprinzipien (Hurrelmann & Richter, 2013). 1.1.3 Wirkungsprinzip der Krankheitsprävention Krankheitsprävention bedeutet im Wortsinn, einer Krankheit zuvorzukommen, um sie zu verhindern oder abzuwenden. Zugrunde liegt die Annahme, dass die zukünftige Entwicklung des Krankheitsgeschehens individuell und kollektiv vorhergesagt werden kann. Die Interventionsform Prävention beruht damit auf einer Zukunftsprognose, die ihrerseits auf der...